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FRAGEN/174: 20 Jahre Special Olympics Deutschland (SOD) - "Inklusion ist unser Ziel" (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 43 / 25. Oktober 2011
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

20 Jahre SOD: "Inklusion ist unser Ziel"

Interview mit Sven Albrecht, Geschäftsführer von Special Olympics Deutschland über den Anspruch des Verbandes


In diesem Jahr wird Special Olympics Deutschland (SOD) 20 Jahre alt. An diesem Mittwoch feiert die Sportorganisation für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung in Berlin das Jubiläum (siehe Meldung auf Seite 17). Im Interview mit der DOSB-PRESSE spricht SOD-Geschäftsführer Sven Albrecht (33) über den Anspruch des Verbandes. Der Sport sei bei SOD Mittel zum Zweck der gesellschaftlichen Teilhabe, "das Ziel ist Inklusion".


DOSB-PRESSE: Special Olympics Deutschland begeht in dieser Woche mit einem Festabend in Berlin das 20-jährige Bestehen. Eine noch junge Organisation, die bundesweit mittlerweile mehr als 40.000 Menschen mit geistiger Behinderung regelmäßiges Sporttreiben ermöglicht. Wie positionieren Sie sich heute in der Sportlandschaft?

SVEN ALBRECHT: Wir sind als Verband mit besonderen Aufgaben Mitglied im DOSB und verstehen uns und als Schnittstelle zwischen dem organisierten Sport und den Menschen mit geistiger Behinderung und deren Einrichtungen. Nach unserer Gründung am 3. Oktober 1991 waren wir Anfang der 90er Jahre mit Unterstützung der Lebenshilfe und unserer Dachorganisation Special Olympics International vor allem damit beschäftigt - oft unter widrigen Umständen und gegen viele Widerstände - Strukturen zu schaffen, um Sporttreiben für Menschen mit geistiger Behinderung überhaupt zu ermöglichen. Heute haben wir mit SOD eine bundesweite stabile Organisation, die gesellschaftlich anerkannt und im organisierten Sport verankert ist, in der sich Athletinnen und Athleten mit geistiger Behinderung gut einbezogen fühlen. Der Sport bringt den Athleten Erfolgserlebnisse, gibt Selbstbewusstsein und ermöglicht Teilhabe an der Gesellschaft. Das weltweite Special Olympics Konzept stimmt, die Idee ist großartig - und wir haben Menschen um uns scharen können, die sich mit außergewöhnlichem Engagement, großer Fachkenntnis und viel Herzblut der Sache und vor allem den Athletinnen und Athleten verschrieben haben. Und Special Olympics ist mehr als Sport: Wir verstehen uns als Alltagsbewegung mit verschiedenen Programmen und Angeboten, die weit über den Sport hinausreichen.

DOSB-PRESSE: Dabei wurde Special Olympics aber meist über große Sport-Veranstaltungen wahrgenommen?

ALBRECHT: Sie bilden ja auch nach wie vor die Höhepunkte für unsere Athletinnen und Athleten und in unserer Arbeit. Von den ersten National Games in Stuttgart 1998 mit 1.000 Teilnehmern sind wir bei Veranstaltungen mit 4.500 Athletinnen und Athleten angelangt, die qualitativ auf einem hohen Niveau stehen und weit in die Gesellschaft ausstrahlen. Special Olympics Deutschland versteht sich jedoch als Alltagsbewegung: Es geht uns darum, vor Ort dauerhafte Sportmöglichkeiten zu schaffen und gesellschaftliche Prozesse anzuschieben. Wir wollen uns daran messen lassen, ob wir die Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung und das Miteinander vor Ort dauerhaft verbessern. Dazu gehören natürlich die Veranstaltungen wie die Nationalen Spiele und mittlerweile auch die Regionale Spiele - sie sind aber nur noch ein Bestandteil unserer Arbeit. Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz. Und so sind mittlerweile unser Gesundheitsprogramm HealthyAthletes, Unified Sports, unsere Arbeit mit den Familien, im Volunteering, in der Wissenschaft, in der öffentlichen Diskussion um die Belange von Menschen mit geistiger Behinderung bekannt und geschätzt. Mussten wir vor 20 Jahren als Organisation um jegliche Anerkennung kämpfen, gehören wir heute zu jenen, die man fragt, wenn es beispielsweise um die praktische Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung geht.

DOSB-PRESSE: Sie bringen sich aktiv in die Diskussion ein?

ALBRECHT: Das tun wir, wann und wo immer es angebracht und unsere Mitarbeit gefragt ist. Zum Beispiel bezüglich des Aktionsplans der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Konvention. Das vorgelegte Papier ist aus unserer Sicht, wie auch für andere soziale Verbände, nicht ausreichend und wir haben Nachbesserungen gefordert.

DOSB-PRESSE: Welche Themen und Bereich betrifft das?

ALBRECHT: Die aufgeführten Maßnahmen im Sportbereich sind wenig konkret und beschreiben zum größten Teil bereits bestehende Projekte bzw. Maßnahmen. Das Thema Inklusion in Sportvereine und die Funktion des Sports für die Inklusion finden sich nicht wieder. Die Ausführungen zum Breitensport halten wir für nicht ausreichend. Ausgehend von der UN-Konvention ist es für uns von zentraler Bedeutung, dass Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt entscheiden wann, wo, wie und mit wem sie ihren Sport betreiben. Im Zentrum stehen also selbstbestimmte Wahlmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen bei Sportangeboten: von behinderungsspezifischen bis hin zu inklusiven Angeboten in lokalen Sportvereinen. Daher wünschen wir uns einerseits eine stärkere Förderung des Sports in Schulen, Einrichtungen und Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Andererseits wollen wir den lokalen Sportverein für Menschen mit geistiger Behinderung öffnen; sie stehen nach wie vor allzu häufig vor verschlossenen Türen. Daher muss dieses Thema auch stärker in den Fokus der deutschen Sportfamilie gerückt werden. Wir haben mit großer Freude und Zustimmung vernommen, dass das Präsidium des DOSB das Thema mit in sein Arbeitsprogramm aufgenommen hat. Die UN Konvention stellt auch die Partizipation von Menschen mit Behinderung an Entscheidungsprozessen in den Mittelpunkt. Aus diesem Grund müssen wir uns auch selbstkritisch fragen, wie es uns gelingen kann, Menschen mit geistiger Behinderung stärker einzubinden. All diese Inhalte finden sich in dem Aktionsplan der Bundesregierung nicht ausreichend wieder.

DOSB-PRESSE: Welche Ziele stellen Sie sich - für die nächsten 20 Jahre?

ALBRECHT: Unser großes Ziel heißt Inklusion. Einfach übersetzt, bedeutet es ja nichts anderes als "mitten drin." Niemand soll aufgrund seiner Behinderung ausgegrenzt werden, er oder sie soll mitten drin bleiben, inkludiert sein in den Alltag wie alle anderen auch. Für das Sporttreiben von Menschen mit geistiger Behinderung bedeutet Inklusion die umfassende Wahlmöglichkeit im Sport. In enger Zusammenarbeit mit dem DOSB und den Sportverbänden haben wir das langfristige Ziel, diesen Ansprüchen gerecht zu werden und immer mehr Athletinnen und Athleten mit geistiger Behinderung in das Sporttreiben der Vereine einzubeziehen. Dass das keine einseitige Angelegenheit ist, zeigt die Zusammenarbeit im Alltag, die sich mit verschiedenen Verbänden - unter anderem mit dem DFB - sehr gut entwickelt. Dabei geht es unter anderem um gemeinsame Projekte, die Zusammenarbeit bei Sportveranstaltungen - wie bei den fünf regionalen Spielen in diesem Jahr - in der Wissenschaft oder dem Volunteering. Der große Erfolg des Projekts FussballFREUNDE, der Zulauf zu "Unified Sports"-Angeboten, bei denen Sportlerinnen und Sportler mit und ohne geistige Behinderung in einem Team Sport treiben, oder die engen Kooperationen im Rahmen der Europäischen Fußball- und Basketballwochen sind Beispiele dafür und stehen auch für geänderte Wahrnehmungen und Anschauungen.

DOSB-PRESSE: Und was steht in unmittelbarer Zukunft auf dem SOD-Plan?

ALBRECHT: Wir freuen uns auf eine ereignisreiche Zeit. Im November tagt unsere Mitgliederversammlung in Frankfurt, es stehen Neuwahlen an, und wir haben einige wichtige Termine in Vorbereitung auf das nächste Großereignis, die Special Olympics München 2012. Die Nationalen Sommerspiele für Menschen mit geistiger Behinderung werden vom 21. bis 26. Mai kommenden Jahres in der bayerischen Hauptstadt ausgetragen.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 43 / 25. Oktober 2011, S. 23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2011