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MELDUNG/048: Uni Gießen - Senatssitzung zu kosmetischen Genitaloperationen (zwischengeschlecht.org)


zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter!

Mitteilung vom 4. Mai 2012

Universität Gießen: Senatsdebatte zu kosmetischen Genitaloperationen an Kindern am 6. Juni 2012



Der Senat der Justus-Liebig-Universität Gießen wird an seiner nächsten Sitzung vom kommenden Mittwoch, den 6. Juni 2012, über "kosmetische Genitaloperationen im Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) an Kindern und Jugendlichen mit atypischen körperlichen Geschlechtsmerkmalen" beraten.

Bereits in der letzten Senatssitzung vom 25.04.2012 hatte das Thema auf der Tagesordnung gestanden. Die angesprochenen Medizin-Professoren der JLU waren damals mit Ausnahme des Dekans der Senatssitzung ferngeblieben und hatten stattdessen versucht, mit einer vom Rektor an der Sitzung mündlich verlesenen "UKGM-Erklärung" eine eigentliche Debatte zum Thema zu verhindern - allerdings ohne Erfolg.

Der Senat hatte vielmehr beschlossen, an der nächsten Sitzung das Thema - sowie ausdrücklich auch eine Debatte - erneut auf die Tagesordnung zu setzen (vgl. TOP 19).


Kosmetische "Genitalkorrekturen": Aufarbeitung gefordert

Zur Beratung steht dabei u.a. an, ob auch die JLU Gießen eine öffentlich zugänglich zu machende historische Aufarbeitung einschlägiger kosmetischer "Genitalkorrekturen" an Kindern bewirken will. Der Senat der Philipps-Universität Marburg hatte ein entsprechendes Unterfangen bereits im April beschlossen.

Betroffene fordern schon lange die Aufarbeitung insbesondere der medizinisch nicht notwendigen Klitorisamputationen an betroffenen Kindern, wie sie in den meisten Kinderkliniken bis in die 1980er-Jahre regelmäßig durchgeführt wurden. Auch der Deutsche Ethikrat hatte in einer Stellungnahme vom 23. Februar 2012 das Leid der Betroffenen ausdrücklich anerkannt und u.a. konkret eine Entschädigung der Opfer gefordert, ebenso eine Verlängerung der Verjährungsfristen bei medizinisch nicht notwendigen, kosmetischen Genitaloperationen an Kindern.

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org kündigt an, zur kommenden Senatssitzung weitere Belege zur andauernden gegenwärtigen Praxis im Standort Gießen des UKGM betreffend kosmetischen "Genitalkorrekturen" öffentlich zu machen.


Denkwürdige "UKGM-Erklärung": JLU-Professoren leugnen Tatsachen

Mittlerweile liegt die "UKGM-Erklärung in Abstimmung mit den Professoren Burkhard Brosig, Winfried Padberg, Hans-Rudolf Tinneberg, Wolfgang Weidner, Stefan Wudy und Klaus-Peter Zimmer zur Demonstration der Initiative 'Zwischengeschlecht' am 22. April 2012 in Gießen" auch schriftlich vor (vgl. Weblog Zwischengeschlecht.info [1]).

Die UKGM-Mediziner und JLU-Professoren leugnen darin jegliche kosmetische Genitaloperationen an Minderjährigen pauschal und rundheraus - entgegen der im Offenen Brief der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org vom 22.04.2012 angesprochenen Faktenlage (belegt u.a. durch OP-Zahlen aus dem UKGM-Qualitätsbericht sowie "Behandlungs"angebote und -zahlen auf der UKGM-Homepage), wonach medizinisch nicht notwendige Genitaloperationen an wehrlosen Kindern auch am Standort Gießen des UKGM nach wie vor angeboten, durchgeführt und obendrein in Publikationen ausdrücklich für Kleinkinder "im ersten Lebensjahr" propagiert werden - allen schönen Dementis zum Trotz ...

Die im UKGM für diese Eingriffe an Kindern verantwortlichen Professoren scheuten in der "Erklärung" weiter nicht davor zurück, Überlebende von medizinisch nicht notwendigen Genitaloperationen im Kindesalter, die sich über das ihnen angetane Unrecht beklagen und öffentlich Aufarbeitung fordern, als "unsachlich und unsensibel" agierende, angeblich von allen Betroffenenorganisationen ausgegrenzte "Einzelfälle" zu diffamieren - auch hier ohne jegliche Belege und entgegen der bekannten Faktenlage.


Studentischer Antrag: Debatte über tatsächliche Praxis an UKGM und JLU

Der (mit Belegen versehene) studentische Antrag S-12-05-061T zur kommenden Senatssitzung vom 06.06.2012 moniert ebenfalls, dass die "Erklärung" auf die bekannt gewordenen Fakten zur gegenwärtigen Praxis gar nicht erst eingeht, und hält dazu fest:

"Auch für weitere pauschale Behauptungen, etwa dass der Offene Brief "nicht zwischen den verschiedenen Formen von DSD [differenzieren]" würde und dass "[v]iele Menschen mit DSD und ihre Familien [...] sich von dieser Interessengruppe [distanzieren]" würden, vermag die "Erklärung" keine Belege beizubringen. Demgegenüber stehen öffentliche Stellungnahmen von Betroffenen - wie Menschenrechtsorganisationen, dass die Menschenrechte und insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit, welche kosmetische Genitaloperationen an Kindern untersagen, unteilbar sind und nicht je nach Diagnose und Ermessen von Dritten eigenmächtig suspendiert werden dürfen. (13) Ebenso fordern deutschsprachige Betroffenenvertretungen unmissverständlich ein Verbot kosmetischer Genitaloperationen an Kindern beziehungsweise eine Beschränkung des Rechts der Eltern, im Namen ihrer Kinder kosmetischen Genitaloperationen zuzustimmen, und verurteilen diese Eingriffe als "Genitalverstümmelung". (14)

Wir fordern den Senat und das Präsidium der Justus-Liebig-Universität Gießen auf:

  • eine öffentlich zugängliche Aufarbeitung des (gegenwärtigen) Umfangs, dem (gegenwärtigen und historischen) Ausmaß und der (historischen) Dauer von kosmetischen Genitaloperationen im Universitätsklinikum Gießen zu bewirken.
  • eine öffentlich zugängliche Aufarbeitung des (gegenwärtigen) Umfangs, dem (gegenwärtigen und historischen) Ausmaß und der (historischen) Dauer von kosmetischen Genitaloperationen in der Lehre, in der Weiterbildung und in der Forschung der Justus-Liebig-Universität Gießen zu bewirken.
  • eine öffentliche Stellungnahme gegen kosmetische Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen und kosmetische Hormonbehandlung an Kindern und Jugendlichen abzugeben."

Weitere Punkte des Antrags S-12-05-061T betreffen Bestrebungen, medizinisch nicht notwendige "Behandlungen" an betroffenen Kindern zu untersagen.

Wir danken allen ganz herzlich, die sich vor Ort für die Rechte der von uneingewilligten, medizinisch nicht notwendigen Eingriffen bedrohten Kinder einsetzen, speziell dem Autonomen Schwulen-Trans*-Queer-Referat im AStA der JLU Gießen und dem Autonomen FrauenLesbenReferat im AStA der Universität Marburg!

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen sowie "Menschenrechte auch für Zwitter!".

Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.


[1] http://zwischengeschlecht.org/public/JLU-UKGM-Giessen_Erklaerung-25-04-2012.pdf

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Quelle:
Mitteilung vom 4. Juni 2012
Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
E-Mail: presse_at_zwischengeschlecht.info
Internet: http://zwischengeschlecht.org
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2012