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RECHT/651: Die Behindertenrechtskonvention - ein Wegweiser in die Zukunft (LHZ)


Lebenshilfe Zeitung, Nr. 3 - September 2009

Die Behindertenrechtskonvention - ein Wegweiser in die Zukunft

Von Ulrich Hellmann


Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung - kurz Behindertenrechtskonvention (BRK) - ist in Deutschland als verbindliches Recht anerkannt. Was bedeutet das für die Arbeit der Lebenshilfe?


Als Impuls zum Anstoß einer breiten Debatte hatte der Bundesvorstand Vertreterinnen und Vertreter der Orts- und Kreisvereinigungen, der Landesverbände sowie der Bundesgremien und Fachausschüsse zu einer Fachtagung am 26. Mai nach Berlin eingeladen. Bundesvorsitzender Robert Antretter verwies in seiner Einführungsrede auf die große Innovationskraft, die die Lebenshilfe seit jeher auszeichne. Die im Jahr 2008 auf sechs Regionalkonferenzen diskutierte, inhaltlich stark an den in der BRK verbrieften Rechten orientierte Lebenshilfe-Vision 2020 sei bereits ein deutliches Bekenntnis zur Weiterentwicklung der selbstbestimmten Teilhabe behinderter Menschen am Leben mitten in der Gesellschaft. Zugleich sei bei der Mitwirkung an den aus der BRK folgenden Veränderungen Sorgfalt geboten. Bewährte Standards und Ressourcen der Behindertenhilfe dürften nicht in Frage gestellt werden.

Einige zentrale Regelungen der Konvention wurden vorgestellt und einer ersten Einschätzung unterzogen. Zwei Beispiele:

Rechts- und Handlungsfreiheit

Artikel 12 BRK garantiert Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit. Dem in vielen Ländern nach wie vor bestehenden System der Entrechtung volljähriger Menschen durch "Entmündigung", dem die Bestellung eines Vormundes als rechtlicher Stellvertreter folgt, wird eine klare Absage erteilt. Zugleich fordert Artikel 12 die Vertragsstaaten auf, durch geeignete Maßnahmen den erforderlichen Schutz behinderter Menschen zu gewährleisten.

Unbestritten war in der Diskussion, dass das deutsche Betreuungsrecht einerseits auf den Vorrang des Selbstbestimmungsrechts behinderter Menschen angelegt ist, andererseits jedoch auf dem Prinzip der Stellvertretung beruht, die mit dem Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) auch mit einer förmlichen Beschränkung der eigenen Handlungsfähigkeit verbunden sein kann. Neben der Prüfung von Handlungsbedarf des Gesetzgebers ist auf allen Ebenen der Lebenshilfe Phantasie gefragt, um praktikable Antworten für die von Eltern immer wieder gestellte Frage "Wer begleitet und unterstützt mein Kind in der künftigen Lebensgestaltung?" zu finden. Mit der plakativen Forderung "Die Behindertenrechtskonvention gehört auf den Schreibtisch jedes Betreuungsrichters" wurde das zentrale Erfordernis, die BRK allgemein bekannt zu machen und die Bewusstseinsbildung über deren Ziele bei allen staatlichen Entscheidungsträgern sowie in der gesamten Gesellschaft zu fördern, treffend zum Ausdruck gebracht.


Recht auf inklusive Bildung

Nach Artikel 24 BRK müssen die Vertragsstaaten unter anderem sicherstellen, dass behinderte Kinder nicht vom Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden. Das deckt sich mit der in den Lebenshilfe-Visionen 2020 formulierten Forderung, behinderte Menschen im Hinblick auf den Zugang zur inklusiven Bildung in Kindertagesstätten, Schulen und Erwachsenenbildung nicht zu benachteiligen oder zu diskriminieren. Die herausragende Bedeutung der Bildung für die schrittweise Verwirklichung der vollen Inklusion behinderter Menschen in das Leben der Gesellschaft hat die Lebenshilfe bereits durch das im April 2009 veröffentlichte Positionspapier "Gemeinsames Leben braucht gemeinsames Lernen in der Schule - schulische Bildung im Zeitalter der Inklusion" betont.


Wie geht es weiter?

Der Lebenshilfe-Bundesvorstand wünscht sich eine breite Beteiligung an der Diskussion zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention auf allen Ebenen. Möglichkeit zur Debatte bieten die bevorstehende Lebenshilfe-Tagung "Eine Schule für alle!" vom 12. bis 14. November in Frankfurt/Main und der Weltkongress "Inklusion - Rechte werden Wirklichkeit" vom 16. bis 19. Juni 2010 in Berlin (www.inclusion2010.de). Mitausrichter ist die Bundesvereinigung Lebenshilfe.


Der vollständige Bericht über die Fachtagung steht im Internet unter
www.lebenshilfe.de (Rubrik "Aus fachlicher Sicht / Recht und Sozialpolitik").


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Quelle:
Lebenshilfe Zeitung, Nr. 3/2009, 30. Jg., September 2009, S. 12
Herausgeber: Bundesvereinigung Lebenshilfe
für Menschen mit geistiger Behinderung
Bundesgeschäftsstelle, Raiffeisenstr. 18, 35043 Marburg
Telefon: 06421/491-0, Fax: 06421/491-167
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Die Lebenshilfe-Zeitung mit Magazin erscheint
jährlich viermal (März, Juni, September, Dezember).


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2009