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RECHT/665: Kostenlose Rechtsberatung - Bedürftige Menschen haben Anspruch (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 2/2010

KOSTENLOSE RECHTSBERATUNG
Bedürftige Menschen haben Anspruch

Von Peter Brünsing


Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) lag die Verfassungsbeschwerde einer Frau zugrunde, die wegen eines Bescheides der Familienkasse über die Erstattung zuviel gezahlten Kindergeldes Beratungshilfe beantragte. Ihren hierauf gerichteten Antrag wies die Rechtspflegerin beim Amtsgericht mit der Begründung zurück, Kindergeldangelegenheiten seien der Finanzgerichtsbarkeit zugeordnet und begründeten deshalb nach § 2 BerHG keinen Anspruch auf Beratungshilfe. Der Erinnerung der Beschwerdeführerin half die Rechtspflegerin nicht ab mit der Begründung, zwar erfolgten Kindergeldzahlungen aus sozialen Gründen, die Familienkasse unterstehe jedoch dem Finanzamt. Kindergeldsachen seien dementsprechend der Finanzgerichtsbarkeit zuzuordnen. Für solche Angelegenheiten werde nach dem Wortlaut des § 2 BerHG keine Beratungshilfe gewährt. Mit einer ähnlichen Begründung wurde der Beschluss auch durch das Amtsgericht (AG) zurückgewiesen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres Rechts auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG


Sie macht geltend, es gebe keinen sachlichen Grund, der die Unterscheidung zwischen dem nach dem Bundeskindergeldgesetz und dem nach dem Einkommenssteuergesetz zu leistenden Kindergeld hinsichtlich der Gewährung von Beratungshilfe zu rechtfertigen vermöge. Auch das Kindergeld nach dem Einkommenssteuergesetz sei Teil des sozialrechtlichen Familienausgleichs. Die Behandlung des Kindergeldrechts als Teil des Sozialrechts könne nicht unter Hinweis auf die Zuständigkeit der Finanzgerichtsbarkeit verneint werden, weil aus dem eröffneten Rechtsweg für die rechtliche Einordnung der Angelegenheit nichts abzuleiten sei. So seien früher die Verwaltungsgerichte für das Recht der Sozialhilfe zuständig gewesen. Das AG hätte daher die Bewilligung von Beratungshilfe nicht gestützt auf § 2 Abs. 2 Satz 1 BerHG ablehnen dürfen, sondern hätte §2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BerHG dahingehend auslegen und anwenden müssen, dass in Angelegenheiten des Kindergeldes nach dem Einkommenssteuergesetz als Angelegenheiten des Sozialrechts Beratungshilfe gewährt wird.

Dieser Auffassung schloss sich das Verfassungsgericht im Wesentlichen an und stellte fest, dass der aus § 2 Abs. 2 BerHG folgende Ausschluss steuerrechtlicher Angelegenheiten aus dem Anwendungsbereich der Beratungshilfe mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar sei. Die in der angegriffenen Entscheidung darauf gestützte Versagung von Beratungshilfe verletze die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Das Beratungshilfegesetz sichere den Anspruch des Bürgers auf grundsätzlich gleiche Chancen von Bemittelten und Unbemittelten bei der Wahrnehmung oder Verfolgung seiner Rechte auch im außergerichtlichen Bereich.

Das BVG habe schon sehr früh aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz nach (§ Art. 3 Abs. 1 GG) die Forderung nach einer "weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten im Bereich des Rechtsschutzes" abgeleitet. Die Verweisung der Beteiligten zur Durchsetzung ihrer Rechte vor die Gerichte bedinge zugleich, dass der Staat Gerichte einrichte und den Zugang zu ihnen jedermann in grundsätzlich gleicher Weise eröffne. Danach dürfe Unbemittelten die Rechtsverfolgung und -verteidigung im Vergleich zu Bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden. Der Unbemittelte müsse grundsätzlich ebenso wirksam Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie ein Begüterter.

Bei der Ausgestaltung der Rechtswahrnehmungsgleichheit habe der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen. Er habe dabei insbesondere auch den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu beachten. Hiermit sei die Regelung des § 2 Abs. 2 BerHG nicht vereinbar, wonach Beratungshilfe nur in den dort ausdrücklich nach Rechtsgebieten aufgezählten Angelegenheiten gewährt werde. Die Vorschrift führe zu einer Ungleichbehandlung von Rechtsuchenden in beratungshilfefähigen Angelegenheiten gegenüber solchen in nicht von der Aufzählung erfassten Angelegenheiten. Für diese Ungleichbehandlung gäbe es jedenfalls im Verhältnis zwischen Rechtsuchenden im Bereich des Sozialrechts und jenen im Bereich des Steuerrechts und erst recht für die damit einhergehende Ungleichbehandlung zwischen Empfängern von steuerrechtlichem und sozialrechtlichem Kindergeld keinen tragfähigen sachlichen Grund.

Weiter führt es aus: Der Gleichheitsverstoß, der aus dem Ausschluss des Steuerrechts aus den beratungshilfefähigen Angelegenheiten bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Sozialrechts folge, könne nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BerHG behoben werden. § 2 Abs. 2 BerHG sei einer Auslegung nicht zugänglich, wonach steuerrechtliche Angelegenheiten generell, zumindest aber Angelegenheiten des steuerrechtlichen Kindergeldes beratungsfähig seien. Deshalb verstoße nicht nur die vom AG befürwortete Auslegung dieser Vorschrift gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sondern die mittelbar angegriffene Bestimmung des § 2 Abs. 2 BerHG selbst sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Für die Übergangszeit bis zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung der Beratungshilfe durch den Gesetzgeber sei Beratungshilfe grundsätzlich auch in Angelegenheiten des Steuerrechts zu gewähren, sofern hierfür die allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere die individuellen Bewilligungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 BerHG, vorliegen. Diese Übergangsregelung soll gewährleisten, dass bedürftige Rechtsuchende in der Zeit bis zu der erforderlichen Neuregelung der Beratungshilfe in steuerrechtlichen Angelegenheiten keiner Rechte, für deren effektive Wahrnehmung sie auf kostengünstigen Rechtsrat angewiesen sind, bspw. wegen ablaufender Fristen, verlustig gehen. Sie trägt außerdem dem Umstand Rechnung, dass im Falle der Beibehaltung des gegenwärtigen Systems der Beratungshilfe im Ergebnis lediglich die Erstreckung ihres Anwendungsbereichs auf Angelegenheiten des Steuerrechts in Betracht komme.

Die Entscheidung des BVG vom 14.10.2008 trägt das AZ: 1 BvR 2310/06.

DER AUTOR
Peter Brünsing
ist Leiter des Referats Recht und Justiziar der BAG SELBSTHILFE.


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Quelle:
Selbsthilfe 2/2010, S. 42-43
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2010