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BERICHT/335: Mongolisch ist mongolisch und klingt so wie mongolisch (APuZ)


APuZ - Aus Politik und Zeitgeschichte
23/2010 - 7. Juni 2010
Menschen mit Behinderungen

Essay
Mongolisch ist mongolisch und klingt so wie mongolisch

Von Katja de Bragança


Das Down-Syndrom ist eine Behinderung und keine Krankheit. Menschen mit Down-Syndrom "leiden" nicht an dem Down-Syndrom. Worunter sie manchmal allerdings sehr zu leiden haben, sind die Reaktionen ihrer Umwelt, die sie aufgrund ihrer Andersartigkeit häufig abwertend und respektlos behandelt.


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Sie sind einfach überall - denn jeder 600. Mensch hat das Down-Syndrom. Wie, Sie kennen niemanden, der das Down-Syndrom hat? Nach diesem Text können Sie mitreden. In diesem Beitrag werden viele Fragen gestellt. Fragen zu dem Down-Syndrom. Diese Fragen werden von Fachleuten beantwortet. Also von erwachsenen Menschen, die das Down-Syndrom haben.

Alle Antworten sind aus der "Ohrenkuss"-Redaktion.(1) Svenja Giesler ist eine junge Frau mit Down-Syndrom.(2) Sie beschreibt ihre Situation in knappen und deutlichen Worten: "Ich habe Down-Syndrom. Aber ich stehe dazu und ich bin kein Alien, denn ich bin so wie ich bin und jeder soll es verstehen und mich respektieren." Peter Rüttimann, ein Mann mit Down-Syndrom meint: "Ich bin auch behindert mit japanisch-chinesischen Augen. Beim Nachtessen esse ich gerne mit Stäbchen, weil ich ein Chinese bin." Ein Mensch mit Down-Syndrom ist also immer erkennbar - so glaubt man (wenn man zu denen gehört, die kein Down-Syndrom haben).(3) Das stimmt nicht. Nicht der Mensch wird erkannt - sondern die Tatsache, dass die betreffende Person das Down-Syndrom hat.

Wieso heißt das Down-Syndrom eigentlich Down-Syndrom?
"Das Leiden kommt immer nur von außen. Das ist schade. Ich kann einiges über meine geistige Behinderung Erscheinungsform(4) schreiben. Ich habe ein Chromosom zuviel, das 21. Der Mann der uns beschrieben hat heißt Langdon Down. Der hat in England gelebt. Und ich sehe so wie ein Chinese aus." (Hermine Fraas)

Woran merkst du, dass du das Down-Syndrom hast?
Des hab i ned. (Lydia Bleibinger)
Weil ich bei Ohrenkuss mitmachen kann. (Michael Häger)
Ich würde es sicher gar nicht merken, wenn nicht andere davon sprechen würden. (Markus Hamm)
Ich kann kein Fahrrad fahren. (Juliane Büge)
Daran, dass ich etwas mehr Unterstützung als andere brauche. (Anna Schomburg)
Ja - ich bin ein Chinese. (Peter Keller)
Ich kann keine Reise organisieren./Ich kann nicht selbstständig kochen./Schwierigkeiten in Sachen Geld./Ich kann nicht alleine leben. (Annja Nitsche)
Ich merke das nicht mehr. (Angela Fritzen)
Bei mir wurde ein Chromosomentest gemacht. (Carina Kühne)
Das Glotzen der anderen Menschen. Den Führerschein nicht machen zu können. (Andrea Wicke)

Woran erkennt man einen Menschen mit Down-Syndrom?
Am Aussehen. (Hermine Fraas)
Können manchmal nicht gut reden, sind meistens langsam, sehen sich oft ähnlich. (Markus Hamm)
Am Gesicht, an der Bewegung. (Julia Bertmann)
Die sehen anderes aus und das ist schwer. (Julian Göpel)
Man erkennt es an den Augen die geometrisch fast gleich stehen, an den Händen "Vierfingerfurche" mit einer Linie durchzogenen Handfläche hat und die Körpergröße Durchschnittlich meistens klein ist. (Julia Keller)
Ich habe aber schon als Kind mit den kleinen Jungs gespielt und da war ich auch sehr glücklich darüber. Da habe ich mein Down-Syndrom auch früher verschwiegen und sie nahmen mich so wie ich bin und da war ich auch sehr glücklich drüber. (Hermine Fraas)

Stört es dich, dass du das Down-Syndrom hast?
Nein eigentlich nicht, ich bleibe so ich es bin und so werde glücklich sein. (Judith Klier)
Ja, weil ich nicht richtig reden und schreiben kann. (Michael Kohl)
Schon - manchmal. Wenn jemand mich beschuldigt, dass ich behindert bin. (Annja Nitsche)
Mich stört es wenn andere Leute mich angucken und denken mit der kann ich mich doch nicht sehen lassen die nicht normal ist. Diese Ungewissheit und die Blicke wie die mich angucken stört mich ganz gewaltig. (Julia Keller)
Nein, ich kann trotzdem vieles lernen. (Carina Kühne)
Es stört mich sehr. Viele Menschen lachen mich aus. (Angela Fritzen)
Nein, ich kenne es nicht anders. (Claudia Feig)
Ich will den Führerschein machen. Ich weiß ich kann es nicht, weil ich das Down-Syndrom habe. (Andrea Wicke)
Ja, stört mich, ich möchte auch gerne Fahrrad fahren können. Ich möchte rechnen können. (Juliane Büge)
Ja, weil ich wäre gerne normal. Weil mit Down-Syndrom man einfach viel nicht versteht. (Christian Janke)

Warum sind manche Menschen mit Down-Syndrom dick?
"Meine Lieblingsspeise ist Spaghetti Bolognese, sie schmeckt mir leider sehr gut, ob wohl es ein Dickmacher ist. Da nimmt man leider sehr viel zu, das sind leider sehr viele Kalorien enthalten, das ist ein großer Blödsinn, warum kann man nicht auf die Kalorien pfeifen. Scheiße auf meinen niedrigen Grundumsatz. Ich möchte gerne so viele Spaghetti Bolognese essen können ohne zu Zunehmen, warum kann man nicht soviel essen wie man will. Aber man nimmt dabei nicht zu. Das würde ich gerne wissen, manchmal muss ich auf meine Lieblingsspeise verzichten, das ist blöd und bescheuert. Keiner verzichtet freiwillig auf eine Lieblingsspeise, auch wenn es die Michaela Koenig ist. Wer macht das freiwillig, da mache ich doch lieber Sport, damit ich mehr davon essen kann. Da gehe ich freiwillig laufen, damit ich mehr davon essen kann, das hört sich sicher albern an, aber ich scheiße wirklich auf meinen niedrigen Grundumsatz. Der sich niemals ändern wird, mir tut es sehr weh, daran zu denken." (Michael Koenig)

Es gibt in Deutschland kaum eine Person mit Down-Syndrom, die älter als 65 Jahre ist. Warum?(5)
"Wenn ich damals gelebt hätte, dann hätten die mich auch weggenommen, weil der Hitler keine behinderten Kinder gemocht hätte. Der hätte mich dann auch getötet. Meine Eltern und ich waren miteinander im Kino, dann haben wir diesen Film angeschaut, "Den Untergang". Da war mir auch ein bisschen blass. Wir waren auch bei einer Führung in Nürnberg, da hat die im Museum erzählt, dass der Hitler kleine Kinder gestreichelt haben, weil er gerne kleine Kinder mag.
Aber er mochte keine behinderten Kinder." (Veronika Hammel)

Menschen mit Down-Syndrom werden oft geärgert, weil sie anders aussehen. Wie fühlt sich das an?
"Man fühlt sich (darf ich ruhig sagen) scheiße und allein gelassen. Ausgegrenzt. Man fühlt sich mies, man fühlt sich auch in Stich gelassen. Man möchte anerkannt werden. Ich möchte, dass die Menschen mich respektieren. Die sehen nicht an mir, wie ich mich fühle. Dass es mir Angst einjagt und dass es sehr erschreckend für mich ist. Die sehen die Menschen nicht. Nur ein Beispiel: Ich fahre mit meiner Mami in einem Bus. Es sind mehrere Leute drin, teils stehend, teils sitzend. Dann fangen die auf einmal an, mich anzustarren und denken folgendes: 'Wie sieht die denn aus? Ich habe noch nie im Leben eine Behinderte gesehen. Wie sieht die denn aus?' Und dann fühle ich mich scheiße und ich bin auch sehr traurig und in meinen Gefühlen verletzt. Ich möchte, dass es aufhört mit dieser Anstarrerei. Wirklich! Ich möchte respektiert werden - wie ich bin." (Svenja Giesler)

Das Sprechen fällt manchmal schwer. Warum?(6)
"Ich bin auch etwas schüchtern, auch wenn ich mit Leuten reden soll. Dann bekomme ich kein vernünftiges Wort raus, ich bin halt so, jeder hat seine Schwächen und Grenzen die man auf eine andere Art und Weise zeigt. Ich bin halt so. Ich habe auch andere Gefühle als ihr, nur ich zeige es nicht immer. Ich bin auch nur ein Mensch mit Fehlern, nur ich gebe meine Fehler nicht schnell zu. Ich bin keine Maschine, ich bin ein Mensch vom Fleisch und Blut. Ich bin auch kein Spielzeug, wie ihr wisst, sondern ich bin lebendig. Ihr sollt noch wissen das ich aus Haut und Knochen bin, nicht das ihr glaubt, dass ich eine Erfindung bin." (Michaela Koenig)

Wie sieht es mit der Liebe aus?
Liebe ist leichte Sache zu schreiben, aber sagen oft peinlich. Liebe heißt Küssen, auch Zungenkuss, Gefühligkeit, geschmeichelt, Zärtlichkeit, sexy sein, nackt sein, Bett gehen, Sex machen. Mach ich vorher Musik an, nicht zu laut, bisschen laut, stöhnen ist auch gut, erotisch, Rock 'n' Roll-Gefühligkeit von Musik, dann sagen: Ich liebe dich, ich liebe dich viel mehr. So muss es sein, bisschen mehr trauen, bis die Nachbarn hören: "Was ist los, ist heute Konzert da?"
(Der Autor von diesem Beitrag möchte seinen Namen nicht nennen. Er ist 24 Jahre alt und möchte nicht, dass seine Eltern wissen, dass er sich für Sex interessiert.)

Und wie sieht es mit dem Heiraten aus?(7)
Die Ehe schließe ich aus, das könnte ich nicht, die Feier ist so lang. (Achim Reinhardt)
Ich bin die Verlobte, da haben wir unsere Lobung gefeiert mit Sekt und Knabberzeug - jetzt habe ich meinen eigenen Mann! Das ist ja auch wichtig, die Liebe. Man muss alles planen - dann kommt die Hochzeit und die Namen austauschen und kommt es kirchlich und als erstes kommt das Paar und dann die Gäste. (Christina Zehendner)
Der Pastor, der sagt uns beide, Mann und Frau: "Steht erstmal auf. Michael, Du kannst die Frau nehmen." (Michael Häger)
Bei einer Verlobung ist die halbe Ehe versprochen. Heute muss man nicht heiraten das kostet zu viel. Man kann auch zusammen wohnen wie ein Ehepaar. Mein Partner und ich wollen keine Kinder. (Andrea Wicke)
Warte auf den Richtigen - Sei nicht traurig. (Romy Reißenweber)

Wie sieht die Zukunft aus?
Einmal möchte ich heiraten und ein Kind haben. Oder Autorin, Schriftstellerin, Chefin in einer Bibliothek, Dirigentin, Pianistin, Falknerin, Sängerin, Musikverlegerin, Naturforscherin, Organisatorin bei Konzerten und Open Airs als Telefonistin, Komponistin am Klavier, Arzthelferin im Krankenhaus werden. Ich möchte in diesen Bereichen studieren und praktizieren. Überhaupt ist meine Zukunft weit, weit weg von mir. Eigentlich soll meine Zukunft sehr wunderschön und musikliebend, sehr nett, lustig, nicht zu laut, bunt, romantisch, gemütlich, ruhig, abwechslungsreich, liebend.
Außerdem möchte ich auch das Verhalten der Vogelkunde studieren und auch praktizieren. Ich würde gerne auch Medizin studieren und im Spital praktizieren in Bereich von Kopf wo die epileptischen Anfälle gesteuert werden. Den Frieden natürlich auch für viele Länder. Ein Buch schreiben und eine Schriftstellerin, Autorin werden. Ladinische Sprache reden können, und auch französisch und auch englisch reden können, aber auch hämeische Sprache. Natürlich auch italienisch, griechisch. (Verena Elisabeth Turin)

Was für eine Sprache sprechen die Mongolen?(8)
Mongolisch ist mongolisch und klingt so wie mongolisch. (Tobias Wolf)


Katja de Bragança
Dr. rer. nat., geb. 1959; Gründerin und Chefredakteurin
der Zeitschrift "Ohrenkuss ... da rein, da raus",
Friedrich-Breuer-Straße 23, 53225 Bonn.
info@ohrenkuss.de
www.ohrenkuss.de


Anmerkungen

1) Dies ist ein Text aus der Ohrenkuss-Redaktion, zusammengestellt von Katja de Bragança. Was ist ein Ohrenkuss?! Man hört und liest so vieles. Fast alles geht in den Kopf rein und sofort wieder raus. Und nur das Wichtige bleibt drin, das ist dann ein Ohrenkuss. In dem gleichnamigen Magazin schreiben nur Personen mit dem Down-Syndrom mit. Sie schreiben ihre Texte selber. Mit der Hand oder auf dem Computer. Manche diktieren auch ihre Texte, weil es einfacher geht. Oder weil sie das Schreiben nicht gelernt haben. Viele von ihnen haben auf der Ohrenkuss-Seite ein Portrait, online: www.ohrenkuss.de/projekt/portraits (17.5.2010).

2) Personen mit einem Down-Syndrom haben (meistens) 47 statt 46 Chromosomen, bei ihnen ist das Chromosom 21 mit dem Down-Syndrom dreimal in jeder Körperzelle vorhanden, daher auch die Bezeichnung "Trisomie 21". Die kognitiven Fähigkeiten von Menschen mit Down-Syndrom sind häufig eingeschränkt, sie haben in manchen Dingen ein anderes Tempo.

3) "Wie erleben Menschen mit Down-Syndrom die Welt - wie sieht die Welt Menschen mit Down-Syndrom? Eine Gegenüberstellung." So lautete ein Forschungsvorhaben aus dem Jahre 1998 am Medizinhistorischen Institut in Bonn, gefördert von der Volkswagen-Stiftung. Aus dem zweijährigen Forschungsvorhaben entstand das Magazin "Ohrenkuss ... da rein, da raus". Im Herbst 2010 erscheint die 25. Ausgabe des Magazins zum Thema "Ich bin ein Mensch."

4) Die Texte im Ohrenkuss werden nicht zensiert. Sie werden eins zu eins wiedergegeben: ohne Anpassung an die aktuelle Rechtschreibung, ohne Korrekturen bei Grammatik oder Zeichensetzung. In dem vorliegenden Text wurde jedoch eine Ausnahme gemacht. Damit die Texte besser lesbar sind, wurden Rechtschreibfehler verbessert.

5) Dieser Text entstand, als die Ohrenkuss-Redaktion 2005 in der Gedenkstätte Buchenwald zu dem Thema "Jenseits von Gut und Böse" recherchierte. Vor 35 Jahren, als die medizinischen Fachbücher mit Erklärungen zum Down-Syndrom erstellt wurden, war kein Mensch mit Down-Syndrom in Deutschland älter als 30 Jahre. Diese Beobachtung wurde nicht hinterfragt oder mit Angaben aus dem Ausland verglichen.

6) Es fällt oft schwer, mit einem Menschen mit Down-Syndrom so zu kommunizieren, wie man es "normalerweise" gewohnt ist. Man muss z.B. langsamer und deutlich sprechen, eine einfache Sprache verwenden und komplizierte Dinge erklären. Man sollte darauf achten, dass die "Verbindung" zum Gegenüber nicht abreißt. Das erfordert Geduld und Konzentration, gesunde Neugier und die Offenheit für neue Sichtweisen und Fremdheit.

7) Natürlich können Menschen mit Down-Syndrom Nachwuchs bekommen. Die Wahrscheinlichkeit wieder ein Kind mit 47 Chromosomen zu bekommen ist erhöht.

8) Die Ohrenkuss-Redaktion reiste 2005 in die Mongolei. Das löste eine angeregte öffentliche Diskussion aus: Die Resonanz war positiv, die Verwendung des Begriffs "Mongo" und "mongoloid" wurde diskutiert, online: www.ohrenkuss-mongolei.de (19.5.2010).


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Quelle:
APuZ - Aus Politik und Zeitgeschichte 23/2010 - 7. Juni 2010, S. 3-5
Schwerpunktthema: Menschen mit Behinderungen
Herausgeber: Bundeszentrale für politische Bildung
Adenauerallee 86, 53113 Bonn
Redaktion: Dr. Hans-Georg Golz (verantwortlich für diese Ausgabe)
Telefon: 0228 / 9 95 15 - 0
E-Mail: apuz@bpb.de
Internet: www.bpb.de/apuz

"Aus Politik und Zeitgeschichte" ist Bestandteil der Wochenzeitung "Das Parlament".
Jahresabo 34,90 Euro, für Schülerinnen und Schüler,
Studierende, Auszubildende (Nachweis erforderlich) 19,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2010