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VERBAND/729: Mut zum Perspektivwechsel in der Selbsthilfearbeit (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2015

NEUE WEGE IN DIE ZUKUNFT
Mut zum Perspektivwechsel in der SeIbsthilfearbeit


Wer seine Verbandsarbeit modernisieren und zukunftsfähig gestalten möchte, mehr Mitglieder aktivieren und qualifizieren möchte, um den verbandlichen Zusammenhalt zu stärken oder auch anstrebt jüngere Teilnehmende zu gewinnen und wer wissen möchte, wie vor der zunehmenden Bindung finanzieller Mittel, Geschlechtergleichstellung als Grundelement in Projekte einfließen kann, der beschäftigt sich mit den zentralen Themen der Zukunft: verbandlicher Zusammenhalt, ehrenamtliches Engagement, Integration. Diese gilt es, neben der täglichen Verbandsarbeit, zu bewältigen. Die Strategie als Hilfe zur Umsetzung lautet: Gendersensibles Verbandsmanagement. Mit dieser Strategie werden die selbstkritischen Fragen mit neuer Perspektive in den Blick genommen und alltagstaugliche Handlungsoptionen entwickelt.


Mut die Perspektive zu wechseln - Eine reflektierte Begegnung der Geschlechter

Das Leben von Frauen und Männern ist in den letzten Jahrzehnten vielfältiger geworden. Trotz aller Fortschritte aber: Der Alltag und die Lebenswirklichkeit von Frauen und Männern unterscheiden sich noch in vielen Bereichen gravierend. Vor diesem Hintergrund entwickeln sich auch im Verbandsleben und ehrenamtlichen Engagement unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen von Frauen und Männern. Entscheidungen oder Vorhaben, die auf den ersten Blick "neutral" erscheinen, können ganz unterschiedliche Auswirkungen auf beide Geschlechter haben. Was für Frauen gut ist, muss noch lange nicht für Männer richtig sein. Oder umgekehrt. Egal oh wir bewusst oder unbewusst handeln, es betrifft mittelbar oder unmittelbar Frauen und Männer in ihren vielfältigen Lebensbedingungen

Wie sich die Nutzungsinteressen und Bedürfnisse zwischen den Geschlechtern unterscheiden, verdeutlicht das Beispiel vom Bau eines neuen Radwegs. In der Planungsphase erfolgte eine geschlechtsdifferenzierte Umfrage zu den Erwartungen an die Radweggestaltung. Die Auswertung zeigte auf: Frauen legten eher Wert auf ansprechende gestaltete Rastplätze oder familiengerechte Beschilderungen. Männer legten mehr Wert auf leistungsorientierte Informationen zu Entfernungs- und Schwierigkeitsgraden. Weil die Anfrage bereits im Vorfeld stattfand, konnten beide Interessenlager gleichermaßen bei der Anlage und Gestaltung berücksichtigt werden (Rotschopf/Annemoser 2000). Im Handlungsrahmen der Gesundheitsvorsorge sind beispielsweise Fragen zu Angebotszeiten finanzieller Ressourcen ebenso von Bedeutung wie Fragen zur Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Alle Beispiele zeigen, wie wertvoll es ist, bei Entscheidungen oder Planungen jedem Geschlecht reflektiert zu begegnen, so dass wir in unserer Verbandsarbeit gezielt für Männer und Frauen denken, planen und handeln können.


Projekt "Implementation eines genderorientierten Verbandsmanagements in der Selbsthilfearbeit"

Anfang Januar 2015 startete das Projekt der BAG SELBSTHILFE "Implementation eines genderorientierten Verbandsmanagements in der Selbsthilfearbeit". Das Projekt versteht sich als Gestaltungshilfe und Ermutigung, zukunftsweisende Themen unter der Berücksichtigung der Geschlechterperspektive im Verbandsalltag nicht aus dem Blick zu verlieren. Das Bundesministerium für Gesundheit übernahm die Förderung des Projekts.

Kernthema ist die geschlechtsdifferenzierte Auseinandersetzung und die gemeinsame Verantwortung von Männern und Frauen, Gleichstellung in die Verbandsaktivitäten umzusetzen. Nur gleichwertige Rahmenbedingungen schaffen die Grundlage für eine zukunftsorientierte Selbsthilfe. Das bedeutet, die unterschiedlichen Lebenszusammenhänge, Bedürfnisse und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen. Erst eine geschlechterbewusste und differenzierte Betrachtung lässt inhaltliche und strukturelle Ungleichheiten im Verband erkennen und beheben. Beispielsweise sind 72% der Vereinsmitglieder der BAG SELBSTHILFE Frauen, doch dies spiegelt sich in der Zusammensetzung vieler Entscheidungsgremien noch nicht wider.


Zukunftsstrategie Gendersensibles Verbandsmanagement

Das Hauptaugenmerk liegt auf der Veränderung von Strukturen. Die Neugestaltung von Rahmenbedingungen für das Handeln des Einzelnen rückt in den Mittelpunkt. Auf die Verbandsarbeit bezogen heißt es: Alle Prozesse, Strukturen und Ergebnisse werden im Hi nblick sowohl auf deren Wirkung auf Frauen und Männer als auch auf die gegenseitige Beziehung zueinander überprüft. Wie ein roter Faden sollte sich der Blick auf die individuellen Bedürfnisse beider Geschlechter von Beginn an und regelmäßig durch die Verbandsarbeit ziehen. Die Umsetzung ist mit dem Flechten eines Zopfes vergleichbar, bei dem alle Stränge wie Machbarkeit, Kosten, Sachstand und die Frage der Geschlechterperspektive von Anfang an gemeinsam verwoben werden (Stiegler 2002). Entscheidungen werden dann von allen Strängen geprägt. Ein Automatismus des "Mitdenkens" entsteht.

Der Nutzen und Erfolg einer gendersensiblen Verbandsarbeit liegt in der:

  • Erhöhung der Lebensqualität für Rat- und Hilfesuchende
  • Chancengleichheit und gleichberechtigte Teilhabe im Verband
  • Aufbau partizipativer und partnerschaftlicher Strukturen
  • Steigerung der Effizienz und Qualität von Arbeitsabläufen.

Entwickelte Instrumente und Methoden unterstützen Schritt für Schritt eine systematische Umsetzung im konkreten Handlungsfeld. Eine erprobte Methode zur Überprüfung geschlechtsspezifischer Relevanz von Handlungen und Prozessen ist beispielsweise das Analyseinstrument der "4-R-Methode". Mit Checkfragen für die Analyse wird das geplante Vorhaben oder der Arbeitsbereich in vier Kategorien eingeteilt:

  1. Fragen zur Repräsentation von Frauen und Männern
  2. Fragen zu den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen (Geld, Zeit oder Hilfsmittel)
  3. Fragen zu den Realitäten, die der betreffenden geschlechtsspezifischen Verteilung zugrunde liegen
  4. Fragen zu festgelegten Arbeitsweisen und Zielen in Richtlinien oder Verträgen.

Was bleibt zu tun auf dem Weg in die Zukunft?

Gemeinsam mit Ihnen möchten wir Erfahrungen zur Einnahme der Geschlechterperspektive sammeln. Die Ergebnisse sowie Fortschritte fließen in Arbeitshilfen für einen Gender-Check ein. Auf diese Weise können Sie künftige Umsetzungsprozesse in Ihrem Verband anstoßen, Vorhaben überprüfen und wenn nötig Strategien modifizieren.

Wir freuen uns auf Ihre Mitwirkung bei der Durchführung kommender Pilot- und Modellprojekte ab Dezember 2015! Bei Interesse kontaktieren Sie uns bitte unter: nicole.kautz@bag-selbsthilfe.de.

Kontakt

BAG SELBSTHILFE e.V.
Projekt "Implementation eines genderorientierten
Verbandsmanagements in der Selbsthilfearbeit"
Büro Berlin
Isländische Str. 18
10439 Berlin

Projektleitung:
Nicole Kautz M.A.
Telefon: 0211-31006-54
E-Mail: nicole.kautz@bag-selbsthilfe.de

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Quelle:
Selbsthilfe 4/2015, S. 6-7 - letzte Ausgabe
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Telefon: 0211/3 10 06-0, Fax: 0211/3 10 06-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2016

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