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INTERVIEW/028: Inklusionsportale - Gemeinschaft und Ermutigung ...    Margit Glasow im Gespräch (SB)


Mut machen für eine solidarische Gesellschaft

Interview am 19. Oktober 2014 in Münster



Die freie Journalistin Margit Glasow ist im SprecherInnenrat der BAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik der Partei Die Linke aktiv und gibt das vierteljährlich erscheinende Magazin inklusiv! heraus, in dem Inklusion über ihre spezielle Bedeutung für Behinderte hinaus als Anspruch auf ein gemeinsames, gleichberechtigtes Zusammenleben aller Menschen gesellschaftlich diskutiert wird [1]. Bei der Tagung "Inklusion in der Kommune" am 19. Oktober in Münster beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Margit Glasow
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Margit, könntest du schildern, wie du persönlich mit dem Thema Inklusion verknüpft bist?

Margit Glasow (MG): Ich habe von Geburt an Glasknochen und bin zwölf Jahre in Körperbehindertenschulen gewesen, was mich natürlich sehr geprägt hat, weil es eine Parallelwelt darstellt. In der DDR gab es keine Behindertenbewegung als solche. Nach der Wende habe ich mich in der Selbsthilfebewegung engagiert und viel zum Thema Inklusion geschrieben. Seit Januar 2012 gebe ich das Magazin "inklusiv! Von uns - mit uns - für uns" [1] heraus. So gesehen ist mir das Thema schon aus persönlicher Betroffenheit heraus sehr wichtig, vor allem weil ich das Problem, daß man sich nichts zutraut, durchaus kenne. Daher ist es mein Anliegen, Menschen dazu zu ermutigen, initiativ zu werden.

SB: Du bist in der DDR aufgewachsen. Wie war der Umgang mit Behinderten dort gewesen?

MG: Das müßte man sicherlich differenziert sehen. Ich kann im wesentlichen nur für Menschen sprechen, die zwar eine Behinderung, aber keinen erhöhten Pflegebedarf hatten, und die waren, um das Wort einmal ganz bewußt zu benutzen, recht gut integriert. Die Behindertenschulen in der DDR wurden Sonderschulen genannt. Ich war in Birkenwerder bei Berlin auf einer erweiterten Oberschule, wie das damals hieß, wo man sein Abitur machen konnte. Wir hatten auch einen Nachteilsausgleich, das heißt, die Leute mit Behinderung sind ein viertel Jahr vor der normalen Studienorientierung bevorzugt worden, um sicherzustellen, daß sie auch einen Studienplatz bekommen. Und nach dem Studium kam man alles in allem auch gut in den Arbeitsprozeß hinein. Aber bei Leuten mit Pflegebedarf war das anders. Wer nicht alleine auf Toilette gehen konnte, wurde in Birkenwerder nicht aufgenommen und kam zum Teil ins Altenheim. Diese Menschen waren quasi mit 18 Jahren schon aussortiert.

SB: Hat es für einen Menschen mit einer spezifischen Behinderung einen nennenswerten Unterschied gemacht, ob man in der DDR oder in der BRD lebte?

MG: Als Frau mit Behinderung aus dem Osten hier Fuß zu fassen, war sehr schwierig. Ich habe viel ausprobiert und daher ein ziemlich abenteuerliches Berufsleben hinter mir. Schließlich habe ich mich mit meinem Mann selbständig gemacht und ein Spezialreiseunternehmen für Menschen mit Behinderungen gegründet, was sich aber wirtschaftlich nicht getragen hat. Daher habe ich später als freiberufliche Journalistin gearbeitet. Es läßt sich denken, daß man damit keine Reichtümer anhäuft.

SB: Auf welchem Gebiet warst du journalistisch tätig?

MG: Ich habe eine ganze Weile als Redakteurin für ein Magazin aus dem Behindertenbereich gearbeitet. Dort habe ich praktisch gelernt, wie das alles funktioniert. Als ich entlassen wurde, war ich eine Zeitlang als freie Journalistin tätig, bis ich irgendwann die Idee mit meinem Magazin hatte.

SB: Glaubst du, daß Behinderte heutzutage medial ausreichend repräsentiert sind?

MG: Es ist wirklich schwierig, mit solchen Themen in die Presse zu kommen. Schon die Darstellungsweise ist nicht unproblematisch. Die Medien stürzen sich immer auf etwas Besonderes. Entweder werden einzelne Schicksale geschildert oder eben über die paralympischen Superstars berichtet. Aber die Normalität ist das nicht. Es ist verständlich, daß die Medien kein Interesse daran haben, denn Normalität ist eher langweilig.

SB: Wenn du die heutige Konferenz und die vielen Diskussionen drumherum im Kopf Revue passieren läßt, kannst du dir dann vorstellen, daß es ein gesellschaftliches Interesse daran gibt, sich mit der Situation von Behinderten kritisch auseinanderzusetzen?

MG: Ja, ich glaube schon, daß es sowohl bei den Zeitungen als auch beim Fernsehen einen großen Bedarf an behindertenspezifischen Themen gibt. Barrieren kommen eher von seiten der Verantwortlichen. Ich glaube, Chefredakteure oder Programmdirektoren befürchten, bei einer größeren Gewichtung der Behindertenproblematik möglicherweise Leser bzw. Zuschauer zu verlieren. Wenn man dagegen mit Ottonormalverbrauchern darüber spricht, gibt es eine große Offenheit und keinerlei Berührungsängste. Da hat sich durchaus etwas getan.

SB: Die Linkspartei hat sich des Behindertenthemas zwar angenommen, aber dennoch wurde auf der Konferenz beklagt, daß Behinderte dort nicht wirklich zur Geltung kommen und mitunter sogar in den Listen nach hinten gerückt werden. Welche Veränderungen wünschst du dir in der Linkspartei?

MG: Ich würde mir wünschen, daß gewisse Positionen wieder hinterfragt werden, weil manche Entwicklungen in ihrer Tragweite nicht so klar sind. Ein Beispiel dazu ist die schulische Inklusion. Die Abschaffung der Förderschulen ist zwar überall ein großes Thema, aber der Weg dorthin bzw. das eigentliche Ziel bleibt unbestimmt. Ich denke, daß man zu viele Kompromisse eingeht, weil man einmal eingenommene Positionen unbedingt aufrechterhalten will. Es ist wichtig, daß man sich erst einmal Klarheit über das Problem verschafft. Dann kann man auch miteinander streiten und unterschiedliche Positionen haben. Daher meine ich, daß wir viel offensiver Bewußtseinsbildung betreiben sollten.

SB: Gibt es demnach in der politischen Kultur der Linkspartei zu wenig konstruktiven Streit um inhaltliche Positionen, und wenn ja, liegt das möglicherweise daran, daß die Linkspartei sehr breit aufgestellt ist und aus verschiedenen Wurzeln kommt?

MG: Die Linkspartei ist in ihrer thematischen Aufstellung sehr heterogen, und ich weiß nicht, ob wir uns damit einen Gefallen tun. Eigentlich steht Die Linke für eine bestimmte Idee. Daher müßte vorab geklärt werden, wieviel Beteiligung und wieviel Opposition wir möchten. Manchmal geht es nur mit Opposition, weil wir für bestimmte Positionen stehen, und deshalb darf der Kompromiß meines Erachtens nicht der dominante Faktor sein.

SB: Wäre es in dieser Hinsicht hilfreich, wenn sich Behinderte innerhalb der Partei zu einer Gruppe zusammenschließen würden, um ihre Forderungen schon aus ihrer Lebenssituation heraus unbescheiden und streitbar nach vorne zu bringen, denn der Lebensstandard vieler Behinderter ist alles andere als rosig und nimmt, man denke da an die Pflegestufen, immer mehr ab?

MG: Ich denke, auch da müßten wir klären, was wir eigentlich wollen. Es darf nicht um den dritten Rollstuhl gehen oder daß man sich mit Hilfsmitteln bis an den Rand eindeckt. Beim Besuch einer Reha-Messe kommt man ins Staunen über all das, was es gibt. Wenn es jedoch um soziale Teilhabe oder um die Veränderung der Arbeitsbedingungen geht, dann sieht die Situation schon ganz anders aus. Unter den behinderten Menschen haben viele im Durchschnitt ein höheres Ausbildungsniveau als Arbeitslose ohne Behinderung, aber trotzdem gibt es bei ihnen prozentual gesehen eine viel größere Erwerbslosenquote. Da liegt unglaublich viel Potential brach, aber gleichzeitig wird über Fachkräftemangel geklagt.

Bei den Forderungen nach Teilhabe oder dem Ausbau von Werkstätten müßte wirklich mehr an den Stellschrauben gedreht werden. Sicherlich sollen die Leute entsprechend ihrem Bedarf zum Beispiel mit Gebärdendolmetschern gut versorgt sein, das ist gar keine Frage, aber die Hilfsmittelversorgung, die sich inzwischen zu einem richtigen Markt ausgewachsen hat, geht meines Erachtens im Kern an der Inklusion vorbei. In dieser Hinsicht war die Veranstaltung auch nicht wirklich barrierefrei. Wir müssen uns in Richtung Teilhabe stärker aufstellen, und dafür werde ich mich auch mit meinen Kräften einsetzen.

SB: Margit, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://inklusiv-online.de/


Bisherige Beiträge zur Tagung "Inklusion in der Kommune" in Münster im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → PANNWITZBLICK → REPORT:

BERICHT/020: Inklusionsportale - Dschungelfreiheit ... (SB)
BERICHT/021: Inklusionsportale - Klassen- und barrierefrei ... (SB)
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INTERVIEW/027: Inklusionsportale - Linkspartei barrierefrei ...    Kerstin Huch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/026: Inklusionsportale - Opfer hört die Signale ...    Lul Autenrieb im Gespräch (SB)
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23. November 2014