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MELDUNG/036: Kambodscha - 20 Jahre Erfahrung, Minenräumer wollen ihr Wissen weitergeben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Oktober 2010

Kambodscha: Minenräumer wollen ihr Wissen weitergeben - 20 Jahre Erfahrung

Von Irwin Loy

Ngoun Thy vom Minen-Aktionszentrum zeigt Überreste von Munition - Bild: © Irwin Loy/IPS

Ngoun Thy vom Minen-Aktionszentrum zeigt Überreste von Munition
Bild: © Irwin Loy/IPS

Kampong Chhnang, Kambodscha, 28. Oktober (IPS) - Ngoun Thy geht vorsichtig durch den abgedunkelten Raum. Zu seiner Rechten sind Mörsergranaten aufgereiht. Auf der anderen Seite liegen Metallteile und eine alte Drahtspule.

"Panzerabwehrminen", erklärt der Kambodschaner. Die plumpen, rostigen Zylinder sind zu einem unordentlichen Haufen aufgeschichtet. Ngoun ist leitender Ausbilder am nationalen Zentrum für Minenräumung in der zentralen Provinz Kampong Chhnang. "Und hier haben wir Streumunition", sagt er, während er zwei halbkreisförmige Metallgegenstände in der Größe von Tennisbällen aufhebt.

Die Halle am Rande der kambodschanischen Provinzhauptstadt wirkt wie ein Ausstellungsraum für das tödliche Erbe des Krieges. In dem Gebäude werden Überreste des fast 30-jährigen Konflikts in dem südostasiatischen Land aufbewahrt. Darunter sind rostige Minen, die von den Kriegsparteien gelegt wurden, und Clusterbomben, die die US-Streitkräfte bei geheimen Einsätzen in den frühen siebziger Jahren über Kambodscha abwarfen.

Die Mitarbeiter des staatlichen Kambodschanischen Minen-Aktionszentrums (CMAC) sehen die Ansammlung der Kriegshinterlassenschaften aber auch als Zeichen dafür, dass ihre Arbeit erfolgreich ist. Jede Mine und Bombe wurde bei langwierigen Einsätzen ausgegraben und entschärft.


Hohe Dichte an Minen und Bomben

Kambodscha gehört zu den Staaten der Welt, in denen die meisten Minen und nicht explodierten Bomben zu finden sind. Seit fast 20 Jahren sind Experten im ganzen Land damit beschäftigt, die gefährlichen Sprengkörper in Reisfeldern und im Dschungel aufzuspüren und unschädlich zu machen.

Die kambodschanischen Behörden wollen ihre Erfahrungen nun auch dazu nutzen, anderen Entwicklungsländern mit ähnlichen Problemen zu helfen. Die in Kambodscha eingesetzten Minenräumer haben sich auch an UN-Friedensmissionen, beispielsweise im Sudan, beteiligt. Inzwischen hat sich eine Delegation aus Kolumbien angekündigt, die in dem asiatischen Land an einer Fortbildung teilnehmen will.

Der Chefausbilder bei CMAC, Roath Kanith, vergleicht die Situation in Kolumbien mit den Problemen, vor denen Kambodscha vor etwa zwölf Jahren stand. "Vor 1998 war Kambodscha teils ein sicheres und teils ein unsicheres Land", sagt er. Ähnlich sei es in dem südamerikanischen Staat, der teilweise nicht unter der Kontrolle der Regierung stehe.

Befürworter solcher Süd-Süd-Partnerschaften sehen darin eine Chance, die Abhängigkeit von Entwicklungshilfe aus Industrienationen zu reduzieren. "Kambodscha hat fast 20 Jahre lang Unterstützung von der Weltgemeinschaft erhalten", sagt Roath. "Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, dass wir der Welt etwas davon zurückgeben. Auch wenn wir nicht genug Geld haben, um Minenräum-Operationen zu bezahlen, können wir doch unser Wissen und unsere Erfahrungen weitergeben."

CMAC hat sich seit Beginn der neunziger Jahre, als in Kambodscha noch über Frieden verhandelt wurde, von einem kleinen Projekt zu einer nationalen Institution entwickelt. Für das Zentrum sind mittlerweile mehr als 2.300 Minenräumer im Einsatz.

Mit der Zeit ist CMAC immer unabhängiger von internationalen Expertisen geworden. Vor zwölf Jahren seien noch über hundert technische Berater aus dem Ausland in Kambodscha tätig gewesen, erinnert sich Roath. Inzwischen arbeiteten in der gesamten Organisation nur noch zwei oder drei Fachleute aus anderen Ländern. "Wir sind in der Lage, die Minenräumung und die Ausbildung von Personal selbst zu bewerkstelligen", stellt er fest.

Der Generaldirektor von CMAC, Heng Ratana, hält es für wichtig, dass Kambodscha die größten Minenentschärfungseinsätze so eigenständig wie möglich durchführen kann. "Wir haben über kürzere Zeiträume mit vielen technischen Beratern zusammengearbeitet", sagt Heng. "Sie sprechen zwar gut Englisch, haben aber vielleicht nicht so viel Erfahrung auf dem Gebiet." Deshalb erscheint es ihm sinnvoll, dass Länder, die selbst von Minenproblemen betroffen sind, verstärkt untereinander Informationen austauschen.


Minengefahr verhindert Entwicklung des Agrarsektors

Untersuchungen ergaben, dass in Kambodscha im Unkreis von fast der Hälfte aller Dörfer Minen vergraben waren. Weite Teile von fruchtbarem Ackerland lagen brach, weil die Bauern Angst hatten, auf die Sprengkörper zu stoßen. Die Minen sind für die Entwicklung des Landes noch immer eine so große Hürde, dass die Vereinten Nationen ihre Beseitigung in den Katalog der UN-Millenniumsziele aufnahm.

Am stärksten seien die armen Menschen in ländlichen Regionen betroffen, sagt Heng. Es sei die Pflicht des Staates, ihnen für die kommenden Generationen sicheres Land zur Verfügung zu stellen.

Um weiterhin Minen räumen zu können, ist Kambodscha aber immer noch auf finanzielle Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Regierungsbeamte und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen beklagen indes, dass sich die Geber zu sehr zurückhalten. Sie warnen davor, dass die unsicheren finanziellen Perspektiven Zukunftsziele in Gefahr brächten.

Die Regierung musste erst kürzlich einräumen, dass die am stärksten durch Minen belasteten Gebiete nicht wie ursprünglich vorgesehen im Laufe der nächsten zehn Jahre vollständig von Sprengkörpern befreit werden könnten. (Ende/IPS/ck/2010)


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http://www.cmac.gov.kh/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2010