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VERBAND/627: Bethel - Muslimische Frauen in der Freiwilligenagentur (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel - Februar 2009

Muslimische Frauen in der Freiwilligenagentur
Mit dem Ehrenamt auf dem richtigen Weg

Von Robert Burg


Blinzelnd blickt die ältere Frau in Richtung Sonne. Die steht schon tief am Himmel, bald dämmert es. Ein paar große, knorrige Apfelbäume haben ihre Aufmerksamkeit gefesselt. "Güzel", sagt sie leise zu ihrer ehrenamtlichen Betreuerin Feriha Baysan - "schön". Wie jeden Mittwoch unternehmen die beiden Frauen auch heute eine Spazierfahrt durch Eckardtsheim.


Seit August betreut Feriha Baysan aus Bielefeld-Sennestadt ehrenamtlich eine ältere Frau, die - wie sie selbst - aus der Türkei kommt. Die Bewohnerin des Hauses Ehm sitzt im Rollstuhl und ist sprachlich stark eingeschränkt. Wie viel sie versteht, ist nicht immer klar." Als ich hier anfing, da konnte sie gar nicht sprechen", erinnert sich Feriha Baysan, die sich über die Betheler Freiwilligenagentur in Eckardtsheim engagiert. Mittlerweile kann die behinderte Frau wieder ein paar Worte sprechen - aber nur auf Türkisch. Sie hat viel Lebensqualität dazu gewonnen, weil sie jetzt mit jemandem in ihrer Muttersprache reden kann." In Bethel leben Menschen, die aus verschiedenen Kulturkreisen kommen, die verschiedene Sprachen sprechen und die verschiedenen Religionen angehören. Alle sollen die Hilfe und Unterstützung bekommen, die sie brauchen", betont Pastor Ulrich Pohl, Vorstandsvorsitzender der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel.

Für die ältere Frau aus Eckardtsheim sind die Besuche von Feriha Baysan glückliche Momente: "Sie freut sich wie ein Kind, wenn wir zusammen draußen sind." Genauso, wie sie jetzt kundtun kann, wenn ihr etwas besonders gut gefällt, kann sie nun auch "Nein" sagen: "Wenn ich ein Thema anschneide, über das sie nicht reden will, dann sagt sie es mir deutlich." Besonders gerne hört sie Gebete in ihrer Muttersprache. Dann geht sie auf eine Reise in die Vergangenheit und erinnert sich an Erlebnisse, die lange zurückliegen. Auch ihre zeitliche Orientierung hat sich verbessert: "Ich besuche sie immer zu einer festen Uhrzeit. Komme ich später, fragt sie, wo ich war."


Aufmerksamkeit

Mittlerweile ist das Vertrauen zwischen den beiden Frauen gewachsen. Das zeigt sich etwa dann, wenn die Elim-Bewohnerin in ihrem Essen Schweinefleisch vermutet. Hat ihre ehrenamtliche Betreuerin bei den Pflegekräften nachgehakt, ist sie ebenfalls beruhigt. "Altere Menschen brauchen die Aufmerksamkeit von jüngeren", ist Feriha Baysan überzeugt. Für Menschen, die aus ihrem Kulturkreis stammen, sei es besonders schmerzhaft, im Alter alleine zu sein. "Wir haben oft sehr enge Familienbande. Trotzdem zu vereinsamen tut den Menschen sehr, sehr weh."


Große Bereitschaft

Auch Seviye Dumanli engagiert sich ehrenamtlich in Bethel. Ihr Einsatzort ist das Kinderzentrum. Hier leistet die Bielefelderin kranken Kindern und deren Eltern in Krisensituationen Beistand. "Ich versuche, sie auf andere Gedanken zu bringen. Sie sollen spüren, dass sie nicht alleine sind." Leider falle es vielen Menschen mit Migrationshintergrund schwer, professionelle Hilfe anzunehmen, so Seviye Dumanli. "Die verstehen mich doch eh nicht", sei eine weitverbreitete Meinung. Über ihr eigenes Engagement sagt sie: "Hier zu arbeiten macht mich glücklich und zufrieden - gutes Tun tut der Seele gut." Auch wenn es nicht immer einfach ist, Arbeit, Familie und Ehrenamt unter einen Hut zu bringen. "Aber mein Mann unterstützt mich sehr; er kümmert sich oft um die Kinder", so die zweifache Mutter, die zudem als Friseurin arbeitet.

Die diakonische Gemeinschaft Nazareth unterstützt die Freiwilligenagentur mit einem breiten Fortbildungsangebot für die rund 600 Ehrenamtlichen, die in Bethel im Einsatz sind. Hier behandeln Referenten Themen, die für die alltägliche Praxis der Ehrenamtlichen wichtig sind. So werden in Seminaren Krankheitsbilder erklärt oder das richtige Verhalten in Konfliktsituationen besprochen. Gemeinsam mit ihrer Ehrenamts-Kollegin Feriha Baysan hat Seviye Dumanli an einem Nazareth-Seminar teilgenommen, in dem es um Seelsorge ging. Der Austausch mit den Referentinnen und den anderen ehrenamtlichen Helfern hat den beiden gut getan: "Wir haben viel gelernt. Schließlich sind wir ja keine Profis und nicht für diese Arbeit ausgebildet." Dass sie mit einem anderen religiösen Hintergrund in die Seminare kamen als die übrigen Teilnehmenden, war für die beiden engagierten Frauen kein Problem: "Ich habe mich nicht fremd gefühlt. Das Seminar hat mir gezeigt, dass ich mit meiner ehrenamtlichen Tätigkeit auf dem richtigen Weg bin", sagt Seviye Dumanli. Feriha Baysan fügt hinzu: "Wenn man von Gott geschenkt bekommt, dass es einem gut geht, dann soll man das mit anderen teilen. Dann geht es allen besser.

"Es hat sich in Bethel noch nicht herumgesprochen, dass wir auch Unterstützung speziell für behinderte Menschen mit Migrationshintergrund anbieten", sagt Evelyn Krüger. Die Referentin in der Betheler Freiwilligenagentur begleitet den Einsatz von Feriha Baysan und Seviye Dumanli. Sie ist sich sicher." Der Bedarf ist da." Zudem gebe es in den muslimischen Gemeinden eine große Bereitschaft, sich für behinderte Menschen einzusetzen. Vor Kurzem erreichte sie die E-Mail einer jungen türkischstämmigen Frau, die sich für die Betheler Freiwilligenarbeit interessiert. Ihre Begründung." Ich möchte meinen Kindern ein gutes Vorbild sein."


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Quelle:
DER RING, Februar 2009, S. 14-15
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2009