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VERBAND/671: Der Gesundheitsbezogene Fachdienst - Im Dienst der Gesundheit (LHZ)


Lebenshilfe Zeitung, Nr. 1 - März 2011

Im Dienst der Gesundheit
Drei Pflegefachkräfte unterstützen die Wohnstätten
Neuer Service der Lebenshilfe Berlin könnte bundesweit Schule machen

Von Kerstin Heidecke


Katja L. ist Ende Vierzig. Die mittelgroße Frau aus der Lebenshilfe-Wohnstätte im Nordosten Berlins wiegt mehr als 100 Kilo. Ein Gewicht, das Gefahren birgt; für Thrombose, Herzinfarkt, Kreislaufprobleme. Andrea Boss und Susann Engelmann vom Gesundheitsbezogenen Fachdienst (GbD) der Lebenshilfe Berlin nehmen sich Zeit für die Klientin, erfragen Ernährungsgewohnheiten, sehen sich die Beine an, die vom Tragen des Übergewichts stark geschwollen sind und schon zu Krampfadern neigen.


Checklisten helfen, Gefahren einzuschätzen

Punkt für Punkt gehen die Diplom-Pflegewirtinnen die gesundheitlichen Risiken durch. Basis dafür sind sogenannte wissenschaftliche Assessments aus der Pflegewissenschaft. Da geht es um Stürzrisiken, Dekubitus (das Wundliegen), Kau- und Schluckstörungen oder die mangelnde Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme. Die Checklisten helfen bei der systematischen Einschätzung der Gefahren und um herauszufinden, was aus pflegerischer Sicht zu tun ist. Im Gespräch mit den Betreuern und dem Wohnstättenleiter Stephan Vogel unterbreiten Andrea Boss und ihre Kollegin später Lösungsvorschläge: Aquafitness, Ernährungsberatung, Spaziergänge, ein Venenkissen. Am Ende des Tages werden die beiden Expertinnen für jeden Bewohner der Wohnstätte Schöneicher Straße Gesundheitsrisiken identifiziert haben.

Für Stephan Vogel ist der Gesundheitsbezogene Fachdienst der Lebenshilfe mit seinem Beratungsangebot ein Riesengewinn: "Etwa, wenn ein Bewohner frisch operiert aus dem Krankenhaus kommt und tägliche Verbandswechsel bei einem künstlichen Darmausgang benötigt. Und dann verwehrt die Kasse die Kosten für den Krankenpflegedienst. Bis unser Einspruch bearbeitet wird, ist's aber zu spät. Da ist es gut, jemanden zu haben, den man anrufen kann. Wir fühlen uns so einfach sicherer."

Dabei hat Stephan Vogel noch Glück; sein Team ist ein multiprofessionelles - mit Heilerziehungspflegern, Pädagogen, Erziehern und einer Ergotherapeutin. "Bisher liegt der Fokus in den Wohnstätten aber klar auf der pädagogischen Arbeit", erzählt Andrea Boss.


Wissen aus Pädagogik und Pflege kommt zusammen

Martin Schützhoff, Leiter der Beratungsdienste, Produkt- und Konzeptentwicklung der Lebenshilfe Berlin ergänzt: "Wir haben erstmals eine Generation älter werdender Klienten, dazu viele junge Menschen mit schwerer Mehrfachbehinderung. Deshalb ist es wichtig, dass das Wissen aus Pädagogik und Pflege zusammenkommt." Unter seiner Federführung hat eine Arbeitsgruppe der Berliner Lebenshilfe, bestehend aus ehemaligen Vorstands- und Vereinsmitgliedern, Idee und Projektplanung für den Gesundheitsbezogenen Fachdienst entwickelt.

Seit Juli 2009 besteht der GbD aus drei Vollzeit-Mitarbeiterinnen. Neben Andrea Boss, die den GbD leitet, und Susann Engelmann gehört noch Mirtha Gamboa dem Team an. Das Trio hat sich als ein Ziel vorgenommen, die pflegerischen und gesundheitlichen Risiken der 270 Klienten in den Berliner Lebenshilfe-Wohnstätten systematisch zu erheben. Ein Vorhaben, von dem alle Beteiligten profitieren werden. Denn die GbD-Expertinnen erwarten aus der Erhebung Erkenntnisse darüber, worauf besonders geachtet werden muss und welche Maßnahmen daraus folgen müssen.


Mitarbeiter in Einrichtungen werden zu Multiplikatoren

"Die Mitarbeiter in den Wohnstätten sind oft mit Gesundheits- und pflegerischen Fragen überfordert und allein gelassen", sagt Mirtha Gamboa. Mit Hilfe des GbD bekommen die Betreuerteams mehr Fachkenntnisse an die Hand - mit konkreten Handlungsanleitungen.

Schon jetzt schulen die GbD-Fachfrauen regelmäßig Lebenshilfe-Mitarbeiter. Sie sollten in der Funktion eines Gesundheits- und Pflegeberaters ihr erworbenes Wissen in die Einrichtungen tragen und als Multiplikatoren wirken. Ziel ist, dass in jeder Wohnstätte künftig mindestens ein oder zwei dieser Berater als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.

Der Austausch in den monatlichen Seminaren ist für alle spannend. So stellt etwa jeder Teilnehmer einen Klienten aus seiner Wohnstätte vor und erläutert dessen pflegerischen oder gesundheitsbezogenen Bedarf. Das ist echte Detailarbeit. Zum Beispiel die Sturzrisikofaktorenanalyse. Das Wortungetüm hat es in sich. Zu begutachten sind die äußeren und die inneren Faktoren eines Sturzes. Sprich: Welche äußeren Gefahren gibt es - wie zum Beispiel bauliche Hürden am Wohnhaus oder schlicht ungeeignete Schuhe? Und welche Risiken bringt der Klient mit - wie etwa Probleme mit Motorik, Körperbalance oder Sehbeeinträchtigungen?

Je sensibler die pädagogischen Mitarbeiter in Sachen Gesundheitsförderung sind, umso besser. Etwa, wenn sie darauf achten, ob sich das Gewicht eines Klienten dramatisch verändert, oder wenn sie wissen, dass er häufiger an Verstopfung leidet.

"Dann werden wir nicht erst gerufen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist", sagt Andrea Boss, "So können wir nicht nur Schmerzen verhindern, sondern auch haftungsrelevante Risiken eindämmen, wenn zum Beispiel eine Dekubitusgefahr früh erkannt wird." Immerhin kann das Auskurieren des Wundliegegeschwürs mit ärztlicher Versorgung, Wundmaterial und Schmerzmitteln 50.000 bis 80.000 Euro kosten.

Was sich das Team des GbD deshalb besonders wünscht, ist, dass es mit seiner Aufbauarbeit nicht allein bleibt: "In der Pflegeausbildung werden Menschen mit Behinderung vernachlässigt", sagt Susann Engelmann. Andrea Boss ergänzt: "Das Thema gehört in die Curricula aller Kranken- und Altenpflegeschulen - und an die Universitäten! Denn der Bedarf wird steigen."


TIPPS FÜR PATIENTEN

Ein Patientenmerkblatt mit acht Tipps für Arzneimitteltherapie soll dafür sorgen, dass die Patienten sicher mit Medikamenten umgehen. Herausgeber ist das Bundesgesundheitsministerium in Zusammenarbeit mit Ärzteschaft, Apothekern und anderen Institutionen des Gesundheitswesens. Das Merkblatt liegt in Apotheken und Krankenhäusern aus.
Es kann auch heruntergeladen werden unter
www.akdae.de/AMTS/index.html

Eine frühzeitig erkannte Krankheit kann schneller und effizienter behandelt werden als ein zu spät entdecktes Leiden. Allerdings ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt, welche Vorsorgeuntersuchungen es überhaupt gibt und welche davon die Krankenkassen bezahlen. Diesem Manko will das Infozentrum für Prävention und Früherkennung (IPF) abhelfen. Das IPF hat sich zur Aufgabe gemacht, die Bevölkerung über die Früherkennung von Krankheitsrisiken durch Labormedizin zu informieren: durch Leser-Telefonaktionen, Ratgeber-Beiträge und Experten-Interviews.
Mehr Informationen unter:
www.vorsorge-online.de


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Quelle:
Lebenshilfe Zeitung, Nr. 1/2011, 32. Jg., März 2011, S. 22
Herausgeber: Bundesvereinigung Lebenshilfe
für Menschen mit geistiger Behinderung
Bundesgeschäftsstelle, Leipziger Platz 15, 10117 Berlin
Telefon: 030/20 64 11-0, Fax: 030/20 64 11-204
E-Mail: LHZ-Redaktion@Lebenshilfe.de
Internet: www.lebenshilfe.de

Die Lebenshilfe-Zeitung mit Magazin erscheint
jährlich viermal (März, Juni, September, Dezember).


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2011