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BUNDESTAG/7315: Heute im Bundestag Nr. 465 - 27.06.2018


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 465
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 27. Juni 2018, Redaktionsschluss: 16.13 Uhr

1. Papier gegen Soli-Zuschlag nach 2019
2. Expertenstreit über Cannabis
3. Seehofer steht zu Spitzensportreform


1. Papier gegen Soli-Zuschlag nach 2019

Finanzen/Anhörung

Berlin: (hib/HLE) Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat sich für die Abschaffung des steuerlichen Solidaritätszuschlags ausgesprochen. In einem öffentlichen Fachgespräch des Finanzausschusses unter Leitung der Vorsitzenden Bettina Stark-Watzinger (FDP) erklärte Papier am Mittwoch, der Solidaritätszuschlags sei mit dem Ende des Solidarpakts II verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen. Die Mehrheit der übrigen Sachverständigen sprach sich ebenfalls für die Abschaffung des Steuerzuschlags aus.

Dem Fachgespräch lagen zwei Fraktionsinitiativen zugrunde. So fordert die Fraktion der AfD die "sofortige und uneingeschränkte" Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Begründet wird dies in dem Antrag (19/1179) mit der Verfassungswidrigkeit des Zuschlags. Der vor 23 Jahren angegebene Zweck der Sicherung des einigungsbedingten Mittelbedarfs des Bundes sei inzwischen weggefallen. Daher sei die Verfassungsmäßigkeit nicht mehr gegeben, weil der Ausnahmecharakter der Ergänzungsabgabe eine dauerhafte und immerwährende Erhebung dieser Steuer verbiete.

Auch die FDP-Fraktion will den Solidaritätszuschlag mit einem Gesetzentwurf (19/1038) aufheben lassen. Zur Begründung schreibt die Fraktion, den Bürgern sei bei Einführung des Solidaritätszuschlages versprochen worden, dieser werde nur befristet erhoben. Das unbefristete Solidaritätszuschlaggesetz sei 1995 mit der Begründung erlassen worden, dieses "finanzielle Opfer" sei zur Finanzierung der Vollendung der Einheit unausweichlich. Mittelfristig sei eine Überprüfung zugesagt worden. "Der zur Vollendung der deutschen Einheit aufgelegte Solidarpakt II läuft 2019 aus, so dass auch die Legitimation des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 spätestens zu diesem Zeitpunkt wegfällt", begründet die FDP-Fraktion ihren Vorstoß. Einen Fortbestand des Solidaritätszuschlags hält die Fraktion für einen Verstoß gegen das Grundgesetz.

Papier stützte diese Auffassung: Aus Gründen der rechtsstaatlich gebotenen Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sollte der Gesetzgeber selbst den Eintritt eines verfassungswidrigen Zustands vermeiden und das Gesetz mit Wirkung zum 1. Januar 2020 aufheben." Die finanzpolitische und finanzverfassungsrechtliche Sonderlage einer besonderen Aufbauhilfe zugunsten der neuen Länder könne als eindeutig beendet betrachtet werden. Papier erteilte auch den Plänen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD eine Absage, den Zuschlag allmählich abzuschmelzen: "Auf jeden Fall stellt es keine verfassungsrechtlich zulässige Übergangsregelung dar, sollte der Solidaritätszuschlag zum 1.1.2020 nur für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entfallen, im Übrigen aber noch weitere Jahre in vollem Umfang erhoben werden." Auf Nachfragen erklärte der frühere Verfassungsgerichtspräsident, beim Festhalten am Solidaritätszuschlag sehe er die "Gefahr eines Verlustes von Vertrauen in den Rechts- und Verfassungsstaat". Die Leute würden den Eindruck bekommen, die Politik mache, was sie wolle und würde die Bürger unfair behandeln.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Bund der Steuerzahler argumentierten ähnlich wie Papier und hielten eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags für verfassungsrechtlich geboten. "Für einen dauerhaften Erhalt des Solidaritätszuschlags und eine Integration in die Ertragsteuern fehlt nicht nur eine verfassungsrechtliche Legitimation, sondern dies wäre auch ein schlechtes Signal für den Unternehmensstandort Deutschland", argumentierte der BDI. Auch der Bund der Steuerzahler erklärte, der Zuschlag solle ab Januar 2020 nicht mehr erhoben werden. Die von der Koalition geplante Teilabschaffung ab 2021 sei aus verfassungsrechtlicher Sicht "höchst problematisch". Professor Frank Hechtner (Technische Universität Kaiserslautern) hielt hingegen eine Anhebung der bestehenden Freigrenzen beim Solidaritätszuschlag für zulässig - wenigstens für eine Übergangszeit.

Der Steuerberater Cornelius Volker erklärte, die Historie, die verfassungsrechtliche Problematik und die ökonomischen Voraussetzungen "sprechen ausnahmslos für die sofortige Abschaffung des Solidaritätszuschlags". Es sei für den Bürger unverständlich, dass eine derartige Problematik seitens des Bundestages aus fiskalischen Gründen ausgesessen werde "und die Grundrechte des Bürgers durch den Bundestag nicht aktiv geschützt werden". Volker erklärte, Deutschland habe die höchste Abgabenquote der Welt. Die Abschaffung des Zuschlags sei daher ein längst überfälliger Schritt zur Standortförderung.

"Jahrzehnte nach der wirtschaftlichen Transformation in den neuen Ländern ist der Solidaritätszuschlag nicht mehr zu rechtfertigen", stellte Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fest. Da seine Abschaffung aber nur Besserverdiener entlaste, konnte sich Bach vorstellen, den Zuschlag bei hohen Einkommen in den Einkommensteuertarif zu integrieren. Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen könnten darüber hinaus noch bei den Sozialbeiträgen oder bei der Mehrwertsteuer entlastet werden.

Professor Henning Tappe (Universität Trier) hielt die Abschaffung im Gegensatz zu Papier und anderen Sachverständigen für verfassungsrechtlich nicht geboten. Politisch sei sie gleichwohl möglich. Eine schrittweise Entlastung, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, sah Tappe als verfassungsrechtlich zulässig an. Der Gesetzgeber habe bei der Tarifgestaltung von Steuern einen weitreichenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum, "die dieser politisch auch durch Kompromisslösungen oder durch schrittweises Vorgehen lösen kann".

Professor Karl-Georg Loritz (Universität Bayreuth) sagte, mit dem Ende des Solidarpakts II falle der Finanzierungsbedarf nicht zwingend und gleichsam automatisch weg. Der Zuschlag müsse aber mit einer neuen Rechtfertigung unterlegt werden. Sofern die Aufgaben konkret bezeichnet und ein Mittelbedarf dargelegt werden könne, könnte der Zuschlag auch über 2019 hinaus erhoben werden Kritik übte Loritz aber an der Absicht der Koalition, nur kleine und mittlere Einkommen zu entlasten und 90 Prozent aller potenziellen Zahler von der Entlastung auszunehmen. Das zeige, dass es vorrangig um die Verwirklichung einer "verteilungspolitischen Belastungsentscheidung" gehe, was geeignet sei, "die Rechtfertigung des besonderen Finanzierungsbedarfs durch den Bund insgesamt in Frage zu stellen.

Katja Rietzler (Hans-Böckler-Stiftung) lehnte die Abschaffung des Zuschlags aus verteilungspolitischer Sicht ab. Da nahezu das gesamte Aufkommen des Solidaritätszuschlags von der oberen Hälfte der Einkommensbezieher aufgebracht werde, würde dessen Abschaffung nichts zur Entlastung von Beziehern unterer Einkommen und wenig zur Entlastung von Beziehern mittlerer Einkommen beitragen. Außerdem sei die Abschaffung aus fiskalischer Sicht nicht zu verantworten.

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2. Expertenstreit über Cannabis

Gesundheit/Anhörung

Berlin: (hib/PK) Eine mögliche Legalisierung und kontrollierte Abgabe von Cannabis ist unter Experten weiter heftig umstritten. Das zeigte sich bei einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses am Mittwoch in Berlin, in der es um Anträge der Fraktionen von FDP und Die Linke sowie um einen Cannabis-Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ging.

Die FDP-Fraktion schlägt in ihrem Antrag (19/515) vor, Modellprojekte für den freien Cannabiskonsum zu ermöglichen. Das Ziel müsse sein, die Verbreitung von Cannabis zu kontrollieren und den Gesundheits- und Jugendschutz in der Bevölkerung zu verbessern. Die Linke fordert in ihrem Antrag (19/832), von einer strafrechtlichen Verfolgung bei Volljährigen abzusehen, wenn es um bis zu 15 Gramm getrocknete Teile der Cannabispflanze oder äquivalente Mengen anderer Cannabiserzeugnisse oder bis zu drei Cannabispflanzen zum Eigenkonsum gehe. Zudem wäre eine staatlich kontrollierte Abgabe denkbar.

Die Grünen zielen mit ihrem Gesetzentwurf (19/819) darauf ab, Cannabis aus den strafrechtlichen Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) zu lösen. Stattdessen sollte ein kontrollierter legaler Markt für Cannabis eröffnet werden mit einer staatlich regulierten Handelskette. Der Verkauf an Minderjährige wäre verboten, eine Cannabissteuer würde eingeführt.

Der Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap argumentierte, mit der Freigabe von Cannabis könnte dem organisierten Verbrechen die Kontrolle über den Markt wirksam entzogen werden. So ließen sich Nutzer besser schützen, denn Cannabis sei heute auch für Jugendliche problemlos zu bekommen. Drogendealer hätten kein Interesse, Qualität zu verkaufen. Vielmehr würden den Drogen oft extrem schädigende zusätzliche Substanzen beigemischt. Zudem wollten die Dealer ihren Kunden tendenziell härtere Drogen verkaufen, weil dies den Profit steigere. Dies könne dazu führen, dass Konsumenten zu anderen Drogen verleitet würden. Positive Nebeneffekte einer Freigabe wären Steuereinnahmen und Arbeitsplätze.

Der Suchtforscher Rainer Thomasius erklärte hingegen, das Mehrsäulen-Konzept aus Prävention und Ausstiegshilfen habe sich bewährt. Deutschland verfolge im europäischen Vergleich einen erfolgreichen cannabispolitischen Kurs. Bei einer Legalisierung kämen auf die Gesellschaft enorme Belastungen zu durch konsumbedingte Notfallbehandlungen, Verkehrsunfälle und Suizide. Auch der Schwarzmarkt würde fortbestehen. Zudem wären bei einer Freigabe der Droge vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien gefährdet, weil sie besonders leicht verführbar und suchtgefährdet seien.

Der Rechtsexperte Lorenz Böllinger wandte ein, Cannabis sei heute leichter, in größeren Mengen und billiger zu haben als früher. Der "Krieg gegen Drogen" sei gescheitert. Abschreckung und Prävention funktionierten nicht. Es sei somit ein Mythos, wonach das Betäubungsmittelgesetz die Volksgesundheit schütze. Vielmehr erzeuge das Gesetz erst den profitträchtigen Schwarzmarkt. Die Folge sei eine Kriminalisierung auch von Nichtkriminellen. Hinzu kämen Kosten in Milliardenhöhe für die Strafverfolgung. Er forderte, die gesetzgeberische und verfassungsrechtliche Legitimation des BtMG zu prüfen.

Der Sachverständige Uwe Wicha, Leiter einer Klinik für Drogenrehabilitation, machte in der Anhörung anhand des Beispiels Alkohol deutlich, was eine Freigabe von Cannabis bewirken würde. Beim Alkohol könne auch nicht von einem kontrollierten Markt und einer sinnvollen Prävention gesprochen werden. Jugendliche sähen in Alkohol schon deswegen kein Problem, weil er legal sei. Das werde bei Cannabis genauso sein.

Auch ein Sprecher der Bundesärztekammer (BÄK) warnte vor der Verharmlosung dieses "hochkomplexen und hochproblematischen Stoffes", der in immer höherer THC-Konzentration verfügbar sei. Bei einer Freigabe würde es außerdem zu einer riskanten Vermischung des illegalen und legalen Marktes kommen.

Psychiater sehen in Cannabis eine problematische Droge, deren Auswirkungen auf die Psyche noch nicht vollständig erforscht sind. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) verwies auch auf Wechselbeziehungen zwischen dem Cannabiskonsum und der Abhängigkeit von anderen Drogen wie Alkohol, Amphetaminen, Kokain und Nikotin.

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3. Seehofer steht zu Spitzensportreform

Verkehr und digitale Infrastruktur/Ausschuss

Berlin: (hib/HAU) Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat am Mittwoch vor dem Sportausschuss ein Bekenntnis zur laufenden Reform der Spitzensportförderung abgegeben. Er stehe hinter dem Reformkonzept, sagte Seehofer und erntete dafür Zuspruch von den Ausschussmitgliedern. Der Minister betonte, die Reform müsse vernünftig und sachgerecht erfolgen und finanziell gut ausgestattet sein. Die derzeit im Haushalt bereitgestellten Mittel seien jedoch nicht ausreichend, um die benötigten Reformschritte gehen zu können.

Zum Thema Olympiastützpunkte und Bundesstützpunkte sagte Seehofer, diese Stützpunkte könnten einen Beitrag zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse leisten. Seiner Ansicht nach dürfe man sich "nicht zu stark verkämpfen", wenn es um die Frage gehe, ob es nun ein oder zwei Stützpunkte mehr oder weniger geben soll.

Was das Verhältnis zum Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) angeht, so sagte der Minister, bei rein sportfachlichen Fragen sei es richtig, auf jene zu hören, "die in diesem Bereich unterwegs sind und ein großes Fachwissen haben". Über die künftige Ausgestaltung der Athletenvertretung, so kündigte Seehofer an, werde er sowohl mit dem DOSB als auch mit den Athleten Gespräche führen. Eingehend auf das Petitum aller Fraktionen für eine unabhängige Athletenvertretung sagte Seehofer, er wolle keine Lösung im Konflikt mit dem DOSB. Dieser müsse in die Entscheidung miteingebunden werden und damit leben können. Es dürften nicht zwei völlig unabhängige Pole gebildet werden, die dann ständig aneinander prallten. Ziel sei die Gestaltung einer unabhängigen aber lebendigen Partnerschaft.

Den Anti-Doping Kampf bezeichnete der Innenminister vor den Abgeordneten als einen ständigen Prozess. Insofern sei es auch richtig, die dahingehende Gesetzgebung fortlaufend zu evaluieren. Ein Resignieren im Anti-Doping Kampf dürfe es nicht geben, betonte Seehofer.

Weiter sagte der Minister, er strebe eine Gleichstellung des olympischen und des paralympischen Sports an. Gerade letzterer müsse massiv unterstützt werden. Mit Blick auf künftige Olympiabewerbungen sagte Seehofer, er sei froh, dass der DOSB Bewerbungen wieder in seine Strategieziele aufgenommen habe. In Bayern habe er als Ministerpräsident miterleben müssen, wie die Bewerbung durch Volksentscheide abgelehnt wurde, sagte er. Hintergrund dessen seien Ansichten gewesen, wonach Olympia zu wenig auf Sport und zu viel auf Kommerz ausgerichtet sei und es bei Verbänden und Funktionären nicht korrekt zuginge. Die beste Antwort darauf sei Korrektheit, Sauberkeit und Transparenz. "Dann wird auch die Unterstützung der Bevölkerung wieder da sein", zeigte sich Seehofer zuversichtlich.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 465 - 27. Juni 2018 - 16.13 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2018

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