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STELLUNGNAHME/005: Gegen eine Kassenzulassung des nichtinvasiven Pränataltests auf Trisomie (BioSkop)


Im April 2019

Warum wir uns gegen eine Kassenzulassung des nichtinvasiven Pränataltests auf Trisomie 21 und weitere Trisomien aussprechen!

BeB, BioSkop, BfHD, bvkm, Diakonie Württemberg, GeN, Kids Hamburg, Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik, Turner-Syndrom-Vereinigung Deutschland, Weibernetz (*)


Zusammenfassung

Die unterzeichnenden Verbände, Organisationen und Initiativen begrüßen es sehr, dass der Deutsche Bundestag eine ethische Orientierungsdebatte über die Kassenzulassung des nichtinvasiven Pränataltests (NIPT) führen wird.

Weil der Test "fundamentale ethische Grundfragen unserer Werteordnung" berührt[1], kann über seine Kassenzulassung nicht allein nach medizinisch-technischen Kriterien entschieden werden, wie es im Methodenbewertungsverfahren des G-BA geschieht. Die mit dem Test verbundenen ethisch und gesellschaftspolitisch konfliktreichen Folgen müssen in die Entscheidung über seine Kassenzulassung einbezogen werden.

Dabei sind auch Menschen mit Behinderung und ihre Familien auf Augenhöhe zu beteiligen.

Wir hoffen und wünschen uns, dass diese parlamentarische Orientierungsdebatte ein Impuls zu einer umfassenden zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung über die Kassenzulassung dieses umstrittenen Tests und insgesamt über das System der gezielten pränatalen Suche nach Normabweichungen beim werdenden Kind ist.

Wir sprechen uns gegen die geplante Kassenzulassung dieses Tests auf die Trisomien 13, 18 und 21 bei sogenannten Risikoschwangerschaften aus:

I
Die beabsichtigte Kassenzulassung des NIPT "in den engen Grenzen einer Risikoschwangerschaft" ist nicht realistisch: Der Begriff der Risikoschwangerschaft ist nicht abschließend definiert. Die Geschichte der Fruchtwasseruntersuchung als Kassenleistung zeigt, dass eine Begrenzung auf eine kleine Gruppe sogenannter Hochrisikofamilien selbst bei einer Untersuchung mit einem Eingriffsrisiko nicht möglich war. Eine individuelle statistische Wahrscheinlichkeit für ein Kind mit Trisomie 21 macht dieses werdende Kind noch nicht zum Risiko, das vermieden werden muss.

II
Der NIPT hat ein hohes Diskriminierungspotential: Er kann zwar mit höherer Aussagekraft als andere nichtinvasive Untersuchungen berechnen, ob das werdende Kind bspw. eine Trisomie 21 hat. Mit diesem Untersuchungsergebnis ist jedoch keine therapeutische Handlungsoption verbunden. Der Test kann nur den Träger dieses Merkmals identifizieren. Die einzige Handlungsalternative zur Geburt des Kindes mit Behinderung ist der Schwangerschaftsabbruch.

Mit der Kassenfinanzierung dieses Tests verbindet sich die Botschaft der Solidargemeinschaft an die werdenden Eltern: Die pränatale Suche nach Trisomie 21 und anderen Trisomien ist medizinisch sinnvoll, verantwortlich und sozial erwünscht. Damit sagen wir ihnen zugleich: Ein Kind bspw. mit Trisomie 21 ist ein vermeidbares und frühzeitig zu vermeidendes Risiko. Eine solche Botschaft steht in Widerspruch zu den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention und zu unserem gesellschaftlichen Konsens, dass jeder Mensch eine unverlierbare Würde hat.

III
Der NIPT als Kassenleistung wird das Recht der Frauen, sich selbstbestimmt für oder gegen pränataldiagnostische Untersuchungen zu entscheiden, nicht stärken. Er wird die Erklärungsnöte der werdenden Eltern noch erhöhen, die sich gegen diesen Test und andere gezielte vorgeburtliche Untersuchungen bzw. für ihr Kind mit Behinderung entscheiden.
Psychosoziale Beratung kann nicht im Beratungsgespräch einen ethischen Diskurs der Gesellschaft über den NIPT und dessen zwiespältige Folgen ersetzen.

IV
Aus unserer Sicht fehlt die Grundlage für die Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Der nichtinvasive Pränataltest hat keinen medizinischen Nutzen. Er kann weder die Gesundheit der schwangeren Frau noch des werdenden Kindes erhalten, wiederherstellen oder bessern (§ 1 Abs. 1 SGB V). Dies gilt auch für die Fruchtwasseruntersuchung, wenn sie für die Suche nach Trisomien eingesetzt wird.

V
Es kann nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen sein, allen Frauen einen gleichen Zugang zu einer medizinischen Leistung zu gewähren, deren Zielsetzung in hohem Maße diskriminierend ist.


Warum wir uns gegen eine Kassenzulassung des nichtinvasiven Pränataltests auf Trisomie 21 und weitere Trisomien aussprechen!
Einleitung

Seit 2012 ist in Deutschland ein nichtinvasiver Test auf dem Markt, der im Blut der schwangeren Frau nach Hinweisen auf eine Trisomie 21 oder eine andere Chromosomenbesonderheit beim werdenden Kind sucht. Zurzeit ist dieser nichtinvasive Pränataltest (NIPT) eine individuelle Gesundheitsleistung und muss in der Regel von der schwangeren Frau selbst bezahlt werden. Die Kosten bewegen sich je Anbieter und Anzahl der gesuchten Merkmale zwischen 130 Euro und 400 Euro.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der Ärzte und Krankenkassen hat im Sommer 2016 ein dreijähriges Methodenbewertungsverfahren eröffnet. Es soll prüfen, ob dieser Test auf die Trisomien 13, 18 und 21 in die Regelversorgung für sogenannte Risikoschwangere aufgenommen werden soll [2].

Der Test selbst wie auch das eingeleitete Prüfverfahren des G-BA auf die Kassenzulassung sind höchst umstritten. Der NIPT hat das technische Potential für ein pränatales Screening auf verschiedenste Chromosomenbesonderheiten. Das aktuelle Prüfverfahren des G-BA hat daher auch exemplarischen Charakter für den künftigen Umgang mit neuen medizinischen Möglichkeiten.

Mit dieser Stellungnahme wollen wir auf die aus unserer Sicht brisanten ethischen und gesellschaftspolitischen Folgen einer Kassenzulassung des NIPT aufmerksam machen und die Argumente gegen eine Kassenzulassung des Tests zu Gehör bringen.

Wir greifen dazu im Folgenden fünf Argumente auf, die häufig in der Debatte für die Kassenzulassung angeführt werden und begründen, warum wir sie nicht für tragfähig halten.


I. Bluttest als Kassenleistung: begrenzt auf sogenannte Risikoschwangerschaften?

Es wird gesagt:

Der Test auf Trisomie 21 sowie 13 und 18 soll als Kassenleistung nur bei sogenannten Risikoschwangerschaften angeboten werden.

Unsere Position:

Wir halten dieses Argument in mehrfacher Hinsicht nicht für tragfähig:

• dieser Argumentation werden die Begriffe Risiko und Wahrscheinlichkeit gleichgesetzt. Ein Risiko ist etwas, das es im Allgemeinen vernünftigerweise zu vermeiden gilt. Aber eine statistische Wahrscheinlichkeit für ein Kind mit Trisomie 21 macht dieses werdende Kind noch nicht zum Risiko, das vermieden werden muss.

Mit der Kassenfinanzierung dieses Tests verbindet sich die Botschaft der Solidargemeinschaft an die werdenden Eltern: Ein Kind mit Trisomie 21 ist ein vermeidbares und daher auch möglichst frühzeitig zu vermeidendes Risiko, auf Kosten und mit Zustimmung der Solidargemeinschaft.

Eine solche Botschaft sehen wir in Widerspruch sowohl zu den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention als auch zu dem bestehenden gesellschaftlichen Konsens, dass jeder Mensch eine unverlierbare Würde hat, unabhängig von seiner genetischen Ausstattung, Intelligenz oder Leistungsfähigkeit.

• Begriff der "Risikoschwangerschaft" ist nicht abschließend definiert. Daher gibt es auch keine eindeutig bestimmbaren allgemeingültigen Kriterien für die Entscheidung, welche schwangere Frau Anspruch auf die Kassenfinanzierung dieses Tests hat und welche nicht.

• Auch die Geschichte der Fruchtwasseruntersuchung macht eine Begrenzung des NIPT auf die Gruppe von Patientinnen mit einer hohen statistischen Wahrscheinlichkeit für ein Kind mit Trisomie nicht sehr wahrscheinlich: Sie wurde 1976 für eine kleine Gruppe sog. Hochrisikofamilien als Kassenleistung eingeführt. Innerhalb von 20 Jahren hat sich die Zahl der Untersuchungen vervielfacht und die medizinischen Indikationen erweitert: Bei fast einem Fünftel der Untersuchungen war die Angst vor einem behinderten Kind die einzige Indikation für den Eingriff, bei Dreiviertel der Untersuchungen war es allein das statistische Altersrisiko und nur bei 4 Prozent der medizinischen Indikationen lag ein auffälliger Befund nach einem Ultraschall vor [3].

Warum sollte dann bei einem als einfach und risikolos beworbenen Test in der Frühschwangerschaft ohne Eingriffsrisiko eine Begrenzung auf sog. Risikoschwangere gelingen?

• Die zu erwartende Ausweitung des Untersuchungskollektivs bei diesem Test auf jüngere Frauen mit einer statistisch geringen Wahrscheinlichkeit bspw. für Trisomie 21 hätte zwingend zur Folge, dass fast ein Drittel der auffälligen Testergebnisse falsch wären. Die Frauen würden sich dann zur Abklärung des Ergebnisses ggfs. einer risikobehafteten invasiven Untersuchung unterziehen. Ob sich durch den NIPT daher die Zahl der Fehlgeburten im Vergleich zum Status quo tatsächlich verringern würde, lässt sich nicht verlässlich prognostizieren - dies ist jedoch ein wichtiges Prüfkriterium in diesem Bewertungsverfahren des G-BA zu diesem Test.

Unser Fazit:

Eine Begrenzung der Anwendung auf eine kleine Gruppe sog. Risikoschwangerer ist nicht realistisch. Mit der Kassenfinanzierung des Bluttests verbindet sich die fatale Botschaft an die werdenden Eltern: Ein Kind mit Trisomie 21 ist ein vermeidbares und zu vermeidendes Risiko. Das steht in Widerspruch zu unserem grundlegenden gesellschaftlichen Konsens von der unverlierbaren Menschenwürde eines jeden Menschen.


II. Bluttest als Kassenleistung: (k)eine Frage der Inklusion von Menschen mit Behinderung?

Es wird gesagt:

Menschen mit Behinderung hätten noch nie einen so guten Stand in unserer Gesellschaft gehabt wie heute. Ihnen und ihren Familien würden vielfältige Hilfen bereitgestellt und unsere Gesellschaft bemühe sich intensiv um die Umsetzung von Inklusion.

Unsere Position:

Wir können diesem Argument nur teilweise zustimmmen:

• hat sich in den letzten 10 Jahren viel im öffentlichen Diskurs verändert. Die Frage nach einer gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderungen wird intensiv diskutiert. Es sind manche alltäglichen Barrieren abgebaut worden, Menschen mit Down-Syndrom sind in der Öffentlichkeit anders präsent als zuvor und es gilt nahezu als ein Tabu, Menschen mit Behinderung verbal abzuwerten und auszugrenzen.

• Zugleich gibt es in der Schwangerenvorsorge eine gegenläufige Entwicklung: Es werden vielfältige Anstrengungen unternommen, die die Geburt von Kindern bspw. mit Trisomie 21 als etwas Vermeidbares ansehen lassen: Es werden Tests mit Steuergeldern entwickelt, die nichts anderes leisten können als in der Schwangerschaft nach Hinweisen auf eine Behinderung zu suchen und den Merkmalsträger zu identifizieren. Die Herstellerfirmen dürfen den werdenden Eltern mit einer höchst aggressiven und völlig ungeregelten Werbung zu ihren Tests Sicherheit, Gewissheit und ein gesundes Kind versprechen.

• Dazu gehörte aus unserer Sicht auch eine Kassenfinanzierung des NIPT: Sie würde die pränatale Suche nach Behinderungen, die nicht behandelt werden können, als medizinisch notwendig bewerten und den werdenden Eltern als eine vernünftige und verantwortliche Handlung nahelegen.

Wir sehen darin einen erheblichen Widerspruch zu den Bemühungen um eine inklusive Gesellschaft. Der Test würde als Kassenleistung gesellschaftskonform. Er würde die Ängste vor Behinderung eher noch fördern als begrenzen und die Entscheidung für ein Kind mit Behinderung noch mehr den Eltern als ihre individuelle Verantwortung aufbürden. Der Bluttest als Kassenleistung hat ein hohes Diskriminierungspotential. Menschen mit einer Behinderung fühlen sich durch solche selektiven Untersuchungen in ihrer Existenz abgewertet und in dieser Gesellschaft nicht willkommen.

Unser Fazit:

Mit dem Bluttest als Kassenleistung würde eine weitere Diagnostik mit selektiver Zielsetzung in der Schwangerenvorsorge etabliert. Der Test würde dadurch gesellschaftskonform und die Ängste vor Behinderung eher noch fördern als begrenzen. Wir wollen eine Gesellschaft, die viel mehr Ressourcen darauf verwendet, Menschen mit Behinderung die Partizipation in allen Lebensbereichen zu ermöglichen und Familien mit behinderten Kindern die erforderlichen Hilfen zu geben, die sie für ein gutes Leben für sich und ihre Kinder brauchen.


III. Bluttest als Kassenleistung: eine Frage der Selbstbestimmung von Frauen?

Es wird gesagt:

Die Kassenfinanzierung dieses Tests sei eine Frage der Selbstbestimmung der Frauen. Sie sollten über die solidarische Finanzierung Zugang zu den neuesten medizinischen Untersuchungsangeboten haben und so ihr Recht auf Wissen wahrnehmen können. Angebote zur psychosozialen Beratung sollen sie im verantwortlichen Umgang mit dieser vorgeburtlichen Untersuchung unterstützen.

Unsere Position:

Wir halten dieses Argument nicht für tragfähig.

• Die Forderung der Zweiten Frauenbewegung nach Selbstbestimmung bezog sich auf ein Abwehrrecht der Frauen gegen staatliche und kirchliche Bevormundung über ihren Körper und ihre Lebensführung. Im Kontext der Schwangerenvorsorge hat sich der Begriff mit anderen Inhalten aufgeladen: Selbstbestimmung meint zunehmend vor allem die Wahlfreiheit der einzelnen Frau als einer Kundin auf dem Markt verschiedener Medizinprodukte und die Entscheidungsfreiheit darüber, welche vorgeburtlichen Untersuchungen sie in Anspruch nehmen will.

Gleichzeitig wird diese Entscheidungsfreiheit von Frauen subtil, aber wirksam eingeschränkt: Es gibt einen zunehmenden sozialen Erwartungsdruck auf die schwangeren Frauen, das vorhandene medizinische Angebot - insbesondere "risikolose" nichtinvasive Untersuchungen in der Frühschwangerschaft - auch zu nutzen. Das Nein zu vorgeburtlichen Untersuchungen ist inzwischen eher begründungspflichtig als ihre Inanspruchnahme, unabhängig davon, ob das Ergebnis kurative Handlungsoptionen hat oder nicht.

Die Entscheidungsfreiheit der Frauen wird tendenziell zu einem Entscheidungszwang für oder gegen die Suche nach einem von der Norm abweichenden Kind und im Ernstfall für oder gegen ihr werdendes Kind mit Behinderung.

• In der Debatte um die Kassenleistung wird häufig auf medizinische und vor allem psychosoziale Beratungsangebote verwiesen, die die Frauen bzw. die werdenden Eltern bei der Suche nach einer selbstbestimmten Entscheidung unterstützen sollen.

Psychosoziale Beratung hat im Kontext von Pränataldiagnostik die wichtige Aufgabe, die einzelne Frau, das einzelne Paar bei der Suche nach einer Entscheidung für oder gegen Untersuchungen und dann im Konfliktfall bei ihrer Entscheidung für oder gegen ihr werdendes Kind mit einer Behinderung zu begleiten.

Diese Beratung ist ein unverzichtbares Angebot für die werdenden Eltern in einem höchst existenziellen Konflikt und bei einer eigentlich unmöglichen Entscheidung, die ihnen in dieser Situation abverlangt wird, und dann beim Ertragen dieser Entscheidung.

Psychosoziale Beratung kann jedoch in der Intimität des Beratungsgesprächs nicht den notwendigen ethischen Diskurs zu einem umstrittenen medizinischen Angebot wie dem NIPT führen und sie kann dort nicht gesellschaftliche Konflikte lösen.

Unser Fazit:

Der Pränataltest als Regelleistung in der Schwangerenvorsorge würde das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung nicht stärken. Er würde die gesellschaftliche Erwartung an die Frauen noch erhöhen, ein Kind ohne Behinderung zur Welt zu bringen. Und er würde die Erklärungsnöte der werdenden Eltern verschärfen, die sich gegen den Test und ggfs. für ihr werdendes Kind mit Behinderung entscheiden. Der NIPT als Kassenleistung würde den Frauen daher eine selbstbestimmte Entscheidung auch gegen die Suche nach einer Behinderung bei ihrem werdenden Kind und für ihr Recht auf Nichtwissen nicht leichter machen.

Die psychosoziale Beratung kann nicht im Einzelgespräch den notwenigen ethischen Diskurs der Gesellschaft zu diesem Test ersetzen und die zwiespältigen Folgen dieser Untersuchung auffangen. Es wäre eine Funktionalisierung von Beratung, wenn sie dazu genutzt würde, die Kassenzulassung dieses Tests zu rechtfertigen.


IV. Bluttest als Kassenleistung: Die Fruchtwasseruntersuchung ist doch auch eine Kassenleistung.

Es wird gesagt:

Der Bluttest habe dieselbe Zielsetzung wie die Fruchtwasseruntersuchung. Er sei nichts Neues, aber könne dasselbe viel besser, ohne Eingriffsrisiko für werdende Mutter und Kind und bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft. Weil der Bluttest eine höhere Aussagekraft über Trisomien als andere nichtinvasive Untersuchungen wie bspw. das Ersttrimesterscreening habe, erspare der Test den Frauen invasive Untersuchungen und damit "unnötige" Fehlgeburten.

Unsere Position:

• Wir teilen die Einschätzung, dass auch die kassenfinanzierte Fruchtwasseruntersuchung bei der Suche nach Trisomien dasselbe Ziel hat wie der nichtinvasive Bluttest: Sie will feststellen, ob das werdende Kind bspw. eine Trisomie 21 hat. Auch bei der Fruchtwasseruntersuchung bleibt ein solches Untersuchungsergebnis ohne Therapie, auch bei ihr ist der Schwangerschaftsabbruch die einzige Handlungsalternative zur Geburt eines Kindes mit Behinderung. Daher hat auch die Fruchtwasseruntersuchung zur Abklärung einer Chromosomenbesonderheit wie bspw. Trisomie 21 keinen medizinischen Nutzen, auch sie kann die Gesundheit der Schwangeren und des werdenden Kindes weder erhalten, wiederherstellen noch bessern (§ 1 SGB V).

Anstatt jedoch weitere Tests ohne therapeutische Konsequenzen als Regelleistung in die Schwangerenvorsorge aufzunehmen, wäre es aus unserer Sicht sachgemäßer, die bisherigen Kassenleistungen für vorgeburtliche selektive Untersuchungen wie die Fruchtwasseruntersuchung auf den Prüfstand zu stellen. Aus der Tatsache, dass sie bereits von der Kasse finanziert werden, folgt nicht zwingend die Logik, weitere Untersuchungen ohne medizinischen Nutzen in die Schwangerenvorsorge aufzunehmen.

• Dazu kommt, dass der NIPT trotz seiner jedenfalls für Trisomie 21 recht hohen Testgüte keine Diagnose ist, das Ergebnis also auch falsch sein kann. Bei einem auffälligen Testergebnis empfehlen daher die medizinischen Fachgesellschaften eine invasive Untersuchung, bevor die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch getroffen wird. In diesen Fällen erspart der Test den Frauen auch nicht einen risikobehafteten Eingriff [4].

Unser Fazit:

Der Hinweis auf die bereits kassenfinanzierte Fruchtwasseruntersuchung ist kein überzeugendes Argument, um die Kassenleistung des NIPT zu begründen. Auch die invasive Abklärung eines Verdachts auf Trisomie hat keinen medizinischen Nutzen und kann die Gesundheit weder der Schwangeren noch des werdenden Kindes verbessern.


V. Bluttest als Kassenleistung: eine Frage von Gerechtigkeit?

Es wird gesagt:

Die Kassenzulassung des Bluttests auf Trisomie 21 und weitere Trisomien sei eine Frage von Gerechtigkeit: Nicht nur finanziell gut gestellte Frauen sollten sich diesen nichtinvasiven Test leisten können.

Unsere Position:

Wir halten dieses Argument für bedeutsam, aber nicht für überzeugend:

• Auch aus unserer Sicht ist es eine zentrale Aufgabe unseres Gesundheitswesens, dass alle gleichermaßen den Zugang zu notwendigen medizinischen Leistungen bekommen. Dennoch ist im Falle der Kassenzulassung des NIPT die Gerechtigkeitsfrage nur scheinbar so eindeutig zu beantworten, wie es die BefürworterInnen der Kassenleistung des NIPT behaupten.

• Wir verstehen Gerechtigkeit als gleichen Zugang zu Ressourcen, Chancen und Gütern und zu einem guten Leben für alle Menschen in unserer Gesellschaft. Was aber ist das für eine Gerechtigkeit, wenn die Solidargemeinschaft eine Leistung finanzieren würde, die eine ethisch und gesellschaftspolitisch fragwürdige Zielsetzung hat? Die einer Gruppe von Menschen in unserer Gesellschaft unausgesprochen signalisiert, sie sei nicht willkommen?

• Wenn wir tatsächlich in einer Gesellschaft lebten, in der alle Kinder gleichermaßen willkommen wären und jegliche Hilfen für Familien mit behinderten Kindern niedrigschwellig und unbürokratisch und ohne Kämpfe mit den Krankenkassen zur Verfügung stünden, dann hätte die Gerechtigkeitsfrage bei der vorgeburtlichen Suche nach Kindern mit einer Behinderung womöglich ein anderes Gewicht.

Unser Fazit:

Es kann nicht die Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen sein, allen einen gleichen Zugang zu einer medizinischen Leistung zu gewähren, deren Zielsetzung in hohem Maße diskriminierend ist.


(*) UnterstützerInnen (Stand: 9. April 2019):


Anmerkungen:

[1] Offener Brief des G-BA an vier Bundestagsabgeordnete vom 19. August 2016

[2] https://www.g-ba.de/beschluesse/2683/.

[3] Vgl. Schlussbericht der Enquete Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin", 2002, Seite 73.

[4] https://www.iqwig.de/de/projekte-ergebnisse/projekte-301/nichtmedikamentoese-verfahren/s-pro-jekte/s16-06-nicht-invasive-praenataldiagnostik-zur-bestimmung-des-risikos-autosomaler-trisomien-13-18-und-21-bei-risikoschwangerschaften.7776.html.

*

Quelle:
BioSkop e.V.
Bochumer Landstr. 144a, 45276 Essen
Telefon: 0201 - 53 66 706
E-Mail: info@bioskop-forum.de
Internet: www.bioskop-forum.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2019

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