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BILDUNG/322: Studie beschreibt Schüler mit geistiger Behinderung (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 09.12.2011

Studie beschreibt Schüler mit geistiger Behinderung


In der Diskussion um Inklusion geht es verstärkt auch um die Frage, inwieweit Schüler mit geistiger Behinderung an Regelschulen unterrichtet werden können. Aber was sind das eigentlich für Schüler? Dazu liegen nun erstmals repräsentative Daten vor. Erarbeitet wurden sie von Sonderpädagogen der Universitäten München, Würzburg und Landau.

Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung sind die jüngste Schulart im deutschen Bildungssystem. Sie haben sich seit den 1970er-Jahren rasch und intensiv entwickelt. Heute werden in ihnen deutschlandweit rund 80.000 Schüler unterrichtet. Zuerst standen in dieser Schulart Aspekte der Alltags- und Lebensbewältigung im Vordergrund. Doch heutzutage hat die Vermittlung komplexer Bildungsinhalte einen genau so großen Stellenwert.

Angesichts der bildungspolitischen Forderung nach einer inklusiven Schule wird diskutiert, wie es um die Eingliederungsfähigkeit geistig behinderter Schüler in Regelschulen bestellt ist. "Dabei ist es wichtig, fundiertes Wissen über die Zielgruppe und ihre Lernausgangslage zu besitzen", sagt Dr. Christoph Ratz vom Institut für Sonderpädagogik der Universität Würzburg. Auf wen muss sich die Pädagogik oder Didaktik einstellen? Was sind das für Schüler, unter welchen Bedingungen wachsen sie auf? Wie lernen sie und wie verhalten sie sich im Unterricht? "Sehr relevante Fragen, die sich aus der bisherigen Literatur aber nur schlaglichtartig beantworten ließen", so Ratz.


Studie liefert repräsentative Daten

Der Würzburger Sonderpädagoge hat darum mit Fachkollegen von der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Koblenz-Landau seit 2008 eine Studie durchgeführt. Insgesamt wurden 1.629 Kinder und Jugendliche einbezogen, die Ergebnisse liegen jetzt als Buch vor. Somit gibt es erstmals aktuelle, repräsentative Daten über Schüler im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in Bayern.

Die Studie liefert medizinische, sozio- und bildungsbiografische Hintergründe und enthält weitere unterrichtsrelevante Aspekte. "Für die Planung und Organisation von Förder- und Bildungsprozessen sowohl in Förderschulen als auch inklusiven Klassen sind diese Informationen sehr wichtig", so die Autoren. Finanziell gefördert wurde ihr Projekt vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus.


Ergebnisse aus der Studie

An Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung sind mehr Jungs, mehr Schüler mit Migrationshintergrund und häufiger Kinder aus Familien in schwierigen sozialen Lagen zu finden. Für rund 40 Prozent der Schüler können die Lehrkräfte genaue medizinische Diagnosen über die Art der Behinderung angeben; Down-Syndrom und Autismus werden dabei am häufigsten genannt. Rund 30 Prozent der Kinder haben zusätzlich eine körperliche Behinderung oder eine Sinnesschädigung. Für fast 60 Prozent von ihnen beschreiben die Lehrkräfte einen Pflegebedarf im Lauf eines Schulvormittags.


Sprachförderung sehr wichtig

Rund 90 Prozent der Schüler mit geistiger Behinderung können komplexe Sätze verstehen; bis zu 80 Prozent können sich sprachlich ausdrücken. Sprach- und Sprechstörungen werden allerdings bei rund zwei Drittel benannt. Bei etwa einem Drittel der Schüler sind die Artikulationsmöglichkeiten so stark eingeschränkt, dass sie von Fremden nicht verstanden werden. Circa 20 Prozent verfügen über gar keine Lautsprache. Sprachförderung sei also besonders wichtig, wie die Autoren der Studie schreiben.

Auskunft geben die Wissenschaftler auch über die Fähigkeiten der Schüler im Lesen, Schreiben und Rechnen. Zudem thematisieren sie den Bereich "problematisches Verhalten", wie beispielsweise Hyperaktivität, Selbst-oder Fremdaggression, aber auch Depressionen und Angst.


Zielgruppen der Studie

Sowohl im Zusammenhang mit der Inklusion als auch für die Frage nach der Gestaltung von Bildungsprozessen bei Schülern mit geistiger Behinderung seien die Studienergebnisse spannend für alle Lehrkräfte und Lehramtsstudierenden, aber auch für Politik und Schulverwaltung. "Gerade außerhalb des Förderschwerpunkts geistige Entwicklung stellen wir immer wieder fest, dass kaum etwas darüber bekannt ist, wer hier wie und unter welchen Bedingungen was lernt", so die Autoren.


Präsentation der Studie in München

Der Öffentlichkeit wurde die Studie am heutigen Freitag, 9. Dezember, erstmals vorgestellt, und zwar bei einer Präsentation (14 - 17 Uhr) an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Wolfgang Dworschak, Sybille Kannewischer, Christoph Ratz und Michael Wagner (Hgg.):
"Schülerschaft mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (SFGE) - eine empirische Studie"
Band 25 der Reihe "Lehren und Lernen mit behinderten Menschen"
Athena-Verlag Oberhausen 2012, 172 Seiten, 16,50 Euro
ISBN 978-3-89896-441-8

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution99


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Robert Emmerich, 09.12.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2011