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MELDUNG/067: Bundestag zu Inters*x-Genitalverstümmelungen - Anträge überwiesen (zwischengeschlecht.org)


Zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter! - Pressemitteilung vom 16. Mai 2013

Bundestag zu Inters*x-Genitalverstümmelungen - CDU/CSU für Verbot - Debatte abgelehnt - Anträge in Ausschüsse überwiesen

INHALT:
1. Bundestag traktandiert als Weltpremiere Debatte
2. Anträge nehmen Forderungen Betroffener ernst
3. Die Debatte findet nicht statt
4. Peter Tauber (CDU/CSU): Koalition fordert Verbot



1. Seit 20 Jahren protestieren Betroffene von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern weltweit gegen diese systematische menschenrechtswidrige Praxis, verurteilen sie als "westliche Genitalverstümmelung" und fordern ein gesetzliches Verbot von medizinisch nicht notwendigen "Korrekturoperationen" an Kindern mit "atypischen Genitalien".

In seiner heutigen 240. Sitzung schreibt der Deutsche Bundestag Geschichte: Zum allerersten Mal überhaupt in einem Parlament steht ein solches Verbot auf der Traktandenliste - in Form von 3 Anträgen der Opposition (TOP 19 a-c), vorgesehen am frühen Freitagmorgen.

2. Nebst der Hauptforderung nach einem gesetzlichen Verbot der Verstümmelungen (die jüngst der UN-Sonderberichterstatter über Folter erneut bekräftigte) greifen die 3 über weite Strecken identischen Anträge von SPD (17/13253), Grünen (17/12851) und Die Linke (17/12859) weitere zentrale Anliegen der Betroffenen und ihrer Organisationen auf, darunter:

- Offizielle Anerkennung des mit Duldung des Staates angerichteten Leids (erst nach Rügen durch UN-Gremien räumte die Bundesregierung 2009 erstmals Kenntnis von den Klagen Betroffener ein)

- Aufarbeitung und Dokumentation des den Betroffenen angetanen Unrechts (heute noch leugnen Kliniken und Länder die ungebrochen andauernden Verstümmelungen an betroffenen Kindern, z.B. Charité Berlin, Universitätskinderkliniken Hamburg, Leipzig und Bremen; Berliner Senat, Bremer Gesundheitsminister)

- Verbindliche Übernahme der medizinischen Folgekosten durch die Verstümmelungen (z.B. adäquate Hormonersatztherapie nach Kastrationen - bisher müssen Betroffene diese oft aus eigener Tasche bezahlen)

- Angemessene Verlängerung der Aufbewahrungsfristen für Krankenakten bei Genitaloperationen an Kindern (Kliniken verweigern Herausgabe von Krankenakten mit abenteuerlichen Ausflüchten)

- Medizinische Forschung künftig nur noch mit angemessener Beteiligung der Betroffenenverbände und weiterer wissenschaftlicher Disziplinen (auch die aktuellen, mit EU-Geldern finanzierten Projekte "DSD-Life" und "I-DSD" sind reine Täterprojekte, scheinbare Beteiligung Betroffener ist nur als Feigenblatt vorgesehen)

- Unbürokratische Korrektur des Geschlechtseintrags, wenn der betroffenen Kindern zugewiesene Geschlechtseintrag später nicht ihrem Empfinden entspricht (eigentlich mit 47 PStG heute schon Vorschrift - in der Praxis werden Betroffene jedoch von uninformierten Behörden meist gezwungen, sich fälschlicherweise als Transsexuelle auszugeben)

- Präzisierung der missverständlichen und diesbezüglich von allen Betroffenenverbänden kritisierten Personenstandsnovelle vom Januar 2013 (§ 22 PStG)

- Entschädigungsfonds für verstümmelte Betroffene (wegen der zu kurzen Verjährungsfristen haben Betroffene keine Möglichkeit juristisch Schadenersatz einzufordern - auch der UN-Ausschuss gegen Folter betonte Ende 2011 die Notwendigkeit angemessener Entschädigung)

3. Zur historischen Debatte kommt es vorerst trotzdem nicht: In letzter Minute wurde diese heute abgesetzt, lediglich die vorbereiteten Reden werden noch virtuell zu Protokoll gegeben ...

4. Zwar hatte die Bundesregierung noch Anfang Jahr in der Antwort auf eine Kleine Anfrage zum Thema bekannt gegeben, sie habe "noch keine abschließende Meinung zum Thema Intersexualität" im Allgemeinen und betreffend der Hauptforderung der Betroffenen nach einem gesetzlichen Verbot der Intersex-Genitalverstümmelungen im Besonderen. Mittlerweile befürwortet aber auch die Koalition ein Verbot.

Auf Anfrage von Zwischengeschlecht.org gab Dr. Peter Tauber, Intersex-Spezialist der CDU/CSU diesbezüglich bekannt (vollständige Stellungnahme als PDF [1]):

"In der Sache gibt es aus meiner Wahrnehmung heraus zwischen den Fraktionen keine Unterschiede in den Auffassungen was ein Verbot nicht notwendiger, kosmetischer Genitaloperationen bei Minderjaen betrifft. Meine Kollegen und ich haben sich in den Stellungnahmen und den parlamentarischen Reden immer sehr eindeutig geart. Die CDU/CSU-Bundestagfraktion lehnt rein kosmetische Operationen an Kindern und Jugendlichen ebenfalls ab. [...] Das Thema 'Verbot geschlechtsdeterminierender Operationen kosmetischer Art' ist aus meiner Sicht das nae Thema, das wir angehen werden. So hatten wir auch aus meiner Wahrnehmung heraus in der interfraktionellen Arbeitsgruppe diskutiert."

Zwischengeschlecht.org begrüßt diese deutliche Stellungnahme ausdrücklich - und würde sich sehr freuen, wenn der Deutsche Bundestag trotz der abgesagten Debatte bezüglich der Hauptforderung der Betroffenen doch noch Geschichte schreiben würde ...

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen mit "atypischen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen sowie "Menschenrechte auch für Zwitter!".

Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.


NACHTRAG:
Die Anträge wurden an die hier gelisteten Ausschüsse überwiesen!
- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (federführend)
- Innenausschuss
- Rechtsausschuss
- Ausschuss für Gesundheit
- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

Weitere Informationen:
http://zwischengeschlecht.org


Anmerkung:
[1] http://zwischengeschlecht.org/public/Stellungnahme-CDU-CSU_Sitzung- 240_TOP-19.pdf

*

Quelle:
Pressemitteilung vom 16. Mai 2013
Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
E-Mail: presse_at_zwischengeschlecht.info
Internet: http://zwischengeschlecht.org
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2013