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RAUMFAHRT/781: Kontrollierte Rückkehr aus dem All - Flugsteuerungssystem für SHEFEX II (DLR)


Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) - 18.08.2010

Kontrollierte Rückkehr aus dem All:
DLR entwickelt maßgeschneidertes Flugsteuerungssystem für SHEFEX II


Ein neues Modul macht es möglich: Im Gegensatz zu seinem Vorgänger wird das experimentelle scharfkantige Raumfahrzeug SHEFEX II (SHarp Edge Flight Experiment) bei seinem Wiedereintritt in die Atmosphäre aktiv gesteuert. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelte für SHEFEX II ein maßgeschneidertes aerodynamisches Flugsteuerungssystem, mit dem der Körper kontrolliert zur Erde zurückkehren soll.

Kern des von Wissenschaftlern des DLR-Instituts für Flugsystemtechnik in Braunschweig entwickelten so genannten Canard Control Systems sind im vorderen Bereich der Forschungsrakete angeordnete Ruderflächen, die so genannten Canards, mit denen das Raumfahrzeug aktiv gesteuert werden kann. Erste Bodentests liefen erfolgreich - nun ist das Teilmodul reif für die Integration und weitere Tests an SHEFEX II.


Extreme aerodynamische und thermische Lasten

"Elektromechanische Ruderstellsysteme weisen ein großes Potenzial für künftige wieder eintretende Raumfahrzeuge auf", erklärt DLR-Flugsystemtechniker Andreas Koch den Hintergrund des Experiments. "Der vom DLR entwickelte Prototyp ist sehr kompakt und leicht. Und er ist ein Schritt in Richtung einer günstigeren und leistungsfähigeren Flugsteuerung für Wiedereintrittsfahrzeuge", sagt der Wissenschaftler.

Das Canard Control System soll die Lage- und Anströmbedingungen des Wiedereintrittsvehikels automatisch einstellen - ähnlich den Rudern eines Flugzeuges, die dessen Lage durch gezielte Ausschläge verändern können. Allerdings sind die Bedingungen in 100 bis 20 Kilometern Höhe - hier ist das Ruderstellsystem aktiv - gänzlich andere. "Wir bewegen uns hier in Grenzbereichen des technisch Machbaren", verdeutlicht Koch und ergänzt: "Wir fliegen und messen in Thermosphäre, Mesosphäre und Stratosphäre. Oberhalb von 100 Kilometern herrscht zwar kein absolutes Vakuum, aber die Luft ist dann so dünn, dass aerodynamische Kräfte die Lage des Raumfahrzeugs nicht mehr beeinflussen können."

Das neue Ruderstellsystem ist also extremen aerodynamischen und thermischen Lasten ausgesetzt. Die Bauteile müssen der Hitze, den hohen Beschleunigungen und Luftkräften trotzen. Gewöhnliche Bauteile brechen dabei auseinander und verglühen.

Wiedereintrittssysteme gehören zu den Hochtechnologien. Sie müssen zuverlässig in einer sehr ungünstigen Umgebung funktionieren. SHEFEX II ist beim Wiedereintritt mit einer Geschwindigkeit von fast drei Kilometern pro Sekunde unterwegs - mit diesem Tempo wäre man in 80 Sekunden von Braunschweig aus in Berlin. Das Canardmodul - sprich die Hardware - muss einerseits also robust genug sein, um diesen extremen Bedingungen standzuhalten. Gleichzeitig bedarf es einer Software an Bord, die während der anspruchsvollen Experimentmission zuverlässig arbeitet und das Fluggerät kontrolliert wieder zur Erde bringt.


Geplanter SHEFEX-II-Start: 2011 von Australien

Die Hard- und Software für das automatische Stellsystem entwickelten die Braunschweiger DLR-Forscher in Kooperation mit weiteren DLR-Instituten und industriellen Partnern. Das Team entwarf und realisierte das Systemdesign, es baute das mathematische Wiedereintrittsmodell auf und entwickelte den Flugregelungsalgorithmus. Zum Canardmodul gehören folgende Komponenten: Onboard-Computer, Aktuatoren, Abdichtung, Stromversorgung, Verkabelung, Struktur und Software.

Diese Einzelteile mussten zahlreiche Berechnungen und Tests über sich ergehen lassen, zum Beispiel Vakuumtests, Vibrationstests, Funktions- und Leistungstests sowie mechanische Tests. Auch die Software wurde in einer sehr hardwarenahen Simulation am Boden gestestet. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass das Ruderstellsystem die geforderte Reife für die weiteren Gesamtsystemtests erreicht hat.

Der letzte Schritt, die Gesamtsystemtests, finden am DLR-Standort Oberpfaffenhofen statt. SHEFFEX II soll 2011 vom australischen Woomera aus in eine Höhe von über 200 Kilometer gebracht werden. Für die Braunschweiger DLR-Forscher beginnt dann die Auswertung des intensiven Flugversuchsteils. Dann werden sie auch praktisch erfahren, ob alle Berechnungen und Tests stimmten und das Gesamtsystem unter den harschen Bedingungen beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre fehlerfrei funktioniert. Das gesamte SHEFEX-II-Experiment soll etwa zehn Minuten dauern, die Zeitspanne für das Experiment der DLR-Flugsystemtechniker beträgt dabei weniger als 60 Sekunden.

Hinter dem SHEFEX-Programm steckt die Idee, neue Wiedereintrittstechnologien für die Raumfahrt möglichst kostengünstig im Flugexperiment zu testen. SHEFEX II ist ein rein national finanziertes und realisiertes Projekt.

Vollständiger Artikel mit den Bildern:
http://www.dlr.de/desktopdefault.aspx/tabid-1/9600_read-25581/


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Quelle:
Pressemitteilung vom 18.08.2010
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Unternehmenskommunikation, Linder Höhe, 51147 Köln
http://www.dlr.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2010