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SPORT/288: Behindertensportabzeichen auf dem Vormarsch (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 3/2009

Behindertensportabzeichen
Auf dem Vormarsch

Deutscher Behindertensportverband e.V.
National Paralympic Committee Germany


Nein, die Abnahme des Sportabzeichens für Behinderte haben sie nicht mehr im Angebot. "Vor zwei Jahren gab es noch mal jemanden, der sich den Prüfungen für das Sportabzeichen für Behinderte gestellt hat. Seitdem kam aber keine Anfrage mehr", erläutert Günter Schweitzer. Der über 70-Jährige ist Vorstandsmitglied des Behinderten Sportgemeinschaft (BSG) Düsseldorf.


Früher, ja früher hätte es viele Menschen mit Behinderung, egal welcher Behinderungsgrad auch immer, die ihrer Umwelt und natürlich auch sich selbst ihre Sportlichkeit, ihre körperliche Fitness unter Beweis stellen wollten und das Sportabzeichen abgelegt hätten, gegeben. "Es ist noch gar nicht solange her, da hatten wir jährlich 20 bis 25 Prüfungen für das Behindertensportabzeichen. Aber irgendwie scheinen diese Zeiten vorbei zu sein", resümiert Schweitzer.

Um Missverständnissen vorzubeugen, Schweitzer ist mehrfacher Paralympics-Teilnehmer im Schwimmen, holte dabei auch Goldmedaillen, spielt heute noch aktiv Tischtennis und Fußballtennis. Sein Body-Maß-Index liegt im Optimalbereich. Er würde das Sportabzeichen locker bestehen.

Das, was Schweitzer und die BSG Düsseldorf erfahren haben, liegt im Trend und doch wieder nicht. 1990 lag die Zahl der behinderten Menschen, die erfolgreich die Prüfungen zum Sportabzeichen abgelegt hatten bundesweit bei 6129. Danach ging die Zahl bis auf 3104 Sportabzeichenabnahmen, also um gut 50 Prozent zurück (1996). Dann aber kam die Trendwende. Seit 1997 geht es mit den Zahlen ständig bergauf, bis hinein ins Jahr 2007. Da schafften 6455 Menschen mit Behinderung die Sportabzeichen-Prüfung. Aber ausgerechnet das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen, hinkt in der Statistik der jugendlichen Sportabzeichen-Prüflinge hinterher, Nur 58 Behinderte unter 18 erhielten im Jahr 2007 die "Fitnessmedaille" Sportabzeichen. Spitze hingegen ist Thüringen mit 1062 U18-Beurkundungen. Bei den U18-Jährigen sieht es dagegen völlig anders aus. In dieser Statistik ist NRW einsame Spitze. Mit 1055 erfolgreich abgelegten Prüfungen ist das Land an Rhein, Ruhr und Lippe ganz weite vorne. Zweitbestes Bundesland ist Niedersachsen mit gerade mal 496 Sportabzeichen-Erfolgen. "Die Behindertensportverbände der Länder und der Deutsche Behindertensportverband sind bestrebt die Zahlen zu erhöhen. Aber viele Behinderte wissen es einfach nicht, dass es ein Behinderten-Sportabzeichen gibt. Gerade im Jugendbereich ist vieles auch von dem Engagement der Lehrer in den Förderschulen abhängig. Einige Lehrer bringen ihre gesamten Klassen zum Sportabzeichen, andere nicht", erläutert der Referent für Breitensport im Deutschen Behindertensportverband (DBS) e.V. Holger Wölk.

Doch ganz so leicht, die Anzahl der Sportabzeichen-Anhänger unter den Behinderten zu erhöhen, ist es nicht. Die Infos bundesweit flächendeckend zu streuen ist schwierig. "In der Sportabzeichen-Prüferausbildung und in den Übungsleiter-Lehrgängen für Breitensport wird auf das Behinderten-Sportabzeichen hingewiesen. Die Behinderten-Sportvereine erhalten regelmäßig Informationen. Nur, ob diese Hinweise und Infos auch tatsächlich an diejenigen, die es betrifft, weiter gegeben werden, weiß man nicht. Und man kann es auch nicht kontrollieren", meint Wölk. Ja, und dann gibt es auch noch die Grauzone. "Wie viele Menschen mit Behinderung das normale Sportabzeichen machen, weiß keiner. Viele sagen sich, ich brauche keine angepassten Prüfungsbedingungen, ich schaff' das auch so", sagt der DBS-Breitensport-Referent.

Dabei sind die Urkunden und die Sportabzeichen-Anstecknadeln absolut identisch. Sowohl das Sportabzeichen für Nicht-Behinderte als auch für Behinderte ist ein staatlich anerkanntes Ehrenzeichen und von daher etwas völlig anderes als ein "Karnevalsorden". Für das Sportabzeichen muss man vielseitige Prüfungen bestehen. "Der Charakter des Sportabzeichens ist auch für die Behinderten beibehalten worden. Es ist und bleibt eine Vielseitigkeitsüberprüfung bei der Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination getestet werden", so Wölk. Selbstverständlich sind die Übungen dem jeweiligen Behinderungsgrad und -spektrum angepasst. "Beispielsweise wird von einem Rollstuhlfahrer keine Leistung aus dem Bereich Sprung verlangt", berichtet Wölk.

Mal so nebenbei, mit links, ist das Sportabzeichen nicht zu bestehen. Man muss schon ein Mindestmaß an körperlicher Fitness vorweisen, sonst sind die "Hürden" bei den Prüfungsterminen einfach zu hoch. Eine vernünftige Vorbereitung mit regelmäßigem Training tut Not, sonst ist man zu langsam, nicht ausdauernd und kräftig genug. Doch keine Angst, auch beim Behinderten-Sportabzeichen wird niemand überfordert. Die Tests sind nicht nur von Paralympicssiegern und Spitzensportlern zu bestehen. Und wie schon erwähnt, sind die Sportabzeichen-Bedingungen für die unterschiedlichsten Behinderungsgrade und -arten angepasst.

Vor einigen Jahren wurde das alte System grundlegend überarbeitet. "Das Deutsche Behinderten Sportabzeichen gibt es seit 1951. Damals orientierten sich die Bedingungen stark an den Kriegsversehrten. Die Ist-Bestimmungen sind jetzt den aktuellen Bedürfnissen angepasst", berichtet der Breitensportreferent. Sämtliche Bedingungen, Voraussetzungen, Maßgaben und Bestimmungen des Behinderten-Sportabzeichens sind in einem Handbuch zusammengefasst. Auf der Internetseite des Deutschen Behindertensportverbandes (www.dbs-npc.de) den Bereich Breitensport anklicken und dem Link zum Sportabzeichen folgen, dort ist für jedermann das Handbuch einzusehen. "In dem Handbuch steht wirklich alles drin, von den verschiedenen Behinderungsklassen bis zu den dafür geforderten Leistungen", so Wölk.

In dem Handbuch steht aber auch, welchen Menschen mit Behinderung keine Sportabzeichen-Prüfung abgenommen wird. Zum Schutz der persönlichen Gesundheit und Erhaltung des Wohlbefindens ist der Erwerb des Deutschen Sportabzeichens für Menschen mit Behinderung nicht möglich bei: koronaren Durchblutungsstörungen, Zustand nach Herzinfarkt, Herzoperationen und Schrittmacherimplantationen soweit keine fachärztliche Unbedenklichkeitabescheinigung vorliegt und bei allen Erkrankungen, die zu akuten Schüben neigen, wie z.B. Morbus Bechterew, Multiple Sklerose, Netzhautablösung (ablatio retinae) und in Überwachung stehende Lungentuberkulose. Für alle anderen gilt: den Nachweis der dauernden Behinderung von mindestens 20 Prozent vorlegen, und dem Deutschen Sportabzeichen für Menschen mit Behinderung steht nichts mehr im Wege, es sei denn, die eigene körperliche Fitness.


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Das Deutsche Sportabzeichen für Menschen mit Behinderung ...

... verfolgt folgende Ziele:

• Körperlicher Ausgleich zur Behinderung

• Prävention vor weiteren Erkrankungen oder Verschlechterung der Behinderung

• Stärkung des Selbstvertrauens in die eigene Leistungsfähigkeit

• Erwerb einer vielseitigen körperlichen Leistungsfähigkeit

• Anreiz zu regelmäßiger sportlicher Aktivität

Das Deutsche Sportabzeichen für Menschen mit Behinderung ist eine Auszeichnung für gute und vielseitig körperliche Leistungen. Dabei erfolgt die Abnahme in den folgenden fünf Gruppen, wobei ein behinderungsbedingter Austausch in den Gruppen 2-5 erfolgen kann:

• Schwimmen (nicht austauschbar)

• Sprung (austauschbar gegen Geschicklichkeitsübung)

• Lauf (austauschbar gegen Schnellkraftübung)

• Wurf austauschbar gegen Kraftübung)

• Dauerleistung (austauschbar gegen gleichwertige Dauerleistung)

Abnahmeberechtigt sind nur die von den Landessportbünden in Zusammenarbeit mit den Landesverbänden des DBS ausgebildeten Prüferinnen und Prüfer.

Das Deutsche Sportabzeichen ist als Ehrenzeichen staatlich anerkannt (Bundesgesetzblatt Teil I 1958 S. 422); es darf nur getragen werden, wenn es ordnungsgemäß verliehen worden ist und der Beliehene hierüber eine Verleihungsurkunde oder ein Besitzzeugnis innehat (§ 8 des Ordensgesetzes).


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Quelle:
Selbsthilfe 3/2009, S. 34-35
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2009