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VERBAND/630: BAG Selbsthilfe übernimmt Sekretariat des Deutschen Behindertenrates (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2009

Staffelstab an Hannelore Loskill
BAG Selbsthilfe übernimmt Sekretariat des DBR

Von Elisabeth Fischer


"Menschen mit Behinderungen drohen die ersten Leidtragenden der Wirtschafts- und Finanzkrise zu werden. Die Bundesregierung muss daher Maßnahmen ergreifen, um dies zu verhindern!" Das forderte Walter Hirrlinger, Vorsitzender des DBR-Sprecherrates, anlässlich des Internationalen Tages der Menschen mit Behinderungen. Hirrlinger und die anderen Vertreterinnen des Deutschen Behindertenrates warnten die Bundesregierung vor Kürzungen im sozialen Bereich und verlangten Investitionen in eine barrierefreie Infrastruktur und inklusive Bildung.


Die Vereinten Nationen haben den 3. Dezember jeden Jahres zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung erklärt. An diesem Tag soll der Öffentlichkeit ins Bewusstsein gebracht werden, dass Menschen mit Behinderungen vielfältigen Benachteiligungen ausgesetzt sind.

"Durch Investitionen beispielsweise in barrierefreie Bahnhöfe, Busse und Bahnen wird die Gesellschaft fit gemacht für den demografischen Wandel. Dies dient auch älteren und mobilitätseingeschränkten Menschen", erklärte der scheidende Vorsitzende des Sprecherrates des DBR. Er forderte die Bundesregierung auf, ihren Widerstand gegen die europäische Antidiskriminierungsrichtlinie aufzugeben. Diese Richtlinie verlangt vom Handel, Ärzten und der Wohnungswirtschaft, mehr für die Barrierefreiheit zu tun als bisher. Staatliche Förderprogramme nach österreichischem Vorbild könnten Initiativen in diesem Bereich unterstützen.

Marianne Saarholz vom SoVD ging besonders auf die Benachteiligung behinderter Kinder im deutschen Schulsystem ein. "Wenn nur fast 16 Prozent aller behinderten Kinder integriert unterrichtet werden, ist das beschämend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass unsere Nachbarländer eine Quote von 60 bis 80 Prozent erreichen", machte Marianne Saarholz deutlich. So behindern nach wie vor Barrieren die Mobilität oder die Kommunikation und Eltern behinderter Kinder dürfen nicht frei wählen, welche Schule ihr Kind besucht. 77 Prozent der Sonderschüler verlassen die Schule ohne Hauptschulabschluss und die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen ist 50 Prozent höher als die nicht behinderter Menschen.

Es brauche endlich den politischen Willen, ein inklusives Bildungssystem durchzusetzen. Wie weit es bisher damit bestellt sei, zeige ein Blick in das Jahr 1994, bereits damals habe die Bundesregierung die Salamanka-Erklärung für inklusive Bildung unterschieben. Geschehen sei seitdem nicht viel. Die Politik müsse endlich mehr in individuelle sonderpädagogische Förderung und Schulassistenz investieren. Dies fordere schließlich auch die UN-Konvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Auch Dr. Sigrid Arnade vom Weibernetz ging auf die besondere Bedeutung der UN-Konvention ein, sie sei ein Meilenstein für die Rechte behinderter Menschen und mache vor allem deutlich, dass es sich um eine Querschnittaufgabe im Disability Mainstreaming und im Gender Mainstreaming handle. Dies bedeute, die Themen Behinderung und auch die Bedeutung des sozialen Geschlechts in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu holen, um mehr Gerechtigkeit zu erreichen.

Turnusgemäß übergab Walter Hirrlinger sein Amt als Vorsitzender des DBR-Sprecherrates für das Jahr 2009 an Hannelore Loskill, die stellvertretende Bundesvorsitzende der BAG Selbsthilfe. Sie verwies auf die am gleichen Tag anstehende Gründung des Trägervereins für das Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit, die unter Federführung der BAG SELBSTHILFE realisiert wurde. "Dies ist ein kleiner Stein in einer großen Baustelle", betonte Hannelore Loskill.

Am Abend lud dann der Deutsche Behindertenrat Politikerinnen und Politiker zu einem parlamentarischen Abend ein. Dort übergaben die DBR-VertreterInnen ihre Behindertenpolitischen Forderungen. Walter Hirrlinger ging noch einmal auf das Thema Teilhabe im Nationalen wie Internationalen ein. Klaus Lachwitz, Bundesvereinigung Lebenshilfe, erläuterte die Reform der Eingliederungshilfe im Rahmen eines Gesamtkonzeptes der Betreuung pflegebedürftiger, alter und behinderter Menschen, und Swantje Köbsell, Universität Bremen, stellte die Frage, ob die Bildungspolitik in Deutschland, Bildungschancen für alle gewährleiste.

Zu den ersten Aufgaben des "neuen" DBR-Sprecherrates gehörte am 10. Februar ein Besuch bei der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auch an diesem Tag standen die politischen Forderungen behinderter und chronisch kranker Menschen in Deutschland im Mittelpunkt des Gesprächs. Trotz der Turbulenzen um die Neubesetzung des Bundeswirtschaftsministers blieb die Kanzlerin bei ihrem Termin mit dem DBR.

"Bei allen Infrastrukturmaßnahmen, die durch das Konjunkturpaket II gefördert werden sollen, muss zwingend die Barrierefreiheit berücksichtigt werden", machte Hannelore Loskill als Sprecherin des DBR gegenüber der Kanzlerin deutlich. Insbesondere die Notwendigkeit der Schaffung barrierefreier Bildungseinrichtungen zur Gewährleistung inklusiver Bildung wurde von den Vertreterinnen und Vertretern des DBR in den Fokus gestellt.

Darüber hinaus erläuterten sie den gesetzgeberischen Handlungsbedarf auch bei den anderen Bereichen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und stellte den behindertenpolitischen Reformbedarf bezüglich der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe sowie des SGB IX klar.

Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm den umfangreichen Forderungskatalog entgegen und dankte für die ausführlichen Erläuterungen der Vertreterinnen und Vertreter des Deutschen Behindertenrates. Sie versprach insbesondere, sich bei den Bundesländern hinsichtlich der Schaffung einer barrierefreien Infrastruktur einzusetzen.


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Quelle:
Selbsthilfe 1/2009, S. 16-17
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2009