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KULTUR/143: Theatergruppe "deaf5" führt Märchen auf - für Gehörlose und für Hörende (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 2/2011

GEHÖRLOSENTHEATER
Theatergruppe "deaf5" führt Märchen auf - für Gehörlose und für Hörende

Von Marion Leuther


Mit grimmigem Gesicht rührt die Köchin in einem Suppentopf. Sie ist verärgert, denn sie will den kleinen Jungen "Fundevogel" kochen. Doch der ist mit Lenchen auf der Flucht in den Wald, wo die beiden Kinder viele Abenteuer erwarten Ingrid Degwitz, die die Köchin spielt, ist gehörlos - ebenso wie die anderen vier Schauspieler der Kölner Theatergruppe "deaf5" ("deaf 5" bedeutet "Fünf Gehörlose").


Die Theatergruppe besteht seit vier Jahren. Die Mitglieder sind Amateurschauspieler, die sich der Theaterarbeit mit großer Leidenschaft widmen. Ihr bisher größtes Projekt war die Aufführung des Märchens "Fundevogel" nach den Gebrüdern Grimm, das im Februar 2010 im Kölner Comedia Colonia Theater Premiere hatte. "Fundevogel" ist Teil des Projekts "Einmal Prinz zu sein - auch gehörlose Kinder brauchen Märchen", das der Verein pur pur Kultur e.V. im August 2009 ins Leben gerufen hat.

"Ich habe selber eine gehörlose Nichte. Mit der Zeit habe ich dann festgestellt, dass es für gehörlose Kinder keine Theaterstücke und auch keine Filme gibt", sagt Monika Hilz, Regisseurin und Initiatorin des Gehörlosentheaters "deaf5". "So entstand die Idee, Märchen für gehörlose Kinder zu inszenieren. Die Gebärdensprache steht dabei im Zentrum der Theaterarbeit, denn sie ist das wichtigste Kommunikationsmittel für Gehörlose", erzählt die Theaterpädagogin.


Märchen durchs Theater kennenlernen

Gehörlose Kinder kennen oft keine Märchen. Denn hörende Eltern beherrschen häufig die Gebärdensprache nicht, und gehörlose Eltern haben ebenfalls keine Märchen kennen gelernt. Dies bestätigt "deaf5"-Schauspielerin Ingrid Degwitz: "Ich kannte als Kind nicht viele Märchen. Das hat sich erst geändert, als ich in die Schule gekommen bin. Märchen fand ich interessant und als Kind habe ich dann auch in zwei Märchen geschauspielert."

"Wir möchten mit unseren Auftritten sowohl Menschen mit als auch ohne Hörbehinderung ansprechen", erklärt Monika Hilz. "Die Situation für Gehörlose ist schwierig in Deutschland. Wir sind noch weit davon entfernt, eine inklusive Gesellschaft zu sein. So gibt es beispielsweise immer noch keine Gebärdensprache an Schulen." Inklusive Projekte wie das Gehörlosentheater können dazu beitragen, das Verständnis füreinander zu fördern, hofft Hilz. Darum wird das Stück "Fundevogel" in Gebärden- und Lautsprache (Sprechsprache) gezeigt. Hörende Schauspieler übersetzen das Märchen an wichtigen Stellen in die Lautsprache, damit auch Nicht-Gehörlose das Stück verstehen können.


Spannende Zusammenarbeit

Die Resonanz auf das Gehörlosentheater für Kinder und Erwachsene sei sehr positiv, so die Regisseurin. "Die Eltern sagen uns nach den Aufführungen, dass es schön ist, dass ihr gehörloses Kind auch einmal etwas mit seinen Geschwistern zusammen unternehmen konnte".

Das Gehörlosentheater ist seit der Premiere im Januar 2010 noch weitere Male mit dem Märchen "Fundevogel" aufgetreten. So spielte "deaf5" im Jahre 2010 unter anderem auf dem integrativen Theaterfestival "Inclusiv" in Essen und auf dem Internationalen Kulturfestival Sommerblut in Köln. Im Januar 2012 tritt die Gruppe mit dem Stück "Fundevogel" auch noch einmal im Stadttheater in Gütersloh auf.

Die Arbeit mit den gehörlosen Schauspielern findet die Regisseurin spannend und produktiv. Sie lernt derzeit die Gebärdensprache, aber die Kommunikation bleibt eine Herausforderung. "Ein großer Erfolg ist es, dass die Zusammenarbeit zwischen mir und den Teilnehmern trotz der sprachlichen Barrieren so gut funktioniert", sagt Hilz. Für dieses Theaterprojekt werde sie zusätzlich von einer Gebärdensprach-Dolmetscherin unterstützt.


Neue Märchenaufführung im Herbst 2011

Das Gehörlosentheater wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet - es erhielt eine Belobigung beim Kölner Innovationspreis Behindertenpolitik im November 2010 und im Februar 2011 einen Preis im Wettbewerb "Ideen Initiative Zukunft", den der dm-drogerie markt in Kooperation mit der Deutschen UNESCO-Kommission bundesweit veranstaltet hatte.

Ihr Engagement brachte der Theatergruppe außerdem eine Einladung beim Bundespräsidenten Christian Wulff im Schloss Bellevue in Berlin ein. Auf einer Matinee zur gesellschaftlichen Teilhabe am 2. Dezember 2010 waren Regisseurin Monika Hilz und "deaf5"-Schauspielerin Ingrid Degwitz als Vertreterinnen des Ensembles unter den geladenen Gästen.

Die Theatergruppe hat inzwischen bereits ihr nächstes Projekt gestartet. Derzeit laufen die Proben für das Märchen "Frau Hohe", ebenfalls nach den Gebrüdern Grimm. Die Premiere findet im Herbst 2011 im Kölner Künstler Theater statt. Das diesjährige Projekt wird gefördert von der Stiftung Wohlfahrtspflege und der Kämpgen Stiftung.


KONTAKT

pur pur Kultur e.V.
Monika Hilz
Tondernstr. 25
50825 Köln
Tel.: (0221) 946 58 97
info@purpurkultur.de
www.purpurkultur.de


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Quelle:
Selbsthilfe 2/2011, S. 30-31
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2011