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POLITIK/459: Solidarität durch Bürgerversicherung (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 2/2009

BUNDESTAGSWAHL 2009:
Parteien stehen Rede und Antwort

Markus Kurth von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Solidarität durch Bürgerversicherung


GESUNDHEITSPOLITIK

Solidarisches Gesundheitssystem

Ein solidarisches Gesundheitssystem braucht eine gute und gerechte Finanzierungsgrundlage. Bisher können sich ausgerechnet die wirtschaftlich leistungsstärksten und im Durchschnitt auch gesündesten Bevölkerungsgruppen dem Solidarausgleich entziehen. Das ist ungerecht, führt zu unnötig hohen Beiträgen und gefährdet die Fähigkeit der Krankenversicherung, die wachsenden Anforderungen bewältigen zu können. Wir wollen deshalb in der Kranken- wie auch in der Pflegeversicherung eine Bürgerversicherung einführen. In ihr werden alle Bürgerinnen und Bürger in den Solidarausgleich einbezogen und die Beitragbemessungsgrenze angehoben. Vermögenseinkommen und Gewinne werden an der Finanzierung beteiligt.


Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich

Dass CDU/CSU und SPD die Zahl der im "Morbi-RSA" zu berücksichtigenden Krankheiten auf 80 begrenzt haben, hatte ausschließlich koalitionsinterne Gründe. Der CDU/CSU, die über Jahre hinweg die Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs bekämpft hatte, sollte die politische Gesichtswahrung ermöglicht werden. In der Sache gab und gibt es weder für die Begrenzung auf 80 Krankheiten noch auf irgendeine andere Zahl einen triftigen Grund. Jede Begrenzung unterscheidet zwischen Krankheiten erster Klasse, für die es Zuschläge gibt, und Krankheiten zweiter Klasse, die keine Berücksichtigung finden. Wir sprechen uns deshalb gegen jede Begrenzung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs aus.


Hilfsmittelversorgung

Wir haben - wie auch die BAG SELBSTHILFE - die "Neuregelung der Neuregelung" in der Hilfsmittelversorgung im vergangenen Jahr grundsätzlich begrüßt. Kritisiert haben wir, dass bei der Vereinbarung zur Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen keine Beteiligung der Betroffenenverbände vorgesehen war. Um zu beurteilen, ob die vorgenommenen Änderungen im Sinne der Betroffenen wirken oder ob weitere Korrekturen erforderlich sind, sollte noch vor der Bundestagsauswahl ein "Runder Tisch" mit allen Beteiligten einschließlich der Betroffenenverbände stattfinden.


Arzneimittelversorgung

Die Steuerung der Arzneimittelausgaben ist wichtig, um zu gewährleisten, dass auch in Zukunft alle Bürgerinnen und Bürger den Zugang zur medizinisch notwendigen Arzneimittelversorgung haben. Allerdings ist in Deutschland über die Jahre im Arzneimittelbereich ein immer dichterer "Regelungsdschungel" entstanden. Den wollen wir lichten. Die Regelungen sind auf das notwendige Maß zurückzuführen. PatientInnen und behandelnde ÄrztInnen sollten mithilfe einer Positivliste der erstattungsfähigen Arzneimittel den Überblick über die Medikamente haben können, die ihre therapeutische Qualität bewiesen haben und von den Krankenkassen auch bezahlt werden.


"Sprechende Medizin"

An der Entwicklung solcher Vergütungsformen haben Bündnis 90/Die Grünen ein großes Interesse. An der von der großen Koalition beschlossenen Reform der Ärztehonorare kritisieren wir insbesondere, dass sie zu erheblichen Verwerfungen führt, ohne Anreize für mehr Zuwendung und Qualität zu setzen. Tatsächlich besteht sogar das Risiko, dass ausgerechnet die "sprechende Medizin" unter den Veränderungen leidet. Darüber hinaus müssen solche Versorgungsformen unterstützt werden, die mehr auf Beratung und Information als auf technische Interventionen setzen. Die von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD während ihrer Regierungszeit angestoßene Stärkung der Hausärzte weist in diese Richtung und muss weiter verfolgt werden.



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TEILHABE BEHINDERTER MENSCHEN

Inklusive Bildung

Wir Grüne wollen, dass der gemeinsame Unterricht zur Regel wird. Nur das alltägliche Miteinander von jungen Menschen mit und ohne Behinderung sowie die Erprobung des gegenseitigen Respekts von klein auf macht die gleichberechtigte Wahrnehmung und Anerkennung von Menschen mit Behinderung zum Regelfall. Das Wunsch- und Wahlrecht bei der Auswahl der Betroffenen muss an erster Stelle bei der Auswahl geeigneter Schulformen stehen.

Zusammen mit den Ländern treten wir dafür ein, Entwicklungspläne zu erstellen, wie die Integration von Kindern mit zusätzlichem Förderbedarf zukünftig an den Regelschulen möglich werden kann.


Pflegeversicherung

Nach wie vor fehlt es an einem einheitlichen, rehabilitationswissenschaftlich abgesicherten und in der bundesweiten Verwaltungspraxis anerkannten Instrument zur Feststellung von wesentlichen Behinderungen und des Hilfebedarfs. Betroffene stehen somit vor dem Problem, Verwaltungsentscheidungen nicht ernsthaft überprüfen zu können. Bundesweit ist die Existenz von mehr als 60 verschiedenen Verfahren bekannt. Zur Stärkung der Position der Menschen mit Behinderungen ist es daher notwendig, ein modernes Verfahren zur Feststellung der Behinderung und des Bedarfs zu implementieren. Dabei ist auch die Pflegeversicherung als Rehabilitationsträger in das SGB IX aufzunehmen!


Behindertenrechtskonvention

Auch wenn das deutsche Recht für Menschen mit Behinderungen im internationalen Vergleich eine gute Position einnimmt, steht die deutsche Rechtsordnung durch das Übereinkommen vor großen Herausforderungen.

Ganz besonders deutlich zeigt sich dies in den Bereichen der Rechts- und Handlungsfähigkeit behinderter Menschen, der selbstbestimmten Teilhabe sowie bei dem Recht auf inklusive Bildung. So gibt es ganz offensichtlich einen Konflikt zwischen dem in der Konvention beschriebenen Recht auf gleiche Anerkennung als rechts- und handlungsfähige Person und dem bestehenden Konzept der rechtlichen Vertretung im deutschen Recht. Bündnis 90/Die Grünen wollen in einem Aktionsplan die Handlungsaufträge, die sich aus der Behindertenrechtskonvention ergeben, zusammentragen, um diese dann Schritt für Schritt in deutsches Recht umzusetzen.


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FREIWILLIGES SOZIALES ENGAGEMENT

Wir wollen Bürgerschaftliches Engagement stärken, indem wir die Menschen, die sich freiwillig und unentgeltlich engagieren, fördern und unterstützen und diejenigen, die es noch nicht tun, dazu ermutigen. Deswegen ist es wichtig, dass es auch im Bereich der Selbsthilfe unterstützende Infrastrukturangebote gibt. Für deren weitere Finanzierung haben wir uns in dieser Wahlperiode erfolgreich eingesetzt. Wir wollen, dass Infrastruktureinrichtungen auch in Zukunft nachhaltig finanziert werden. Gleichzeitig muss eine ressort- und ebenenübergreifende Vernetzung von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen entwickelt werden. Außerdem soll das Engagement der Freiwilligen im Sinne einer tatsächlichen Anerkennungskultur stärker als bisher gewürdigt und wertgeschätzt werden.


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Quelle:
Selbsthilfe 2/2009, S. 24-25
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2009