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POLITIK/479: Bürokratie und Staatsmedizin - Leitideen einer liberalen Gesundheitspolitik? (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2010

Bürokratie und Staatsmedizin - Leitideen einer liberalen Gesundheitspolitik?

Klartext von Dr. Martin Danner


Vor einem knappen Jahrzehnt waren die gesundheitspolitischen Lager noch wohl geordnet: Während sich Rot-Grün aufmachte, das Gesundheitssystem auf der Grundlage einer "Bürgerversicherung" zu organisieren, hielt das bürgerliche Lager mit der Idee der "Kopfpauschale" dagegen. Vermittelnde Lösungen standen zunächst nicht zur Debatte. Auch die im Jahr 2002 eingesetzte Lauterbach-Rürup-Kommission mühte sich redlich, konnte aber keinen Königsweg finden.


Erst der politische Druck, der dadurch entstand, dass man sich auf "irgendetwas" einigen musste, zwang SPD und CDU/CSU in der Großen Koalition zu einem Kompromiss: Es wurde der Gesundheitsfonds eingeführt, der im Sinne der SPD auch mit Steuern und sonstigen Mitteln "gefüttert" werden kann. Gleichzeitig wurden aber auch die Zusatzbeiträge eingeführt, die nur die Arbeitnehmer belasten, was im Sinne von CDU/CSU als "kleine Kopfpauschale" angesehen werden konnte.


Kehrtwende

Insbesondere im Lager der Union war man sicherlich froh, dass dieser Ausweg gefunden wurde, da die große Kopfpauschale in der Bevölkerung als ungerecht galt und gilt. Konsequenterweise hatte die CDU die Kopfpauschale im Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2009 gar nicht mehr berücksichtigt. Für die CSU war die Kehrtwende in Sachen Kopfpauschale ohnehin beschlossene Sache, nachdem Horst Seehofer - ein erklärter Gegner dieses Modells - das Ruder übernommen hatte.

Die FDP freilich blieb in der Opposition von derartigen Entwicklungen unberührt und schrieb stattdessen - um klare Kante bemüht - den Totalumbau des Gesundheitswesens auf ihre Fahnen.

Spätestens das Hickhack der Koalitionsverhandlungen im Herbst machte eines deutlich: Vorbei ist es mit dem einheitlichen bürgerlichen Lager in Sachen Finanzierung des Gesundheitssystems. Nur wachsweiche Formulierungen im Koalitionsvertrag und eine Regierungskommission, die einen Ausweg finden soll, bewahrten die Koalitionäre vor einem Scheitern schon im Rahmen der Koalitionsverhandlungen. Dies hielt den neuen Gesundheitsminister der FDP, Dr. Philipp Rösler, nicht davon ab, die Einführung der Kopfpauschale zum Ziel der schwarz-gelben Gesundheitspolitik auszurufen und sogar seinen Verbleib im Amt an dieses Projekt zu koppeln. Doch passt das Vorhaben überhaupt in das Profil einer liberalen Politik?


Was ist gerecht?

So propagiert der Minister in seinen Interviews und Reden, dass eine einkommensunabhängige Gesundheitsprämie mit steuerfinanziertem Sozialausgleich gerechter sei als das bisherige System. Was der Minister verschweigt ist, dass ein solches Modell zu einer weitgehenden Steuerfinanzierung des Gesundheitswesens führen würde. Legt man eine Kopfpauschale von 140- bis 150 Euro pro Monat zugrunde, dann würden die besser verdienenden gesetzlich Versicherten weniger in die GKV einzahlen. Die Einnahmeausfälle müssten durch Steuermittel kompensiert werden. Andererseits müssten die Beiträge für Bezieher niedriger Einkommen, die die Pauschale nicht oder nicht ganz bezahlen können, ebenfalls durch Steuermittel aufgestockt werden. Die Experten streiten sich, ob dann 15 oder 20 Milliarden Euro mehr in den Gesundheitsfonds gepumpt werden müssen als dies bislang der Fall ist. Klar ist jedoch eins: Dieses Modell wäre dann ein steuerfinanziertes Staatsmodell, was im Wesentlichen gerade nicht nur von den Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar getragen würde - eine Vorstellung, die nicht unbedingt ins liberale Weltbild passt.

Hinzu kommt, dass die ins Auge gefasste Entlastung der besser verdienenden GKV-Versicherten die private Krankenversicherung für diese Klientel völlig uninteressant machen würde. Auch dies passt nicht so recht ins Schema der bislang von der FDP verfolgten Gesundheitspolitik bzw. wurde dort wohl noch nicht so recht bedacht.

Dasselbe gilt für die Abkoppelung des Beitragseinzugs von den Einkommen der Versicherten. Die Folge wäre ein extremer bürokratischer Aufwand, der sich schon jetzt erahnen lässt, wenn man sich den Aufwand vor Augen führt, der durch den Einzug von Zusatzbeiträgen entsteht: Jeder Versicherte muss - zum Teil mehrfach - von seiner Kasse angeschrieben werden, damit der Zusatzbeitrag geltend gemacht werden kann. Das Inkasso verursacht einen erheblichen Verwaltungsaufwand, und bei zahlungsunwilligen Versicherten müssen komplizierte Verrechnungen mit Leistungsausgaben vorgesehen werden. Da ist es kein Wunder, dass die Krankenkassen Zusatzbeiträge möglichst nur bis zu einer Grenze von 8 Euro erheben. Bis zu dieser Grenze entfällt nämlich die Prüfung der konkreten Einkommenssituation der Versicherten. Bei einem Zusatzbeitrag von über 8 Euro würde der Einnahmegewinn hingegen größtenteils durch den Verwaltungsaufwand wieder aufgefressen - von der Ausforschung des Einzelnen durch seine Kasse gar nicht zu reden.


Bürokratiemonster

Festzuhalten ist daher: Hier wird ein Bürokratiemonster geschaffen, das ebenfalls nicht in die Welt einer Partei passt, die eigentlich den Bürokratieabbau favorisiert.

Alles in allem muss man daher feststellen, dass die ministeriellen Pläne - auch vor dem Hintergrund liberaler Wertvorstellungen - keinesfalls ausgegoren sind. Für die BAG Selbsthilfe kommen aber zwei wichtige Punkte hinzu:

Der Gedanke der solidarischen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung gehört zum Kernbestand der Werte in unserer Gesellschaft - dieser Gedanke muss auch weiterhin prägend für unser Gesundheitssystem sein.

Zusatzbeiträge führen zu einer weiteren unangemessenen Belastung chronisch kranker und behinderter Menschen, die ohnehin schon durch Zuzahlungen, Praxisgebühren, Aufzahlungen und Eigenanteilen über Gebühr finanziell belastet sind. Ein Verweis auf steuerliche Ausgleiche oder gar auf die Sozialhilfe führt zu einer Diskriminierung dieser Menschen.

Hiergegen wird sich die BAG Selbsthilfe in den kommenden Wochen und Monaten mit Hochdruck zur Wehr setzen.

DER AUTOR
Dr. Martin Danner ist Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE.


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Quelle:
Selbsthilfe 1/2010, S. 10-11
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2010