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WERKSTATT/276: Bethel in Weyhe - Über die Jugendwerkstatt in das Berufsleben (Der Ring)


DER RING

Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Oktober 2014

BETHEL IN WEYHE
"Man weiß nie, was einen erwartet!"
Über die Jugendwerkstatt in das Berufsleben

Von Gunnar Kreutner



In einer ehemaligen Trafo-Station, die an Bahngleise angrenzt und an einen Bahnhof erinnert, befindet sich die Jugendwerkstatt Weyhe. Das dunkelbraune Backsteingebäude rund acht Kilometer südlich von Bremen ist für viele junge Menschen ein zukunftsweisender Ort in ihrem Leben. Für einige ist das Angebot die letzte große Chance, eine Perspektive zu entwickeln. Privat wie beruflich stellt die Einrichtung viele "Weichen".


Am heutigen späten Vormittag wird in der Kirchweyher Straße vor allem Zweierlei "hergestellt": Liegestühle und Möhrenlasagne. Denn in der Jugendwerkstatt werden gleichzeitig der Kochlöffel geschwungen und die Kreissäge bedient. Die Einrichtung besteht aus zwei Fachbereichen: der Hauswirtschaft und der Tischlerei - beide nur durch eine Tür voneinander getrennt. Darum vermischen sich die Gerüche von Leim und Spänen mit den Düften aus der Küche und dem Geruch von frischer Wäsche.


Ein "Hauswirtschaftstyp"

Der 21-jährige Justin Lemke steht grübelnd mit einem Haufen nasser weißer Wäsche im Arm vor einem Trockner. "Frau Könken! Welche Einstellung muss ich an dem Trockner wählen?", ruft er in die angrenzende Küche. Mitarbeiterin Christina Könken, die in der Urlaubszeit den Anleiter Michael Schomaker vertritt, steht mit einem anderen jungen Teilnehmer an einem Herd und gibt Tipps für eine gelungene Möhrenlasagne. "Stell auf 'Bügelfeucht'!", ruft sie zurück. Justin Lemke dreht den Schalter und hilft anschließend in der Küche beim Spülen. Die Arbeit macht ihm sichtlich Spaß. "Ich bin mehr der Hauswirtschaftstyp", sagt er mit einem Augenzwinkern. Einen Monat lang habe er den Holzbereich ausprobiert und schnell festgestellt, dass er handwerklich nicht begabt sei.

Justin Lemke ist seit einem Jahr in der Jugendwerkstatt Weyhe. Bald will er seinen Hauptschulabschluss nachholen. In der Jugendwerkstatt lernt er aber zunächst, sich an den Rhythmus einer 30-Stunden-Arbeitswoche zu gewöhnen. "Ich brauche Struktur. Das ist das Allerwichtigste für mich", sagt er. Die Jugendwerkstatt sei eine gute Hilfe für ihn - und eine wertvolle Erfahrung. Denn in der Einrichtung habe er festgestellt, dass ihn der soziale Bereich reize. "Jetzt weiß ich, dass ich später mal eine Ausbildung zum Altenpfleger machen will oder in der Jugendhilfe arbeiten werde", so Justin Lemke.

Die jungen Menschen in der Kirchweyher Straße haben alle Probleme, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Gründe dafür seien unter anderem fehlende Schulabschlüsse, Vorstrafen, Verhaltensauffälligkeiten oder psychische Erkrankungen, informiert Einrichtungsleiterin Petra Scholten. Auch Schulden seien ein großes Problem. "Handyschulden haben eigentlich fast alle hier", so die Psychologin.

Die Beschäftigung und Betreuung in der Jugendwerkstatt Weyhe soll den Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Alter bis 27 Jahren den Start oder die Wiedereingliederung in das Berufsleben erleichtern. Das geschieht vor allem über das Training von Betriebsabläufen, von der Kunden-Akquise bis zum Verkauf, und über das Erlernen von Alltagsfähigkeiten.


Disziplin und Motivation

Christina Könken lernt bei ihrer Arbeit sehr unterschiedliche junge Menschen kennen. "Es ist schön, dass ich immer wieder positive Lebensverläufe erlebe - trotz aller Probleme, die die jungen Menschen haben", sagt die 57-Jährige. Das größte Problem seien Disziplin und Motivation. Christina Könken hat viel Verständnis für die Teilnehmer, die über das Jugend- oder Arbeitsamt in die Einrichtung vermittelt werden. "Viele müssen einfach erst einmal richtig erwachsen werden", ist sie überzeugt. Es sei wichtig, ihnen vorurteilsfrei zu begegnen.

Im Holzbereich werden die Teilnehmer von Sven Brethorst angeleitet. Jeder Tag sei anders in der Einrichtung, erzählt der Tischlermeister. "Man weiß nie, was einen erwartet und wer morgens pünktlich auf der Matte steht." Es komme häufig vor, dass jemand mehrere Tage nicht erscheine, zum Beispiel wegen psychischer Probleme. "Alle mit ihren Eigenarten unter einen Hut zu bekommen ist eine echte Herausforderung", so Sven Brethorst. Es sei aber umso erfreulicher, dass es jedes Jahr gelinge, Teilnehmer in eine Ausbildung oder sogar direkt auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln.

Die Jugendwerkstatt Weyhe befindet sich im Erdgeschoss und im hinteren Teil der ehemaligen Trafo-Station. Die übrigen Teile des Gebäudes werden von der Gemeinde als Jugendhaus und von der Volkshochschule im Kreis Diepholz als Schulungsräume genutzt. Das sei ganz hilfreich, betont Petra Scholten. "Wir haben auch einen allgemeinbildenden Auftrag, und unsere Teilnehmer haben so einen kurzen Weg zu Angeboten wie Computerkursen, Ernährungsberatung oder Erste-Hilfe-Kursen."


JUGENDWERKSTATT WEYHE

  • Einrichtung von Bethel im Norden
  • Eröffnet im April 1998
  • 16 Plätze für junge Menschen zur Heranführung an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
  • Team: vier Mitarbeitende in Voll- und Teilzeit
  • Maßnahme wird gefördert mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF), des Landes Niedersachsen, des Jobcenters im Landkreis Diepholz und des Landkreises Diepholz

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Quelle:
DER RING, Oktober 2014, S. 18-19
Monatszeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen
Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2014