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BUNDESTAG/6280: Heute im Bundestag Nr. 032 - 19.01.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 032
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnertag, 19. Januar 2017, Redaktionsschluss: 17.55 Uhr

1. Verfassungsschützer mit Gedächtnislücken
2. Privilegierung von Kinder-Sportlärm
3. EU-Kommissar im Gesundheitsausschuss
4. Klärschlammverwertung neu geregelt


1. Verfassungsschützer mit Gedächtnislücken

3. Untersuchungsausschuss (NSU)/Ausschuss

Berlin: (hib/FZA) Wie konnte die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) über mehr als ein Jahrzehnt hinweg unentdeckt rauben und morden, ohne das die deutschen Kriminalbehörden und der Verfassungsschutz etwas davon mitbekamen? Zu den damaligen Fehlern der Behörden befragte der 3. Untersuchungsausschuss unter Leitung von Clemens Binninger (CDU) zwei ehemalige ranghohe Verfassungsschützer.

Der Zeuge Wolfgang Cremer arbeitete von 1982 bis 2007 für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und leitete dort von 1996 bis 2004 die Abteilung Rechtsextremismus, in einer Zeit also, als sich der NSU formierte und mehr als die Hälfte seiner insgesamt zehn Morde, 15 Raubüberfälle und drei Sprengstoffanschläge beging. Cremer war im Juli 2012 schon einmal vor den ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags geladen worden. Er hatte dort eine ausführliche Zeugenaussage gemacht und Versäumnisse seiner Behörde eingeräumt. Seinen damaligen Aussagen habe er allerdings nichts mehr hinzuzufügen, betonte er jetzt vor dem 3. Untersuchungsausschuss.

Die Abgeordneten hakten trotzdem nach und fragten Cremer unter anderem nach den Hintergründen eines Dossiers über die Gefahren des Rechtsextremismus in Deutschland, das das BfV im Jahr 2004 herausgegeben hat und in dem als Fallbeispiel auch auf drei flüchtige Bombenbastler aus Jena eingegangen wird - dem heute als NSU bekannten Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Wie Obmann Armin Schuster (CDU) ausführte, habe das BfV die Gefahr eines Rechtsterrorismus in Deutschland damals bereits präzise erkannt und beschrieben. Trotzdem sei man letztlich zu dem Fehlurteil gelangt, dass die Voraussetzungen in der rechtsextremen Szene nicht gegeben seien, um einen bewaffneten Kampf aus dem Untergrund zu führen.

Cremer bedauerte das, beteuerte aber auch, das sei der damalige Kenntnisstand gewesen. Er erklärte auch, bei dem Dossier handele es sich um einen allgemeine Bewertung der rechtsextremen Szene von den 1990ern bis 2004. In diesem Rahmen sei das Jenaer Trio nur als eine von mehreren militanten Gruppierungen benannt worden, mit der Besonderheit, dass es dem Trio als einzige bekannte Gruppe gelungen war, erfolgreich abzutauchen. Zu erneuten Bemühungen, das Trio aufzuspüren, habe das Dossier damals nicht geführt, auch weil das Trio seit seinem Untertauchen im Jahr 1998 verschwunden blieb und es Mutmaßungen gab, es habe sich nach Südafrika abgesetzt. Eine Verbindung zu den sogenannten Ceská-Morden und den zahlreichen Raubüberfällen, die heute dem NSU zugerechnet werden, ist laut Cremer damals nicht gezogen worden.

Unter anderem fragten die Abgeordneten Cremer auch nach der Operation "Drilling", in deren Rahmen das Landesamt für Verfassungsschutz in Thüringen (LfV) gemeinsam mit dem BfV noch bis 2003 nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gefahndet hat. Ebenfalls sollte Cremer beantworten, welche Erkenntnisse dem Amt damals über die Verbindungen zwischen dem Jenaer Trio und dem rechtsextremen Netzwerk "Blood & Honour" vorlagen und ob hier nach möglichen Kontaktpersonen gesucht wurde. Offen blieb auch die Frage, ob das BfV damals versucht hat, seinen damaligen V-Mann "Corelli" zu nutzen, um das Trio aufzuspüren. Wie man heute weiß, waren Corelli und Uwe Mundlos miteinander bekannt.

Zu all diesen Fragen konnte Cremer, wie er bereits zu Anfang angekündigt hatte, nichts Erhellendes beitragen. "Ich will erinnern, dass das 17 Jahre her ist", betonte er und verwies ansonsten auf die dem Ausschuss vorliegenden Akten. "Die Akten sind meist präziser als mein Gedächtnis", sagte er. Dabei vergaß er offenbar, dass einige der im NSU-Komplex relevanten Akten bis heute unvollständig sind oder aber im BfV und anderen Behörden vernichtet wurden.

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2. Privilegierung von Kinder-Sportlärm

Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/SCR) Durch Kinder verursachter Lärm auf Sportanlagen soll nach Willen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen privilegiert werden. In einem Gesetzentwurf (18/10859) schlägt die Fraktion vor, auch Geräuscheinwirkungen, die auf Sportanlagen durch Kinder hervorgerufen werden, im Paragraph 22 Absatz 1a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes aufzunehmen. Dort wird bisher geregelt, dass im Regelfall etwa Lärm von Kindertageseinrichtungen keine "schädliche Umwelteinwirkung" ist. Eine Folgeänderung sehen die Grünen in der Sportanlagenlärmschutzverordnung vor. Die Privilegierung des Kinderlärms auf Sportanlagen soll auch entsprechend bei der Ermittlung und Beurteilung der Gesamtgeräuschimmission der entsprechenden Anlage berücksichtigt werden.

Die Grünen begründen den Gesetzentwurf unter anderem mit einem Wertungswiderspruch. So werde Lärm von Spielplätzen privilegiert, während Kinderlärm auf Sportanlagen unter die Restriktionen der Sportanlagenlärmschutzverordnung falle. Probleme ergäben sich daraus zudem, weil Sportvereine ihre Anlagen als Partner der Ganztagsschulen einbrächten und der Schulsport "zu einer Verkürzung des Beurteilungs- und Mittelungszeitraums gemäß Sportanlagenlärmschutzverordnung" führe. Daraus ergäben sich "rein rechnerisch höhere Richtwerte", die häufig jenseits der Grenzwerte der Verordnung lägen, führen die Grünen aus. Das könne im Zweifelsfall zur Einschränkung der Kooperation oder zu einer nicht gewünschten Verlagerung der Anlagen an den Stadtrand führen.

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3. EU-Kommissar im Gesundheitsausschuss

Gesundheit/Ausschuss

Berlin: (hib/PK) Der litauische EU-Kommissar für Gesundheit, Vytenis Andriukaitis, hat am Donnerstag im Gesundheitsausschuss des Bundestages seine politische Agenda erläutert. Der Kommissar äußerte sich dabei allgemein auch zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) über den Medikamenten-Versandhandel.

Er sagte, wenn online-Verkäufe von Medikamenten zu Problemen in einem EU-Land führten, sei es legitim, sich zu überlegen, wie das Problem zu lösen ist. Der Kommissar kündigte an, er wolle am Freitag mit Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) über die Problematik sprechen. Andriukaitis betonte, der Zugang zu Medikamenten sei sehr komplex und eine große Herausforderung in den EU-Staaten.

Der EuGH hatte am 19. Oktober 2016 entschieden, dass die hierzulande geltende Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente ausländische Versandapotheken benachteiligt und daher gegen EU-Recht verstößt. So werde den ausländischen Apotheken über die Festpreise der Zugang zum deutschen Markt erschwert, hieß es. Dieses Handelshemmnis sei nicht gerechtfertigt. Reine Versandapotheken können Medikamente deutlich günstiger anbieten.

Mögliche Konsequenzen nach dieser Entscheidung wären ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel oder die Aufhebung der Preisbindung in Deutschland. Die Bundesregierung will nun gesetzlich ein Versandhandelsverbot erwirken, um die hiesigen Apotheken zu schützen, die andernfalls durch die ausländische Billigkonkurrenz erhebliche Umsatzeinbußen befürchten müssten und letztlich die flächendeckende Arzneimittelversorgung gefährdet sehen.

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4. Klärschlammverwertung neu geregelt

Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit/Verordnung

Berlin: (hib/SCR) Der Umgang mit Klärschlamm soll nach Willen der Bundesregierung umfassend neu geregelt werden. Die bodenbezogene Verwertung der Klärschlämme in der Landwirtschaft soll reduziert werden. Stattdessen ist vorgesehen, aus den Klärschlämmen Phosphor für die Nutzung insbesondere in der Landwirtschaft zu gewinnen. Der Verordnungsentwurf (18/10884) sieht für die Pflicht zur Phosphorrückgewinnung längere Übergangszeiten vor: Abwasserbehandlungsanlagen zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnerwerten (EW) haben 15 Jahre Zeit, die entsprechenden Maßnahmen umzusetzen, Anlagen von mehr als 100.000 EW zwölf Jahre.

Die Rückgewinnung ist nur dann vorgesehen, wenn der Phosphorgehalt über 20 Gramm Phosphor je Kilogramm Klärschlamm-Trockenmasse liegt. Liegt der Wert darunter, ist mit den Schlämmen nach abfallrechtlichen Bestimmungen umzugehen. Ebenfalls obligatorisch ist eine Rückgewinnung, wenn die Schlämme in einer Klärschlammverbrennungsanlage einer thermischen Vorbehandlung unterzogen werden.

Ausgenommen von der Rückgewinnungspflicht und der damit verbundenen Beendigung der bodenbezogenen Klärschlammverwertung sind Anlagen unter 50.000 EW. Sie können weiterhin Schlämme zur Düngung abgeben. Die Novelle sieht zudem Neuregelungen im Bereich der bodenbezogenen Klärschlammverwertung vor. So werden unter anderem der Anwendungsbereich erweitert und Schadstoff-Grenzwerte an andere Vorgaben, zum Beispiel die Düngemittelverordnung, angepasst.

Zur Begründung führt die Bundesregierung an, dass durch die Phosphorrückgewinnung die Schadstoffeinträge durch die herkömmliche bodennahe Verwendung von Klärschlamm verringert werden können. Die Rückgewinnung von Phosphor sei darüber hinaus wichtig, da es sich nach Einschätzung der EU-Kommission um einen "kritischen Rohstoff" handle.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 032 - 19. Januar 2017 - 17.55 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2017

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