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MEDIEN/192: Zwischen Superkrüppel und Sorgenkind (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2009

MENSCHEN MIT BEHINDERUNGEN UND IHR BILD IN DEN MEDIEN

Zwischen Superkrüppel und Sorgenkind


Christof Stolle, Geschäftsführer der arbeitsgemeinschaft behinderung und medien e.V., gehörte ebenfalls zu den Rednern der Fachtagung in Köln.


Als die Behindertenbewegung in den achtziger Jahren ein neues, ein selbstbestimmtes Bild von Menschen mit Behinderungen einforderte, geriet auch die Medienlandschaft in Bewegung - ein eher zufälliges Zusammentreffen. Der Medienwelt wurde das beschert, was heute die politische Welt erfahren und bewältigen muss - Vielfalt. Interessanterweise gab es damals dieselbe Skepsis und Abwehrhaltung wie heute. Die arbeitsgemeinschaft behinderung und medien - die abm - wurde in diese Vielfalt hinein geboren, sie wäre ohne die veränderte Medienlandschaft nicht denkbar gewesen. Sie hatte sich ausschließlich um das Bild, um die Darstellung, um eine faire Zur-Schau-Stellung behinderter Menschen und ihres Alltags in den Medien zu kümmern. Das war eine unerhörte Frechheit damals! Es gab ja noch keine Spartenprogramme. Das war der Anspruch: Sendungen über und mit behinderten Menschen gehören in den Fernsehalltag! (...)


Freak-Show oder banaler Alltag?

Es ist eine Menge passiert in den letzten Jahrzehnten. Die großen öffentlich-rechtlichen Sender haben fast alle ein mehr oder weniger regelmäßig ausgestrahltes Fernsehmagazin zu Behindertenthemen. Hörfunkreportagen oder -features beschäftigen sich mit der Thematik. In den Printmedien ist das Thema "Behinderung" vom Ressort Medizin in die Hauptnachrichten gewandert. Es gibt eine wachsende Zahl von Publikationen, die Menschen mit Behinderungen selbst herausgeben, Hochglanzmagazine sind darunter. Es gibt den Rollstuhlfahrer in der Daily Soap, es gibt ChrisTine Urspruch, Erwin Aljukic, Bobby Brederlow. Menschen mit Behinderungen tauchen in Talk-Shows auf. Man hat zeitweise das Gefühl, Drehbuchschreiber von Spielfilmen kommen gar nicht mehr drum herum, zumindest einen obligatorischen Rollstuhlfahrer ins Geschehen einzubauen. (...)

Es gibt aber auch die große Differenz zwischen dem dargestellten Bild behinderter Menschen und ihrer tatsächlichen Rolle im Alltag. Wenn Sie mir hier einmal gestatten, etwas dicker aufzutragen - Menschen mit Behinderung sind beim üblichen 2-Minuten-30-Medienauftritt in der Gestalt von zwei Prototypen zu bewundern: Der Superkrüppel und das Sorgenkind. Der Superkrüppel hat zwei Möglichkeiten, um in die engere Wahl zu kommen: Entweder er hat den Ironman-Wettbewerb auf Hawaii mindestens zweimal gewonnen oder er hat ein derartig entsetzliches Schicksal aufzubieten, dass er nur deshalb nicht mit dem Kopf unter dem Arm daher kommt, weil ihm der dazu erforderliche Arm ebenfalls nicht mehr zur Verfügung steht. Das Sorgenkind hat es da einfacher, auch deshalb, weil es schon länger im Mediengeschäft steht als der Superkrüppel. Es muss sich lediglich an den bewährten Text halten: Kurze Schilderung des traurigen Schicksals mit leiser Stimme, dabei sind Aufnahmen der Familie aus besseren Zeiten zu sehen (Kurzer Hinweis im OFF - die Eltern sind inzwischen verstorben), die aussichtslose Zukunft wird gestreift und zum Schluss - wieder im On - ein brüchiges "Dankeschön" mit Einblendung des aktuellen Spendenkontostandes. Beide - Superkrüppel wie Sorgenkind - hätten vielleicht tatsächlich noch eine sehr interessante Lebensgeschichte vorzuweisen. Die muss aber leider unberücksichtigt bleiben, denn die Sendezeit ist um. Wie gesagt, es sind Prototypen. Die Medienrealität bietet mildere Varianten - dennoch: Die Freak-Show bleibt eine große Versuchung für Produzenten wie Kunsumenten.

Nun könnte man sagen, hier ist - wie so oft - der Zuschauer doch schon etwas weiter als es die Medien wahr haben wollen. Die Redaktion beim Zweiten Deutschen Fernsehen, die auch für unsere 3sat-Sendereihe "Aus anderer Sicht" zuständig ist, hat sich deshalb die Mühe gemacht, die Wünsche ihres Publikums in Erfahrung zu bringen. Heraus kam Ernüchterndes: Das Publikum ist durchaus an Sendungen zu Behindertenthemen interessiert, würde auch gerne mehr davon sehen. Es möchte allerdings nicht, dass der im Beitrag gezeigte behinderte Mensch dem Zuschauer auf gleicher Augenhöhe begegnet. Er sollte - ungeschminkt ausgedrückt - entweder Objekt der Bewunderung oder des Mitleids sein. Das haben wir zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen.

Die stärkere Präsenz von Behindertenthemen, von Menschen mit Behinderungen in den Medien gibt es inzwischen. Dennoch werden Sie nach wie vor mit dem ja schon fast abgedroschenen Satz provozieren können: Es ist normal, verschieden zu sein. Genauso normal muss es aber werden, dass ein gehörloser Mensch sich in einer Fernseh-, einer Radiosendung, einem Zeitungsinterview äußert. Und zwar nicht nur zur neuesten Generation von Cochlea-Implantaten. Sondern auch zu der Frage, ob Lukas Podolski beim 1.FC Köln besser aufgehoben ist als bei Bayern Mönchen. Dass dieser Weg zur Normalität von Behinderung für den nicht behinderten Menschen beschwerlicher ist als für den behinderten Menschen, das liegt auf der Hand.

Während angesichts der Stars und Sternchen, der Prominenten und derer, die sich dafür halten, die Sehnsucht des Publikums wächst, einen Zipfel Normalität zu erhaschen, Prominenz zum Anfassen zu bekommen, ist es angesichts eines behinderten Menschen, der mir in den Medien begegnet, genau umgekehrt. Weil ich Berührungsängste habe, bin ich gerade daran interessiert, den Betreffenden auf einen möglichst hohen Sockel der Außergewöhnlichkeit zu stellen. Den will ich ja nun gerade nicht zum Anfassen bekommen. Das schließt natürlich nicht aus, dass ich dem Rollstuhlfahrer auch mal in die U-Bahn helfe, dem sehbehinderten Menschen über die Straße - ich kann mich ja anschließend wieder von ihm verabschieden. Wenn ich aber den Alltag eines behinderten Menschen zu mir ins Wohnzimmer geliefert bekomme - und mag er noch so spektakulär und interessant sein - dann ist mir das zu nah. (...)

Behinderung in den Medien heißt für mich aber auch Diskussion über Behinderung, die in den Medien geführt wird. Wir haben gerade im Bereich der Gentechnik - um nur ein Beispiel zu nennen - ein großes Feld an Themen, die auch von behinderten Menschen kontrovers diskutiert werden. Wir stehen vor der aktuellen Situation, dass die pränatale Diagnostik uns zum Beispiel ein Ende der Behinderung "Down Syndrom" bescheren könnte - wollen wir das? Ich halte es für überfällig, dass zu dieser Diskussion auch Experten hinzugezogen werden - Experten in eigener Sache.

Wir stehen also - um das Ganze noch einmal zusammenzufassen - vor der paradoxen Situation, dass Menschen mit Behinderungen in der Öffentlichkeit in einer Weise präsent sind, wie das noch nie in der Geschichte der Fall war, man aber trotzdem das Gefühl nicht los wird, dass es sich hier um eine Art Schein-Öffentlichkeit handelt. (...)

"Fremd ist der Fremde nur in der Fremde" sagt Karl Valentin, doch es wäre grundfalsch, daraus die Konsequenz zu ziehen, lieber zu Hause zu bleiben. Medien sind ein Experimentierfeld. Wir können hier durchaus etwas durchspielen, was in der Gesellschaft noch nicht so reibungslos funktioniert. Wir müssen nur gewaltig aufpassen, dass wir die Kunstwelt nicht mit der Realität verwechseln. Ein Medium ist immer eine vermittelnde Instanz und kein Schatzkästlein einer illusionären Scheinwirklichkeit. Die Wirklichkeit sieht derzeit so aus, dass behinderte Menschen wieder einmal deutlich gezeigt bekommen: Wir tun ja gerne etwas für euch, wenn wir etwas für euch übrig haben. Aber ansonsten stellt euch bitte hinten an! (...)

Dass der Umgang mit Behinderung in der Öffentlichkeit zu einer Selbstverständlichkeit wird, das können Medien nur begleiten, nicht initiieren. Dass Behinderung aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt wird, das können Medien allerdings verhindern helfen. Denn der Status Quo ist nicht unveränderlich - es gibt inzwischen auch einiges zu verlieren. Es gibt aber auch immer noch eine Menge zu gewinnen - wenn wir die Fahrt nicht schon von vorneherein bedauern.


Der Autor Christof Stolle ist Geschäftsführer der arbeitsgemeinschaft behinderung und medien e.V. in München. Aus Platzgründen können wir seinen Beitrag nur in stark gekürzter Form abdrucken.


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Quelle:
Selbsthilfe 1/2009, S. 34-35
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2009