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MEDIZIN/181: Positionspapier zur medizinischen Versorgung von erwachsenen Menschen (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 3/2010

POSITIONSPAPIER DER ASBH

Medizinische Versorgung von erwachsenen Menschen


Die Umsetzung der UN-Konvention voranzutreiben und den Paradigmenwechsel von der Integration hin zur Inklusion zu vollziehen, sind für den Behindertenbeauftraten Hubert Hüppe die Kernaufgaben und sein erklärtes Ziel. In diesem Zusammenhang entstand auf seinen Wunsch das nachfolgende Positionspapier der ASBH - der Arbeitsgemeinschaft Spina Bifida und Hydrocephalus e.V. -, deren Mitglieder er ist. Hubert Hüppe wird mit Hilfe dieser schriftlichen Eingabe zur medizinischen Versorgung von erwachsenen Menschen mit Behinderung das Thema an den entscheidenden Stellen weiterverfolgen.

www.behindertenbeauftragter.de




Die Problemlage

Menschen mit Spina bifida (bei 80% liegt zusätzlich ein Hydrocephalus vor) benötigen eine interdisziplinäre, gut vernetzte medizinische Versorgung von Urologie, Neurologie, Neurochirurgie, Orthopädie in Verbindung mit pflegerischer Anleitung (Kontinenzberatung, Bowlmanagement), idealerweise auch weiteren Behandlungen wie Physiotherapie oder Ernährungsberatung. Die individuellen Auswirkungen können je nach Lähmungshöhe zudem sehr unterschiedlich sein und reichen vom Fußgänger bis zur hohen Querschnittlähmung mit stark eingeschränkter Mobilität und hohem Pflegeaufwand. Eine medizinische Versorgung im Sinne der Prävention und Optimierung der Selbständigkeit sollte daher regelmäßig in spezialisierten Kliniken oder Praxen erfolgen, in denen die verschiedenen Fachrichtungen zusammenarbeiten und Ärztinnen und Ärzte durch Erfahrungen in der Behandlung einer größeren Zahl von Menschen mit Spina bifida das erforderliche Fachwissen haben. Idealerweise erfolgt eine Abstimmung der Behandlung und Therapien mit dem wohnortnahen Hausarzt.

Für Kinder und Jugendliche gibt es Sozialpädiatrische Zentren (SPZ) mit Spina bifida-Ambulanzen, die diese Voraussetzungen erfüllen. Die Erfahrungen sind hier positiv: die Kinder werden regelmäßig untersucht, Pflege, medizinische Maßnahmen und Therapien werden altersgerecht angepasst, so dass die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen gefördert wird und gesundheitliche Risiken (z. B. Dekubiti, Harnwegsinfekte und Schädigung der Nieren) minimiert werden. Mit der Volljährigkeit bricht diese Versorgungsstruktur ersatzlos weg. Die erwachsenen Menschen verlassen das Elternhaus und suchen in der Nähe nicht spezialisierte Ärztinnen und Ärzte auf, bei denen sie oft der einzige Patient mit Spina bifida sind. Die interdisziplinäre Versorgung bricht so ab, doch ist gerade sie bei komplexen Auswirkungen für die Gesundheitsvorsorge entscheidend. Viele Menschen gehen mangels spezialisierter Einrichtungen auch erst bei akuten Beschwerden zu einem Arzt und vernachlässigen die lebenswichtige gesundheitliche Prävention. So werden Erfolge, die in der Jugend erzielt wurden, gefährdet. Die Behinderung endet jedoch nicht mit 18 Jahren, sondern erfordert eine lebenslange Compliance. Orthopädische Maßnahmen müssen beispielsweise dauerhaft angepasst werden, sonst kommt es zu Verschlechterungen mit Einschränkungen der Mobilität. Erwachsene Menschen mit Spina bifida haben derzeit keine Möglichkeit, regelmäßig (mindestens einmal jährlich) einen Gesundheitscheck zu machen und die Versorgungen anzupassen. Dies ist im Sinne der Prävention infolge des komplexen Behinderungsbildes jedoch ebenso notwendig wie im Kindes- und Jugendalter, auch wenn die Untersuchungsintervalle - ohne Indikation oder akute Probleme - weniger eng sein müssen.


Lösungswege

In Mainz, Erlangen und Berlin haben die Sozialpädiatrischen Zentren bereits die Genehmigung, über das 18. Lebensjahr hinaus zu behandeln. Hierbei ist es allerdings nur in Mainz möglich, auch Patientinnen und Patienten aufzunehmen, die hier nicht bereits im Kindes- oder Jugendalter in Behandlung waren. Die Erfahrungen mit der Erwachsenenversorgung sind hier sehr gut, und es ist sicher sinnvoll, vorhandene Strukturen zu nutzen und auszubauen. Die Ärztinnen und Ärzte, die auch erwachsene Menschen mit Behinderung behandeln, bekommen zudem auch für die Behandlung der Kinder ein verbessertes Wissen über die Entwicklungsperspektiven und Veränderungen, die im Erwachsenenalter auftreten können. Die Genehmigung für die SPZs, auch erwachsene Menschen aufzunehmen, wäre hierbei nicht nur bei Spina bifida eine Lösungsmöglichkeit für die derzeit äußerst problematische Situation. Im Sinne der Inklusion und Verantwortung für die eigene Gesundheit müssen auch erwachsenen Menschen mit Behinderung fachgerechte medizinische Versorgungsstrukturen zur Verfügung stehen, an die sie sich sowohl für die Vorsorge als auch im akuten Fall (z. B. Ventilversagen bei Hydrocephalus, motorische Verschlechterungen bei Arnold-Chiari-Symptomatik) wenden können.

Auch Schwerpunktpraxen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte für Menschen mit Spina bifida sind für die medizinische Versorgung wünschenswert. Die Bereitschaft, sich auf die Behandlung von Menschen mit Behinderung zu spezialisieren, wird jedoch durch die Budgetierung der Verordnungen unterlaufen. Die Behandlung von Spina-bifida-Patienten führt fast zwangsläufig zur Budgetüberschreitung. Hier sind Sonderregelungen für Schwerpunktpraxen, die den behinderungsbedingten Mehrbedarf im Budget berücksichtigen, unbedingt erforderlich. Dieses Problem wurde mit dem Schreiben von Dr. Andreas Rutz (Gießen) bereits gesondert angesprochen.

ASBH E.V.


ASBH

Die Arbeitsgemeinschaft Spina Bifida und Hydrocephalus e. V. (ASBH) setzt sich als bundesweite Selbsthilfeorganisation seit über 40 Jahren für Menschen mit Spina bifida (angeborene Querschnittlähmung) und/oder Hydrocephalus (Störung des Hirnwasserkreislaufs), ihre Angehörigen und Freunde ein. Die ASBH bietet in mehr als 70 Selbsthilfegruppen vor Ort die Möglichkeit, sich zu informieren, auszutauschen und zu engagieren.

www.asbh.de
asbh@asbh.de



ASBH - KONTAKT
Arbeitsgemeinschaft Spina
Bifida und Hydrocephalus ASBH e.V.
Bundesgeschäftsstelle
Grafenhof 5
44137 Dortmund
Tel.: (0231) 86 10 50-0
Fax:  (0231) 861050-50
www.asbh.de

Ilona Schlegel
Geschäftsführerin


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Quelle:
Selbsthilfe 3/2010, S. 36-37
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2010