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BERICHT/347: Zivildienst geht, Bundesfreiwilligendienst kommt (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - April 2011

Zivildienst geht, Bundesfreiwilligendienst kommt
Erfolgsmodell "Betheljahr" bald auch in den Regionen

Von Petra Wilkening


Nach 50 Jahren läuft mit der Wehrpflicht auch der Zivildienst aus. Auf die Zeit nach dem 1. Juli, wenn es keine neuen Zivildienstleistenden mehr gibt, sind die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel gut vorbereitet. Vorausschauend wurde 2002 das Betheljahr für junge Menschen eingerichtet, und auch für den neuen Bundesfreiwilligendienst wird bereits geplant.


Einen großen Zapfenstreich wird es für den Zivildienst naturgemäß nicht geben, wenn am 1. Juli Schluss ist. Diejenigen, die sich für diesen Pflichtdienst entschieden haben, legen auf militärische Traditionen wohl eher weniger Wert. Einer der jungen Männer, die den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigert haben, war 1961 Tjeerd de Jong Posthumus. Der Detmolder Tankwart gehörte zu den ersten Zivildienstleistenden in Deutschland. Sechsundzwanzig von ihnen traten am 10. April ihren damals 15-monatigen Dienst in Bethel an. "Ich erinnere mich noch genau an die Prüfungskommission. Die haben mich wirklich auf Herz und Nieren und auf mein Gewissen geprüft. Aber ich war natürlich darauf vorbereitet. Es gab früher sogar Vereine für Kriegsdienstverweigerer, die einem geholfen haben", berichtet der heute 73-Jährige. Eine große Überzeugung und viel Mut waren damals nötig, um den Dienst zu verweigern, nicht zu "dienen" und stattdessen ein "Drückeberger" und "Pisspottschwenker" zu werden. So wurden Zivildienstleistende oft verunglimpft.

Mit zeitweise bis zu 350 Plätzen war Bethel eine der größten Zivildienst-Einrichtungen bundesweit. Aktuell sind 54 Plätze besetzt. Zwei junge Männer haben den Ersatzdienst noch im März und in diesem Monat angetreten. Seine Dauer wurde im Dezember vergangenen Jahres von neun auf sechs Monate gekürzt - für die Einrichtungsträger eine schwierige Veränderung. Der Aufwand für die Einarbeitung der Zivildienstleistenden stand so nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu ihrer Einsatzdauer. Immanuel Schkade gehört zu denjenigen, die den sechsmonatigen Zivildienst absolvieren. Am 15. Mai endet er für den 23-Jährigen, der im Ev. Krankenhaus Bielefeld in der Unfallchirurgie tätig ist. Sein Einsatzort passt ideal zu seiner Berufswahl. "Ich will Medizin studieren und kann so bereits einen Blick 'hinter die Kulissen' werfen", freut sich der junge Bielefelder.

Die berufliche Orientierung ist auch ein besonderer Schwerpunkt des Betheljahrs. Vor neun Jahren wurde diese Form des Freiwilligen Sozialen Jahres als zusätzliches Angebot zum bisherigen Diakonischen Jahr eingerichtet. Letzteres richtete sich an junge Menschen zwischen 17 und 27 Jahren, die christlich orientiert waren und sich speziell in Kirche und Diakonie engagieren wollten. Das Bethel-Jahr sprach dagegen auch diejenigen an, denen es nach der Schule zunächst allein um die berufliche Orientierung ging. Das besondere Bildungsjahr wurde konzipiert mit Blick auf die Zeit, wenn der Zivildienst wegfällt. So konnte der damalige Leiter der Betheler Freiwilligenagentur bereits in einem RING-Interview im März 2004 zu Recht feststellen: "Wir sind gut vorbereitet!"


Regionale Gruppen

Das Betheljahr ist ein Erfolgsmodell. 25 Plätze waren es zu Beginn, jetzt gibt es 285, und im nächsten Jahrgang werden es 380 sein. "Damit wollen wir darauf reagieren, dass wir stets mehrere Bewerbungen für einen Platz haben", sagt Diakon Jens Meyer-Prystav. Auch das Engagement in den Regionen werde verstärkt, so der stellvertretende Leiter der Freiwilligenagentur Bethel. Für die theoretischen Bausteine des Betheljahrs werden an verschiedenen Standorten Seminargruppen aufgebaut: 2011/12 eine Gruppe mit 25 Plätzen in Dortmund und mit 30 Plätzen im Stiftungsbereich Bethel im Norden, 2012/13 eine Gruppe in Berlin-Brandenburg. Weitere sollen folgen. Für die Abwicklung des Bewerbungsverfahrens und die Organisation der Seminararbeit wird es in den Regionen eigene Büros geben. "Wichtig ist, dass trotz Dezentralisierung und steigender Platzzahlen der besondere Charakter des Betheljahrs erhalten bleibt", weist Jens Meyer-Prystav auf den aktuellen Entwicklungsbedarf hin. "Wir werden jetzt ein Konzept erarbeiten, wie die Regionen eingebunden werden können." Auch die berufliche Orientierung soll noch stärker ins Auge gefasst werden. Ende 2009 wurde den Absolventen des Betheljahrs zum ersten Mal ein Berufsvorbereitungstag mit Bielefelder Personalfachleuten angeboten.

Eine andere große Veränderung bedarf ebenfalls neuer Planungen: Ab Juli wird es - wenn das entsprechende Gesetz bis dahin verabschiedet ist - einen Bundesfreiwilligendienst geben. Er tritt an die Stelle des Zivildienstes und richtet sich an Menschen ab 17 Jahren. Eine Altersobergrenze gibt es nicht. Der 6- bis 18-monatige Dienst kann in Voll- oder Teilzeit absolviert werden. Auch wenn der neue Dienst noch eine Reihe ungeklärter Fragen aufwirft, wird er in Bethel als eine Bereicherung für die Freiwilligen-Arbeit gesehen.

"Zurzeit müssen wir noch ins Blaue hinein planen, damit wir den neuen Dienst ab Sommer anbieten können", betonen die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und die Ev. Kirche von Westfalen. Bei einem gemeinsamen Fachtag in Bielefeld-Bethel berieten sich Vertreter der drei evangelischen Träger des Freiwilligen Sozialen Jahrs Anfang März über offene Fragen. Verbindliche gesetzliche Bestimmungen gibt es für den Bundesfreiwilligendienst noch nicht. "Bis es soweit ist, stricken wir den Schal behutsam weiter. Täglich kommt eine neue Farbe hinzu, wir wissen aber nie genau, welche", so Jens Meyer-Prystav.


Arbeitsmarktneutral

Einig sind sich die zuständigen Fachleute darin, dass der Bundesfreiwilligendienst weder zur Beschönigung der Arbeitslosenstatistik herangezogen werden noch dass er eine Konkurrenz zum Ehrenamt sein darf. Für die Träger stellt sich die Frage, wie man mit Bewerbern umgeht, die älter als 27 Jahre sind. Schon jetzt klopfen die ersten Arbeitsagenturen an und wollen arbeitslos gemeldete Menschen vermitteln. "Der Dienst soll aber arbeitsmarktneutral sein", sagt Jens Meyer-Prystav. "Die 45-jährige Krankenschwester, die nach der Familienphase den BFD für die berufliche Orientierung nutzt, entspricht dem Konzept. Aber es darf nicht sein, dass sie während ihres Dienstes konkret als Krankenschwester arbeitet", unterstreicht der Diakon sein Anliegen, dass alle Träger bei ihrer Entscheidung für einen Bewerber oder eine Bewerberin genau hinschauen. Eine genaue Prüfung ist auch erforderlich, um den Bundesfreiwilligendienst vom klassischen Ehrenamt abzugrenzen.


Offene Fragen

Den zukünftigen Einsatzorten gilt ein weiteres Fragezeichen. Die Träger können noch nicht abschätzen, ob Freiwillige auch Fahrdienste oder Hausmeistertätigkeiten übernehmen wollen. Freiwillige kämen, so wird vermutet, vor allem, weil sie die Arbeit mit hilfebedürftigen Menschen kennen lernen und im direkten Kontakt mit diesen stehen wollten.

In Zukunft werden die Träger auch mit jüngeren und kulturell unterschiedlich geprägten Freiwilligen zu tun haben. Bisher absolvierten vor allem Abiturienten das Freiwillige Soziale Jahr. Mit dem Abitur nach zwölf Jahren wird sich diese Zielgruppe verjüngen, aber es sind auch immer mehr Haupt- und Realschüler unter den Bewerbern. Hauptschüler hätten eher traditionelle Berufsentwürfe in Richtung Handwerk, so Jens Meyer-Prystav. Ihr Anteil an den Absolventen des Betheljahres liege zurzeit noch bei unter zehn Prozent. "Mit fast allen, die kommen, machen wir positive Erfahrungen, und viele von ihnen streben anschließend eine Helferausbildung an", berichtet der Diakon.

Wichtig ist Bethel, dass die jungen Menschen in ihrem Freiwilligendienst positive Erfahrungen machen - ob sie sich im Rahmen des Betheljahrs nun für die Variante "Freiwilliges Soziales Jahr" oder "Bundesfreiwilligendienst" entscheiden. "Wir wollen ihnen zum einen Chancen für ihre persönliche Entwicklung bieten, vor allem mit Blick auf ihre soziale Intelligenz, und sie zum anderen früh für die Arbeitsfelder in Diakonie und Kirche interessieren", betont der Vorstandsvorsitzende Pastor Ulrich Pohl. "Das Betheljahr ist eine gute Möglichkeit, sich beruflich zu orientieren und einen Überblick über unsere vielfältigen Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten zu erhalten!"

Bis es soweit ist und der Bundesfreiwilligendienst absolviert werden kann, sind - das hofft Jens Meyer-Prystav - weitere Maschen im Schal gestrickt. Dazu gehören auch Fragen rund um das Kindergeld, das zwar im Freiwilligen Sozialen Jahr, aber nicht im Bundesfreiwilligendienst gezahlt wird, und der Einsatz junger Menschen aus dem Ausland. Er war von Anfang an im Betheljahr möglich. Für den Bundesfreiwilligendienst muss dieser Aspekt noch geklärt werden.

"Der neue Dienst bringt zwar zunächst für die Träger viel Arbeit mit sich, aber er wird das Spektrum der Freiwilligenarbeit erfreulich erweitern", begrüßt Pastor Ulrich Pohl die neue Entwicklung. "Da es keine Altersbeschränkung nach oben gibt, werden sich mehr Bürger im sozialen Bereich engagieren, und das ist angesichts der aktuellen Lage dringend notwendig."


50 Jahre Zivildienst

"Ende oder Wende: Vom Ende einer staatlichen Dienstpflicht hin zu einer neuen Ära des 'Freiwilligen'?" ist das Thema der Jahrestagung "Zivildienst" am 12. und 13. April in Bielefeld-Bethel. Die Tagung ist mit einem Fest- und Schlussakt zum 50-jährigen Bestehen des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes und dem Ende des Zivildienstes verbunden. Veranstalter sind der Diakonie Bundesverband und der Ev. Arbeitskreis Kriegsdienstverweigerung und Frieden.

Kontakt:
Tel. 030 83001-381/373


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Quelle:
DER RING, April 2011, S. 5-7
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
Telefon: 0521/144-35 12, Fax: 0521/144-22 74
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2011