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BERICHT/326: Gebärden sind meine Sprache (Uni-Journal Jena)


Uni-Journal Jena - Nr. 01 - Wintersemester 2009/10

Gebärden sind meine Sprache
Die gehörlose Gabriele Unterhitzenberger startet ins Studium

Von Dr. Ute Schönfelder


Biologie habe sie schon immer interessiert, stellt Gabriele Unterhitzenberger gleich zu Beginn des Gespräches klar. Insofern sei ihr die Wahl ihres Studienfaches nicht schwer gefallen. "Biologie" sagt sie und legt dabei die Spitzen von Daumen und Mittelfinger so zusammen, dass diese kleine Kreise formen, die sich vor ihrem Körper fast berühren. Doch nur kurz. Schon bewegen sich Hände und Finger in raschem Wechsel weiter. Gabriele Unterhitzenberger ist gehörlos. Sie spricht schnell - nicht nur mit den Händen. Ihre Lippen formen lautlos Worte, Arme und Oberkörper führen präzise Gesten aus, der Blick wechselt rasch und aufmerksam zwischen ihrem Gesprächspartner und der Gebärdensprachdolmetscherin hin und her. Ihre Augen leuchten als Gabriele von ihren ersten Eindrücken an der Uni spricht, ihrem Start in das Abenteuer Studium.

Zum Wintersemester hat Gabriele Unterhitzenberger als eine von 120 Erstsemestern in Biologie ihr Bachelor-Studium an der Friedrich-Schiller-Universität aufgenommen. Wie für ihre Kommilitonen bedeutet das für sie einen Neuanfang: Umzug in eine neue Stadt, Kontakt zu neuen Leuten und ein völlig neuer Lern- und Lebensalltag. Doch vor allem ist der Studienbeginn für Gabriele Unterhitzenberger ein Schritt in eine neue Welt: aus der Welt der Gehörlosen, in der die 22-Jährige seit ihrer Kindergartenzeit aufwuchs und lernte, in die Welt der Hörenden.


Schritt in die Welt der Hörenden

"Es ist das erste Mal, dass ich mich in einem reinen hörenden Umfeld bewege", sagt sie. Ohne Unterstützung ginge das nicht. Denn für Gabriele ist Gebärdensprache das wichtigste Kommunikationsmittel. "Die Gebärdensprache ist meine Muttersprache", so Unterhitzenberger. Während der Vorlesungen und Seminare wird sie deshalb immer von mindestens zwei Dolmetschern begleitet, die abwechselnd den Lehrstoff für sie übersetzen.

Die junge Frau stammt aus Burghausen, einer kleinen Stadt in Oberbayern, direkt an der deutsch-österreichischen Grenze. Hier lebt ihre Familie noch heute. Doch Gabriele, die im Alter von neun Monaten infolge einer schweren Infektion ihr Gehör verlor, hat Burghausen bereits früh immer wieder verlassen. Im Kindergarten ihrer Heimatstadt kam sie als einziges gehörloses Kind nur schwer zurecht. Deshalb wechselte sie in einen Kindergarten für Gehörlose im nahe gelegenen Salzburg. Hier verbrachte sie auch ihre ersten Schuljahre. Nach dem Besuch der Grundschule stand der nächste Ortswechsel an. In München besuchte sie eine Realschule für Gehörlose und legte die mittlere Reife ab.


"Fremdsprache" gelernt in USA

"Obwohl mir eigentlich schon damals klar war, dass ich auf jeden Fall Abitur machen und studieren möchte", erinnert sich die junge Frau. Doch für Gehörlose verlaufe der Weg zum Abitur nicht so geradlinig wie für Hörende, bedauert sie. "Ohne mittlere Reife gibt es keine Zulassung zu einer weiterführenden Schule."

Doch für die unternehmungslustige junge Frau war das kein Hindernis. Im Gegenteil: Sie nutzte den Abschluss und den anstehenden Schulwechsel, um zunächst ein Jahr ins Ausland zu gehen. In Buffalo im US-Bundesstaat New York lebte sie in einer Gastfamilie, die ein gehörloses Kind hat und besuchte eine Highschool für Gehörlose. Eine wichtige Erfahrung sei diese Zeit für sie gewesen, schätzt Gabriele heute ein. "Ich habe dort wieder eine ganz andere Kultur erlebt." Und auch eine andere Sprache: In Amerika wird in "American Sign Language" gebärdet. "Die amerikanische Gebärdensprache unterscheidet sich sehr von der deutschen", sagt Gabriele. "Zwar ist vieles vom Alphabet sowie der Raum der Gebärden gleich, trotzdem fand ich das am Anfang irritierend", erinnert sie sich. Doch sie lernte die Fremdsprache schnell, die sie heute als logisch und einfach empfindet.

Zurück in Deutschland zog Gabriele erneut um: Am rheinisch-westfälischen Berufskolleg für Hörgeschädigte in Essen machte sie ihr Abitur. In dieser Zeit nahm sie auch das erste Mal Kontakt zur Jenaer Uni auf. "Ich war neugierig auf eine neue Stadt", erklärt sie, weshalb es sie zum Studieren an die Saale zog. "Die Neuen Bundesländer kannte ich bisher gar nicht." Von ihrem Freund, einem gebürtigen Thüringer, hörte sie über die Jenaer Vorzüge und schaute sich die Stadt an. Der Entschluss gemeinsam nach Jena zu ziehen, ist daraufhin leicht gefallen, erinnert sie sich. "Mich hat es in eine kleinere Stadt gezogen." Vor allem aber haben sie die positive Resonanz und die tatkräftige Unterstützung durch die Universität überzeugt.

"Dies ist sicherlich keine alltägliche Situation", bestätigt Michael Götz. Als Leiter des Studierenden-Service-Zentrums der Jenaer Universität steht er auch als Ansprechpartner behinderten und chronisch kranken Studierenden und Studienbewerbern zur Seite und vermittelt den Kontakt zu den Fakultäten. "Meist werden wir aber nur in bestimmten Situationen um Unterstützung gebeten", so Götz. Ein Fall wie der von Gabriele Unterhitzenberger, die permanent Hilfe braucht, um den Studienalltag zu meistern, sei bislang an der Universität einmalig. Doch dank der engen Kooperation von Stadt, Uni-Leitung und Biologisch-Pharmazeutischer Fakultät habe man nun eine gute Regelung gefunden.

Neben den Gebärdensprachdolmetschern, die Gabriele in Seminare und Vorlesungen begleiten, unterstützen sie im laufenden Semester zusätzlich vier studentische Hilfskräfte. "Da Frau Unterhitzenberger während der Lehrveranstaltungen auf den Blickkontakt mit ihren Dolmetschern angewiesen ist, kann sie ja nicht selbst mitschreiben", sagt Michael Götz. Deshalb übernehmen das die Hilfskräfte für sie.


Positive Reaktionen an der Uni

Wer immer mit mehreren Begleitpersonen zur Lehrveranstaltung auftaucht, erregt natürlich Aufsehen. "Ich muss nach wie vor viele Fragen beantworten", beschreibt Gabriele die Reaktion ihrer Kommilitonen auf ihre Studiensituation. In ihrem bisherigen Freundeskreis gebe es vor allem Gehörlose. "Weil ich zu Hörenden bisher einfach nicht so häufig Kontakt hatte." Doch in Jena, so hofft sie, könne sich das ändern. Bisher jedenfalls habe sie durchweg positive Erfahrungen gemacht. "Die Leute hier sind unheimlich offen und kontaktfreudig", freut sie sich. "Wir kommen schnell ins Gespräch, manchmal sogar ganz ohne Dolmetscher".


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Quelle:
Uni-Journal Jena Nr. 01, Wintersemester 2009/10, S. 45
Herausgeber: Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2009