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BUNDESTAG/6417: Heute im Bundestag Nr. 169 - 20.03.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 169
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 20. März 2017, Redaktionsschluss: 14.06 Uhr

1. Experten uneinig zu neuem BKA-Gesetz
2. Kritik an Bund-Länder-Finanzreform
3. Anhörung zu Künstlicher Intelligenz


1. Experten uneinig zu neuem BKA-Gesetz

Inneres/Anhörung

Berlin: (hib/STO) Die von der Regierungskoalition vorgesehene "Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes" stößt bei Experten auf unterschiedliche Einschätzungen. Dies wurde am Montag bei einer Anhörung des Innenausschusses zu gleichlautenden Gesetzesentwürfen der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD (18/11163) sowie der Bundesregierung (18/11326) deutlich. Neben der geplanten Einführung der "elektronischen Fußfessel" für sogenannte Gefährder soll mit den Vorlagen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Az. 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09) sowie eine EU-Richtlinie zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten vom April vergangenen Jahres umgesetzt werden.

Ziel der Neustrukturierung ist laut Bundesregierung insbesondere die Schaffung einer modernen IT-Architektur für das Bundeskriminalamt (BKA). Das Gesetz solle die Datenqualität verbessern und neue gemeinsame IT-Standards etablieren. Das BKA soll den Angaben zufolge sowohl als Zentralstelle des nationalen polizeilichen Informationswesens als auch als Kontaktstelle für die internationale Zusammenarbeit gestärkt werden.

Zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus kann das BKA den Vorlagen zufolge auf entsprechende richterliche Anordnung Personen verpflichten, am Körper eine elektronische Fußfessel bei sich zu führen. Ziel dieser Maßnahme sei es, den Aufenthaltsort von Personen, von denen die Gefahr der Begehung einer terroristischen Straftat ausgeht, ständig zu überwachen und so die Begehung derartiger Taten zu verhindern.

Professor Matthias Bäcker von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz sagte, Ziel der Regelungen zur "Neustrukturierung der Informationsordnung" des BKA sei deren "fundamentale Umgestaltung". Werde der Entwurf so in Kraft gesetzt, kippe er entweder vor dem Bundesverfassungsgericht oder man erhalte von einem Verwaltungsgericht Entscheidungen, die dazu führen, dass das BKA "ohne jede Not ganz empfindlich in seiner Tätigkeit eingeschränkt wird". Er glaube, dass "hier noch erhebliche konzeptionelle Nacharbeit erforderlich ist". Sollte dies in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu leisten sei, könne er nur dazu raten, den Gesetzentwurf "in dieser Form nicht in Kraft zu setzen".

Auch Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, warnte davor, den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form umzusetzen. Die bisher das Datenschutzrecht leitenden Grundsätze der Datensparsamkeit und der Zweckbindung würden in ihr Gegenteil verkehrt. Buermeyer kritisierte zugleich, insbesondere der "Terrorismusteil" des Gesetzentwurfes leiste keine Abwägung "zwischen Freiheit und Sicherheit", sondern gehe "an die Grenzen dessen, was von Verfassung wegen gerade noch möglich sein mag". Statt sich "in der Mitte einer vorgegebenen Fahrspur möglicher Grundrechtseingriffe" zu bewegen, schramme der Gesetzgeber "konsequent an der rechten Leitplanke entlang". Dies sei zwar in weiten Teilen verfassungsgemäß, aber eine "sehr eindeutige Priorisierung" der Interessen des BKA. Besonders augenfällig werde dies etwa bei den Befugnissen für den Einsatz sogenannter Staatstrojaner.

Professor Klaus Ferdinand Gärditz von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn betonte, die vorgesehenen Regelungen zur elektronischen Fußfessel genügten den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit. Natürlich könne man damit nicht einen zum Selbstmordanschlag entschlossenen Attentäter von seinem Vorhaben abhalten, doch in anderen Fällen lasse sich damit bei der Planung eines künftigen Anschlags dessen Vorbereitung erheblich erschweren. Ferner sei die Befristung auf drei Monate ausreichend. Zudem sei es ein "sinnvoller Kompromiss, mit einer milderen Maßnahme einzusteigen", da diese Überwachung auch der Versuch sei, "nicht die Inhaftnahme regeln zu müssen, die in denkbaren Extremfällen für diese Zeiträume ja auch durchaus in Betracht käme".

Diethelm Gerhold, leitender Beamter der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, urteilte, dass der Entwurf das polizeiliche Datenschutzrecht "grundlegend verändern" werde. Beim neuen Informationssystem des BKA sei zu berücksichtigen, dass "all das, was in den letzten Jahrzehnten seit dem Volkszählungsurteil" an datenschutzrechtlichen Sicherungen im Zuge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eingeführt worden sei, "jetzt abgelöst werden soll". Jeder müsse damit rechnen, "dass er in dieses Informationssystem hineinkommen" kann, was "mitunter ganz schnell" gehe. "Da reicht, dass Sie am falschen Ort gewesen sind", sagte Gerhold. Es genüge ein einfacher Verdacht. Während die bisherigen Regelungen davor schützten, "dass Sie dann auf Ewigkeit in dem System drinbleiben", werde sich da "in Zukunft einiges ändern".

Professor Markus Möstl von der Universität Bayreuth verwies darauf, dass es sich bei den neuen Befugnisse der elektronischen Aufenthaltsüberwachung sowie des Aufenthalts- und Kontaktverbots nicht "um reine Ermittlungseingriffe, sondern um aktionelle Anordnungen" handle, mit denen die "Gefahrentstehung unterbunden werden soll". Im Bereich der Terrorismusbekämpfung dürfe der Gesetzgeber aber zu Recht davon ausgehen, "dass es bisweilen zu riskant sein kann, die polizeilichen Aktivitäten im Gefahrenvorfeld auf reine Beobachtung zu beschränken, da zu befürchten steht, dass sich eine Gefahr vielleicht plötzlich und mit großem Schaden realisiert, noch bevor sie als solche erkannt und aufgeklärt werden konnte". In solchen Fällen könne es zulässig sein, "vorgelagert bereits die weitere Entstehung einer Gefahr verhindern zu wollen".

BKA-Präsident Holger Münch sagte mit Blick auf die Regelung zur sogenannten Fußfessel und die Ermächtigungsgrundlage zu Aufenthalts- und Kontaktverboten, für sein Haus beschränke sich diese Befugnis auf Ausnahmefälle. Münch betonte, das "Risiko eines Informationsverlustes" in Form der Unkenntnis über den Aufenthalt eines sogenannten Gefährders dürfe man nicht eingehen. "Dem staatlichen Schutzauftrag und der berechtigten Erwartungshaltung der Bevölkerung würden dann wir nicht gerecht", fügte er hinzu. Insofern halte er diese Erweiterung für sinnvoll.

Professor Kyrill-Alexander Schwarz von der Universität Würzburg sagte zur Debatte über das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit, während "Sicherheit ohne Freiheit sofort denkbar" sei, wenn auch nicht erstrebenswert, sei "Freiheit ohne Sicherheit undenkbar". Die elektronische Aufenthaltsüberwachung sei "eine Akt experimenteller Gesetzgebung". Natürlich werde diese Maßnahme "einen zu allem Entschlossenen nicht verhindern können". Man könne aber überlegen, "ob in einem verhältnismäßig ausgestalteten System präventiver Maßnahmen man nicht noch auf weitergehende Maßnahmen zurückgreifen könnte". So wäre der Entwurf zur Änderung bayerischer Sicherheitsgesetze, der von einem "Präventivgewahrsam" ausgehe, "doch eine deutlich weitgehendere Maßnahme und deutlich freiheitsbeschränkender als die bloße elektronische Aufenthaltsüberwachung".

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2. Kritik an Bund-Länder-Finanzreform

Haushalt/Anhörung

Berlin: (hib/SCR) Die geplante Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ist bei einer Sachverständigenanhörung im Haushaltsausschuss am Montag im Detail überwiegend auf teils starke Kritik gestoßen. Die beiden Gesetzespakete der Bundesregierung (18/11131, 18/11135) sehen - neben umfangreichen weiteren Vorhaben - zahlreiche Änderungen im Grundgesetz, im Maßstäbegesetz und im Finanzausgleichsgesetz vor. Der bisherige Umsatzsteuervorwegausgleich soll ebenso wie der direkte, horizontale Finanzausgleich zwischen den Ländern ("Geber- und Nehmerländer") wegfallen. Stattdessen soll die Finanzkraft der Länder über Zu- und Abschläge bei der Umsatzsteuerverteilung sowie über Bundesergänzungszuweisungen ausgeglichen werden. Die Vorschläge gehen auf eine Einigung der Länder untereinander sowie zwischen Bundesregierung und Länderchefs zurück.

Entschieden gegen das Reformvorhaben sprach sich der Rechtswissenschaftler Stefan Korioth (LMU München) aus. "Die Normen des Entwurfs sollten [...] nicht geltendes Verfassungsrecht werden", schrieb Korioth in seiner schriftlichen Stellungnahme zu den geplanten Grundgesetzänderungen. Der Verzicht auf einen direkten Ausgleich der Länder untereinander wäre grundsätzlich eine "äußerst unglückliche Entscheidung", dokumentiere sich darin "das bündische Element des gegenwärtigen Finanzföderalismus dadurch, dass die Länder finanziell füreinander finanziell einstehen". Korioth zeigte sich auch im Detail nicht von der vorgeschlagenen Neuregelungen überzeugt. Der Neufassung des Artikel 107 Grundgesetz, der den eigentlichen Finanzausgleich regelt, sei "hochgradig unklar". Die Normen zu den Bundesergänzungszuweisungen (Artikel 107 Absatz 2 Satz 5 und 6) seien "fast vollständig missglückt". Korioth warnte zudem vor "unabsehbaren Folgen für den kommunalen Finanzausgleich in den Ländern" durch die geplanten Ergänzungszuweisungen für leistungsschwache Länder mit besonders schwach ausgestatteten Kommunen (Gemeindesteuerkraftzuweisung). Durch die Neuregelung würde der Bund erstmals in die "Garantenstellung für die Finanzausstattung der Gemeinden einrücken", was bisher Aufgabe der Länder ist.

Thomas Lenk (Institut für Öffentliche Finanzen und Public Management, Universität Leipzig) warnte, dass das verfassungsrechtliche Ziel der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse mit dem neuen System nicht erreicht werde. Schon jetzt sei ein Auseinanderdriften zwischen einnahmestarken und einnahmeschwachen Ländern aufgrund des Auslaufens des Solidarpakets sichtbar. Im neuen System werde dieser Trend nur abgeschwächt. Damit entstehe künftig ein Risiko für den Bund, der für den Ausgleich sorgen müsse, sagte Lenk. Um grundsätzlich an das Problem ranzugehen, schlug der Finanzwissenschaftler vor, die Steuerzuordnung neu zu regeln. Aktuell würden finanzstarke Länder überproportional "belohnt", finanzschwache Länder wiederum "bestraft".

Weniger kritisch mit Blick auf die vermeintliche Entsolidarisierung der Länder äußerte sich Ulrich Häde vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Der Länderfinanzausgleich bleibe quasi bestehen, werde aber nun woanders "reingestopft", sagte Häde. Warum das nötig sei, verstehe er aber nicht. Kritisch beurteilte der Rechtswissenschaftler, dass der Umsatzsteuervorwegausgleich wegfalle. Dieser sei gerade für die ostdeutschen Bundesländer gut gewesen und "im Ergebnis" durch die Übertragung von Umsatzsteuerpunkten durch den Bund finanziert worden, führte Häde in seiner Stellungnahme aus. Diese Umsatzsteuerpunkte bekomme der Bund nun aber nicht zurück.

Joachim Wieland (Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer) bewertete die Reformvorschläge positiver. Die Solidarität zwischen den Ländern im bisherigen System sei "an ihre Grenzen gestoßen". "Die Neuregelung verspricht die Reduzierung von Komplexität, Solidaritätsanforderungen und Streitanfälligkeit. Der Preis dafür ist ein Erstarken der Rolle des Bundes", schrieb Wieland in seiner Stellungnahme. Wie auch andere Sachverständige kritisierte Wieland, dass die kommunale Finanzkraft beim Ausgleich mit nur 75 Prozent einbezogen werde. Das sei "systematisch nicht überzeugend".

Wolfgang Voß (Finanzminister des Freistaates Thüringen a.D.) wies ebenfalls die Kritik zurück, dass es unter dem neuen System keine Solidarität mehr unter den Ländern gebe. Voß drückte allerdings auch seine Wertschätzung für das alte Ausgleichssystem aus, betonte aber, dass es politisch nicht mehr durchsetzbar gewesen sei. Das neue System stelle aus "fiskalischer Perspektive insgesamt einen gangbaren Weg" dar, schrieb der ehemalige Finanzminister in seiner Stellungnahme.

Die kommunalen Spitzenverbände bewerteten die Reformvorschläge unterschiedlich. Der Deutsche Landkreistag kritisierte in seiner Stellungnahme unter anderem den Wegfall des direkten Ausgleichs der Länder untereinander. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) betonte in seiner Stellungnahme, dass die Neuregelung für "finanzpolitische Planungssicherheit für die Zeit nach 2019" sorge. Die Gemeindesteuerkraftzuweisungen sollen nach Ansicht des DStGB aber "vollumfänglich den Gemeinden zu Gute kommen". Der Deutsche Städtetag hob in seiner Stellungnahme ebenfalls die Planungssicherheit hervor. Der Kommunalverband verwies zudem darauf, dass die Gemeindesteuerkraftzuweisungen keine "Fördermaßnahmen zugunsten finanzschwacher Kommunen" darstellten, sondern in die Länderhaushalte fließen würden.

Der Bundesrechnungshof warnte in seiner Stellungnahme vor Fehlanreizen in Hinblick auf die finanzielle Eigenverantwortung der Länder durch die Stärkung des vertikalen Finanzausgleiches. Zudem übte der Rechnungshof Kritik an den geplanten Bundeszuweisungen zum Forschungsförderungsausgleich und den Sonderbedarfszuweisungen für politische Führung.

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3. Anhörung zu Künstlicher Intelligenz

Ausschuss Digitale Agenda/Anhörung

Berlin: (hib/EB) Um Künstliche Intelligenz und Robotik geht es in einem öffentlichen Fachgespräch des Ausschusses Digitale Agenda am Mittwoch, den 22. März. Ab 16 Uhr werden die Abgeordneten im Sitzungssaal E.700 des Paul-Löbe-Hauses mit Sachverständigen diskutieren.

Gäste können sich bis zum 21. März, 17 Uhr unter Angabe von Name, Vorname und Geburtsdatum per E-Mail an ada@bundestag.de anmelden.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 169 - 20. März 2017 - 14.06 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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Internet: www.bundestag.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2017

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