Schattenblick →INFOPOOL →PANNWITZBLICK → PRESSE

POLITIK/497: "Reform" der Eingliederungshilfe (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 2 vom 14. Januar 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

"Reform" der Eingliederungshilfe
Recht auf berufliche Teilhabe und Bildung für behinderte Personen wird in Frage gestellt

Von Wolfgang Trunk


Mit dem Vorhaben einer "Reform" der Eingliederungshilfe soll die Politik des Sozialabbaus auf ein Feld getragen werden, das in Deutschland als heikel gilt. "Eingliederungshilfe" wird auf der Grundlage der Sozialgesetzbücher IX und XII gewährt; sie übernimmt die Kosten für die (Re-)Habilitation von behinderten Personen, soweit keine anderen Träger leistungspflichtig sind. Wichtige Felder der Eingliederungshilfe sind neben der medizinischen Rehabilitation die verschiedenen Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben, zum Wohnen und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. In Deutschland beziehen etwa 725 000 Personen Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe, davon etwa 270 000 Personen als behinderte Mitarbeiter von Werkstätten.

Auf Grund der Nachfrageentwicklung erhöht sich der Aufwand der Eingliederungshilfe stetig; im Jahr 2010 lagen die Ausgaben bei etwa 14 Milliarden Euro. Hauptfaktor der Nachfrageentwicklung ist die noch unausgeglichene Altersstruktur der Behinderten als Spätfolge der faschistischen "Euthanasie"-Politik; ein weiterer Faktor ist der systematische Einbezug behinderter Personen in das Hilfesystem.

Träger der Eingliederungshilfe sind die Kommunen als Sozialhilfeträger. Vor dem Hintergrund ihrer Finanzkrise vertreten sie die Position, dass es zu ihrer Sanierung wesentlich beitragen könnte, wenn man sie von den Kosten der Eingliederungshilfe befreien würde. Eingeleitet wurde der Angriff auf die Eingliederungshilfe durch die Länder. Die 86. Konferenz der Arbeits- und Sozialminister hat im November 2009 beschlossen, von der Bundesregierung ein Gesetz zur "Reform" der Eingliederungshilfe zu verlangen. Der Beschluss wurde durch die Nachfolgekonferenz im November 2010 bestätigt. Ein Arbeitsentwurf für das neue Gesetz soll bis Herbst 2011 vorliegen; das Vorhaben soll in der laufenden Legislaturperiode abschließend behandelt werden.

In einem Eckpunkte-Papier der Arbeitsund Sozialminister sind die wesentlichen Veränderungen der Eingliederungshilfe bereits vorgezeichnet. Nach diesen Vorstellungen könnten sich Einsparpotenziale vor allem durch eine effizientere Leistungserbringung und eine zielgenauere Zugangssteuerung ergeben sowie durch den Wettbewerb der Anbieter. Spezifische Einsparpotenziale sollen einzelfallbezogen über eine einheitliche Bedarfsermittlung ermittelt werden, die man bundesweit auswerten kann. Zur Sicherung der Akzeptanz sollen die Hilfeempfänger in den Prozess eingebunden werden. Ideologisch verpackt werden die Sparpläne mit dem Versprechen, die Lebensverhältnisse der Behinderten würden sich entscheidend verbessern, wenn man die Bedarfe im Einzelfall genauer feststellt und individueller deckt. Die Zuständigkeit für die Gesamtsteuerung der Hilfen soll künftig zentral bei den Sozialhilfeträgern liegen. Durch eine einzelfallbezogene Wirkungskontrolle soll die Durchsetzung der Ziele sichergestellt werden. Angestrebt wird damit ein Beziehungsmuster, wie es im Verhältnis zur Arbeitsagentur bereits besteht; sie trägt einen bestimmten Teil der Leistungen im Bereich der Werkstätten; als zentrale Bundesbehörde kann sie diese Einrichtungen so behandeln, wie ein Monopolist mit seinen Zulieferern umgeht.

Neuaufnahmen in Werkstätten sollen reduziert werden; gleichzeitig sollen die Bemühungen forciert werden, Werkstattmitarbeiter in reguläre Beschäftigung zu vermitteln; die berufliche Bildung in den Werkstätten soll auf die vermittelbaren Personen ausgerichtet werden. Dieser Focus auf die Eingliederung am allgemeinen Arbeitsmarkt verkennt die Gegebenheiten, denn unter den Werkstattmitarbeitern gibt es nur wenige Grenzfälle, die fähig sind, einer regulären Erwerbsarbeit nachzugehen. Die "Reform" trägt hier dazu bei, schleichend das Recht auf berufliche Teilhabe und Bildung für behinderte Personen in Frage zu stellen, die nicht erwerbsfähig sind.

Die Kostendämpfung bei der Eingliederungshilfe wird mit einem Sachzwang begründet, der nicht gegeben ist. Wenn auch die Ausgaben der Sozialhilfe absolut steigen, so bleibt die Quote der sozialen Transferleistungen doch über die Jahre hinweg stabil. Im Übrigen sind soziale Einrichtungen und Dienste nicht nur Empfänger von Leistungen aus öffentlichen Kassen, sondern sie zahlen in diese Kassen auch ein, so dass einer Kostenbetrachtung das Netto-Prinzip zu Grunde liegen muss. Werkstätten tragen darüber hinaus durch ihre Wirtschaftstätigkeit im Umfang von etwa 19 Prozent zur Selbstfinanzierung bei.

Die "Reform" der Eingliederungshilfe stellt ein Musterbeispiel für das "intelligente Sparen" dar, wie Thilo Sarrazin es praktiziert hat. Ihre Umsetzung würde einen tiefen Eingriff in die Kultur der Behindertenhilfe darstellen; sie würde die Qualität der Leistungen verringern und die soziale Teilhabe für den Großteil der betroffenen Personen schmälern. Die Linkskräfte sollten sich von der behindertenfreundlichen Rhetorik nicht täuschen lassen und die Regierenden an ihren Taten messen.


*


Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 42. Jahrgang, Nr. 2 vom 14. Januar
2011, Seite 4
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon 0201 / 22 54 47
E-Mail: redaktion@unsere-zeit.de
Internet: www.unsere-zeit.de

Die UZ erscheint wöchentlich.
Einzelausgabe: 2,80 Euro
Jahresbezugspreise:
Inland: 126,- Euro
Ausland: 130,- Euro
Ermäßigtes Abo: 72,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2011