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BUNDESTAG/3191: Heute im Bundestag Nr. 196 - 23.04.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 196
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 23. April 2012 Redaktionsschluss: 17:10 Uhr

1.‍ ‍Gemischtes Echo auf Pläne zu erleichtertem Zuzug ausländischer Akademiker
2.‍ ‍Experten streiten über die Rolle der Verbraucher bei der Lebensmittelverschwendung
3.‍ ‍Bestandsaufnahme zum Thema Bildung und Forschung weitgehend unstreitig



1. Gemischtes Echo auf Pläne zu erleichtertem Zuzug ausländischer Akademiker

Innenausschuss (Anhörung)

Berlin: (hib/STO) Pläne der schwarz-gelben Regierungskoalition zum erleichterten Zuzug hochqualifizierter Ausländer stoßen bei Experten auf ein gemischtes Echo. Das wurde am Montagnachmittag bei einer Sachverständigen-Anhörung des Innenausschusses zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie (17/8682) der EU sowie einem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP deutlich. Gegenstand der Anhörung waren auch ein Antrag der SPD-Fraktion (17/9029) für ein Programm, das die Sicherung des Fachkräftebedarfs mit Mitteln des Aufenthaltsrechts unterstützen soll sowie ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (17/3862), die Fachkräfteeinwanderung durch ein Punktesystem zu regeln.

Um hochqualifizierten Ausländern die Zuwanderung nach Deutschland zu Erleichtern, will die Regierung einen neuen Aufenthaltstitel einführen: die "Blaue Karte EU". Diese soll dem Gesetzentwurf zufolge künftig erhalten, wer einen Hochschulabschluss oder eine "durch mindestens fünfjährige Berufserfahrung nachgewiesene vergleichbare Qualifikation besitzt". Eine weitere Voraussetzung soll laut Entwurf sein, dass Bewerber ein Arbeitsverhältnis vorweisen können, mit dem ein Bruttojahresgehalt von mindestens 44.000 Euro erzielt wird. Damit wird die bisherige Gehaltsschwelle von derzeit 66.000 deutlich abgesenkt. Für Berufe, in denen "ein besonderer Bedarf an Drittstaatsangehörigen" besteht, ist die Gehaltsgrenze nochmals niedriger: Für die Erteilung der Blauen Karte EU an Naturwissenschaftler, Mathematiker, Ingenieure, Ärzte und IT-Fachkräfte soll die Gehaltsgrenze laut Entwurf 33.000 Euro pro Jahr betragen.

Nach dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen soll die bisherige Regelung des Aufenthaltsgesetzes für Hochqualifizierte, "deren Hochqualifikation sich ausschließlich in der Erfüllung der Gehaltsgrenze begründet", gestrichen werden. Die "Zuwanderung über Gehaltsgrenzen soll nur noch im Zusammenhang mit der Blauen Karte EU erfolgen", heißt es in der Vorlage. Ferner sollen unter anderem die Beschäftigungsmöglichkeit zum Nebenverdienst für Studenten erweitert und ein Aufenthaltstitel zur Arbeitsplatzsuche eingeführt werden.

Das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt, begrüßte den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Er eröffne neue Wege für eine Zuwanderung, reagiere auf den aktuellen Fachkräftebedarf und baue bürokratische Hürden ab. Martin Strunden von sächsischen Innenministerium sagte, der Gesetzentwurf sei ein "sehr großer Wurf" und in der Fassung des Änderungsantrags "rundum zu begrüßen". Der Richter Klaus Dienelt vom Verwaltungsgericht Darmstadt nannte den Gesetzentwurf einen wichtigen Schritt, um den Standort Deutschland für Zuwanderer attraktiver zu machen. An einzelnen Regelungen müsse man jedoch noch "nacharbeiten".

Gunilla Fincke vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration betonte, eine gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften sei notwendig. Die Zahl der zuwandernden Fachkräfte solle erhöht werden, wofür es auch in der Bevölkerung Rückhalt gebe. Professor Daniel Thym von der Universität Konstanz unterstrich, "dass Unterschied zwischen dem künftigen deutschen Recht und einem Punktesystem nur noch graduell ist".

DGB-Vorstandsmitglied Anneli Buntenbach sagte, die mit dem demographischen Wandel verbundenen Herausforderungen erforderten auch eine Steigerung der Attraktivität Deutschlands für qualifizierte Zuwanderung aus der EU und aus Drittstaaten. Dafür brauche man eine grundlegende Veränderung des Zuwanderungs- und Aufenthaltsrechts, das vereinfacht werden müsse. Sie begrüßte zugleich die im Änderungsantrag vorgesehene Streichung bei der Mindestgehaltsgrenze.

Karl Brenke von Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung kritisierte, bei den geplanten Gesetzesänderungen gehe es offensichtlich darum, nicht einem Mangel an Fachkräften entgegenzuwirken, sondern ausländische Fachkräfte nach Deutschland zu holen, "die bereit sind, zu möglichst billigen Löhnen hier tätig zu werden". Mit Blick auf die Sonderregelungen für Berufsgruppen wie IT-Fachkräfte und Ingenieure betonte er, es gebe keine tragfähige Indikatoren, die einen ausgesprochenen Fachkräftemangel in diesen Berufen anzeigten.

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2. Experten streiten über die Rolle der Verbraucher bei der Lebensmittelverschwendung

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Anhörung)

Berlin: (hib/EIS) Das Mantra der Vielfalt, der frischen Optik und der ständigen Verfügbarkeit von Lebensmitteln ist nach Ansicht von Petra Teitscheid von der Fachhochschule Münster ein wesentlicher Grund für Lebensmittelverschwendung. Wenn der Verschwendung in Zukunft ein Riegel vorgeschoben werden soll, müssen "alle etwas dazu beitragen", sagte die Wissenschaftlerin am Montagnachmittag in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zum Thema Lebensmittelverschwendung. Damit betonte Teitscheid, dass sie nicht nur den Verbraucher in der Pflicht sieht.

Franz-Martin Rausch vom Bundesverband des deutschen Lebensmittelhandels plädierte dafür, dass die Verbraucher besser über die Bedeutung der Mindesthaltbarkeitsdauer auf Produkten informiert werden müssten. Auf diese Weise könne vermieden werden, dass pauschal Lebensmittel den Weg in die Mülltonne finden würden, die nur aufgrund des Verfalls des Mindesthaltbarkeitsdatums nicht mehr verzehrt würden, obwohl diese in der Regel gut seien.

Klaus-Peter Feller von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie pflichtete bei: "Die Verbraucher müssen befähigt werden, sorgsam mit Lebensmitteln umzugehen." Von rund elf Millionen Tonnen weggeworfener Lebensmittel würden etwa 6,6 Millionen Tonnen im Hausmüll entsorgt. Feller schlug vor, mehr für die Verbraucherbildung zu tun, indem in der Früherziehung und an Schulen mit der Sensibilisierung für das Thema begonnen wird. Er lehnte jedoch die Forderung ab, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum als Orientierung abzuschaffen. "Es grenzt sich klar vom Verfallsdatum ab und ist zu verstehen." Neue Begriffe müssten ebenfalls erst eingeführt werden und könnten auch missverstanden werden.

Jürgen Benad vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband machte deutlich, dass es nicht im Interesse der Gastronomie sei, Lebensmittel zu verschwenden. Zum einen sei die gewerbliche Entsorgung teuer und zum anderen würde keine Unternehmer gerne auf den Kosten unverbrauchter Lebensmittel sitzenbleiben wollen. "Die Weitergabe übrig gebliebener Lebensmittel an Tafeln ist nicht einfach", erklärte er. Was an Gäste nicht verkauft und mitgegeben wurde, unterliege bei der bloßen Weitergabe für gute Zwecke strengen Vorschriften. "Ein Risiko, das die Gastronomen scheuen." So müsste bei einem Weitertransport die Einhaltung der Kühlkette beachtet werden, Desinfektionsschutzgesetze und Hygieneverordnungen eingehalten werden, die über den bloßen guten Willen zu extra Kosten und mehr Verantwortung führen.

Der Journalist Stefan Kreutzberger widersprach seinen Vorrednern jedoch, dass das Problem in erster Linie ein Problem auf der Seite der Verbraucher sei. "Es müssen sich auch mal die Äcker genau angeschaut werden", sagte er. Viele Lebensmittel würden untergepflügt, weil sie nicht den Normen entsprechen oder die Preise nicht gut genug seien. "Diese werden bloß nicht als Lebensmittel betrachtet", kritisierte er, "klar, dass dann in den Studien nur noch die Verbraucher übrig bleiben." Auch glaubte er, dass es dem Handel im Grunde egal sei, wie viel die Kunden wegwerfen würden: "Hauptsache, es wird viel verkauft." Kreuzberger schlug vor, dass die Normen gelockert werden, wie Lebensmittel auszusehen haben. Auf diese Wiese könnten Lebensmittel unterschiedlicher Qualitätsstufen angeboten werden, ohne dass vermeintlich "hässliche" Gurken oder Möhren erst gar nicht in den Handel kommen.

Auch der Journalist Valentin Thurn machte das Mantra der Vielfalt, der frischen Optik und der ständigen Verfügbarkeit von Lebensmitteln als wesentliche Ursache für die Verschwendung aus und kritisierte die Lebensmittelindustrie und den Handel dafür, sich bei der Kritik an den Verbrauchern vor der eigenen Verantwortung zu drücken, denn der Verbraucher müsse genauso ins Boot geholt werden wie die Produzenten und die Industrie. Thurn trat dafür ein, dass die Normierung von Lebensmitteln abgeschafft, das Wegwerfen von Lebensmitteln teurer und die Weiterverwertung gestärkt werden müsse.

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3. Bestandsaufnahme zum Thema Bildung und Forschung weitgehend unstreitig

Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" (Anhörung)

Berlin: (hib/HAU) Die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" hat die ersten drei Kapitel des Zwischenberichtes der Projektgruppe "Bildung und Forschung" fast vollständig konsensual verabschiedet. Während der Sitzung am Montagnachmittag gab es lediglich an zwei Stellen der 180-seitigen Bestandsaufnahme Meinungsunterschiede. Die weiteren Kapitel des Zwischenberichts, zu denen auch die Handlungsempfehlungen gehören, sollen bei der nächsten Sitzung der Enquete-Kommission verabschiedet werden.

Der Vorsitzende der Projektgruppe "Bildung und Forschung", Reinhard Brandl (CDU/CSU), lobte vor den Abgeordneten das "konstruktive Miteinander in der Projektgruppe". Man habe das Thema Bildung aufgeteilt, in die frühkindliche Bildung, die Hochschul- sowie die Aus- und Weiterbildung, sagte Brandl. Beim Thema Forschung sei es sowohl um Open Data und Open Access gegangen, als auch um die Frage, welche Rolle das Internet als Gegenstand von Forschung und Innovation spielt.

Mit Blick auf die frühkindliche Bildung im Bereich Internet und digitale Medien sei festzustellen, dass die wissenschaftliche Forschung hier noch am Anfang stehe, sagte Professor Wolfgang Schulz. "Wir wissen aber, dass es in diesem Bereich zu einer Verfrühung kommt." Gemeint sei damit, dass die Nutzung bestimmter Medien immer früher erfolge. Nötig sei daher die Entwicklung von Bildungskonzepten "in zwei Richtungen", sagte Schulz. "Es geht um den Schutz vor Risiken, aber auch darum, dass man Kinder möglichst früh in den Stand setzen kann die medialen Möglichkeiten zu nutzen", betonte er. Im schulischen Bereich komme daher Eltern und Lehrern eine große Verantwortung zu. "Die Lehrerausbildung und die Einstellung der Lehrer zu neuen Medien ist daher ein wichtiger Punkt", urteilte der von der SPD-Fraktion benannte Sachverständige.

In der von der FDP-Abgeordneten Sylvia Canel vorgestellten Textpassage zur Hochschulbildung fand sich schließlich die erste strittige Textpassage. Der im Text enthaltene Verweis, dass "neben den großen Potenzialen der Lern- und Hochschulmanagementsysteme für Lehrende und Studierende, insbesondere was die Partizipation und Kommunikation innerhalb der Lernprozesse angeht, die Realisierung der Hochschulmanagementsysteme von Teilen der Studierenden und Lehrenden aber auch kritisch gesehen wird", war aus Sicht der Linksfraktion nicht ausreichend. Petra Sitte (Die Linke) plädierte daher für einen konkreten Verweis auf die Fehler, die bei der Einführung des dialogorientierten Zulassungssystems erfolgt seien. Dieser Vorschlag fand jedoch keine Mehrheit.

Im Bereich der Aus- und Weiterbildung sei festzustellen, dass der Einsatz digitaler Lernmedien eher in großen als in kleinen oder mittleren Unternehmen erfolge, sagte der von der Unionsfraktion nominierte Sachverständige Bernhard Rohleder. Dass der Einsatz nicht breiter erfolge, könne damit zu tun haben, dass die Auswirkungen auf den Lehr- und Lernbetrieb sehr stark seien. "Für den Ausbilder wird das Methodenwissen deutlich wichtiger als ein überlegenes Fachwissen", sagte Rohleder. Entscheidend für den Lernerfolg digitaler Lernmedien sei daher die didaktische Qualifikation des Ausbildungspersonals.

Im Bereich Forschung und Wissenschaft komme dem Einsatz von Open Access, also dem barrierefreien Zugang zu wissenschaftlichen Online-Publikationen eine besondere Bedeutung zu, sagte Krista Sager (Bündnis 90/Die Grünen). Eine wichtige Frage sei zudem, in wie fern eine Open Access Förderung mit dem nationalen Urheberecht in Einklang zu bringen ist. Hier müsse man die internationalen Entwicklungen beobachten, betonte Sager. "Ein deutscher Sonderweg macht keinen Sinn", sagte sie.

Umstritten war schließlich im Bereich des Internets als Forschungsgegenstand noch die Frage der Sicherheitsforschung. Im Bericht der Projektgruppe heißt es dazu: "In einigen Feldern der Sicherheitsforschung zeigt sich außerdem die Dual Use-Problematik, das heißt die Möglichkeit, eigentlich für zivile Zwecke erforschte Technologien auch militärisch verwenden zu können." Ein von der Linksfraktion vorgelegter weitergehender Textvorschlag, der als Beispiel "so genannten unbemannten Systeme, die in Deutschland größtenteils im zivilen Rahmen erforscht, weltweit aber vorrangig für militärische Zwecke genutzt werden" anführt, fand aber keine Mehrheit unter den Enquete-Mitgliedern.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 196 - 23. April 2012 - 17:10 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2012