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BUNDESTAG/3140: Heute im Bundestag Nr. 145 - 21.03.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 145
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 21. März 2012 Redaktionsschluss: 12:30 Uhr


1. Abbau der kalten Progression: Kein voller Ausgleich für Länder und Kommunen
2. Gutachten: Vorratsdatenspeicherung ohne messbaren Einfluss auf Aufklärungsquoten
3. Verantwortung für Transfergesellschaft bei Schlecker-Insolvenz umstritten
4. Zivile Sicherheit steht vor neuen Herausforderungen


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1. Abbau der kalten Progression: Kein voller Ausgleich für Länder und Kommunen

Finanzausschuss

Berlin: (hib/HLE) Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP sehen sich durch die öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf zum Abbau der kalten Progression (17/8683) bestätigt. Laut Sachverständigen belastet die kalte Progression kleine und mittlere Einkommen besonders. Dies erklärte ein Vertreter der Unionsfraktion in der Sitzung des Finanzausschusses am Mittwoch. Auch habe unter den Sachverständigen Einigkeit über die Notwendigkeit einer Anpassung des Einkommensteuertarifs geherrscht. Ohne diese Maßnahme würde es zu einer Stauchung des Tarifs kommen. Auch die FDP-Fraktion konnte keine kritischen Äußerungen in der Anhörung zum Gesetzentwurf und zum Abbau der kalten Progression erkennen. Die Anhörung habe ergeben, dass der Gesetzentwurf genau an der richtigen Stelle ansetze, erklärte ein Sprecher der FDP-Fraktion, der von einem "klaren Votum, dass wir richtig liegen", sprach.

Die Äußerungen der Koalitionsfraktionen stießen auf Widerspruch bei der Opposition. Ein Vertreter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erklärte, von Einigkeit der Sachverständigen könne überhaupt keine Rede sein. Einigkeit habe es allenfalls in dem Teilbereich der als notwendig betrachteten Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrages gegeben. Die SPD-Fraktion warnte die Koalition davor, gegen die Zahlen zu argumentieren. Die Gesamtwirkung des Gesetzentwurfs führe dazu, dass es bei einem Jahreseinkommen von 30.000 Euro eine monatliche Entlastung von 12,50 Euro gebe. Daran sehe man die marginale Wirkung des Gesetzentwurfs. Die Fraktion Die Linke wies auf Kritik von Sachverständigen an dem problematischen Knick im Tarifverlauf hin, der nach einem früheren Finanzminister auch "Waigel-Buckel" genannt werde. An der Stelle sollten nach Auffassung von Sachverständigen Änderungen vorgenommen werden. Außerdem verlangte die Fraktion einen Ausgleich für die Einnahmeverluste der Kommunen durch das Steuergesetz.

Der Vertreter der Bundesregierung wies Forderungen nach einem vollen Ausgleich der Steuerausfälle für Länder und Kommunen zurück. Die auf die Maßnahmen gegen die kalte Progression zurückgehenden Steuerausfälle würden ausgeglichen. Steuerausfälle durch die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Freistellung des Existenzminimums könnten nicht ausgeglichen werden.

Die Bundesregierung begründet den Gesetzentwurf mit dem Argument, im System des progressiv gestalteten Einkommensteuertarifs profitiere der Staat von systembedingten Steuereinnahmen, die über den Effekt der kalten Progression entstehen würden. Es solle jedoch verhindert werden, "dass Lohnerhöhungen, die lediglich die Inflation ausgleichen, zu einem höheren Durchschnittssteuersatz führen".

Daher ist eine stufenweise Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrags in zwei Schritten zum 1. Januar 2013 auf 8.130 Euro und zum 1. Januar 2014 auf 8.354 Euro (insgesamt plus 350 Euro) vorgesehen. Die Anhebung orientiert sich an der voraussichtlichen Entwicklung des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums. Auch der Tarifverlauf soll prozentual wie der Grundfreibetrag um 4,4 Prozent angepasst werden. Ohne Anpassung des Tarifverlaufs käme es durch die alleinige Anhebung des Grundfreibetrags bei konstantem Eingangssteuersatz zu einer nicht gewollten "Stauchung" des Tarifs innerhalb der ersten Progressionszone und damit zu einem Anstieg der Progression, wird im Gesetzentwurf erläutert.

In der Begründung des Gesetzentwurfs verweist die Bundesregierung auf die positiven Ergebnisse des Arbeitskreises Steuerschätzungen. Dessen Prognosen würden für die nächsten Jahre den Spielraum eröffnen, den Bürgern in zwei Schritten inflationsbedingte Mehreinnahmen in einem Volumen von sechs Milliarden Euro zurückzugeben und das "im vollen Einklang mit der konsequenten weiteren Umsetzung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse".


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2. Gutachten: Vorratsdatenspeicherung ohne messbaren Einfluss auf Aufklärungsquoten

Rechtsausschuss

Berlin: (hib/VER) Nach einem aktuellen Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i.Br. (MPI) hat die Vorratsdatenspeicherung keinen messbaren Einfluss auf Aufklärungsquoten. Professor Hans-Jörg Albrecht, Direktor des Instituts und gesamtverantwortlich für das Gutachten, war am Mittwochvormittag zu Gast im Rechtsausschuss des Bundestags, um die Ergebnisse zu präsentieren. Auftraggeber des Gutachtens ist das Bundesministeriums der Justiz.

Ebenfalls für diesen Mittwoch wird Medienberichten zufolge die Bekanntgabe eines Ultimatums der EU-Kommission für Deutschland erwartet. Sie erwarte die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung binnen der kommenden vier Wochen, heißt es. Danach könne Deutschland ein Zwangsgeld drohen.

Vorangegangen war jedoch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im März 2010, das die Umsetzung einer europäischen Richtlinie für verfassungswidrig und nichtig erklärt hatte. In der Regierungskoalition herrscht bislang Uneinigkeit über das Für und Wider der EU-Richtlinie. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) lehnt Angaben ihres Ministeriums zufolge die verdachtsunabhängige Speicherung der Verkehrsdaten aller Bundesbürger für sechs Monate ab.

Das MPI-Gutachten ist der Frage nachgegangen, ob Schutzlücken durch den Wegfall der Vorratsdatenspeicherung entstehen könnten. Ob diese immer wieder aufgestellte Behauptung tatsächlich zutrifft, haben Kriminologen in einer 270 Seiten umfassenden Studie auf Veranlassung des Bundesjustizministeriums eingehend untersucht.

Als Ergebnis ihrer Untersuchung etwa der deliktsspezifischen Aufklärungsquoten für den Zeitraum 1987 bis 2010 fassen die Autoren zusammen, dass der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung nicht als Ursache für Bewegungen in der Aufklärungsquote herangezogen werden kann. Dieser Befund gilt insbesondere für die Bereiche der Computerkriminalität sowie der so genannten Internetkriminalität.

Das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren wird laut Gutachten nicht als "taugliches Äquivalent zur Vorratsdatenspeicherung gesehen." In diesem Verfahren kann die Sicherung von Verkehrsdaten derjenigen Personen angeordnet werden, die einen hinreichenden Anlass dazu gegeben haben.

Das Gutachten in voller Länge ist über die Internetseite des Bundesjustizministeriums abrufbar.


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3. Verantwortung für Transfergesellschaft bei Schlecker-Insolvenz umstritten

Ausschuss für Arbeit und Soziales

Berlin: (hib/TYH) Die Schlecker-Insolvenz hat im Ausschuss für Arbeit und Soziales für eine erregte Diskussion gesorgt. Während die Opposition bei der Sitzung am Mittwochvormittag ein stärkeres Engagement des Bundes forderte, wiesen die Koalitionsfraktionen auf die Verantwortung der Länder hin. Die Drogeriekette hatte im Januar diesen Jahres ein Insolvenzverfahren beantragt. Grundlage der Diskussion im Ausschuss war ein Antrag der Fraktion Die Linke (17/8880), in dem sie unter anderem mehr Mitbestimmung für Beschäftigte in Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern fordert. Der Antrag wurde bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD mit dem Hinweis abgelehnt, er verfolge die falschen Ansätze.

Zuvor hatte ein Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf die Notwendigkeit einer sechsmonatigen Transfergesellschaft hingewiesen. Dabei ginge es nicht nur um Beschäftigung sondern auch um Qualifizierung. Offen sei die Frage der Finanzierung der Kosten in Höhe von rund 70 Millionen Euro. Die Bundesregierung habe zwar die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) angewiesen, einen entsprechenden Kredit zur Verfügung zu stellen, jedoch müssten die Länder - allen voran Baden-Württemberg als Land des Unternehmenssitzes - die dafür nötige Bürgschaftserklärung leisten. "Wir sind hoffnungsvoll, dass es zu der Transfergesellschaft kommt, unter Dach und Fach ist die Angelegenheit jedoch noch nicht", sagte der Regierungsvertreter.

Bund und Länder schöben sich gegenseitig die Verantwortung zu, konstatierte daraufhin die Fraktion Die Linke. Sie wollte wissen, wie es weitergehen wird, sollten sich die Länder einer Bürgschaft verweigern. Die Abgeordneten kritisierten zudem die sechsmonatige Laufzeit der Transfergesellschaft. Auch bei der Grünen-Fraktion stieß dieser Punkt auf Kritik. "Wir brauchen eine Transfergesellschaft für zwölf Monate", betonte sie. Zudem sei es nötig, die Mitarbeiter nicht nur für den Einzelhandel zu qualifizieren, sondern wenn nötig auch umzuqualifizieren.

Die SPD-Fraktion äußerte sich irritiert, dass die Länder die Haftung für den Kredit übernehmen sollten. Bei der KfW würden diese vom Bund übernommen, hieß es. Gleichzeitig vermutete die Fraktion Spannungen innerhalb der Koalition. Die Union wolle helfen, doch das Wirtschaftsministerium unter Philipp Rösler (FDP) ziehe nicht mit, mutmaßte sie.

Dem widersprachen die Koalitionsfraktionen. "Die Bundesregierung streckt sich, so weit es geht", hieß es von Seiten der CDU/CSU-Fraktion. Wenn die KfW einen Kredit von 70 Millionen Euro zur Verfügung stelle, dann sei das Bundesgeld "in erheblicher Höhe". Die Länder hätten dagegen jahrelang von den Steuern des Unternehmens profitiert, man könne sie nicht aus der Verantwortung entlassen. Zudem würden sie nicht erst bei Schlecker sondern allgemein beim Aufbau von Transfergesellschaften in die Pflicht genommen, ergänzte die FDP-Fraktion. Zugleich wies sie darauf hin, dass es ein Zeichen für eine erfolgreiche soziale Marktwirtschaft sei, wenn ein Unternehmen wie Schlecker, das "jahrelang auf die Ausbeutung seiner Mitarbeiter gesetzt hat", insolvent ginge. Gleichsam könnten sie Beschäftigten nichts dafür, deswegen müssten sie unterstützt werden, etwa durch das bereits angelaufene Engagement der Bundesagentur für Arbeit.


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4. Zivile Sicherheit steht vor neuen Herausforderungen

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

Berlin: (hib/ROL) Welche Sicherheitsstruktur passt zu einer offenen Gesellschaft? Wie schafft man es, die Balance von Freiheit und Sicherheit zu wahren? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Bildungs- und Forschungsausschusses zum Thema Sicherheitsforschung am Mittwochvormittag. Die Bundesregierung will mit ihrem Rahmenprogramm "Forschung für die zivile Sicherheit" (17/8500) ergänzt durch den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP (17/8573) einen integrierten Forschungsansatz vorantreiben. Dazu gehört, wie der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesforschungsministeriums, Thomas Rachel (CDU), ausführte, nicht nur die Entwicklung reiner Technik, sondern es gehe um "die Lösung von Bedrohungsszenarien" der die Bevölkerung potentiell ausgesetzt sei. Er nannte als Beispiel Großveranstaltungen wie die Love Parade in Duisburg, Fußballspiele, Amokläufe oder auch terroristische Anschläge in U-Bahnen. Das Programm baut auf dem ersten nationalen Forschungsprogramm für zivile Sicherheit auf.

Seit 2007 habe die Bundesregierung 250 Millionen Euro in das Verbundprogramm gesteckt. Davon seien 20 Prozent in Gesellschaftswissenschaften geflossen, die rechtlichen, ethischen und datenschutzrechtlichen Fragen bei Bedrohungen nachgehen. Der Staatssekretär betonte, dass von dem Programm auch die Wirtschaft profitieren solle, da der Sicherheitsmarkt ein Wachstumsmarkt sei. Deshalb wolle man keine Konzepte für "die Schublade" produzieren, sondern "marktfähige Sicherheitslösungen" anbieten. Das müsse unter Einbeziehung der späteren Nutzer wie der Polizei, des Technischen Hilfswerks und der Feuerwehr passieren. Im Mittelpunkt müsse immer die Frage stehen: Wie wird mit der Krise sachgerecht umgegangen? Als Beispiel nannte er den Versuch, sich ein Bild vom Fluchtverhalten von Menschen in Paniksituationen zu machen. Ihr Handeln habe man in Echtzeit mit 1000 Freiwilligen simuliert und getestet. Bei einer Flucht gebe es nicht nur die Strömung in eine Richtung. Da Menschen in solchen Situationen schnell ihre Familienangehörigen oder Freunde verlieren würden, würden sie auch zurück laufen. Dadurch gebe es Bewegungen und Gegenbewegungen.

Die CDU/CSU betonte, dass sich die Risiken für die Bevölkerung erhöht hätten, nicht zuletzt durch Veranstaltungen wie dem Public Viewing. Bei derartigen Ereignissen kämen schnell 150 000 Menschen zusammen. Kleinste Störungen hätten größte Auswirkungen auf die Verletzbarkeit der Infrastruktur.

Die FDP betonte, dass Sicherheit die Basis eines freien Lebens sei.

Die SPD begrüßte grundsätzlich das Rahmenprogramm der Bundesregierung, kritisierte aber zugleich, dass es keine Definition von Bedrohungsszenarien für die Bevölkerung gebe.

Die Linke bezweifelte, dass mit der immer wieder angemahnten Balance von Freiheit und Sicherheit grundsätzlich der richtige Gegensatz benannt werde. Sicherheit und Transparenz wäre das Pendant, das mehr zutreffe.

Die Grünen, die die Vorschläge der Bundesregierung grundsätzlich begrüßen, fragten nach dem konkreten Mitteleinsatz des Programms. Sie schlugen vor, eine externe Evaluation des Programms vornehmen zu lassen.


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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 145 - 21. März 2012 - 12:30 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2012