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POLITIK/458: Ausschreibung gefährdet Versorgungsqualität (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 2/2009

BUNDESTAGSWAHL 2009:
Parteien stehen Rede und Antwort

Dr. Ilja Seifert - Die LINKE

Ausschreibung gefährdet Versorgungsqualität


GESUNDHEITSPOLITIK

Solidarisches Gesundheitssystem

Das Gesundheitssystem ist geprägt durch Kommerzialisierung, Privatisierung und Zwei-Klassen-Medizin. Die fehlende nachhaltige Finanzierung führt zu einer schleichenden Rationierung innerhalb des GKV-Leistungskatalogs.

Für jeden Menschen müssen aber die medizinisch erforderlichen Leistungen bereitstehen, um unabhängig von Alter, Geschlecht, Wohnort oder Einkommen die erforderliche Hilfe zu erhalten, Gesundheitsrisiken zu bekämpfen und Krankheiten zu heilen. Ziel muss die Förderung körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens sein. Die Qualität der Behandlung muss unabhängig davon sein, wie/wo ein Mensch krankenversichert ist. Barrieren bei der Inanspruchnahme dieser Leistungen (Zuzahlungen, Praxisgebühr, Krankenhausbeteiligung etc.) müssen abgeschafft werden, damit Menschen mit geringem Einkommen nicht von der Versorgung ausgeschlossen werden.

Unsere zentrale Forderung ist die Einführung einer solidarischen BürgerInnenversicherung.

Die solidarische Finanzierungsbasis muss gestärkt werden - alle zahlen in eine Kasse ein, egal ob Hartz-IV-Empfängerin oder Manager. Es werden Arbeitseinkommen und Einkommen aus Vermögen und Grund- und Hausbesitz berücksichtigt. Zentrale Elemente einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung sind:

- Alle Menschen sind gemeinsam versichert.
- Alle erforderlichen Leistungen werden bezahlt.

Jeder zahlt den gleichen Anteil seines Einkommens - wer wenig hat, zahlt wenig, wer mehr hat, zahlt in absoluten Beträgen mehr. Und alle werden gleich behandelt. Die Private Krankenversicherung kann zukünftig Zusatzversicherungen anbieten.


Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich

Die Begrenzung auf 80 Krankheiten ist tatsächlich willkürlich. Wir fordern einen umfassenden morbiRSA, damit das Jagen nach den jungen und gesunden Versicherten keinen Sinn mehr macht. Für den umfassenden morbiRSA sind Begrenzungen der Zahl zu berücksichtigender Krankheiten abzulehnen.


Hilfsmittelversorgung

Wir unterstützen die Forderung nach einer Neuregelung. DIE LINKE ist gegen das Ausschreibungsverfahren, denn:

Die Versorgungsqualität wird gefährdet, wenn durch Ausschreibungen vor allem der billigste - nicht unbedingt der wirtschaftlichste - Anbieter ermittelt wird.
Die Versicherten verlieren den Vorteil einer großen Auswahl an Leistungserbringern.
Hilfsmittel sind keine Massenprodukte, sondern Sonderanfertigungen. Weil Hilfsmittel in der Regel arbeitsintensiv angepasst werden müssen, gehört zu der Leistung immer auch eine beträchtliche Dienstleistungskomponente. Durch den Preiswettbewerb in den Ausschreibungen werden insbesondere die Dienstleistungen zu Lasten der Patienten und ihre Versorgung reduziert.
Wenn als Folge von Ausschreibungen nur noch wenige Anbietergruppen und Großbetriebe bestehen, wird eine flächendeckende wohnortnahe Versorgung der Versicherten gefährdet. Die Hilfsmittelerbringer wären dann nur noch überregional oder im Internet tätig.


Arzneimittelversorgung

DIE LINKE unterstützt das Ansinnen, die Arzneimittelversorgung transparenter zu machen und auch die Kosten im Rahmen zu halten. Wir fordern deshalb die Einführung einer Positivliste mit Festpreisbindung für Arzneimittel. Darüber hinaus ist die Mehrwertsteuer für Arzneimittel auf den ermäßigten Satz von derzeit 7 Prozent zu reduzieren.


"Sprechende Medizin"

DIE LINKE kämpft für eine gerechtere Honorierung der ärztlichen Leistungen. Es ist nicht einzusehen, dass beispielsweise Orthopäden oder Radiologen ein Vielfaches dessen verdienen, was ein Hausarzt bekommt, der ja das Synonym für sprechende Medizin ist. Es geht aber nicht, lediglich die hausärztliche Versorgung aufzuwerten: Gleichzeitig müssen die hohen Arzthonorare gekürzt werden, damit dieser Schritt finanziert werden kann.


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TEILHABE BEHINDERTER MENSCHEN

Inklusive Bildung - Pflegeversicherung - Behindertenrechtskonvention

DIE LINKE unterstützt die Forderung nach freier Wahl der Schule, auf die ein behinderter Mensch zu gehen wünscht. Denn es geht um Inklusion.

Die Forderung nach einer Aufnahme der Pflegeversicherung in das SGB IX ist Beschlusslage der Fraktion. Wir haben mit verschiedenen Anträgen versucht, die Bundesregierung auf die Einhaltung und Umsetzung der Behindertenkonvention hinzuweisen. Davon werden wir nicht ablassen.

DIE LINKE setzt sich dafür ein, Selbstbestimmung zum dominierenden Prinzip in der Fürsorge zu machen, und unterstützt den Selbstvertretungsanspruch von Menschen mit Behinderung auch durch aussichtsreiche Listenplätze für Parlamentsmandate. Sie fordert:

ein umfassendes und wirkungsvolles Antidiskriminierungsgesetz;
ein Nachteilsausgleichsgesetz, das die bisherigen Einkommens- und Vermögens- bzw. Bedürftigkeitsprüfungen behinderter Menschen und ihrer Angehörigen abschafft;
dauerhafte Arbeitsplätze, Beschäftigungs- und Ausbildungssicherung für Menschen mit Behinderungen;
das Recht auf persönliche Assistenz in allen Lebensbereichen, um ein selbstbestimmtes Leben zur Normalität werden zu lassen; die Stellung schwer geistig und mehrfach behinderter Menschen sowie von psychisch Kranken muss gestärkt werden;
praktische, an der Familie orientierte offene Hilfen, die auch Alleinerziehende unterstützen, mit gesetzlich geregelter rechtlicher und finanzieller Absicherung (für Beratung, familienentlastende Dienste, ambulante Frühförderung, integrative Angebote und Plätze in Krippen, Kindergärten und Schulen sowie in weiteren Bildungseinrichtungen und Vereinen);
Anhebung des steuerfreien Pauschbetrags für schwer behinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer;
gemeinsame Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung in allen Entwicklungsphasen;
Verbesserung der Teilhahemöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen durch Beseitigung bzw. Verhinderung baulicher und kommunikativer Barrieren.

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FREIWILLIGES SOZIALES ENGAGEMENT

Selbsthilfe

DIE LINKE unterstützt dieses Anliegen. Wenn schon Menschen ehrenamtlich aktiv sind, so muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, sich im Bereich der freiwillig erbrachten Leistungen zu qualifizieren. Das Ehrenamt muss zusätzlich durch eine stärkere steuerliche Anrechenbarkeit gefördert werden.

Unser Antrag "Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements" (Drs. 16/5245) führt u.a. auf: Förderung der Anerkennungskultur (regelmäßige Berichterstattung in Medien etc.), Ausbau des Versicherungsschutzes, kostenlose Qualifizierungskurse, Erstattung tatsächlicher Aufwendungen (im Pflegebereich: Schulung und Fortbildung, Festlegung von Qualitätsstandards, Entschädigungen).

Wir unterstützen Engagierte, kritisieren aber die Ersetzung qualifizierter, regulärer Arbeitsplätze durch bürgerschaftliches Engagement. Ja, das Ehrenamt leistet einen bedeutenden gesellschaftlichen Beitrag. Aber wie weit muss und darf bürgerschaftliches Engagement überhaupt soziale Aufgaben bewältigen? Bürgerschaftliches Engagement ist für DIE LINKE kein Ersatz für eine gerechte Steuer- und Sozialpolitik.

Unbezahlte Arbeit kann keine gerechte Verteilungspolitik ersetzen und die weit auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich schließen. Der Staat muss mehr selbstgestaltend aktiv werden. Der Abbau der öffentlichen Daseinsvorsorge ist der falsche Weg.

Wenn die Regierung ehrenamtliches Engagement nur fördert, um den eigenen Haushalt zu entlasten, ist das bedenklich. Gesamtgesellschaftliche Probleme dürfen aber nicht auf die aufopferungsvoll tätigen Freiwilligen abgewälzt werden.


Jugendfreiwilligendienste

DIE LINKE sieht deutliche Lücken und Ungerechtigkeiten im Gesetz über die Jugendfreiwilligendienste. Freiwilliges Engagement darf aber nicht zum Notnagel beim Abbau des Sozialstaates werden. Jugendfreiwilligendienste dürfen nicht als Warteschleife für fehlende betriebliche Ausbildungsplätze missbraucht werden. Sie dürfen weder reguläre Arbeitsplätze ersetzen, noch zur Ausdehnung des Niedriglohnsektors führen, was im Pflegebereich aber leider schon fast Normalität ist.

Freiwilligendienste und bürgerschaftliches Engagement dürfen nicht all das übernehmen, was die öffentliche Hand nicht mehr finanzieren will. Deshalb ist die Bundesregierung aufgefordert, in Richtung öffentlich finanzierter Beschäftigung aktiv zu werden.

Eine der wichtigsten Forderungen im Pflegebereich und für Menschen mit Behinderung ist die sofortige Einführung eines Gesetzes, das das Recht auf persönliche Assistenz in n Lebensbereichen gewährleistet, damit ein selbstbestimmtes Leben in Arbeit, Studium, Haushaltsführung und Freizeit zur Normalität wird.


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Quelle:
Selbsthilfe 2/2009, S. 22-23
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2009