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POLITIK/528: Positionspapier zur Schaffung eines Bundesleistungsgesetzes vorgelegt (DRB)


Deutscher Behindertenrat legt Positionspapier zur Schaffung eines Bundesleistungsgesetzes vor

DBR-Sprecherratsvorsitzende Hannelore Loskill:
"Bundesleistungsgesetz muss Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention erfüllen - Berichtsentwurf der Länder für diesjährige ASMK vollkommen unzureichend."



Düsseldorf, 02.10.2013 - Der Deutsche Behindertenrat hat ein gemeinsames Positionspapier zur Schaffung eines Bundesleistungsgesetzes erarbeitet und vorgelegt. Ziel eines solchen Gesetzes muss nach Ansicht des DBR die volle und wirksame Teilhabe aller Menschen mit Behinderungen sein, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben. Dabei müssen vor allem die bisher im Sozialgesetzbuch XII verankerten Leistungen der Eingliederungshilfe aus dem Bereich der Fürsorge herausgelöst und künftig ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen erbracht werden.

Zum Hintergrund: Die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen gehört bisher zum Bereich der Sozialhilfe und enthält insbesondere Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen nach dem SGB IX. Bereits seit Jahren wird über eine Reform bzw. Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe diskutiert. Im August 2012 hat sodann eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) ein Grundlagenpapier zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe und der nachfolgenden Anforderungen an ein Bundesleistungsgesetz erarbeitet. Geplant ist, ein solches Gesetz bereits 2014 zu verabschieden. Im Anschluss an dieses Grundlagenpapier wurde nunmehr der auf der Arbeitsebene der Länder abgestimmte Entwurf eines Berichts für die diesjährige Arbeits- und Sozialministerkonferenz zu einem Bundesleistungsgesetz im Rahmen eines Expertengesprächs in Berlin vorgestellt.

"Dieser Bericht wird jedoch nach wie vor nicht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention gerecht. Er sieht konkrete finanzielle Entlastungen für Länder und Kommunen vor und bleibt bei Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen im Ungefähren", so die DBR-Sprecherratsvorsitzende Hannelore Loskill. "Wir erwarten, dass ein Bundesleistungsgesetz auch Menschen mit Behinderungen verlässlich entlastet, indem es den Einsatz eigenen Einkommens und Vermögens zur Abdeckung behinderungsspezifischer Mehrbedarfe abschafft und einen finanziellen Nachteilsausgleich einführt.", betonte Loskill weiter.

Der Deutsche Behindertenrat fordert Bund und Länder auf, das erwartete Bundesleistungsgesetz im nächsten Jahr behindertenrechtskonform umzusetzen und dabei behinderte Expertinnen und Experten beispielgebend einzubinden.

Der Deutsche Behindertenrat ist ein Aktionsbündnis der maßgeblichen Verbände chronisch kranker und behinderter Menschen. Er versteht sich als Plattform gemeinsamen Handelns und des Erfahrungsaustauschs und wurde am 3. Dezember 1999 in Berlin gegründet.


Positionspapier des Deutschen Behindertenrates zur Schaffung eines Bundesleistungsgesetzes

Berlin, im September 2013

In der nächsten Legislaturperiode soll ein neues Bundesleistungsgesetz für Menschen mit Behinderungen geschaffen werden. Der Deutsche Behindertenrat fordert, dass hiermit die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention in das deutsche Leistungsrecht überführt werden. Er hält es für erforderlich, dass das Bundesleistungsgesetz Bestandteil eines novellierten SGB IX wird. Der im Sommer 2012 im Rahmen des Fiskalpaktes ausgehandelte Einstieg des Bundes in die Finanzierung der Leistungen muss tatsächlich erfolgen, ohne dass fiskalische Aspekte die Reformdebatte dominieren. Vor diesem Hintergrund sieht der Deutsche Behindertenrat das Grundlagenpapier vom August 2012 nicht als geeignete Basis an. Ziel eines Bundesleistungsgesetzes muss nach Ansicht des DBR die volle und wirksame Teilhabe aller Menschen mit Behinderungen sein, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben. Entsprechend dem Partizipationsgebot der UN-Behindertenrechtskonvention sind Menschen mit Behinderungen in die Entwicklung und Umsetzung eines Bundesleistungsgesetzes aktiv einzubeziehen. In diesem Prozess sind für den DBR folgende inhaltliche Ausgestaltungen unverzichtbar:

- Es ist ein Rechtsanspruch auf eine von Leistungsträgern und - erbringern unabhängige Beratung als Ersatz zu den im SGB IX aufgeführten Servicestellen zu verankern.

- Die Leistungen der Eingliederungshilfe sind aus dem Bereich der Fürsorge herauszulösen und in das neue Bundesleistungsgesetz zu überführen. Sie sind einkommens- und vermögensunabhängig zu erbringen. Bisher sind bedarfsdeckende Teilhabe und Persönliche Assistenz oft nur möglich, wenn auf eigenes Einkommen und Vermögen verzichtet wird oder dieses bis auf einen geringen Freibetrag verbraucht ist. Es ist jedoch diskriminierend, wenn Menschen aufgrund ihrer Behinderung auf Sozialhilfeniveau verwiesen werden. Das gleiche gilt auch für ihre Angehörigen. Ebenso zu unterbleiben haben benachteiligende Regelungen, die pauschal an das Alter der Leistungsberechtigten anknüpfen.

- Die bisherigen Leistungen der Eingliederungshilfe müssen auch zukünftig bedarfsdeckend erbracht werden. Das Bundesleistungsgesetz muss daher einen weiten sowie offenen Leistungskatalog enthalten, der sicherstellt, dass keine Leistungslücken entstehen. Denn das Recht auf Teilhabe erstreckt sich auf alle Lebensbereiche und Lebensphasen. Seine Verwirklichung erfordert die Bereitstellung der individuell benötigten personellen (vor allem Assistenz und Betreuung bzw. Begleitung), technischen (u.a. Hilfsmittelversorgung, Wohnanpassung und Kfz-Hilfe) sowie fachlich anleitende Hilfen (etwa Schulungen in lebenspraktischen Fähigkeiten, Gebärdensprachkurse).

- Das Wunsch- und Wahlrecht für eine selbstbestimmte Lebensführung und der Rechtsanspruch auf Teilhabe in allen Lebensbereichen dürfen weder eingeschränkt noch relativiert werden. Insbesondere muss die freie Wahl des Wohnorts und der Wohnform gesetzlich normiert werden. Der bestehende Mehrkostenvorbehalt ist ersatzlos zu streichen.

- Der Zugang zu den bisherigen Leistungen der Eingliederungshilfe muss in einem neuen Bundesleistungsgesetz anhand einer individuellen Bedarfsfeststellung nach bundeseinheitlichen Kriterien erfolgen. Hierbei ist die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) zugrunde zu legen. Die Verfahren der Feststellung des individuellen Unterstützungsbedarfs müssen partizipativ sowie diskriminierungsfrei ausgestaltet werden und vor allem im Wege einer stigmatisierungsfreien Befragung erfolgen.

- Ergänzend zu den individuell erforderlichen und erfassbaren Teilhabeleistungen ist als weiterer Nachteilsausgleich in einem Bundesleistungsgesetz eine pauschalierte Geldleistung vorzusehen, wie es das geltende Recht beispielsweise mit dem Landesblinden-, dem Sehbehinderten- sowie dem Gehörlosengeld derzeit schon kennt. Diese soll zum einen die Autonomie und das Selbstbestimmungsrecht der Leistungsberechtigten stärken. Zum anderen soll es ein Ausgleich für in der Leistungsbemessung des Teilhaberechts nicht weiter spezifizierbare Bedarfe sein. Sie dient nicht dem Einkommensersatz und darf daher weder als Einkommen oder Vermögen bei der Bemessung anderer Sozialleistungen, noch im übrigen Rechtssystem als einzusetzendes Einkommen und Vermögen berücksichtigt werden.

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Quelle:
Pressemitteilung: 02.10.2013
Herausgeber: Deutscher Behindertenrat (DBR)
c/o BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211 - 31006-0, Fax: 0211 - 31006-48
Internet: www.behindertenrat.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2013