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RAUMFAHRT/785: Schwerelos experimentieren - Forschungsrakete Mapheus-2 (DLR)


Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) - 27.10.2010

Schwerelos experimentieren: DLR startet Forschungsrakete Mapheus-2


Ein Jahr lang haben Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) auf diesen Tag hingearbeitet: Am 27. Oktober 2010 ist die DLR-Forschungsrakete Mapheus-2 (Materialphysikalische Experimente unter Schwerelosigkeit) um 12.15 Uhr Ortszeit vom nordschwedischen Raketenstartplatz Esrange bei Kiruna abgehoben. An Bord: drei materialphysikalische Experimente, die für drei Minuten in bis zu 153 Kilometern Höhe der Schwerelosigkeit ausgesetzt waren und nach dem Flug von den DLR-Forschern genau analysiert werden.


Ein Beispiel für interdisziplinäre Forschung

Die Wissenschaftler des DLR-Instituts für Materialphysik im Weltraum aus Köln haben die Experimente für den zweiten Mapheus-Flug entwickelt und gebaut, um drei sehr grundlegenden Prozessen auf den Grund zu gehen: der Diffusion und der Entmischung in metallischen Flüssigkeiten und der Dynamik in so genannten granularen Gasen. Während des Fluges herrscht Schwerelosigkeit in den Experimenten. Dadurch werden störende Einflüsse von Auftrieb, Sedimentation und "Konvektion", einer durch die Schwerkraft hervorgerufenen Strömung, die Teilchen ebenfalls befördert, nahezu ausgeschaltet. "Die Messungen erfolgen also unter kontrollierten Bedingungen, die im Labor auf der Erde so nicht realisiert werden können", erklärt Institutsdirektor Prof. Andreas Meyer.

Mitarbeiter der "Mobilen Raketen Basis" (MORABA) des DLR-Raumflugbetriebs in Oberpfaffenhofen bauten die Flugsysteme und führten die zweiwöchige Startkampagne durch. Die Mapheus-Projektkoordination liegt in den Händen des DLR-Instituts für Raumfahrtsysteme in Bremen. "Der zweite Mapheus-Flug ist das Ergebnis einer erfolgreichen Zusammenarbeit mehrerer DLR-Institute und Abteilungen", freut sich Projektleiter Martin Siegl. "Die Forschungsrakete erlaubt uns, den DLR-Wissenschaftlern die jeweils erforderlichen Versuchsbedingungen effizient zur Verfügung zu stellen", verdeutlicht Siegl.


Kompakte Wissenschaft bei Temperaturen bis 1500 Grad Celsius

Die besondere Herausforderung lag darin, kleine und relativ leichte Module zu entwickeln, in denen die Experimente an Bord der Rakete vollkommen autonom ablaufen können. 94 Kilogramm schwer ist nun die wissenschaftliche Nutzlast. Sie besteht neben den drei Experiment-Modulen aus einem mit Lithium-Eisen-Phosphat-Akkus ausgestatteten Batterie-Modul.

Im Experiment "ATLAS-M" (Atomic Transport in Liquid Alloys and Semiconductors in Mapheus) wollen die DLR-Wissenschaftler der Diffusion in Metallschmelzen auf den Grund gehen. Denn um Schmelzeigenschaften und Erstarrungsvorgänge in Legierungen noch besser zu verstehen, müssen die Forscher die so genannten Diffusionskoeffizienten in der Schmelze kennen. Der Diffusionskoeffizient ist ein Maß für die Beweglichkeit der Atome. "Die schwerkraftgetriebene Auftriebskonvektion verfälscht die Messung im irdischen Labor. Ziel dieses Experiments ist deshalb die Messung von richtigen Diffusionskoeffizienten in der Schwerelosigkeit", erläutert Prof. Meyer.

Während des Mapheus-2-Fluges haben die DLR-Wissenschaftler in 32 Proben die Diffusion von Verunreinigungen in Germanium- und Aluminiumschmelzen sowie die chemische Diffusion in Aluminium-Kupfer-Silber-Legierungsschmelzen vermessen. Die Ergebnisse dienen zum einen dazu, Diffusions- und Erstarrungsvorgänge zu beschreiben, zum anderen dazu, neue experimentelle Methoden, die im irdischen Labor angewandt werden können, weiterzuentwickeln.

Im DEMIX-M-Experiment untersuchen die Materialphysiker des DLR die so genannte Entmischung von flüssigen Metallen. Dass sich Wasser und Öl nicht vermischen, ist allgemein bekannt. Dieses Phänomen gibt es auch für einige flüssige Metalle, zum Beispiel bei Kupfer-Cobalt-Schmelzen. Allerdings ist dabei die Beobachtung der Entmischung erheblich schwieriger, einerseits wegen der hohen Prozesstemperatur um 1500 Grad Celsius, andererseits sind Metalle nicht transparent für Licht.

Unter den Bedingungen auf der Erde herrsche in der heißen Schmelze außerdem eine starke Flüssigkeitsströmung, die die wissenschaftliche Analyse des Experiments praktisch unmöglich mache. Im DEMIX-M-Modul auf Mapheus-2 werden acht unterschiedliche Kupfer-Kobalt-Proben aufgeschmolzen und in Schwerelosigkeit kontrolliert abgekühlt. Kupfer- und kobaltreiche Flüssigkeitsanteile trennen sich in winzige Tröpfchen, die im Laufe des Experiments wachsen - unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit bei geringer Konvektion. Schließlich erstarren die flüssigen Metallproben. Die jeweilige Struktur wird dadurch konserviert und kann nach dem Flug im Labor analysiert werden. Die Ergebnisse können erheblich dazu beitragen, physikalische Modellvorstellungen der Entmischung weiterzuentwickeln - eine Grundlage für die Gussteilsimulation von Werkstücken.

Um "magnetisch erregte granulare Materie" geht es im dritten Experiment auf Mapheus-2: Im sogenannten MeGraMa-M (Magnetically Excited Granular Matter on Mapheus)-Modul kann einem granularen System in Schwerelosigkeit gezielt kinetische Energie zugeführt werden. Dazu werden paramagnetische Teilchen verwendet, die über variable Magnetfelder angeregt werden. Somit ist eine Energiezufuhr auch ins Innere des Systems möglich, die Energie kann homogen verteilt werden. Sobald dies geschehen ist, werden die Magnetfelder abgeschaltet und die DLR-Wissenschaftler können das "granulare Kühlen" unter ungestörten Bedingungen beobachten.


Mit 20-facher Erdbeschleunigung ins All

Ein zweistufiger Feststoff-Raketenmotor brachte die Mapheus-2-Experimente in eine Höhe von 153 Kilometer. Die erste Stufe beschleunigte die Rakete auf eine Geschwindigkeit von fast 2000 Stundenkilometer. Etwa neun Sekunden nach dem Abheben zündete die zweite Stufe. "Nach dem Abtrennen dieser Stufe reduzierte in einer Höhe von 70 Kilometer ein mechanisches Jo-Jo-System den größten Teil der Rotation um die Längsachse der Rakete", erläutert DLR-Raumflugingenieur Josef Ettl. Durch das Abwickeln von zwei Gewichten an Seilen ändert sich das Massenträgheitsmoment der Rakete. "Bei gleichbleibendem Drehimpuls muss sich so die Rotationsgeschwindigkeit verringern. Das ist so ähnlich wie bei einem Eiskunstläufer, der bei einer Pirouette die Arme ausstreckt und sich dadurch langsamer dreht", sagt Ettl. Die bei ungesteuerten Raketenstarts übliche Rotation um die Längsachse, der so genannte Drall, stabilisiert normalerweise während des Aufstiegs die Flugbahn der Rakete. Für die Experimente auf Mapheus-2 musste dieser Drall neutralisiert werden, um die Schwerelosigkeit zu erreichen und sicherzustellen.

Danach begann in einer Höhe von mehr als 100 Kilometer die Experimentierphase von etwas mehr als drei Minuten. Im Anschluss daran trat der Raketenteil mit den Experimenten wieder in die Atmosphäre ein und wurde durch den Luftwiderstand abgebremst. In etwa fünf Kilometern Höhe öffnete sich der Stabilisierungsschirm des Bergungssystems und brachte die Nutzlast mit den Experimenten sicher im unbewohnten Gebiet Nordschwedens zur Landung.

Vollständiger Artikel mit Bildern unter:
http://www.dlr.de/DesktopDefault.aspx/tabid-1/9600_read-27373/


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Quelle:
Pressemitteilung vom 27.10.2010
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Unternehmenskommunikation, Linder Höhe, 51147 Köln
http://www.dlr.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2010