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VERBAND/710: Zehn Jahre Haus Im Stift in Gevelsberg (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Oktober 2013

Zehn Jahre Haus Im Stift in Gevelsberg
Nach der Bundeswehr fehlte die Tagesstruktur

Von Gunnar Kreutner



Mehr als 20 Entgiftungen hat Matthias Peter mittlerweile hinter sich. "Seit meiner frühen Jugend ist der Alkohol mein enger Begleiter", erzählt der 31-Jährige heute offen. Nach vielen erfolglosen Versuchen lebt der junge Mann inzwischen in dem Bewusstsein, nur mit der Unterstützung von Fachleuten dauerhaft und eigenständig trocken bleiben zu können. Im Betheler Haus Im Stift in Gevelsberg fühlt er sich auf dem richtigen Weg.


"Ich wohne nun schon zwei Jahre hier, und die Leute haben mir bereits sehr geholfen, mit meiner Abhängigkeit umzugehen", sagt Matthias Peter. Er bekomme die richtigen "Werkzeuge" vermittelt, um zurück ins Leben zu finden. "Vor allem habe ich hier einen starken Rückhalt, meine Sorgen werden sehr ernst genommen, und ich habe viel Vertrauen zu den Mitarbeitern", erzählt er bei einem Rundgang durch die Einrichtung, die Ende September ihr zehnjähriges Jubiläum feierte.


Vorreiterrolle

Das Haus Im Stift wurde im Sommer 2003 als Neubau mit zunächst sechs Plätzen eröffnet. Die Einrichtung war damals das erste und einzige sozialtherapeutische Wohnheim im Ennepe-Ruhr-Kreis, in dem chronisch mehrfach abhängigkeitskranke Menschen an ein möglichst normales Leben herangeführt werden. Mittlerweile bietet die Einrichtung 24 stationäre Plätze im Haus an. Hinzu kommen zwei angemietete Wohnungen für dezentral stationäres Wohnen in unmittelbarer Nähe.

Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner kommen nach einer Entgiftung in die stationäre Einrichtung. Für sie geht es darum, sich zu stabilisieren und eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. In regelmäßigen Einzel- und Gruppengesprächen oder in speziellen therapeutischen Gruppen erlernen sie Strategien, um Rückfälle zu vermeiden, Signale rechtzeitig zu erkennen und brenzligen Situationen auszuweichen. Auch Matthias Peter, der seit vier Monaten trocken ist, weiß sich meistens zu schützen. "Meine Cousine hat zum Beispiel heute Geburtstag. Da werde ich mich frühzeitig verabschieden, bevor das erste Bier auf den Tisch kommt", so sein Plan.

Wie Matthias Peter sind die meisten Bewohner mehrere Jahre im Haus Im Stift - bis sie wieder möglichst eigenständig und ohne intensive Begleitung leben können. Dirk Frede, seit Anfang 2012 Leiter des Wohnheims, hat noch nicht erlebt, dass ein Bewohner allein durch den Einzug in das Haus Im Stift sofort dauerhaft abstinent bleibt. "Darum lernen sie bei uns, trotz der lebenslangen Gefährdung durch ihre Suchterkrankung so selbstbestimmt wie möglich ihren Alltag zu meistern", erläutert er. Das Team aus Sozial- und Heilpädagogen, Ergotherapeuten und Krankenpflegekräften vermittelt den Bewohnern, wie man gesünder lebt, mehr Eigenverantwortung übernimmt und soziale Kontakte knüpft und pflegt.

Die Geschichte von Matthias Peter könnte für viele Betroffene stehen. Bereits mit 13 Jahren rauchte er seinen ersten Joint. An den Wochenenden trank er regelmäßig viel Bier. Mit 16 kamen die ersten härteren Drogen dazu. "Speed, Kokain und in meiner Techno-Zeit auch Amphetamine. Bis auf Heroin war fast alles dabei", erinnert er sich. Gruppenzwang habe eine wesentliche Rolle gespielt.


Viele Abstürze

Im Jahr 2002 wurde Matthias Peter für vier Jahre Zeitsoldat bei der Bundeswehr. Während dieser Zeit zeigte er erste körperliche Symptome: Schweißausbrüche und Herzrasen. "Zu diesem Zeitpunkt war mir meine Sucht schon bewusst und trotzdem irgendwie noch nicht mein Thema", versucht er sein Problem zu beschreiben.

Nach der Bundeswehr fiel Matthias Peter in ein Loch, weil er keine Tagesstruktur mehr hatte. "Ich habe keine Befehle mehr empfangen, ich habe überhaupt nichts mehr empfangen", sagt er. Er habe sich in seiner Heimatstadt Hattingen arbeitslos gemeldet und dann "so richtig mit dem Saufen angefangen". Daraufhin folgten viele gefährliche Abstürze mit anschließenden Entgiftungen. Aus Verzweiflung unternahm Matthias Peter sogar zwei Suizidversuche, die er mit Glück überlebte.

Zwischendurch hatte Matthias Peter aber auch Erfolgserlebnisse. Auf Vermittlung des Jobcenters absolvierte er eine Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik. "Ich hatte einen sehr verständnisvollen Chef, mit dem ich offen über meine Alkoholprobleme sprechen konnte", erzählt er. Dennoch konnte sein Chef ihn nach der Ausbildung nicht lange halten, und Matthias Peter war wieder arbeitslos.

Im Haus Im Stift sieht sich Matthias Peter nun aber gestärkt und gut vorbereitet, um wieder in seinen gelernten Beruf zurückzukehren. "Mein nächstes Ziel ist es, erst einmal einen 400-Euro-Teilzeitjob zu finden." Zurzeit mache er ein Langzeitpraktikum in der Lagerlogistik der Bethel-Werkstatt in Breckerfeld-Zurstraße. "So bleibe ich in meinem Fachgebiet", freut er sich.

Langweilig werde es ohnehin nicht für ihn in Gevelsberg. Am Wochenende trage er Zeitungen aus. Außerdem habe er in der Einrichtung echte Freunde gefunden. Und die haben viel Vertrauen zu Matthias Peter, der immer ein offenes Ohr für die Sorgen der anderen hat. Gerade erst wurde er einstimmig in den Heimbeirat gewählt.

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Quelle:
DER RING, Oktober 2013, S. 16-17
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2013