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VERBAND/652: Der Kommentar - Einrichtungen und Inklusion (LHZ)


Lebenshilfe Zeitung, Nr. 1 - März 2010

DER KOMMENTAR
Einrichtungen und Inklusion

Von Ulrich Bauch, Chefredakteur der LHZ


Die Behindertenrechtskonvention und ihre Auswirkungen sind zum beherrschenden Thema in der Behindertenpolitik geworden - und sie wird fundamentale Veränderungsprozesse auslösen, die zum Teil schon begonnen haben.

Einher geht diese Entwicklung mit der Inklusionsdebatte. Diese Debatte wird mit zunehmender Intensität, manchmal fast schon glaubenskriegartig geführt und an vielen Stellen auf die Gegenüberstellung Inklusion kontra Einrichtungen zugespitzt. In Teilen der Debatte wäre mehr Sachlichkeit und Klarheit wünschenswert.

Versuchen wir einmal einen solch klaren, weder juristisch noch pädagogisch geprägten Blick:

Was bedeutet Inklusion? Nichts anderes als die uneingeschränkte Teilhabe aller Menschen mit Behinderung. Hierfür stehen wir seit 51 Jahren.

Wo in der Behindertenrechtskonvention steht, dass Einrichtungen abgeschafft werden sollen? Nirgends. Eine solche Forderung haben sich die Gremien der Lebenshilfe auch nicht zu Eigen gemacht.

Die Behindertenrechtskonvention sieht u.a. vor, dass Menschen mit Behinderung ein Recht auf inklusive Bildung haben und ihre Wohnform frei wählen können. Das heißt im Umkehrschluss, dass ein Mensch mit Behinderung auch in Zukunft eine Förderschule besuchen und in einem Wohnheim leben kann, denn seine Vorstellungen und die konsequente Umsetzung des Wunsch- und Wahlrechts sollen handlungsleitend sein. Ist es vielleicht die Angst vor diesem konsequenten Wunsch- und Wahlrecht und seinen Auswirkungen auf unsere Einrichtungen, die an mancher Stelle eine strikte Abwehrhaltung hervorruft?

Wenn wir als Lebenshilfe glaubhaft bleiben wollen, müssen wir den Weg zur Inklusion mitgehen. Mehr noch, wir müssen ihn aktiv mitgestalten und zwar im Sinne der Menschen mit Behinderung und ihrer Familien. Das heißt Vielfältige Angebote schaffen und Wahloptionen ermöglichen.

Und hier liegen die Chancen für unsere Einrichtungen. Sie werden mitgestalten können, wenn sie sich wandeln und neue, flexible und individuelle Angebote entwickeln. Inklusion ohne sich verändernde Einrichtungen "in neuer Form" geht an der Lebenswirklichkeit vorbei und ist nicht möglich. Viele Einrichtungen sind bereits auf diesem Weg in die Zukunft und beweisen dabei eine hohe Innovationskraft. Wer diese Innovationskraft nicht hat, wird es zukünftig schwer haben, gerade auch junge Eltern zu gewinnen.

Neben der Transformation unserer Einrichtungen zu Dienstleistern, die überwiegend ambulante und modular abrufbare Leistungen mit Assistenzcharakter anbieten, sehe ich zwei weitere Hauptaufgaben für die Lebenshilfe. Erstens: Die Einbeziehung von Menschen mit schwerer Behinderung, denn Inklusion muss für alle Menschen mit Behinderung gelten. Inklusion darf nicht von der Schwere der Behinderung und damit von Art und Umfang des Bedarfs an Teilhabeunterstützung abhängig sein! Trotz vieler Aktivitäten laufen wir manchmal Gefahr, diese Menschen nicht ausreichend im Blick zu haben. Inklusion bietet uns auch hier Chancen. Zweitens: Inklusion darf nicht zu Leistungskürzungen mit dem Ziel von Kostenreduzierungen missbraucht werden.

Inklusion heißt nicht, dass wir bisher einen falschen Weg gegangen sind. Inklusion ist die logische Folge der Leitbilder Normalisierung, Integration, Selbstbestimmung und Teilhabe. Übrigens: Eine Behindertenrechtskonvention haben wir bereits im Jahr 1990 in unserem Grundsatzprogramm gefordert.


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Quelle:
Lebenshilfe Zeitung, Nr. 1/2010, 31. Jg., März 2010, S. 2
Herausgeber: Bundesvereinigung Lebenshilfe
für Menschen mit geistiger Behinderung
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jährlich viermal (März, Juni, September, Dezember).


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2010