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RECHT/645: Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz tritt am 1. Oktober in Kraft (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel - August 2009

Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz tritt am 1. Oktober in Kraft
Pflichtversäumnisse haben weitreichende Folgen

Von Petra Wilkening


Für Verträge im Bereich des Betreuten Wohnens ist ein neues Gesetz geplant. Sein Ziel ist der umfassende Schutz von alten, pflegebedürftigen und behinderten Menschen, die Hilfeleistungen in Anspruch nehmen. Das "Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz" (WBVG) soll am 1. Oktober in Kraft treten. Die betreuenden Einrichtungen haben dann bei Vertragsabschlüssen wesentliche Neuerungen zu beachten. Für bestehende Verträge gibt es Übergangsregelungen.


Das WBVG wird gelten, wenn Pflege- oder Betreuungsleistungen und das Überlassen von Wohnraum in einer engen Beziehung zueinander stehen. "Allerdings gibt es hier noch eine große Unsicherheit hinsichtlich des Geltungsbereichs", betonen die Betheler Rechtsexperten Judith Lieker und Ralf François. Sie haben hierbei die Praxis im Blick, dass ein Mensch mit Hilfebedarf Wohnraum von einer gemeinnützigen Gesellschaft anmietet und dort in nicht unerheblichem Umfang ambulant betreut wird.

Das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz regelt Verträge zwischen "Unternehmern" und "Verbrauchern". "Schon diese Begriffe weisen darauf hin, dass es dem Gesetzgeber um den Verbraucherschutz geht", erläutern die Juristen der Stabsstelle Recht/Versicherungen. Sie sind seit Längerem mit dem neuen Gesetz und seinen weitreichenden Konsequenzen für die Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe befasst. "Beachten Hilfeanbieter die neuen Pflichten nicht, wird ihr Versäumnis rigoros geahndet", warnen die beiden. Das gilt vor allem für die umfangreichen Informationspflichten der Einrichtungsträger, denn Bewohnerinnen und Bewohner müssen vor Vertragsabschluss über das allgemeine Leistungsangebot unterrichtet werden. Geschieht dies nicht, können sie alle Verträge fristlos kündigen. "Das Recht dazu haben sie unbefristet. Das heißt: Eine Kündigung kann auch noch nach Jahren erfolgen", so die juristischen Fachleute.


Informationspflicht

Informiert werden muss über die Ausstattung und Lage des Gebäudes, in dem sich der Wohnraum befindet, Flächen der gemeinschaftlichen Nutzung, Nutzungsbedingungen oder auch die Ergebnisse der Qualitätsprüfung. "Da es sich um eine allgemeine Darstellung des Unternehmens und seines Angebots handelt, kann die Informationspflicht durch eine Broschüre oder einen Prospekt erfüllt werden", klären Judith Lieker und Ralf François auf. Wie detailliert eine solche Beschreibung sein muss, ist zurzeit allerdings noch Auslegungssache. "Es ist besser, zu viel zu dokumentieren als zu wenig, um Risiken zu vermeiden." Die beiden Rechtsexperten begutachten in Abstimmung mit den Betheler Bereichen deren Informationsmaterial auf mögliche Risikoquellen hin. "In einem Flyer darf man zum Beispiel nur ein Zimmer mit Schrank abbilden, wenn auch jedes Zimmer einen Schrank hat. Sonst kann es später Probleme geben."


Klagbare Ansprüche

Genaue Informationen haben die Bewohner auch über die Leistungen zu erhalten, die speziell für sie in Betracht kommen. So muss ihr Wohnraum ebenso beschrieben werden wie die individuellen Pflege- und Betreuungsleistungen. Das Leistungskonzept wird ein Vertragsbestandteil. "Das bedeutet, dass die dort getätigten Aussagen klagbare Erfüllungsansprüche werden", gibt Judith Lieker zu bedenken. "Reichen diese Ansprüche für den Hilfebedarf eines Bewohners oder einer Bewohnerin nicht mehr aus, muss der Unternehmer seine Leistungen entsprechend anpassen - es sei denn, er hat diese Anpassungspflicht bei Vertragsabschluss durch gesonderte Vereinbarungen ausgeschlossen." Dazu muss er aber im Vertrag ein "berechtigtes Interesse" begründen, das sich bereits aus dem Einrichtungskonzept ergeben muss. Eine nachträgliche Vereinbarung zum Ausschluss der Anpassung ist unwirksam. "Dank der umfangreichen Informationspflicht weiß der Bewohner vor seinem Einzug, unter welchen Umständen es ihm möglich ist, in der entsprechenden Wohneinheit bis zu welchem Zeitpunkt bleiben zu können. Den Interessen von hilfebedürftigen Menschen wird so in besonderer Weise Rechnung getragen", begrüßen Judith Lieker und Ralf François das neue Gesetz.

Den Bewohnerinnen und Bewohnern kommt auch eine weitere Regelung zugute: die Gesamtschuldnerschaft der beteiligten Unternehmer. Werden der Wohnraum und die Pflege- oder Betreuungsleistungen von verschiedenen kooperierenden Unternehmern angeboten, muss der eine für.mangelhafte Leistungen des anderen haften, wenn sie den Bewohner zur Vertragskündigung berechtigen und er umziehen muss. "Hält die Wohnungsgesellschaft den Wohnraum nicht in Ordnung, kann es sein, dass der betreuende Unternehmer von dem Bewohner dafür haftbar gemacht wird. Und dass umgekehrt der Vermieter haftet, wenn die Betreuung mangelhaft ist", so Ralf François.


Vertrag vor Einzug

Wichtig ist, dass Verträge vor dem Einzug des Bewohners schriftlich abgeschlossen werden. In zu begründenden Notfällen kann der Abschluss nachgeholt werden. Dieses muss aber unverzüglich geschehen. Sonst sind von den gesetzlichen Regelungen abweichende Vereinbarungen unwirksam, und es tritt darüber hinaus das außerordentliche Kündigungsrecht des Bewohners in Kraft.

Ralf François und seine Kollegin Judith Lieker sehen im WBVG an verschiedenen Stellen Klärungsbedarf. "Das neue Gesetz ist ein lernendes Gesetz. Es wird Streitfälle geben, die zu entscheiden sind, und dann sind Erlasse gefordert, die Klarheit für die Auslegung der Vorschriften bringen. Das kann allerdings mehrere Jahre dauern", blickt Judith Lieker in die Zukunft. Sie rät allen Einrichtungen zur Vorsicht: "Das Risiko lässt sich einschränken, wenn man den Vertrag vor dem Einzug abschließt, die Bewohner in leicht verständlicher Sprache ausführlich informiert und die Konzepte so formuliert, dass sie in allen Punkten umsetzbar sind!" Pflichtverletzungen der Einrichtungen können schwerwiegende Konsequenzen haben: Kündigt der Bewohner aus Gründen, die der Unternehmer zu verantworten hat, muss dieser die entstehenden Kosten tragen.


Kompetenzstreit

Das neue Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz wurde aufgrund der Föderalismus-Reform im Jahr 2006 notwendig. Die Gesetzgebung für die Heime ging vom Bund auf die Länder über. Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern haben bereits eigene Landesheimgesetze verabschiedet, in Berlin-Brandenburg und Niedersachsen gibt es Entwürfe. Nicht in die Zuständigkeit der Länder fällt aber das Vertragsrecht. Hierfür ist der Bund zuständig. Für Verträge im Pflege- und Betreuungsbereich hat er darum als Ergänzung zum Bundesgesetzbuch das WBVG auf den Weg gebracht.

Inzwischen ist ein Streit zwischen einigen Bundesländern und dem Bundestag entbrannt: Diese Länder bestreiten die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die zivilrechtlichen Vertragsvorschriften und damit für den Erlass des WBVG. Nach der Föderalismusreform sei die gesamte Gesetzgebung in Heimangelegenheiten den Ländern übertragen.

Über das WBVG informiert die Stabsstelle Recht/Versicherungen in Kürze auf ihrer Intranet-Seite.


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Quelle:
DER RING, August 2009, S. 6
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2009