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BILDUNG/329: 30 Jahre Berufsbildungswerk in Bethel (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Juli 2012

30 Jahre Berufsbildungswerk in Bethel
"Arbeitsmäßig geht es mir bestens!"

Von Silja Harrsen



Sechzehn Kilometer und nur bergauf. Wenn Sebastian Schüttauf zur Arbeit radelt, muss er ganz schön in die Pedale steigen. Von Schildesche bis in die "Sieker Schweiz" in Bielefeld braucht der 23-Jährige ungefähr eine Dreiviertelstunde. Aber die tägliche Tortur lohnt sich, denn er hat seinen Traumjob gefunden als Koch im Landhotel Bielefelder Höhe. Für den jungen Mann keine Selbstverständlichkeit. Denn Sebastian Schüttauf hat Epilepsie.


Wenn er Frühdienst hat, beginnt sein Arbeitstag um 6.30 Uhr. "Zuerst kümmere ich mich um das Frühstücksbüfett. Und dann betreue ich die Gäste", erzählt Sebastian Schüttauf. Er nimmt individuelle Bestellungen entgegen und bereitet vor den Augen der Frühstücksgäste das perfekte Rührei zu. Ab zehn Uhr muss er sich mit seinem Kollegen bereits um das Mittagessen kümmern, und danach geht es sofort los mit den Vorbereitungen für das Abendgeschäft. "Der Beruf Koch ist nichts für Menschen mit schwachen Nerven", betont Hoteldirektor Sascha Luce. Er hat Sebastian Schüttauf vor drei Monaten eingestellt. Dass sein junger Mitarbeiter Epilepsie hat, stört ihn nicht. "Es ist für mich eine neue Erfahrung. Wichtig ist, dass wir im Gespräch bleiben und über eventuelle Probleme reden", so der Manager, der das einstige Hotel "Stiller Frieden" in Bielefeld unter neuem Namen im Dezember 2011 wiedereröffnet hat.

Über einen Getränkelieferanten habe er gehört, dass es in Bethel das Ausbildungshotel Lindenhof gebe, in dem junge Menschen mit Epilepsie eine Lehre machen könnten, berichtet Sascha Luce. Das fand er interessant und setzte sich mit dem Ausbildungsleiter Jürgen Simon in Verbindung. Das Hotel Lindenhof gehört zum Berufsbildungswerk Bethel (BBW), das Jugendlichen mit Epilepsie sowohl Berufsvorbereitungsmaßnahmen als auch berufliche Erstausbildungen anbietet. Insgesamt stehen 23 Berufe zur Auswahl, beispielsweise im Gartenbau, in der Textiltechnik, Hauswirtschaft oder im Hotel- und Gastronomiebereich.

Das Landhotel Bielefelder Höhe ist ein kleiner Betrieb. In der Küche arbeitet neben dem Küchenchef nur noch Sebastian Schüttauf. "Er ist voll gefordert und muss auch Schichtdienst leisten", sagt Sascha Luce. Manchmal arbeitet er sogar ganz alleine in der Küche. Dass er 20 Abendessen á la carte zubereiten muss, ist dabei keine Seltenheit. "Dann komme ich ganz schön ins Schwitzen", gesteht Sebastian Schüttauf. Denn er habe mit der Organisation der Arbeit noch ein paar Probleme. "Er ist ein guter Koch. Er hat das Feeling fürs Essen. Alles andere wird sich mit der Berufserfahrung geben", ist Sascha Luce sicher.


Koch statt Zimmermann

Eigentlich wollte Sebastian Schüttauf Zimmermann werden. "Aber wegen meiner Epilepsie war das nicht möglich", sagt er. Das Risiko, sich bei einem Anfall auf der Baustelle schwerste Verletzungen zuzuziehen, ist in dem Handwerksberuf hoch. Um sich beruflich neu zu orientieren, kam Sebastian Schüttauf mit 16 Jahren aus Ostdeutschland ins Berufsbildungswerk Bethel. Er lebte im Wohnheim des BBW und probierte sich erst einmal in den verschiedensten Berufen, die angeboten wurden, aus. "Das Kochen interessierte ihn. Zuerst machte er eine Ausbildung zum Beikoch. Dann wollte er mehr", sagt Marlies Thiering-Baum, Einrichtungsleiterin im Berufsbildungswerk, das in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum feiert.


Feste Anstellung

Dass Sebastian Schüttauf nach seiner Ausbildung zum Koch eine feste Anstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gefunden hat, freut Marlies Thiering-Baum. Denn es ist das Ziel der beruflichen Maßnahmen im BBW, junge Menschen, die aufgrund einer Epilepsie oder einer anderen Erkrankung eine besondere Unterstützung bei der Berufsausbildung brauchen, zu stärken, damit sie im Arbeitsleben bestehen können. Der Jungkoch Sebastian Schüttauf hat es geschafft und ist stolz auf das Erreichte. "Arbeitsmäßig geht es mir bestens", sagt er mit strahlendem Lächeln.

In den 30 Jahren, in denen das Berufsbildungswerk inzwischen besteht, haben rund 1.300 Jugendliche mit Epilepsie oder einer hirnorganischen Schädigung eine Maßnahme abgeschlossen. Im Durchschnitt bietet das BBW 165 Plätze an. "Unser Schwerpunkt war und ist die Ausbildung von Jugendlichen mit Epilepsie. Unsere Fachkräfte sind darauf spezialisiert und haben eine langjährige Erfahrung." Diese geballte Kompetenz im Bereich Epilepsie sei nach wie vor einzigartig in Deutschland, betont Marlies Thiering-Baum. Das BBW ist Teil des Epilepsie-Zentrums Bethel.

Die Jugendlichen arbeiten während ihrer Ausbildung auch in "richtigen" Betrieben. "Die Bedingungen sind real, die Anforderungen auch", so die Einrichtungsleiterin. Wer sich bewährt, hat gute Chancen, übernommen zu werden. Über 90 Prozent der Absolventen finden im Anschluss einen Job. "Doch nicht jeder junge Mensch im BBW hat das Potenzial, einen Ausbildungsberuf zu erlernen. Auch für sie muss es Betätigungsfelder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geben. Die fehlen nach wie vor", bedauert Marlies Thiering-Baum.


Gebäck und Bowle

Das BBW-Jubiläum wurde am 1. Juni mit einem Fest gefeiert. Die Auszubildenden öffneten die Türen ihrer Fachbereiche für Besucherinnen und Besucher. Die Abteilung Hauswirtschaft verwöhnte die 300 Gäste - darunter viele Ehemalige - mit selbstgemachtem Gebäck und alkoholfreier Erdbeerbowle. Über den Tag verteilt gab es darüber hinaus viele Aktionen und ein Unterhaltungsprogramm mit Sport, Theater und Disko.

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Quelle:
DER RING, Juli 2012, S. 10-11
Monatszeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2012