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BERICHT/379: Beitrag der Gesundheitsselbsthilfe zur Bürgerorientierung (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2013

Gesund - Gesundheit - Gesundheitskompetenz
Der Beitrag der Gesundheitsselbsthilfe zur Bürgerorientierung

Von Dr. Martin Danner



Der Begriff Gesundheitskompetenz ist zurzeit in aller Munde. Doch niemand hinterfragt, was es damit im Einzelnen eigentlich auf sich hat. Nach der Definition der WHO versteht man unter Gesundheit einen Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Eine andere Definition des Gesundheitsbegriffs hebt hervor, dass Gesundheit der Zustand des objektiven und subjektiven Befindens einer Person ist, wenn diese Person sich in den physischen, psychischen und sozialen Bereichen ihrer Entwicklung im Einklang mit den eigenen Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet. Es gibt folglich verschiedene Ebenen des Gesundheitsbegriffs. So werden die körperliche, die geistig-seelische und die soziale Ebene unterschieden. Auch in der Selbsthilfe wird Wert darauf gelegt, dass für die Gesundheit die Aspekte des psychisch-seelischen Gelichgewichtes und die sogenannten Kontextfaktoren, d.h. das soziale Umfeld des Menschen, unverzichtbar für das Wohlergehen der betroffenen Menschen sind. Gesundheit ist somit mehr als ein Zustand. Denn mit dem Streben nach Gesundheit ist immer auch eine Zielorientierung verbunden.


Gesundheit bedeutet auch Handlungsorientierung

Die genannten Definitionen verdeutlichen es bereits. Das Streben nach Gesundheit, wie beispielsweise die Wiedererlangung von Körperfunktionen und die Reduktion von Schmerzen, sind Ziele des menschlichen Handelns. Der Gesundheitsbegriff ist also sehr eng mit der Handlungsorientierung des Menschen verbunden. Denn hier geht es um das "sich Gesunderhalten" oder das "Gesundwerden". Nur durch diese Handlungsorientierung wird deutlich, dass es jeweils um bewusste Entscheidungen des Betroffenen geht. Sie lässt es zu, einerseits von Risikofaktoren für die Gesundheit sprechen zu können, andererseits mit dem salutogenetischen Ansatz fragen zu können, welche Faktoren denn besonders förderlich für die Gesundheit sind. Die Handlungsorientierung - also die bewusste Entscheidung des Menschen - ist aber auch die Grundlage des aktuell so viel diskutierten Begriffs der Gesundheitskompetenz.


Informationsgrundlage und Handlungsspielraum sind Grundvoraussetzungen für Gesundheitskompetenz

Der Begriff Gesundheitskompetenz wird von der Hypothese getragen, dass jeder etwas tun kann, damit die Gesundheit erhalten oder wiedergewonnen wird. Hierauf basierend kann die Definition von Gesundheitskompetenz lauten, dass es sich um die Fähigkeit des Einzelnen handelt, im täglichen Leben Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf seine Gesundheit auswirken. In der Fachdiskussion untergliedert man allerdings noch spezieller. Hier wird zum einen die Fähigkeit vorausgesetzt, gesundheitsrelevante Entscheidungen treffen zu können und zum anderen die Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit, solche Entscheidungen treffen zu dürfen. So wie auch die Handlungskompetenz vorhanden sein muss, auf der Basis von Wissen solche Entscheidungen tatsächlich im alltäglichen Leben treffen zu können. Grundvoraussetzung dafür ist natürlich, sich überhaupt gesundheitsbewusst verhalten zu wollen.

Gesundheitskompetentes Verhalten kann also nur stattfinden, wenn den Menschen eine hinreichende Informationsgrundlage und die Fähigkeit gegeben sind, gesundheitsrelevante Entscheidungen treffen zu können. Handlungsspielräume, um selbst entscheiden zu dürfen, Wissen sowie ein persönlicher Bezug des Betroffenen zum Thema Gesundheit sind ebenfalls Grundvoraussetzungen.


Selbsthilfe ist "interaktive Gesundheitskompetenz"

Die genannten Aspekte des Begriffs "Gesundheitskompetenz" reichen aber nicht aus, um dieses Phänomen vollständig zu beschreiben. Zu Recht wird nämlich kritisiert, dass eine rein entscheidungsorientierte Betrachtungsweise den Menschen nur als Individuum sieht. Aspekte des sozialen und kulturellen Lebens gehören aber genauso zu einem gesundheitsfördernden Verhalten wie rein wissensbasierte Komponenten. Für die Kompetenzgewinnung ist daher nicht nur die individuelle Situation des Einzelnen von maßgeblicher Bedeutung, sondern auch kollektive Aspekte, wie kulturelle Hintergründe, die familiäre Situation oder religiöse Vorstellungen.

Ein Aspekt der Gewinnung von Gesundheitskompetenz ist das Zusammenwirken von Menschen in Selbsthilfeorganisationen chronisch kranker und behinderter Menschen. Das Selbsthilfeprinzip ist getragen von der gegenseitigen Unterstützung und Begleitung im Umgang mit chronischen Erkrankungen und/oder Behinderungen im alltäglichen Leben. Dieser Umgang besteht aus einer lebensweltlichen handlungsorientierten Vorgehensweise, bei der Aspekte des sich Gesunderhaltens und -werdens im Zentrum des Zusammenwirkens stehen.

Schon diese Überlegung zeigt, dass die gesundheitliche Selbsthilfe ein zentraler Baustein bei der Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenz ist, dass sie aber auch kollektive Gesundheitskompetenz schafft. In den fachlichen Diskussionen wird Letzteres unter anderem mit dem Begriff "interaktive Gesundheitskompetenz" beschrieben. Dabei geht es um die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu sammeln und dieses Know-how in der Interaktion, also im Umgang mit anderen, auch anzuwenden. Es ist somit festzuhalten, dass die Arbeit der Selbsthilfeorganisationen chronisch kranker und behinderter Menschen in Deutschland eine zentrale Rolle bei der Vermittlung und Schaffung interaktiver Gesundheitskompetenz ist.


Selbsthilfe schult das Gesundheitssystem und stärkt die Bürgerorientierung

Selbsthilfe erhöht auch die Kompetenzgewinnung im Gesundheitssystem. Denn deren Beratungsangebote, Publikationen und Aktivitäten im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und Bewusstseinsbildung sind eine wichtige Grundlage zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz im Gesundheitswesen. Geht es um die Einbindung von Betroffenenkompetenz durch die Beteiligung von SelbsthilfevertreterInnen an Entscheidungsfindungsprozessen im Gesundheitswesen, dann erhöht deren Gesundheitskompetenz zugleich auch das kompetente Entscheiden der Gremien, in denen die SelbsthilfevertreterInnen mitwirken. Vor diesem Hintergrund sind die Angebote der Selbsthilfe und das Mitwirken von SelbsthilfevertreterInnen in Gremien des Gesundheitswesens auch ein wesentliches Element zur Stärkung der Bürgerorientierung.

Es ist daher in den kommenden Wochen und Monaten für die Selbsthilfeorganisationen chronisch kranker und behinderter Menschen wichtig, auch in der Fachöffentlichkeit zu verdeutlichen, dass die Diskussionen zur Stärkung der Gesundheitskompetenz nicht an der Selbsthilfe vorbeilaufen dürfen, sondern dass die Selbsthilfe ein zentraler Akteur bei der Stärkung von Gesundheitskompetenz ist.


Der Autor Dr. Martin Danner ist Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE

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Quelle:
Selbsthilfe 4/2013, S. 8-9
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2014