Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → FAKTEN


BUNDESTAG/6191: Heute im Bundestag Nr. 705 - 30.11.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 705
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 30. November 2016, Redaktionsschluss: 14.42 Uhr

1. Wirtschaft fordert mehr Bürokratieabbau
2. Kritik an deutscher Nachhaltigkeitsstrategie
3. Menschenrechtslage in Montenegro


1. Wirtschaft fordert mehr Bürokratieabbau

Wirtschaft und Energie/Anhörung

Berlin: (hib/HLE) Das deutsche Handwerk hat der Bundesregierung ein gutes Zeugnis beim Bürokratieabbau ausgestellt und auch den jüngsten Vorstoß gewürdigt. "Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt vom unverminderten Engagement der Bundesregierung für einen kontinuierlichen Abbau bestehender bürokratischer Belastungen", erklärte Simone Schlewitz vom Zentralverband des deutschen Handwerks am Mittwoch in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (18/9949). Besonders erfreulich ist laut Schleiwitz, dass der Focus auf die Entlastung kleinerer und mittlerer Betriebe gerichtet sei: "Angesichts der strukturellen Nachteile kleiner Betriebe und deren überproportionaler Bürokratieentlastung ist diese Zielrichtung der richtige Ansatz."

Die Bundesregierung will mit dem Gesetzentwurf Vereinfachungen im Steuerrecht und bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge erreichen. Die Maßnahmen würden insgesamt 3,6 Millionen Betrieben zugutekommen. Die Berechnung von Sozialbeiträgen soll vereinfacht werden. Wenn der tatsächliche Wert für den laufenden Monat nicht bekannt ist, soll die Berechnung auch auf Grundlage des Wertes des Vormonats erfolgen können.

Vorgesehen sind außerdem eine Anhebung der Pauschalierungsgrenzen für Rechnungen über Kleinbeträge und der Grenzbeträge zur Abgabe der Lohnsteuer-Anmeldung. Außerdem werden die Fristen der steuerlichen Aufbewahrungsfrist für Lieferscheine verkürzt, was jedoch nach Ansicht des Handwerks zu Problemen bei der praktischen Anwendung führen kann. Auch Ulrike Beland vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnte vor der geplanten Änderung bei der Frist für Lieferscheine. Es bestehe die Gefahr, dass Lieferscheine zu früh vernichtet werden könnten und es Probleme beim Vorsteuerabzug geben könnte.

Professor Kai Wegrich (Hertie School of Governance) bezeichnete den Entwurf als wichtigen Umsetzungsschritt für eine bessere Koordination zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Er erwartet auch eine Entlastungswirkung für die Länderverwaltungen. Es könnte jedoch noch mehr gemacht werden, denn insgesamt sei der Entwurf "nicht besonders weitreichend". Ähnlich äußerte sich Professor Tino Schuppan von der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit in Schwerin. Er empfahl die Einrichtung eines zentralen Serviceportals für Unternehmen wie in Österreich. Dies sei besonders für kleine Unternehmen sinnvoll. Dafür müssten aber die Datenbanken harmonisiert werden, wie dies in Belgien geschehen sei. Auch die Sachverständige Beland begrüßte die Idee eines zentralen Serviceportals.

Fabian Wehnert vom Bundesverband der deutschen Industrie nannte den Ansatz, besonders kleine Betriebe mit zwei bis drei Mitarbeitern entlasten zu wollen, "legitim". Insgesamt habe die Wirtschaft jedoch angesichts einer Bürokratiebelastung in einer Größenordnung von 40 Milliarden Euro größere Erwartungen an den Gesetzgeber gehabt, der sich über den vorliegenden Gesetzentwurf hinaus "ambitionierte und quantitative Ziele für den Abbau von Bürokratie" setzen müsse. Beland bezeichnete den Entwurf als "guten Ansatz. Er reicht jedoch über eine anfängliche Entlastung nicht hinaus und ist sehr zaghaft." Kleine Unternehmen seien oft wachsende Unternehmen und würden dann schnell wieder in die Melde- und Berichtspflichten hineinwachsen.

Ähnlich wie DIHK und Handwerk wandte auch Stefanie Nattkämper-Scholz von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in ihrer Stellungnahme zu den kürzeren Aufbewahrungsfristen von Lieferscheinen ein, gerade bei bilanzierenden Unternehmen würden Lieferschein vor Erhalt oder Versand einer Rechnung regelmäßig die Funktion eines Buchungsbelegs einnehmen und dürften somit nicht vernichtet werden. Nattkämper-Scholz regte in ihrer Stellungnahme weitergehende Maßnahmen zur Entlastung von Bürokratie an, so zum Beispiel die Anhebung der sogenannten Ist-Besteuerungsgrenze. Mehrere Sachverständige empfahlen eine Heraufsetzung der Grenze für die Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter (GWG), die derzeit bei 410 Euro liegt.

*

2. Kritik an deutscher Nachhaltigkeitsstrategie

Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung/Anhörung

Berlin: (hib/JOH) Experten haben am Mittwochmittag im Entwicklungsausschuss mit Blick auf die Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs, auch: Agenda 2030) mehr Kohärenz in der nationalen und internationalen Politik und eine stärkere Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen angemahnt. In der rund dreistündigen öffentlichen Anhörung forderten viele Sachverständige zudem eine Präzisierung der Ziele und Indikatoren in der von der Bundesregierung überarbeiteten Nachhaltigkeitsstrategie, welche die Umsetzung der SDGs auf nationaler Ebene sicherstellen soll.

So wies Claudia Schwegmann von der Open Knowledge Foundation darauf hin, dass die Indikatoren der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie nur ein Viertel der 169 SDG-Unterziele abdeckten. Wichtige Bereiche, etwa die Unterziele zu Migration und Zugang zu Bildung, würden fehlen, genauso konkrete Zielwerte. Schwegmann sprach sich für eine EU- und OECD-weite Standardisierung der Indikatoren, eine Prioritätensetzung bei der Umsetzung der SDGs sowie ein Monitoring auch auf lokaler Ebene aus.

Tobias Hauschild vom Verband für Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe (VENRO) sieht ebenfalls noch "erheblichen Überarbeitungsbedarf" bei der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, um dem Anspruch der Agenda 2030 gerecht zu werden. Wichtig sei Kohärenz unter anderem in der Wirtschafts-, Finanz- und Handelspolitik, die Verhinderung von Steuerflucht und -vermeidung und die Förderung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen auf nationaler und globaler Ebene. Hauschild sprach sich für die Verankerung eines "Nachhaltigskeits-TÜVs" aus, mit dem alle politischen Initiativen und Gesetzesvorhaben inhaltlich auf ihre Auswirkungen hinsichtlich der Nachhaltigkeit überprüft werden sollten. Zudem sollten alle Ressorts regelmäßig Agenda-2030-Kohärenzberichte zu ihren Politiken verfassen.

Die Forderung nach einem Nachhaltigkeits-TÜV untermauerte auch Jens Martens vom Global Policy Forum. Er sprach sich desweiteren für einen aufgewerteten Bundestagsausschuss für nachhaltige Entwicklung aus, um auf Ebene des Parlaments die Umsetzung der 2030-Agenda koordinierend zu begleiten.

Nach Ansicht von Frank Zach vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) steht "die derzeitige Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik der Bundesregierung oftmals im Widerspruch zu den Zielen einer nachhaltigen und sozial gerechten Entwicklung, sowohl in Deutschland als auch international". Eine Ausrichtung der nationalen und internationalen Handels- und Investitionspolitiken an soziale und ökologische Standards sei aber notwendig. Für die Umsetzung der Agenda 2030 müssten zum einen ausreichende finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Zum anderen brauche es einen klaren gesetzlichen Rahmen, der die Wahrung von Arbeits- und Umweltstandards durch Unternehmen sicherstellt und Fehlverhalten sanktioniert.

Die Überarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie habe nicht in ausreichendem Maße dazu geführt, den Blick auf die grenzüberschreitenden und globalen Effekte deutscher Politik auszuweiten, die global nachhaltiger Entwicklung im Wege stehen, kritisierte auch Imme Scholz vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Sie schlug den Abgeordneten unter anderem vor, an einem Tag in allen Parlamenten weltweit Debatten darüber zu führen, welche Beiträge in den einzelnen Politikfeldern für die Umsetzung der 2030 Agenda geleistet werden.

Norbert Kloppenburg von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) wies auf den erheblichen Finanzbedarf bei der Realisierung der Ziele hin. Die Schätzungen reichten von 1,4 Billionen US-Dollar bis hin zu 4,5 Billionen weltweit pro Jahr. Derzeit würden aber nur rund 160 Milliarden US-Dollar für Entwicklungszusammenarbeit aufgewendet.

Der Oberbürgermeister der Stadt Bonn, Ashok-Alexander Sridharan, betonte die Bedeutung der Städte und Kommunen für die Erreichung der SDGs. Sie seien es, "in denen nationale Politik Gestalt annimmt und Wirkungen zeigt". Voraussetzung sei jedoch, dass sie die notwendigen rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen bereitgestellt bekommen würden, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Zudem sollten die Kommunen mehr Mitsprache bei der Ausarbeitung nationaler Aktionspläne bekommen. "Bund, Länder und Kommunen können bei der Zusammenarbeit noch viel besser werden", sagte er.

Der Vorstandsvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt-Landesnetzwerke, Udo Schlüter, betonte, die globalen Probleme könnten nicht nur durch technische Innovationen gelöst werden. Wichtig sei auch, in einen "mentalen und kulturellen Wandel" zu investieren und damit auf das Bewusstsein und das Konsumverhalten der Menschen zu zielen.

Jennifer Howe vom Bund der Deutschen Industrie (BDI) versicherte, dass die deutschen Unternehmen sich ihrer Verantwortung bei der Realisierung der Ziele bewusst seien und diese als Chance begriffen, sich in den Prozess einzubringen. "Der BDI bekennt sich schon seit langem zum Leitbild der Nachhaltigkeit", betonte Howe. Seine Aufgaben sei es jetzt, die Unternehmen bei der Umsetzung zu begleiten und zu beraten.

*

3. Menschenrechtslage in Montenegro

Auswärtiges/Antwort

Berlin: (hib/AHE) Die Bundesregierung sieht keine Anzeichen für "strukturelle Repression oder Diskriminierung" aufgrund der Rasse, der Nation, der sexuellen Orientierung oder der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe in Montenegro. Allerdings herrschten in Teilen der Bevölkerung nach wie vor Vorurteile gegen Roma, Balkan-Ägypter und Aschkali vor, heißt es in der Antwort (18/10436) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/9786). Montenegro sei ein Land mit ausgeprägtem multikulturellem Charakter. "Das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien gilt, gerade im Vergleich mit anderen Ländern der Region, als beispielhaft." Die mit internationaler Unterstützung erarbeitete Verfassung garantiere die Grundrechte nach internationalen Standards. "Montenegro ist eine parlamentarische Demokratie, in der die Grund- und Menschenrechte verfassungsrechtlich garantiert sind", schreibt die Bundesregierung. "Hohe Arbeitslosigkeit, große Einkommensdisparitäten und ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen von etwa 490 Euro pro Monat führen aber dazu, dass die gesellschaftliche Teilhabe finanziell schlechter gestellter Schichten der Bevölkerung oft faktisch limitiert ist", heißt es in der Antwort weiter. Zudem seien "traditionelle Wertvorstellungen" in allen Bevölkerungsschichten Montenegros noch weit verbreitet, "entsprechend ist das gesellschaftliche Verständnis für sexuelle Minderheiten wenig ausgeprägt".

Die Bundesregierung sieht zudem keine Anzeichen für eine "strukturelle Verfolgung oder Diskriminierung von Religionsgemeinschaften, zu denen die serbisch-orthodoxe Kirche, die montenegrinisch-orthodoxe Kirche, die muslimische Glaubensgemeinschaft, die katholische Kirche und eine jüdische Gemeinde zählen". Allerdings sei es der dominierenden serbisch-orthodoxen Kirche gelungen, alleinig von der Restituierung von Kircheneigentum in den 1990er Jahren "zu Lasten der wiedererstandenen montenegrinischen orthodoxen Kirche zu profitieren".

*

Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 705 - 30. November 2016 - 14.42 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Telefon: +49 30 227-35642, Telefax: +49 30 227-36191
E-Mail: mail@bundestag.de
Internet: www.bundestag.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang