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BUNDESTAG/6227: Heute im Bundestag Nr. 741 - 15.12.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 741
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 15. Dezember 2016, Redaktionsschluss: 10.20 Uhr

1. Einig über Beschuldigtenrechtereform
2. Neutralität bei Online-Plattformen
3. Austausch mit Schülern über Fairtrade
4. Linke: Aktionsplan gegen Kinderarmut


1. Einig über Beschuldigtenrechtereform

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/PST) Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/9534), der die Rechte von Beschuldigten in Strafverfahren regelt, ist bei Sachverständigen im Grundsatz auf Zustimmung gestoßen. Bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses beschränkte sich ihre Kritik auf Einzelheiten. Das vorgeschlagene "Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts" soll hauptsächlich eine EU-Richtlinie in deutsches Recht umsetzen. Zudem sind Änderungen im Recht für ehrenamtliche Richter enthalten.

Die Bundesregierung weist in dem Gesetzentwurf darauf hin, dass die Rechtslage in Deutschland schon weitgehend der EU-Richtlinie entspräche und sich daher der Änderungsbedarf in Grenzen halte. Dem stimmten die Sachverständigen nicht nur zu, sie wiesen auch darauf hin, dass viele der vorgeschlagenen Neuerungen nur kodifizierten, was ohnehin Stand der Rechtsprechung sei. Sie seien daher "zum Teil entbehrlich", wie der Osnabrücker Rechtsprofessor Arndt Sinn meinte, "aber eventuell zur Klarstellung sinnvoll".

Eine dieser Klarstellungen betrifft das Anwesenheitsrecht des Verteidigers schon bei der ersten polizeilichen Vernehmung. Die Polizei wird verpflichtet, aktiv bei der Suche eines Verteidigers zu helfen. Auch ist der Verteidiger bei einzelnen Ermittlungsschritten wie Gegenüberstellung vorab zu informieren und zu beteiligen. Der Berliner Strafverteidiger Stefan Conen hob einerseits die Bedeutung dieser Regelung hervor und verwies auf Untersuchungen zu später revidierten Fehlurteilen, wonach Unschuldige vor allem infolge falscher Identifizierung verurteilt würden. Wichtiger als das Teilnahmerecht des Verteidigers sei aber, dass von diesen Vorgängen Videoaufzeichnungen angefertigt werden, die bei Zweifeln vor Gericht herangezogen werden könnten. Auch für andere Vorgänge im polizeilichen Ermittlungsverfahren wie Belehrungen sollten Aufzeichnungen vorgeschrieben werden. Bei Verfahrensfehlern trage der Beschuldigte die Beweislast, aber ohne Dokumentation könne er diesen Beweis kaum erbringen.

Der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Rolf Raum warnte dagegen, die im Gesetzentwurf angelegte "zunehmende Formalisierung" der Verteidigerrechte würde "Verfahren schwerfälliger und ineffizienter machen". Ähnlich argumentierte der Marburger Oberstaatsanwalt Gert-Holger Willanzheimer. Die vorgesehene Verpflichtung, im Verlauf eines Ermittlungsverfahrens "jedes Mal aktiv den Verteidiger zu benachrichtigen", führe "zu einer Verkomplizierung". Ausdrücklich begrüßte dagegen der Vertreter des Deutschen Anwaltsvereins, Michael Rosenthal, die umfassenden Mitwirkungsrechte der Verteidiger im Ermittlungsverfahren. So werde "bei Tat-Rekonstuktionen unglaublich viel übersehen". Die Anwesenheit des Verteidigers könne hier helfen, Fehler zu vermeiden.

Gleich mehrere Sachverständige kritisierten eine vorgeschlagene Änderung des Jugendgerichtsgesetzes. Darin geht es um die Rechte festgenommener Jugendlicher und um die Pflicht, ihre Eltern zu benachrichtigen. Diese Benachrichtigung soll unterbleiben können, wenn - etwa im Fall krimineller Familien - durch die Benachrichtigung der Ermittlungserfolg gefährdet oder das Kindeswohl beeinträchtigt würde. Hier sahen Gutachter zum einen Widersprüche zwischen einem neu einzuführenden Paragrafen und einem weiterbestehenden alten. Zum anderen forderte der Passauer Rechtswissenschaftler Robert Esser für einen solch "weitgehenden Eingriff ins Elternrecht" genauere Regelungen und zeitliche Grenzen.

Die im Gesetzentwurf mit enthaltenen Änderungen im Schöffenrecht sollen es einerseits den Gemeinden erlauben, leichter genügend ehrenamtliche Richter zu finden, andererseits Schöffen besser vor Überlastung schützen. Andreas Kreutzer vom Deutschen Richterbund lobte daran insbesondere die Abschaffung einer Bestimmung, wonach Schöffen nach zwei fünfjährigen Amtszeiten einmal aussetzen müssen, und hob den Wert erfahrener Schöffen hervor. Auch dass die Vorschlagsliste für eine Schöffenwahl doppelt so viele Bewerber wie zu vergebende Ämter enthalten soll, begrüßte Kreutzer. Die vom Bundesrat vorgesehene Begrenzung auf das Eineinhalbfache lehnte er unter Hinweis auf die demokratische Legitimation sowie auf notwendige Nachrücker für ausfallende Schöffen ab.

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2. Neutralität bei Online-Plattformen

Ausschuss Digitale Agenda/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Nach Ansicht der Monopolkommission braucht es für den Umgang mit Informationsintermediären wie etwa der Online-Plattform Google keine spezifischen rechtlichen Vorgaben. Während eines öffentlichen Fachgespräches zum Thema "Plattformen: Interoperabilität und Neutralität" vor dem Ausschuss Digitale Agenda sagte Jürgen Kühling, Mitglied der Monopolkommission, die allgemeine Anwendung des Kartellrechts sei ausreichend. "Uns fehlen nicht sinnvolle materielle Regeln sondern eine effektive zeitnahe Anwendung dieser Regeln", so Kühling.

Gleichzeitig machte der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Immobilienrecht, Infrastrukturrecht und Informationsrecht an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Regensburg deutlich, dass sich Online-Plattformen voneinander unterscheiden würden. Ein einheitlicher Rechtsrahmen sei daher nicht zweckmäßig, sagte Kühling.

Es sei richtig, die bestehenden Regeln konsequent anzuwenden, stimmte Clark Parsons, Geschäftsführer der Internet Economy Foundation, Kühling zu. "In besonders sensiblen Bereichen sollten die Bestimmungen aber angepasst werden", forderte er. Dazu zählen aus seiner Sicht Plattformen, "die eine digitale Infrastruktur bereitstellen und damit systemrelevant sind". In diesem Bereich seien Monopolstellungen besonders gefährlich, weil sie dem einzelnen Anbieter die Möglichkeit bieten würden, anderen Wettbewerbern den Zugang zu erschweren. Parsons sprach sich für einen neuen kartellrechtlichen Prüfprozess aus, der greift, sobald bestimmte Kriterien - wie etwa die Reichweite, die Nutzerdurchdringung oder Lock-in-Effekte - erfüllt sind.

Es gebe derzeit ein Problem mit der Marktdefinition und der Bestimmung der Marktbeherrschung, sagte Heike Schweitzer, Geschäftsführende Direktorin des Instituts für deutsches und europäisches Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht (IWWR) an der Freien Universität Berlin. Grund dafür sei, "dass immer mit einem gewissen Schematismus an die Prüfung herangegangen wird". So werde zuerst auf den Markt, die Marktmacht und erst dann auf den Missbrauch geschaut. "In diesen dynamischen Märkten ist aber die Marktabgrenzung überaus schwierig", gab Schweitzer zu bedenken. Die Frage sei daher, ob man bei der Betrachtung nicht mit dem potenziellen Missbrauch starten könne. "Man könnte prüfen, ob ein bestimmtes Verhalten Verdrängungswirkung auf Mitbewerber hat und ob dieses Verhalten vielleicht nicht wettbewerblich angemessen kontrolliert wird", schlug die Wettbewerbsrechtlerin vor.

Aus Sicht des Journalisten und Bloggers Michael Seemann sind Online-Plattformen politische Machtgebilde. Diese "Entscheidungsmonster" hätten in immer größerem Maße Einwirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben, gab er zu bedenken. Nicht zuletzt da sie nicht an Nationengrenzen gebunden sind, seien sie dem Staat strukturell überlegen. "Das führt dazu, dass sich der Staat in eine zunehmende Abhängigkeit zu den Plattformen begibt", sagte Seemann. Schon jetzt sei man darauf angewiesen, "dass die Plattformen gesellschaftlichen Frieden wiederherstellen, den sie zuerst gebrochen haben". Seemann forderte ein radikales Umdenken. "Der Staat muss Teil des Plattformmarktes sein", sagte er. Als Partner könne ihm dabei der Open Source Bereich dienen, mit dem der Staat laut Seemann eine strategische Allianz eingehen sollte. "Als Mitspieler kann der Staat sehr viel mehr Einfluss auf das Marktgeschehen bei Plattformen nehmen als in der Rolle des Regulators", sagte er.

Im Interesse der Anwender sollten Plattformen auf offene Standards setzen und entsprechend auf Open Source aufbauen, sagte Mirko Boehm von der Free Software Foundation. Der Einsatz offener Standards sei auch als ein Mittel für mehr Interoperabilität und Neutralität bei Plattformen zu empfehlen. Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich laut Boehm, wenn ein Plattformbetreiber zugleich auch Diensteanbieter sei. Als Anwender habe man dann keine Kontrolle mehr aus welchen Gründen beispielsweise Postings zensiert werden.

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3. Austausch mit Schülern über Fairtrade

Ausschuss Digitale Agenda/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hat sich bei einem öffentlichen Fachgespräch zum Thema "Fairtrade und Nachhaltigkeit" mit Schülern aus fünf verschiedenen Schulen ausgetauscht. Dabei stellten Schüler des Gymnasiums Grafing (Bayern), des Stein-Gymnasiums in Stein (Bayern), der Berufsbildenden Schule Sophie Scholl in Bremerhaven, des Ludwig-Meyn-Gymnasiums in Uetersen (Schleswig-Holstein) und der Städtischen Maria Montessori-Gesamtschule in Düsseldorf im Alter zwischen zwölf und 22 Jahren die an ihrer jeweiligen Schule laufenden Projekte in Sachen Fairtrade und Nachhaltigkeit vor. Bei der anschließenden Fragerunde erkundigten sie sich nach den Aktivitäten des Bundestags in Sachen Fairtrade. Zugleich forderten sie eine bessere Anerkennung und stärkere Unterstützung ihres Engagements und sprachen sich für mehr gesetzliche Aktivitäten zum Schutz des Regenwaldes und beim Kampf gegen Kinderarbeit auf Kakaoplantagen aus.

Mit Blick auf die Forderung nach einem verstärkten Kampf gegen illegalen Holzhandel verwies Andreas Lenz (CSU) auf das in Deutschland geltende Holzhandelssicherungsgesetz. Auf den Einwand, die Importe würden nicht ausreichend kontrolliert, sagte er, die Mittel für die Kontrollen würden im kommenden Jahr erhöht. Was den Bundestag selber angeht, so Lenz, sei darauf geachtet worden, dass nur nachhaltig produziertes Holz verbaut wurde.

Carsten Träger (SPD) machte deutlich, dass Fairtrade schon jetzt mit Bundesmitteln aus dem Haushalt des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt werde. Man sollte über eine Evaluierung des Mittelabflusses nachdenken, fügte er hinzu. Fairtrade, so Träger, müsse aber zuallererst eine Bewegung werden, "die von unten wächst". Daher müsse eine bessere Vernetzung der Engagierten auf kommunaler Ebene angestoßen werden.

Ihre Erfahrung sei, dass die Politik vor Ort nicht immer wahrnehme, was die Schüler im Bereich Fairtrade und Nachhaltigkeit leisten, sagte Birgit Menz (Die Linke). Es fehle an Wertschätzung, obwohl es doch so wichtig sei, dass Schüler motiviert werden andere Schüler für Fairtrade zu begeistern. Was die Rolle der Politik angeht, so sagte Menz, fairer Handel könne nicht nur auf Freiwilligkeit basieren. "Wir brauchen gesetzliche Regelungen, die dann auch umgesetzt werden", sagte sie.

Es gebe viele Ideen im politischen Bereich, die sich mit den Ideen der Schüler decken würden, sagte Valerie Wilms (Bündnis 90/Die Grünen). Dass politisch umzusetzen könne manchmal aber auch eine oder mehrere Wahlperioden dauern. Gleichwohl dürfe niemand den Mut verlieren, forderte Wilms. Wenn man feststellen kann, dass es bei Lebensmittel-Discountern inzwischen "jede Menge fair gehandelten Produkte gibt", sei das durchaus ein Fortschritt, befand sie.

Beim Thema Kinderarbeit seien sich alle Parlamentarier im Bundestag einig, dass man dagegen ankämpfen muss, betonte der Vorsitzendes des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung, Andreas Jung (CDU. Als nationaler Gesetzgeber stoße man dabei allerdings an Grenzen, wenn es um internationale Sachverhalte gehe. Erreichbar sei eine Verbesserung nur durch internationale Kooperation, was auch der Ansatz der Bundesregierung sei, sagte Jung.

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4. Linke: Aktionsplan gegen Kinderarmut

Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Antrag

Berlin: (hib/AW) Die Fraktion Die Linke fordert die Bundesregierung auf, "umgehend einen mehrjährigen und umfassenden Aktionsplan gegen Kinderarmut" aufzulegen. Besondere Berücksichtigung sollen dabei Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Familien mit Migrationshintergrund finden. Kinderarmut sei nach wie vor eines der "prägendsten und gravierendsten Probleme" Deutschlands und habe zugenommen, schreibt die Linksfraktion in ihrem Antrag (18/10628). So seien laut Mikrozensus im Jahr 2015 19,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren von Armut bedroht gewesen, im Jahr 2014 seien es noch 19 Prozent gewesen.

Nach dem Willen der Linksfraktion soll mit dem Aktionsplan unter anderem eine Kindergrundsicherung eingeführt werden. So soll das Kindergeld einheitlich auf 328 Euro erhöht und im Gegenzug die Steuerfreibeträge gestrichen werden. Alle Kinder müssten gleich behandelt werden. Zudem müssten die sozialen Grundsicherungssysteme wie Hartz IV "repressionsfrei und sanktionsfrei" ausgestaltet werden. Die Regelbedarfe für Kinder bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr seien auf 326 Euro, für Kinder vom siebten bis 13. Lebensjahr auf 366 Euro und für Kinder vom 14. bis 18. Lebensjahr auf 401 Euro anzuheben. Ebenso soll der Kinderzuschlag erhöht werden: Auf 220 Euro für Kinder bis zum sechsten Lebensjahr, auf 260 Euro bis zum zwölften Lebensjahr und auf 300 Euro nach dem zwölften Lebensjahr.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 741 - 15. Dezember 2016 - 10.20 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2016

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