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BUNDESTAG/5881: Heute im Bundestag Nr. 395 - 24.06.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 395
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Freitag, 24. Juni 2016, Redaktionsschluss: 10.23 Uhr

1. Abgeordnete hören Lektion über IT-Sicherheit
2. Black Box: Clearstream AG


1. Abgeordnete hören Lektion über IT-Sicherheit

1. Untersuchungsausschuss (NSA)/Ausschuss

Berlin (hib/wid) Der frühere IT-Direktor des Bundesinnenministeriums Martin Schallbruch erinnert sich aus seiner Dienstzeit an keinen Cyberangriff, der sich "eindeutig" auf einen Nachrichtendienst der USA oder anderer westlicher Verbündeter hätte zurückführen lassen. Dies sagte Schallbruch am Donnerstag in seiner Vernehmung durch den 1. Untersuchungsausschuss (NSA). Der Informatiker war im Innenministerium von Februar 2002 bis Februar 2016 in verschiedenen Funktionen zuständig für Netzpolitik, digitale Gesellschaft, den IT-Einsatz in der öffentlichen Verwaltung sowie Cybersicherheit. Er führte zudem die Fachaufsicht über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).

In den fast anderthalb Jahrzehnten seiner Tätigkeit für die Bundesregierung habe sich die Digitalisierung rasant ausgebreitet, habe die Abhängigkeit des Staates wie der Wirtschaft von der Informationstechnik immer weiter zugenommen. Die Bedrohungslage sei folglich immer komplexer geworden, berichtete Schallbruch dem Ausschuss. Zumal seit 2004 habe die Bundesverwaltung eine stetige Zunahme von Angriffen auf ihre Computernetzwerke registriert, deren Urheber freilich in der Regel nicht erkennbar gewesen seien. "Ab einem bestimmten Professionalisierungsgrad" habe man davon ausgehen können, dass ein ausländischer Nachrichtendienst "im Hintergrund" gewesen sei. Allerdings sei eine Zuordnung in keinem Fall gelungen.

In den ersten Jahren seiner Tätigkeit, meinte Schallbruch, habe er in der Verwaltung für die Digitalisierung werben müssen. Die vergangenen fünf Jahre habe er dann damit verbracht, angesichts digitaler Euphorie die strikte Beachtung der Sicherheitsstandards anzumahnen. Dabei sei im Sommer 2013 die Snowden-Affäre hilfreich gewesen: "Es hat sich seit Snowden gravierend was verändert." Die Vorbehalte gegen Verschlüsselungstechniken und die von Schallbruch wiederholt geforderte Vereinheitlichung der IT-Infrastruktur der öffentlichen Verwaltung seien geschwunden. Dafür sei die Bereitschaft gewachsen, bei der Vergabe sicherheitsrelevanter Aufträge eine europarechtliche Ausnahmeregelung zu nutzen.

In der Regel sind öffentliche Aufträge europaweit auszuschreiben. In begründeten Ausnahmefällen, etwa bei der Installierung einer sensiblen Software, die eine Garantie bieten soll, vor dem Zugriff fremder Nachrichtendienste geschützt zu sein, besteht die Möglichkeit, ausschließlich einheimische Anbieter zu berücksichtigen. Lange Zeit hätten deutsche Behörden von dieser Regelung nur zögerlich Gebrauch gemacht aus Furcht vor Prozessen oder einer Maßregelung durch die EU-Kommission. Mit dieser Zurückhaltung sei es seit der Snowden-Affäre vorbei: "Seit Snowden wird eine sehr viel nationalere Beschaffungs- und Kryptopolitik betrieben", sagte Schallbruch.

Entsprechend gewachsen sei aber auch der "Lobbydruck" vor allem von seiten großer IT-Unternehmen aus den USA. Schallbruch räumte ein, dass Snowdens Mitteilungen über die Praktiken der amerikanischen National Security Agency (NSA) auch ihm persönlich einige Überraschungen bereitet hätten: "Ich hatte nicht erwartet, dass das Ausmaß technischer Maßnahmen der NSA so gewaltig ist." Gestaunt habe er auch über die "Methodenvielfalt", die Mannigfaltigkeit der "verschiedenen Stoßrichtungen, um in fremde Systeme einzudringen".

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2. Black Box: Clearstream AG

4. Untersuchungsausschuss (Cum/Ex)/Ausschuss

Berlin: (hib/mwo) Die Rolle der Clearstream AG bei den sogenannten Cum/Ex-Geschäften stand am Donnerstag im Fokus der 14. Sitzung des 4. Untersuchungsausschusses (Cum/Ex). In öffentlicher Sitzung hörte das Gremium unter Vorsitz von Hans-Ulrich Krüger (SPD) zwei leitende Mitarbeiter des Unternehmens, das für die Abwicklung der an der Börse getätigten Geschäfte zuständig ist. Befragt wurden außerdem jeweils ein Mitarbeiter der Deutschen WertpapierService Bank (dwpbank) und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).

Krüger hatte zuvor angekündigt, die Clearstream-Vertreter nach den Mechanismen bei der Abwicklung von Cum/Ex-Deals fragen zu wollen. Nicht nur den Ausschussmitgliedern, sondern auch Bankenvertretern komme das Unternehmen vor wie eine "Black Box". Als die Situation 2009 wegen der um sich greifenden Cum/Ex-Gestaltungsmodelle "unangenehm" für Clearstream geworden sei, habe man innerhalb kurzer Zeit ein Lösungskonzept "hervorgezaubert", sagte Krüger. Dieses sei im OGAW-IV-Umsetzungsgesetz aufgegriffen worden, mit dem ab 2012 die Neuregulierung des Kapitalsteuerabzugs bei Dividendenzahlungen durchgesetzt worden sei. "Diese interessante Abfolge wollen wir beleuchten", sagte Krüger.

Clearstream-Vorstand Mathias Papenfuß erläuterte auf Nachfrage der Abgeordneten das Geschäftsmodell des Unternehmens und betonte, dass es als Dienstleister für die Banken keine Partikularinteressen verfolge. Als Wertpapier-Sammelbank habe Clearstream eine Sonderstellung als Infrastrukturbetreiber und als solcher "nur Sicht auf aggregierte Bestände". Das Thema Cum/Ex sei ihm erstmals 2002 begegnet, als der Bankenverband Clearstream gebeten habe, an Besprechungen teilzunehmen, bei denen Lösungen für das Problem und den Umgang mit Leerverkäufen vorbereitet werden sollten.

Einem Vorschlag zufolge sollte Clearstream dabei eine zentrale Rolle zukommen. Dies sei aber nicht machbar gewesen, sagte Papenfuß, da das Unternehmen keine Kenntnis von einzelnen Transaktionen habe. Zum damaligen Zeitpunkt sei nicht absehbar gewesen, dass ein Paradigmenwechsel in der Besteuerung möglich sein könnte. Clearstream sei dann 2007 in der Folge des Jahressteuergesetzes wieder mit dem Thema Cum/Ex und Leerverkäufe befasst gewesen, als sich herausgestellt habe, dass sich abwicklungstechnische Fragen und Probleme ergeben hätten, sagte Papenfuß weiter. Clearstream habe daraufhin in einem Arbeitskreis des Bankenverbands mitgearbeitet, bei dem es darum gegangen sei, den Abwicklungsprozess zu automatisieren.

2009 sei dann dem Thema Leerverkäufe "ein bisschen mehr Augenmerk" gewidmet worden. Das Bundesfinanzministerium (BMF) habe in einem Rundschreiben möglichen Missbrauch erwähnt, und es habe erste Presseartikel gegeben. Daraufhin habe sich Clearstream "intensiver mit dem Thema beschäftigt" und unterschiedliche Vorschläge gemacht. Ende Oktober 2009 sei ein Papier an den zuständigen Staatssekretär im BMF übermittelt worden, in dem dargestellt worden sei, wie man mit der Thematik unter Abwicklungsgesichtspunkten umgehen könne. Ab 2010 habe eine Arbeitsgruppe auf Verbandsebene Fahrt aufgenommen, und deren Vorschläge seien in das OGAW-IV-Gesetz eingegangen.

Auf die Frage Krügers, warum dies alles so lange gedauert habe, sagte Papenfuß, es sei erst nach 2009 möglich gewesen, in solchen neuen Dimensionen Vorschläge zu unterbreiten und neue Wege zu gehen. Davor habe man wohl "aus einer anderen Brille draufgeguckt".

Zuvor hatte Papenfuß' Mitarbeiter Thomas Rockstroh die Arbeitsweise von Clearstream detailliert beschrieben und erläutert, wie er im Auftrag seines Chefs seit 2002 mit größeren Pausen mit dem Thema Cum/Ex befasst war, bis es schließlich unter aktiver Mithilfe von Clearstream zum OGAW IV und damit zu einer komplett neuen Lösung gekommen sei. Damit war nicht mehr die Aktiengesellschaft, sondern die auszahlende Bank zum Einbehalt der Kapitalertragsteuer verpflichtet.

Jürgen Nording von der Rechtsabteilung der Deutschen WertpapierService Bank (dwpbank) sagte aus, er habe erstmalig aus dem BMF-Schreiben vom Mai 2009 von der Cum/Ex-Thematik erfahren. Die darin enthaltenen Maßnahmen seien aber nur mit erheblichem Aufwand realisierbar gewesen. Es habe sich gleichwohl um eine kurzfristige Lösung gehandelt, angestrebt worden sei eine endgültige. Ab Juli habe dann ein Arbeitskreis aus Bankenvertretern über eine Neuregulierung des Steuerabzuges beraten. Der Druck sei "so groß geworden, dass etwas passieren musste", sagte Nording, dessen dwpbank Wertpapierdepots von Sparkassen, Genossenschaftsbanken, Privat- und Geschäftsbanken betreut. Das Ministerium habe gegenüber den Bankenverbänden kommuniziert, dass etwas Neues gefunden werden müsse. Daraufhin sei die Idee der Neuregulierung des Kapitalsteuerabzugs bei Dividendenzahlungen in der Arbeitsgruppe entwickelt worden, sagte Nording auf Nachfrage von Krüger. Aufbauend auf dieser Idee sei dann in einer Arbeitsgruppe, zu der auch Clearstream gehört habe, ein Konzept erarbeitet worden, das dann dem BMF vorgestellt worden sei.

Der vierte Zeuge war Peter Kruschel von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), wo er bis Ende 2015 Referatsleiter in der Auslandsbanken-Aufsicht war. Kruschel, der anschließend in nicht öffentlicher Sitzung Fragen des Ausschusses zu einzelnen Banken beantwortete, gab zu Protokoll, dass die BaFin erst im Herbst 2013 in das Thema Cum/Ex eingestiegen sei. Damals habe ein Whistleblower extrem viele Unterlagen übermittelt. Bis zu diesem Zeitpunkt habe die BaFin das Steuerthema nicht im Fokus gehabt. Auch über die Dimension der Cum/Ex-Geschäfte habe es keine Informationen gegeben. Der Grünen-Abgeordnete Gerhard Schick äußerte seine Verwunderung darüber, das die BaFin nicht schon früher über die Erkenntnisse des BMF informiert worden sei.

Die BaFin hatte im Februar wegen der Auswirkungen möglicher Steuerrückforderungen fast alle deutschen Banken befragt, ob und wie sie in Cum/Ex-Geschäfte verwickelt waren. Zuvor hatte sie wegen der Steuerthematik die Schließung der Frankfurter Maple Bank angeordnet.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 395 - 24. Juni 2016 - 10.23 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2016

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