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PROJEKT/682: Forschungsprojekt "Optimierte Kleidung für Rollstuhl-Sportler" (idw)


Hohenstein Institute - 14.05.2014

Optimierte Kleidung für Rollstuhl-Sportler

Mehr Funktionalität und Komfort für Rollstuhl-Basketballer und Handbiker



BÖNNIGHEIM (ri) Rund 750 Athleten aus 45 Nationen kämpften bei den diesjährigen Paralympics in Sotschi um Medaillen und belegten dabei eindrucksvoll das hohe Niveau des internationalen Behindertensports. Allein vier Goldmedaillen sicherte sich dabei die 21-jährige Anna Schaffelhuber. Das Ski-Ass ist eine von rund 600.000 Menschen, die in Deutschland dauerhaft auf den Rollstuhl angewiesen sind.

Die Sportgeräte von Rollstuhlfahrern, wie Monoskis und Handbikes, sind als Einzelanfertigungen sehr individuell auf die besonderen Erfordernisse der Sportler und ihre körperliche Beeinträchtigung ausgerichtet. Im Gegensatz dazu bleibt ihnen bei der Kleidung häufig nur der Griff zur Konfektionsware von der "Stange" für nichtbehinderte Sportler. Im Rahmen des Forschungsprojekts AiF-Nr. 17377 N haben Wissenschaftler der Hohenstein Institute (Bönnigheim) in den vergangenen Jahren umfangreiches Datenmaterial generiert und daraus praktikable Lösungsansätze für die Optimierung von Sportbekleidung für Rollstuhlfahrer abgeleitet. Zu den Forschungsergebnissen gehören u. a. Analysen der Körpermaße und -proportionen, Bewegungsabläufe sowie die Sportarten spezifische Körperhaltung von Rollstuhlfahrern. Auf diese können Bekleidungshersteller bei der Entwicklung ihrer Produkte künftig zurückgreifen.

Aufbauend auf diesen Daten und den Vergleichsdaten von Fußgängern hat das Team um Projektleiterin Anke Klepser Konstruktions- und Verarbeitungsrichtlinien für Kurz- und Langarmshirts sowie Winterjacken und Hosen erstellt. Als Hilfe bei der Auswahl geeigneter Textilien wurden von den Forschern darüber hinaus relevante Materialparameter definiert. Diese berücksichtigen insbesondere die speziellen thermophysiologischen Anforderungen hinsichtlich des Wärme- und Schweißtransportes, die bei Sportlern mit körperlichem Handicap auftreten.

Bereits in den 1980er Jahren hatten die Experten der Hohenstein Institute die Körpermaße von Rollstuhlfahrern im Zusammenhang mit einem Forschungsvorhaben (BMBF 01 VK 050 - ZK/NT/MT03) erfasst. Ziel war damals gewesen, die Passform von Alltagsbekleidung zu verbessern. Mit Hilfe der heute verfügbaren 3D-Scannertechnologie konnte jedoch beim aktuellen Projekt erstmals der Körper komplett erfasst und daraus ein virtueller Zwilling (Avatar) erstellt werden. Mit dessen Hilfe lassen sich auch nach Abschluss des Projektes bei Bedarf einzelne haltungsspezifische Körpermaße z. B. am Rücken, den Beinen oder den Armen ermitteln.

Zu diesem Zweck wurden männliche Handbiker und Rollstuhl-Basketballer zum einen im Alltags-Rollstuhl mit Hilfe eines stationären 3D Bodyscanners und zum anderen mit einem portablen Handscanner im jeweiligen Sport-Rollstuhl vermessen.

Anke Klepser war der praktische Nutzen des Projektes für die Rollstuhl-Sportler besonders wichtig: "Mit diesen beiden Sportarten decken wir sowohl den Indoor- als auch den Outdoorbereich ab, so dass sich unsere Forschungsergebnisse ebenso für andere Disziplinen adaptieren lassen. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir zwei unterschiedliche Körperhaltungen, nämlich die eher liegende der Handbiker und die aufrecht sitzende der Rollstuhl-Basketballer, betrachten und dadurch ebenfalls eine gute Übertragbarkeit auf andere Sportarten gegeben ist." Auch Frauen profitieren laut Anke Klepser von den Forschungsergebnissen: "Die Anforderungen an geeignete textile Materialien hinsichtlich der Schweißaufnahme oder Wärmeisolation sind universell. Und auch wichtige Aspekte der Konstruktion, wie zum Beispiel die Nahtführung, gelten unabhängig vom Geschlecht des Trägers. Entscheidend sind hier lediglich die besonderen thermophysiologischen Anforderungen sowie Bewegungsabläufe beim Rollstuhl-Sport."

Speziell die sitzende Position der Rollstuhlfahrer beim Basketball bringt besondere Anforderungen an die Schnittführung der Kleidung mit sich: Die Hosen sind im Taillenbereich am Rücken zu kurz und am Bauch zu lang. So erfordert die Anpassung der Hosen im Vergleich zu den Oberteilen einen höheren Aufwand. Im Gegensatz dazu verlangt die nahezu liegende Position der Handbiker generell eine höhere Hinter- und Vorderhose. Eine spezielle Ausformung der Gesäßpartie ist im Hinblick auf die Passform dagegen nicht notwendig.

Bei einem Großteil der Rollstuhlsportler sind der Oberkörper und die Arme sehr muskulös, was bei der Gestaltung von Shirts und Jacken zusätzlich beachtet werden muss. Um eine gute Passform mit einem hohen Maß an Bewegungsfreiheit zu bieten, müssen die Kleidungsstücke deshalb eine angepasste Schnittführung aufweisen. Materialien mit entsprechenden Dehn-und Elastizitätswerten verbessern sowohl den Tragekomfort als auch die Passform zusätzlich.

Neben den anatomischen Besonderheiten erfassten die Forscher bei ihrem Projekt aber auch den speziellen Bedarf, der sich aus dem sportlichen Engagement der Athleten ergibt. Zusätzlich zur Vermessung mit dem 3D-Scanner ermittelte Anke Klepser deshalb durch einen Fragebogen u.a. die Optimierungswünsche der Probanden. So wurde von den Handbikern beispielweise der Wunsch nach einem engen Beinabschluss bei Hosen geäußert, um einen verbesserten Schutz gegen den Fahrtwind zu bieten.

Auch im Hinblick auf den Abtransport des Körperschweißes, das sogenannte Feuchte-Management der Kleidung, mussten die Wissenschaftler die besonderen Anforderungen der Athleten mit Handicap berücksichtigen: Durch den positionsbedingten engen Kontakt des Rückens oder der Rückseite der Oberschenkel mit dem Handbike bzw. Rollstuhl kann es hier sehr schnell zu einem Feuchtestau kommen. Diesen galt es durch Nutzung verschiedener geeigneter Materialien und funktioneller Konstruktionen (Comfort-Mapping) in diesen Bereichen zu vermeiden.

Im Gegensatz dazu ist, abhängig von Art und Grad der Rückenmarksverletzung, bei einem Großteil der Rollstuhl-Sportler die Lähmung der Extremitäten mit einer eingeschränkten Funktion der körpereigenen Temperaturregulierung verbunden. Beispielsweise schwitzen Tetraplegiker, bei denen sowohl Beine als auch Arme mehr oder weniger von der Lähmung betroffen sind, nicht oder nur in begrenztem Umfang und laufen besonders bei hohen Außentemperaturen und/oder starker körperlicher Belastung Gefahr, einen Kreislaufkollaps durch Überhitzung des Körpers zu erleiden. Abhilfe schafft in solchen Fällen Wasser, das von außen auf die Kleidung aufgebracht und damit für die notwendige Abkühlung durch Verdunstung sorgt. Auch solche Besonderheiten musste das Team um Anke Klepser bei seiner Forschungsarbeit berücksichtigen: "Die Anforderungen an Bekleidung für Rollstuhl-Sportler sind extrem vielfältig und komplex. Wir sind überzeugt, dass unsere Daten und Informationen die Basis für viele optimierte Produkte bilden, die den Sportlern das Leben erleichtern und sie bei ihren herausragenden Leistungen adäquat unterstützen. Die Ergebnisse des Projektes stehen interessierten Herstellern ab sofort zur Verfügung."

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution726

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hohenstein Institute, Andrea Höra, 14.05.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2014