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MEDIEN/214: 50 Jahre Der Ring - Happenings, Hearings und Häuser-Rochade in den Achtzigern (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Mai 2011

50 Jahre DER RING 1961-2011
Happenings, Hearings und Häuser-Rochade

Von Robert Burg


Prominente Besucher und gemeinsame Feste, aber auch hitzige Debatten über Umweltschutz und Weltfrieden prägen die frühen 1980er-Jahre in Bethel. DER RING dokumentiert eine Zeit, in der Bethel zwar keine Umbrüche und Krisen durchstehen muss, aber auch nicht zur Ruhe kommt.


Aus Sicht vieler Menschen mit Behinderung beginnen die Achtzigerjahre wenig erfreulich. Eine UNO-Schöpfung, das "Jahr der Behinderten", wird heftig kritisiert. Viele fühlen sich ausgeschlossen und übergangen; bei der Eröffnungsfeier in Dortmund kommt es zu wütenden Protesten. Vermittelnde Töne schlägt Anstaltsleiter Pastor Johannes Busch in der Mai-Ausgabe 1981 an: "Sicher brauchen wir so ein Jahr nicht, aber wenn es schon eins gibt, liegt es an uns, ihm eine sinnvolle Richtung zu geben."

Ebenfalls polarisierend wirken Politiker-Besuche auf die Bethel-Gemeinde. Als "eine Demonstration für Bethel" will Bundeskanzler Helmut Kohl seinen Besuch im März 1985 verstanden wissen. Es wird eine Demonstration gegen Helmut Kohl. Auf der Abschlussveranstaltung in der Kollegschule kommt es zum Eklat: Zivildienstleistende verlesen Petitionen, übertönen den Regierungschef und persiflieren die Nationalhymne. Neben Reizthemen rund um den Zivildienst geht es um die großen Themen der Zeit - "Nachrüstung, Waffensysteme, Weltraumwaffen". Aber es kommt kein Austausch zu Stande, notiert Redakteur Manfred Heilmann enttäuscht und spricht von einer "vertanen Chance". Glücklicher verlief der Besuch von Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Februar desselben Jahres.

DER RING gewährt nicht nur Ausblicke auf die "große Politik", sondern auch Einblicke in die Lebenswelt der Menschen in Bethel. So erfahren die Leser im Juli 1981 aus einem Interview mit Rita Martin und Brigitte Siekmann, wie es im Bethel-eigenen Restaurantbetrieb zugeht. Die beiden Ophir-Mitarbeiterinnen werben um Verständnis für behinderte Kinder, verraten das Lieblingsgericht ihrer Gäste -"Pommes!" - und berichten vom konfliktträchtigen "Dauerbrenner" Alkohol. Dessen Ausschank ist nur zusammen mit einem Essen gestattet, doch immer wieder versuchen Gäste, die Mitarbeiterinnen auszutricksen: Essensbestellung antäuschen, Bier erhalten, dann plötzliche Appetitlosigkeit vermelden. Aber mittlerweile seien die "Pappenheimer" bekannt, betont Brigitte Siekmann. Auf Alkohol verzichtet wird ab April 1982 bei der Abendmahlsfeier. Johannes Busch kündigt an, in der Zionsgemeinde künftig Traubensaft statt Wein auszuteilen, um suchtkranke Gemeindemitglieder nicht auszugrenzen.

100 Jahre Eckardtsheim

Weil sich Bethel in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts stark entwickelte, gibt es 100 Jahre später viele Jubiläen. Das volle Jahrhundert wird in Eckardtsheim 1982 mit einem Festgottesdienst gefeiert. Bei der 100-Jahr-Feier in Wilhelmsdorf sorgt eine Kuh für einen Höhepunkt: Während der Festlichkeiten bringt sie ihr Kalb zur Welt, woran die Gäste begeistert Anteil nehmen. Ebenfalls 100 Jahre alt werden 1984 die Zionskirche und der Bielefelder Stadtteil Gadderbaum, in dem Bethel liegt. Den 150. Geburtstag Friedrich von Bodelschwinghs 1981 begeht DER RING mit einer zehnteiligen biografischen Serie.

Der Umweltschutz beschäftigt die Menschen in Bethel. Die Kernenergie-Debatte wird nicht nur an der Kirchlichen Hochschule Bethel geführt, weitere aktuelle Themen kommen bei so genannten "Hearings" zur Sprache:

Wie viel Streusalz ist nötig? Was ist Unkraut und was nicht? Wie kann verantwortungsvoll mit Ressourcen umgegangen werden? Die Diskussionen fruchten: 1985 wird der erste Altpapier-Container vor der Kirchlichen Hochschule aufgestellt, der Dritte-Welt-Laden Bethel sammelt Aluminium, und der Umweltkreis der Zionsgemeinde richtet Informationsveranstaltungen über umweltfreundliche Wasch- und Reinigungsmittel aus.

Die Umwelt der Menschen in Bethel verändern auch Plakate und Graffitis. Pastor Busch ist von einem nachts entstandenen Bild auf einer Lüftungsanlage des Hauses Emmaus angetan. Er findet "das Bild und vor allem die Idee, den grauen Entlüftungsschacht zu beleben, ganz ausgezeichnet". Am Familientisch wird dem Anstaltsleiter entgegengehalten, so etwas "Schönes, Lebendiges, Lustiges" könne man in Bethel nur heimlich machen. Gar nicht lustig findet ein RING-Leser das nächtliche Kunstschaffen: "Muss das Häuserbeschmieren auch in Bethel Platz gewinnen? Das ist ein sehr schlechter Anblick, und die entstehenden Kosten für die Säuberung werden wohl nicht bedacht!", schreibt er im Oktober 1982. Ähnlich bewertet wird das "wilde Plakatieren" an Wänden, Mülltonnen und sogar Bäumen. Neben dem unordentlichen Anblick und der unnützen Papierschwemme ärgert den Verfasser eines anderen Leserbriefs vor allem eines: "Die meisten Terminankündigungen sind veraltet!"


Aktionsprogramm

Während die Siebzigerjahre von rasanten Entwicklungen und reger Bautätigkeit geprägt waren, beginnen die Achtzigerjahre gemächlich. Doch auch in dieser "Konsolidierungsphase" gibt es Bauprojekte: In Eckardtsheim entstehen die Häuser Rehoboth und Heidegrund, in Bethel das Haus iabbok, das Berufsbildungswerk und das Feierabendhaus Abendstern. Für Dynamik sorgt das "Aktionsprogramm Psychiatrie". Mit. ihm wird die Umsetzung der 1979 beschlossenen psychiatrischen Pflichtversorgung für den Stadtbezirk Bielefeld vorbereitet, die Bethel ab 1985 übernimmt. Um dieser Aufgabe gewachsen zu sein, müssen "die organisatorischen, strukturellen und baulichen Voraussetzungen" geschaffen werden, informiert Johannes Busch die Leser im Januar 1984. Dazu werde in Gilead III und in Morija umgebaut, Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Langzeitbereich zögen um in kleinere Häuser in Bethel und Eckardtsheim.


Diskussionsstoff

"Es gab Verunsicherungen unter den Patienten und Enttäuschungen unter den Mitarbeitenden. Zugleich aber haben viele tatkräftig an der Verwirklichung der Pläne mitgearbeitet", berichtet der Anstaltsleiter. Auch die Klinik Kidron ist an der Rochade der Häuser beteiligt: Die ehemalige Psychiatrieklinik für Frauen wird zur Epilepsie-Kinderklinik. In dem komplexen Prozess spielt Dr. Niels Pörksen eine Schlüsselrolle, der im Januar 1984 als leitender Arzt der Psychiatrie im RING vorgestellt wird. Wissenschaftliche Forschung aus Bethel sorgt für Diskussionsstoff, vor allem Arbeiten von Prof. Dr. Gerhard Veith und Dr. Wilhelm Schwindt in der "Nichtsesshaftenforschung". In den Siebzigerjahren stellten die Ärzte die Hypothese auf, dass es Zusammenhänge zwischen Hirnschädigungen und Obdachlosigkeit gäbe. Weitere Untersuchungsergebnisse belegen statistische Anhäufungen von verschiedenen Erkrankungen, wie etwa Tuberkulose oder Bindegewebsschwäche. Krankheit sei nicht allein die Ursache für Nichtsesshaftigkeit, sie sei aber ein wesentlicher Faktor sozialen Scheiterns, sagt Dr. Wilhelm Schwindt in der März-Ausgabe 1982.

Der medizinisch-klinische Bereich im Akutkrankenhaus Bethel wird ausgebaut. 1981 nimmt die Neurochirurgie unter der Leitung von Prof. Dr. Hartmut Sollmann die Arbeit auf. Zwei Jahre später folgt ein Dialysezentrum in Gilead II mit 26 Plätzen. Aber auch über Rückschläge berichtet DER RING im Februar 1985: Der Antrag auf einen Kernspintomografen beim Land NRW wurde abgelehnt.


Die "neue Pest"

Eine "geheimnisvolle, allgemeingefährliche Infektionskrankheit" verunsichert die Menschen. In Bethel finden Veranstaltungen zu AIDS statt. Bielefelder Ärzte aus Kliniken und Praxen erhalten fundierte Informationen über die unbekannte Erkrankung, die viele Medien reißerisch als "neue Pest" handeln. "So schlimm die Krankheit ist, noch schlimmer sind die Folgen der Hysterie", zitiert DER RING die Frankfurter AIDS-Expertin Prof. Dr. Eilke Belm im November 1985.

An eine "Tabuzone" wagt sich Prof. Dr. Alfred Jäger heran, der an der Kirchlichen Hochschule über die Diakonie als ökonomisches Unternehmen spricht. In einem Vortrag, den DER RING im Februar 1983 veröffentlicht, prognostiziert der Theologe "magere Jahre", denen "mit Phantasie, kluger Überlegung und kompetentem Management" begegnet werden müsse. "Ökonomische Rationalität und christlicher Glaube könnten sich gegenseitig bestärken in einer praktischen Liebe, die weiß, was sie will und soll", sagt der Theologe, der 1985 Rektor der Kirchlichen Hochschule Bethel wird. Ökonomie sei nicht die Bremse der Theologie, sondern der Motor eines diakonischen Unternehmens.


Friedensbewegung

Die Friedensbewegung ist in Bethel überall spürbar. Einigen wird es zuviel. So berichtet Prof. Dr. Gerhard Ruhbach im Februar 1983 verärgert von einem unorthodoxen Silvester-Gottesdienst: "Ein Gottesdienst soll kein Happening und keine Demonstration sein." Aber es wurde "eine überdimensionale Papprakete in die Zionskirche getragen, die den Altar verstellte". Etliche Gemeindemitglieder verließen daraufhin spontan die Kirche. Widersinnigerweise habe das Friedensthema eher Streit als Frieden ausgelöst, schreibt Gerhard Ruhbach resigniert.


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Quelle:
DER RING, Mai 2011, S. 14-16
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2011