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PROJEKT/651: Zirkus Inklusive - Inklusion in der Jugendherberge (extratour/DJH)


Deutsches Jugendherbergswerk - extratour Nr. 4, Oktober 2012

Zirkus Inklusive

Inklusion in der Jugendherberge



Der Begriff "Inklusion" ist in der Jugendherberge Nettetal-Hinsbeck schon lange kein Fremdwort mehr. Ein Höhepunkt im Programm ist die inklusive Familienzirkusfreizeit für Menschen mit und ohne Behinderung. Also: Vorhang auf und Manege frei!


Herzlich Willkommen zu unserer großen Gala im Zirkus Wirbel Zwirbel! Es erwarten Sie unvergessliche Stunden in unserem Zirkuszelt. Erleben Sie unsere einzigartigen Akrobaten, Jongleure und Fakire." Der zwölfjährige Lukas sprüht vor Stolz. Er ist heute und morgen Zirkusdirektor! Seine Aufgabe ist es, die Gäste durch das Programm zu führen. "Mit Licht und Musik ist es gleich noch einmal etwas ganz anderes. Alles wirkt wie verzaubert: das große bunte Zirkuszelt, die Sitzreihen für die Besucher und die Manege", berichtet Lucas. "Da war ich gerade doch ganz schön aufgeregt." Es ist Donnerstagnachmittag - Zeit für die Manegenprobe im großen Original-Zirkuszelt der Jugendherberge Nettetal-Hinsbeck. Allen ist die Vorfreude, aber auch die Aufregung vor dem großen Auftritt am morgigen Vormittag ins Gesicht geschrieben. Ob bei der großen Zirkusgala auch alles klappt? "Jetzt wünsche ich Ihnen viel Spaß mit unseren berühmten Clowns Beppo, Pippo und seinen Freunden." Und schon gehen die Spotlichter an und die Clowns betreten die Bühne.

Eine Woche haben Lukas, Anna, Marei, Felix, Max, Nadine, Sophie, ihre Eltern und Geschwister gemeinsam geprobt, haben je spielt und jeden Vormittag in kleinen Gruppen gelernt Feuer zu spucken, mit Keulen und Bällen zu jonglieren oder Einrad zu fahren. Sie haben sich zu Fakiren, Clowns, Zauberern und Akrobaten ausbilden lassen. "Wir haben unserem Zirkus sogar einen eigenen Namen gegeben", erzählt die neunjährige Marei. "Den haben wir mit bunten Farben auf T-Shirts gemalt. Das sieht ganz klasse aus!" Am Nachmittag und Abend gab es ein buntes Programmangebot mit Kistenklettern, Spielen, einer Nachtwanderung, Kinoabend und Lagerfeuer.


Mitten drin

Zu den Zirkuskindern gehören auch Felix, Anna und Florian. Im Zirkuszelt heißt Felix 'Beppo' und ist einer der Clowns in der Manege. Und fragt man die elfjährige Iremsu, ist er sogar der tollste Clown, den sie je gesehen hat. "Felix ist einfach klasse und so witzig. Er bringt uns alle zum Lachen, wenn er als Clown so tut, als würde er über eine Schnur stolpern oder eine unsichtbare Leiter hochklettern." Florian ist fasziniert von den spannenden Zaubertricks, die er hier in der Jugendherberge gelernt hat. "Das kann ich auch gut im Rollstuhl machen", erzählt er begeistert. Und dass man den Rollstuhl auch für viele weitere akrobatische Kunststück nutzen kann, haben auch die anderen Kinder schnell entdeckt. In der Talentshow am Dienstagabend ist der Rollstuhl bei allen heiß begehrt. "Am Anfang dachte ich, dass Akrobatik mit einem Rollstuhl schwierig ist", erzählt Iremsu. "Und das hab ich hier gelernt: Der eine braucht einen Rollstuhl, der andere Hilfe beim Lesen und ich brauche eine Brille. So ist das."


Inklusion bedeutet: gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen

"Es ist uns ganz wichtig, dass wir die Behinderung der Kinder nicht als Handicap thematisieren und sie damit in eine Sonderrolle drängen", erläutert die Sozialpädagogin des Vereins Kindertraum e.V. Nicole Podchull. Sie leitet die inklusive Familienzirkusfreizeit in der Jugendherberge Nettetal-Hinsbeck. "Hier wird jeder Mensch, ob Kind, Vater, Mutter, Oma oder Opa, mit oder ohne Behinderung mit seinen individuellen Bedürfnissen, seinen Stärken und Schwächen angenommen. Das ist der Kerngedanke der Inklusion: die gleichberechtigte Teilhabe aller." Hierin liegt, wie Nicole Podchull erklärt, ein entscheidender Unterschied zur Integrationspädagogik. Bei der Integration geht es darum, vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossene Menschen einzugliedern. Zunächst werden somit die Unterschiede betont. Die Inklusion sieht die Verschiedenartigkeit als Normalität.

"Auch nach fünf Jahren - so lange bieten wir die Familienzirkusfreizeit für Menschen mit und ohne Behinderung jetzt an - ist es für mich immer wieder faszinierend zu beobachten, wie schnell gerade Kinder die Hemmschwelle überwinden. Viele haben vor der Freizeit in der Jugendherberge noch nie Kontakt zu Menschen mit Behinderung und wissen nicht, wie sie auf diese zugehen sollen. Wir ermutigen Kinder und Eltern bei allen Fragen, direkt aufeinander zuzugehen. Der Zirkus ist dabei ein super Türöffner."


Zirkusluft

Das Zirkuszelt ist das Markenzeichen der Jugendherberge Nettetal-Hinsbeck. Für Nicole Podchull ist das Zelt aber nicht nur ihr liebster Arbeitsplatz, sondern auch ein Stück Zuhause. Seit über 30 Jahren leiten ihre Eltern Petra und Manfred Podchull die Zirkusjugendherberge am Niederrhein. Nicole Podchull ist hier aufgewachsen. "Nach meinem Studium der Sozialpädagogik habe ich für die Elterninitiative Kindertraum e.V. als Integrationshelferin an der Gesamtschule Breyell gearbeitet. Hier waren die Kinder mit Behinderung gut integriert. In der neunten Klasse machen die Schülerinnen und Schüler ein Berufspraktikum. Um die Integration auch über die Schule hinaus fortzuführen, habe ich für die Kinder mit Behinderung Praktikumsstellen außerhalb der Behindertenwerkstätten gesucht. Da habe ich natürlich auch gleich an die Jugendherberge gedacht. Doch der Weg bis zur Umsetzung der ersten Idee war lang. 2008 konnten wir dann mit dem Pilotprojekt starten."

Heute sind die Jugendherberge Nettetal-Hinsbeck und die Jugendherberge Brüggen anerkannte Außenarbeitsplätze der Heilpädagogischen Werkstätten. Insgesamt sieben Mitarbeiter mit Behinderung unterstützen das Team der Jugendherberge Nettetal-Hinsbeck bei der Essensvorbereitung und -ausgabe, in der Spülküche, im Service, bei Reinigungsarbeiten, Hausmeistertätigkeiten und bei der Wäschepflege. Betreut werden sie durch Nicole Podchull und einen Heilerziehungspfleger im Anerkennungsjahr. "Jede Aufgabe wird sorgfältig angelernt und über einen längeren Zeitraum wiederholt. Nach und nach übernehmen die Mitarbeiter die Aufgaben dann zunehmend selbstständig." Ob Mitarbeiter oder Gäste: Menschen mit Behinderung gehören heute zum Alltag der Jugendherberge. Häufig sind auch Kinderfreizeiten der Lebenshilfe oder der Arbeiterwohlfahrt zu Gast. Und Nicole Podchull hat schon neue Pläne: Gern möchte sie in Zukunft inklusive Kinderfreizeiten anbieten. "Ein Punkt ist aber noch die Betreuung und Pflege der Kinder mit Behinderung. Bei der Familienzirkusfreizeit ist das einfacher. Hier übernehmen dies die Eltern. Und sie sind die Experten ihrer Kinder!"

EXTRAINFO
Mobil in der Jugendherberge: Wir ermöglichen Erlebnisse für alle - ohne Ausnahme. Auch Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, können bei uns Urlaub machen. Eine Übersicht aller Häuser, die für Rollstuhlfahrer geeignet sind, finden Sie auf unserer Internetseite unter dem Stichwort: "für Rollstuhlfahrer geeignet".
www.jugendherberge.de


Angebot:

WIR MACHEN ZIRKUS
Das Familienzirkusprojekt in der Jugendherberge Nettetal-Hinsbeck

Vorsicht: gefährliche Zirkusluft - Ansteckungsgefahr für die ganze Familie! Und weil Artistik keine Grenzen kennt, gestalten hier Menschen mit und ohne Behinderung das Programm. Zum Abschluss heißt es dann: Manege frei!

TERMINE: 1.4.-6.4.2013, 28.10.-2.11.2013

ZIELGRUPPE: Familien und einzeln reisende Eltern mit Kindern ab 5 Jahren, Mindestteilnehmerzahl: 30 Personen

LEISTUNGEN: 5 Übernachtungen im Familienzimmer mit DU/WC (nach Rücksprache auch barrierefrei), Bettwäsche, Vollpension, Zirkus- und Rahmenprogramm durch qualifizierte Referenten von Kindertraum e.V. und das Zirkusteam der Jugendherberge

PREISE: Kinder bis 2 Jahre: frei
Kinder 5-12 Jahre: 180 EUR
Kinder ab 13 Jahren und Erwachsene: 193 EUR

WEITERE INFOS UND BUCHUNG:
www.hinsbeck.jugendherberge.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

GROSS UND KLEIN
Bei der großen Zirkusgala sind alle mit viel Spaß und Konzentration dabei. Und gemeinsam mit Papa auf der Bühne zu stehen, ist schon etwas ganz Besonderes.

VIELFALT IST TRUMPF
Ob Groß und Klein, Dick oder Dünn, Jung oder Alt, ob mit oder ohne Behinderung - in jedem stecken ungeahnte Talente, die man in der Zirkusschule entdecken und ausprobieren kann. Als Clownsduo bringen Tino (Thilo) und Beppo (Felix) das ganze Zelt zum Lachen.

BUNTE ZIRKUSWELT
Theaterschminke, bunte Perlen und funkelnde Lichter gehören natürlich zum perfekten Auftritt im Zirkuszelt dazu. Gemeinsam wird Zirirkuszelt geschmückt, gespielt und geprobt.

TRICKS AM LAUFENDEN BAND
Zauberer, Fakire, Jongleure oder Clowns: In kleinen Workshopgruppen lernen Eltern und Kinder tolle Tricks und fantastische Kunststücke.

AKROBATIK AUF RÄDERN
Neues ausprobieren macht Spaß! Und am meisten natürlich gemeinsam. Das gilt für die Tanzakrobatik mit dem Einrad ebenso wie für Vorführung mit dem Rollstuhl.

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Quelle:
extratour Nr. 4, Oktober 2012, S. 20-25
Die Zeitschrift für Mitglieder im Deutschen Jugendherbergswerk
Herausgeber: Deutsches Jugendherbergswerk DJH
Hauptverband für Jugendwandern und Jugendherbergen e.V.
Leonardo-da-Vinci-Weg 1, 32760 Detmold
Tel.: 05231/99 36-0
Internet: www.jugendherberge.de
 
Erscheinungsweise: vierteljährlich
Der Bezugspreis der Zeitung ist im
DJH-Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2012