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BUNDESTAG/6562: Heute im Bundestag Nr. 315 - 17.05.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 315
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 17. Mai 2017, Redaktionsschluss: 14.20 Uhr

1. Linken-Antrag zur Kinderarmut abgelehnt
2. Änderung bei Stromnetz-Kosten umstritten
3. Kritik an Naturschutznovelle


1. Linken-Antrag zur Kinderarmut abgelehnt

Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Ausschuss

Berlin: (hib/AW) Die Linksfraktion ist mit ihrer Forderung nach einem Aktionsplan gegen Kinderarmut im Familienausschuss gescheitert. Der Ausschuss lehnte den entsprechenden Antrag der Linken (18/10628) mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen ab.

In der Sitzung erneuerte die Linksfraktion ihre Forderung nach Einführung einer Kindergrundsicherung. Das Kindergeld, der Kinderzuschlag und die Regelbedarfe für Kinder in den sozialen Grundsicherungssystemen müssten erhöht werden. Im Gegenzug sollen die Steuerfreibeträge für Eltern gestrichen werden, da von ihnen Besserverdienende im Gegensatz zu Eltern mit kleinen Einkommen überproportional profitieren würden. Zudem müsse der Bezug des Kinderzuschlags entbürokratisiert werden. Ebenso forderte die Fraktion die Beitragsfreiheit für den Kita-Besuch, die Verpflegung in Kitas und Schulen und für den öffentlichen Personennahverkehr.

Die Union wies die Forderungen als nicht finanzierbar zurück. Eine Kindergrundsicherung nach den Plänen der Linken würde zusätzliche Ausgaben von 14 Milliarden Euro umfassen. Angesichts der Finanzlage sei dies nicht zu stemmen. Noch nie habe der Staat so viel Geld für Familien ausgegeben wie derzeit. Zudem mache es keinen Sinn, das Geld nach dem Gießkannenprinzip auszugeben. Staatliche Leistungen müssten zielgenau verteilt werden. Der beste Schutz gegen Kinderarmut sei die Erwerbstätigkeit der Eltern. Deshalb habe die Koalition die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum Schwerpunkt gemacht. So sei der Kita-Ausbau massiv vorangetrieben worden. Die Beiträge für den Kita-Besuch und die Essensverpflegung müssten sozial gestaffelt werden.

In diesem Sinne argumentierte auch die SPD. Sie sprach sich allerdings für den beitragsfreien Kita-Besuch für alle aus. Kitas seien Bildungseinrichtungen wie Schulen und müssten deshalb kostenfrei für alle sein. Kinder reicher und armer Eltern sollten schließlich gemeinsam in den gleichen Kitas betreut werden. Der soziale Ausgleich müsse über ein gerechtes Steuersystem hergestellt werden. Zugleich forderte die SPD eine finanziell höhere Beteiligung des Bundes am Kita-Ausbau in den kommenden Jahren.

Die Grünen unterstützten zum Teil den Antrag der Linken. Auch sie sprachen sich für eine Kindergrundsicherung aus. Es sei ein Armutszeugnis für ein reiches Land wie Deutschland, dass ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen von Armut bedroht sei. Allerdings lehnten sie wie die CDU/CSU-Fraktion die Beitragsfreiheit für den Kita-Besuch ab, dieser müsse sozial gestaffelt werden.

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2. Änderung bei Stromnetz-Kosten umstritten

Wirtschaft und Energie/Anhörung

Berlin: (hib/fla) Die Vorstellungen der Bundesregierung zur Entlastung von Haushalten und Industrie bei den Stromnetz-Kosten sind bei Sachverständigen auf Kritik gestoßen, wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung. Dies zeigte sich bei einer Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Netzentgeltstruktur (Netzentgeltmodernisierungsgesetz / NEMoG - 18/11528) im Ausschuss für Wirtschaft und Energie, die vom Vorsitzenden Peter Ramsauer (CSU) und dem stellvertretenden Vorsitzenden Klaus Barthel (SPD) geleitet wurde.

Ein Kernpunkt ist die Vergütung, die dezentrale Energieproduzenten bekommen, weil die Einspeisung ihres Stroms in regionale Netze weniger aufwendig sei als bei Großkraftwerken, deren Energie zunächst durch vorgelagerte Netze mit höherer Spannung geleitet wird. Die Bundesregierung sieht vor, dass diese Zahlungen aus solchen "vermiedenen Netzentgelten" schrittweise auslaufen sollen. Denn der Anstieg der dezentralen Erzeugung habe zunehmende Netzkosten verursacht, weil deren Strom in vermehrtem Maße nicht mehr vor Ort verbraucht, sondern doch über die vorgelagerten Netze in den Markt gebracht werde.

Stefan Kapferer vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), lehnte ein solches Vorgehen ab - "auch mit Blick auf die drastischen Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit und den Weiterbetrieb dieser Anlagen". Das Prinzip der vermiedenen Netzentgelte habe für "steuerbare dezentrale Einspeisung weiterhin seine Berechtigung" - wobei es insbesondere um Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) geht. Er schlug aber die Abschaffung für "volatil einspeisende Photovoltaik- und Windenergieanlagen" gleich zum nächsten Jahreswechsel vor.

Namens des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte es Carsten Rolle, dass die Bundesregierung "die Kosten der Energiewende in den Netzentgelten fair und transparent verteilen" wolle. Doch vermisste er ein "Gesamtkonzept". So sei "die beabsichtigte Schaffung einer Ermächtigungsgrundlage für die Möglichkeit zur Einführung eines bundeseinheitlichen Netzentgeltes" schon aus formellen Gründen "nicht sachgerecht". Denn wenn nicht wenigstens "zeitgleich" eine entsprechende Verordnung vorgelegt werde, fehle hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen "Rechtssicherheit und Planungssicherheit". Eine bundesweite Vereinheitlichung wäre für ihn "ein Weg, der deutlich über das Ziel hinausschösse".

Der Übertragungsnetzbetreiber Amprion GmbH sprach sich mit den Worten von Hans-Jürgen Brick "gegen eine Vereinheitlichung der Netzentgelte im Übertragungsnetz" aus - und warnte vor "negativen Folgen für die Volkswirtschaft". Einer "geringfügigen Entlastung" der Kunden im Norden und Osten stünde eine "massive Belastung" der Industrie im Westen und Süden gegenüber. Die Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte für die volatile Erzeugung sollte "schnellstmöglich umgesetzt werden".

"Kritisch" sah auch Michael Wübbels vom Verband kommunaler Unternehmen (VKU), dass die "grundsätzlich gebotene und sachgerechte Unterscheidung" zwischen volatilen und steuerbaren Anlagen "nicht ausreichend vorgenommen" werde. Volatile Stromerzeugung mit ihrer Wetterabhängigkeit erfordere eher "Netzausbau statt Netznutzung zu vermindern". Die vermiedenen Netzentgelte seien bei KWK-Anlagen Bestandteil der Kalkulation gewesen. Jetzt drohe, dass sie nicht mehr wirtschaftlich seien und zu einem beträchtlichen Teil womöglich stillgelegt würden.

Boris Schucht vom Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz strich heraus, dass Regionen mit einer besonders hohen Einspeisung Erneuerbarer Energien "systematisch benachteiligt" würden. Eine Vereinheitlichung der Übertragungsnetzentgelte sei "unerlässlich".

Adi Golbach von "KWK kommt" las aus der Gesetzesbegründung heraus, dass die "Interessen der Stromverbraucher an niedrigen Nutzentgelten gegen die dezentralen Erzeuger ungerechtfertigter Weise in Stellung gebracht" würden. Damit stehe der Gesetzentwurf "den Zielen der Energiewende entgegen". Die Begründung für das Vorhaben der Bundesregierung stehe "nicht auf tönernen Füßen, sondern auf gar keinen Füßen".

Wolfgang Zander, Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH (BET), beanstandete, dass der Gesetzentwurf nicht unterscheide zwischen volatilen, nicht steuerbaren Anlagen und dem Bereich der steuerbaren dezentralen Einspeisungen, die in vielen Fällen "nachhaltig zur Entlastung der Netze" beitrügen.

Auf eben diesen Unterschied hob auch Klaus Ritgen (Deutscher Landkreistag) ab. Überdies setzte er sich zwar "von der Zielrichtung her" für eine Angleichung der Übertragungsnetzentgelte ein. Allerdings müssten dabei die regionalen Besonderheiten berücksichtigt werden.

Die Bundesregierung will die vermiedenen Netzentgelte zunächst einfrieren und dann schrittweise reduzieren: "Perspektivisch ist vorgesehen, das Instrument der Entgelte für dezentrale Erzeugungsanlagen, die aus den Netzentgelten finanziert werden, bis zum Jahr 2030 abzuschaffen", heißt es im Gesetzentwurf.

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3. Kritik an Naturschutznovelle

Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit/Anhörung

Berlin: (hib/stu) Die geplante Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes stößt in einem zentralen Punkt auf Kritik mehrerer Experten. Bei einer Anhörung von sieben Sachverständigen im Umweltausschuss wurde am Mittwoch besonders eine Regelung skeptisch gesehen, wonach das Bundesumweltministerium bei Maßnahmen zum Meeresschutz Einvernehmen mit vier weiteren Ressorts herstellen muss. Befürchtet wird, dass die Ministerien für Wirtschaft, Verkehr, Agrar und Forschung mit der Regelung, die deutlich über ein Beteiligungsrecht hinausgeht, ein Vetorecht erhalten.

Das Bundeskabinett hatte die Novelle am 8. Februar beschlossen. Sie soll unter anderem den Schutz der Natur in Nord- und Ostsee stärken. Gefährdete Arten wie Schweinswal, Kegelrobbe, Seehund, Sternrochen oder Islandmuschel sollen innerhalb der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone bis zu 200 Seemeilen per Rechtsverordnung unter Schutz gestellt werden können. Ein weiterer wichtiger Punkt der Novelle ist der Aufbau eines bundesweiten Biotopverbundes an Land bis Ende 2027, der zehn Prozent eines Landes umfassen soll. Zudem sollen Höhlen und Stollen künftig als geschützte Biotope gelten.

Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, Prof. Beate Jessel, nannte die Einvernehmensregel unüblich. Die Arbeit ihrer Behörde würde so nicht einfacher. Rechtsanwalt Andreas Lukas von der Universität Kassel betonte ebenfalls, die Regelung verwundere aus rechtlicher Sicht. Rechtsanwältin Franziska Heß sprach von der Gefahr eines Präzedenzfalles, der auch bei anderen Gesetzesvorhaben Anwendung finden könnte. Heß befürchtet zudem, dass fachfremde Interessen beim Zuschnitt von Schutzgebieten den Blick auf den Naturschutz verstellen könnte. Die Grünen-Abgeordnete Steffi Lemke stellte daher den generellen Sinn der Novelle in Frage.

Vor der Anhörung hatten Umweltverbände bereits Alarm geschlagen und vor einem "Ausverkauf von Nord- und Ostsee" gewarnt. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) startete unter dem Motto "SOS fürs Meer" eine Petition an die Abgeordneten des Bundestages und wandte sich mit einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin. Die Ausschussvorsitzende Bärbel Höhn (Bündnis 90/Die Grünen) sagte in der Anhörung, Presseartikel zum Bundesnaturschutz seien selten. Zu dieser Novelle habe es aber welche gegeben.

Der geplante Biotopverbund fand Zustimmung und Kritik unter den Experten. Jessel verwies darauf, dass das Zehn-Prozent-Ziel schon seit 2002 vorgesehen, aber noch nicht länderübergreifend erreicht sei. Die Umsetzungsfrist bis 2027 nannte sie angemessen. Die kommunalen Spitzenverbände begrüßten in ihrer Stellungnahme, dass der Zeithorizont im Kabinettsbeschluss gegenüber dem Referentenentwurf des Umweltministeriums um zwei Jahre verschoben wurde. Torsten Mertins vom Deutschen Landkreistag bezeichnete aber die Frist als politisch willkürlich und die Umsetzung als schwierig.

Detlef Stöhr von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände äußerte sich ähnlich. Es sei auch wenig erforscht, ob der Biotopverbund etwas bringe. Nach Verbandsangaben sind 30 Prozent der Bundesrepublik mit Wald bedeckt, davon sind 48 Prozent in privatem Besitz. BfN-Präsidentin Jessel hielt dem entgegen, der Biotopverbund sei zur dauerhaften Sicherung wildlebender Populationen, die Anpassung von Arten an den Klimawandel und den Erhalt vernetzter Lebensräume essentiell.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 315 - 17. Mai 2017 - 14.20 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2017

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