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PRESSEKONFERENZ/510: Kanzlerin Merkel und Portugals Ministerpräsident Coelho, 12.11.12 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz in Lissabon - Montag, 12. November 2012
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Portugals Ministerpräsidenten Coelho

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)



MP Coelho: Guten Tag! Ich möchte zunächst einmal die Bundeskanzlerin Angela Merkel herzlich willkommen heißen und Ihnen noch einmal versichern, wie zufrieden und glücklich wir sind, dass Sie in Lissabon sind. Ich erinnere mich an den September letzten Jahres, als ich nach Berlin gekommen bin und von der Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen wurde. Damals habe ich ihr die Perspektive der neuen Regierung in Portugal bezüglich unseres wirtschaftlichen Anpassungsprogramms und bezüglich der europäischen Entwicklung dargelegt.

Ein Jahr später haben wir nun die Möglichkeit, bei Ihrem offiziellen Staatsbesuch hier in Lissabon zu sehen, welchen Fortschritt wir intern gesehen, also bezüglich der Entwicklung des Anpassungsprogramms in Portugal, gemacht haben, haben aber darüber hinaus auch die Möglichkeit, eine Bewertung der Perspektiven des außerordentlichen Europäischen Rates diesen Monats vorzunehmen. Dabei geht es um die finanziellen Perspektiven für die nächsten Jahre in der Europäischen Union, und es geht auch um die Arbeit, die wir im Europäischen Rat im Dezember bezüglich des wichtigen Dossiers zur Bankenunion vor uns haben.

Ich hoffe, dass dieser Besuch in Portugal dazu beigetragen hat, die Wichtigkeit der bilateralen Beziehungen zwischen Portugal und Deutschland im europäischen Kontext und im Kontext des portugiesischen Anpassungsprogramms noch einmal hervorzuheben. Ich hoffe auch, dass dieser Besuch dazu beigetragen hat, die unternehmerischen Verbindungen zwischen unseren beiden Ländern - die ja sehr nahe sind - zu verstärken.

Während dieses Besuchs findet in dem Centro Cultural de Belém ein Unternehmertreffen statt. Dabei geht es darum, die Erfahrungen in dem unternehmerischen Bereich auszutauschen, die Möglichkeiten der Investitionen zu prüfen und die Wirtschaftsbeziehungen enger zu knüpfen. Wir wissen, dass das für Portugals Entwicklung ganz wichtig ist.

Hier im Forte São Julião da Barra haben wir die Symbolisierung dessen, wie die Portugiesen durch diese Fenster auf den Atlantik und über den Atlantik hinaus auf die Welt geschaut haben. Damals barg das Gefahren und Unsicherheiten. Genauso ist es heute: Auch heute birgt die Welt Gefahren und Unsicherheiten.

So wie die Portugiesen damals kritisch auf das Meer geschaut haben, aber ihre Unabhängigkeit errungen haben, so müssen wir auch heute unsere Beziehung mit den europäischen Partnern und vor allen Dingen mit Deutschland gestalten. Deutschland ist ja einer der wichtigsten Handelspartner Portugals. In Portugal ist es heute für unsere Zukunft also ganz wichtig, die Beziehungen zu Deutschland zu stärken.

Es war möglich, der Bundeskanzlerin eine klare Vorstellung des Fortschritts zu geben, den wir gemacht haben. Es gab drei Ziele. Das erste Ziel war, die großen Ungleichgewichte, die wir aus der Vergangenheit geerbt haben, zu begleichen und die finanzielle Situation zu stabilisieren. Gleichzeitig war es notwendig, Strukturreformen durchzuführen, die es uns dann ermöglichen würden, in der Zukunft zu wachsen, wettbewerbsfähig zu sein, eine offenere Wirtschaft und eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft zu haben. Die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft hat uns in diese Lage der unhaltbaren Staatsverschuldung und Haushaltsdefizite geführt.

Wir beschuldigen unsere europäischen Partner natürlich nicht für unsere Situation. Unsere europäischen Partner und der IWF haben uns dabei geholfen, aus diesen strukturellen Problemen herauszukommen. Deshalb ist es so wichtig, die regelmäßigen Bewertungen und Überprüfungen des Anpassungsprogramms durchzuführen - fünf sind bereits durchgeführt worden, die sechste beginnt heute.

Wir wissen, dass wir einige Reformen schneller und intensiver durchführen müssen. Wir wissen auch, dass im Bereich des Haushalts Schwierigkeiten vor uns liegen. Wir werden aber in zwei Jahren schaffen, was wir eigentlich erst für das Jahr 2016 vorgesehen hatten, nämlich unsere externen Bilanzen auszugleichen. Das bedeutet, dass die Reformen des Staates grundlegend wichtig sind und dass es grundlegend wichtig ist, die strukturellen Ausgaben des Staates zu senken. Darum geht es in der Debatte über diese Überprüfung und auch die nächste Überprüfung.

Ich glaube, dass die Bundeskanzlerin die Ziele der portugiesischen Regierung ganz klar verstanden hat und einen Einblick in diese Ziele bekommen konnte - nämlich, das Anpassungsprogramm mit dem nötigen Erfolg einzuhalten, damit wir an die Finanzmärkte zurückkehren können, damit wir dieses Anpassungsprogramm bis zum Jahr 2014 so, wie es vorgesehen ist, abschließen können, und damit die Unternehmen die Gelegenheiten für Wachstum und Beschäftigung schaffen können, die wir brauchen.

Ich denke, dass die Bundeskanzlerin auch einen guten Eindruck davon bekommen hat, wie das soziale und politische Klima in Portugal im Moment ist. Wir wissen, dass unsere Lage sozial und gesellschaftlich gesehen jetzt schwieriger ist als zu Beginn des Anpassungsprogramms. Natürlich ist es einfacher, von Reformen zu sprechen, als Reformen durchzuführen. In dem Maße, wie man die Reformen durchführt, werden uns und werden allen Betroffenen die Konsequenzen klarer. Diese Schwierigkeiten, die die Durchführung der Reformen mit sich bringt, sind uns und auch unseren europäischen Partnern klar. Wir glauben aber, dass der Weg, dem wir folgen, der einzige Weg ist, der es uns ermöglicht, in der Zukunft ein nachhaltiges Wachstum zu haben. Wir müssen diesen Prozess fortführen, wir müssen unser Programm fortsetzen. Wir dürfen an unserer Fähigkeit, dieses Programm durchzuführen, nicht zweifeln; denn das wäre schlecht für Portugal und schlecht für Europa.

Schließlich konnten wir sehen, wie wichtig es ist, über die finanziellen Perspektiven im europäischen Kontext zu sprechen. Auch das Problem der Segmentierung der Finanzmärkte muss durch eine Finanz- durch eine Bankenunion bekämpft werden, wie es ja schon oft erwähnt wurde. Zu diesen beiden Themen haben Portugal und Deutschland sehr ähnliche Standpunkte - obwohl sie natürlich etwas unterschiedlich sind, das ist ja selbstverständlich. Deutschland ist der größte Geldgeber im europäischen Haushalt, und Portugal ist Empfänger großer Teile dieser Fonds. Natürlich müssen wir einen Konsens finden, der uns zu einer Übereinkunft bezüglich der finanziellen Perspektive führt. Alle wollen sicherlich, dass die Fonds so vernünftig wie möglich und so nachhaltig wie möglich genutzt werden, und alle wollen sicherlich auch, dass vor allen Dingen die Kohäsionsfonds als Werkzeug einer wirtschaftlichen Konvergenzpolitik wirken können, damit unsere Wirtschaften wettbewerbsfähiger werden können.

Ich weiß nicht, ob es möglich ist, eine Einigung auf dem Rat in diesem Monat zu erreichen - ich würde mir das wünschen. Wir wissen, dass es ein sehr komplexer Gipfel werden wird. Wir wissen, dass Stabilität wichtig ist. Dass die finanziellen Regeln mit Stabilität definiert werden müssen, ist grundlegend wichtig, damit alle verstehen, dass Europa tatsächlich daran interessiert ist, stabile Bedingungen zu schaffen, damit die Lissabon-Strategie erfolgreich sein kann - auch in Krisenzeiten, auch in Zeiten, die schwieriger sind als die, die wir damals vorhergesehen haben.

Wir sehen eine Fragmentierung der Finanzmärkte, wie sie noch nie vorgekommen ist. Das rührt von einem Mangel an Vertrauen im europäischen Finanzsystem her. Deshalb ist es so wichtig, eine gemeinsame Aufsichtsbehörde mit gemeinsamen Regeln zu haben. Das würde mehr Vertrauen in das Finanzsystem bringen. Wenn wir dann noch einen Lösungsmechanismus hinzufügen könnten, hätten wir tatsächlich ein Szenario, in dem Krisen besser gelöst werden können und in dem das Risiko der Staatsverschuldung abgekoppelt werden kann von der Verschuldung von Banken. Diese Abkopplung der Staatsverschuldung und der Bankenverschuldung ist grundlegend wichtig, um eine Kohäsion zu erreichen und die Herausforderungen, die wir vor uns haben, meistern zu können. Wir wollen mehr Innovations- und mehr Wettbewerbsfähigkeit für alle Unternehmen - nicht nur innerhalb des europäischen Marktes, sondern auch auf dem globalen Markt -, und das, ohne dass zu hohe Preise für die Investitionen gezahlt werden müssen, denn das widerspräche den Vorstellungen des Binnenmarktes.

Ich möchte der Bundeskanzlerin Angela Merkel noch einmal dafür danken, dass sie Portugal oft und zu vielen Gelegenheiten geholfen hat, und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb des europäischen Kontexts. Ich denke, es ist wichtig, das noch einmal zu erwähnen - vor allen Dingen, wenn der Kanzlerin so oft vorgeworfen wird, Mitverantwortung daran zu tragen, dass Europa nicht mehr Wachstum hat. Das möchte ich hier widerlegen. Ich möchte hiermit Ihre konstruktive Hilfe für Portugal hervorheben.

Wenn wir uns denjenigen, die uns helfen, nicht verpflichtet fühlen, und wenn wir uns nicht verpflichtet fühlen, Reformen durchzuführen, dann können wir natürlich auch die konstruktiven Stützen nicht wahrnehmen, die diejenigen leisten, die uns helfen wollen, und die wir brauchen, um Chancen für alle zu haben.

Angela, herzlichen Dank für diesen Besuch und viel Glück für unsere nächsten Sitzungen - denn da geht es um sehr viel mehr als um Portugal und Deutschland!

BK'in Merkel: Herzlichen Dank. Ich möchte mich auch bei dir, Pedro, ganz herzlich für den freundschaftlichen Empfang hier und den Charakter unserer Gespräche bedanken. Ich weiß, dass der Besuch in Portugal in einer Zeit stattfindet, in der das Anpassungsprogramm für die Menschen hier im Lande jetzt sehr konkret spürbar ist. Deshalb ist es auch ganz wichtig, glaube ich, dass wir im Anschluss an diese Pressekonferenz zu Wirtschaftsunternehmen aus Portugal und deutschen Unternehmen fahren, die in Portugal investiert haben und hoffentlich noch mehr investieren werden, die sich für eine gute Ausbildung der jungen Menschen im Bereich der Berufsausbildung engagieren, die ja der Ausgangspunkt von Wachstum sein müssen. Wachstum muss aus der Wirtschaft kommen, aus Investitionen kommen. Das ist das, was dringend gebraucht wird. Ich glaube, dass Portugals Bedingungen für Wachstum sich in der letzten Zeit durch dieses Anpassungsprogramm und durch das mutige Handeln der Regierung sehr verbessert haben.

Wir sind hier an einem symbolischen Ort, an einem Ort, an dem die Seefahrernation Portugal die Welt beobachtet und von dem aus sie sie erobert hat. Wenn ich an Vasco da Gama und andere erinnere, dann darf ich sagen, dass wir heute wieder in einer Situation sind, in der Europa der Welt beweisen muss, dass wir wettbewerbsfähig sind und dass wir zu Recht ein Kontinent sind, in dem die Menschen in Wohlstand leben können, in Freiheit leben können. Um nicht mehr und nicht weniger geht es angesichts eines harten globalen Wettbewerbs in diesen Jahren, in denen wir Europa fit machen für das 21. Jahrhundert. Das erfordert Solidarität. Ich glaube, die hat Deutschland gezeigt und wird Deutschland auch zeigen.

Das erfordert auf der anderen Seite, dass die richtigen Maßnahmen ergriffen werden, und das sind auf der einen Seite nachhaltige Haushalte. Aber es geht nicht um Sparprogramme als Selbstzweck, sondern es geht im Kern darum, nicht durch immer neue Schulden zukünftigen Generationen sozusagen ihre Investitionen gar nicht mehr möglich zu machen, und es geht im Kern darum, durch Strukturreformen Investoren anzulocken, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und damit Wachstum zu schaffen.

Ich glaube, dass unsere beiden Länder freundschaftlich, wie wir seit Langem verbunden sind, gerade auch in dieser komplizierten Zeit nicht nur sehr eng zusammenhalten sollten, sondern auch sehr eng zusammenarbeiten. Deshalb ist mein Besuch natürlich hier auch ein Besuch, um die Situation besser kennenzulernen und gleichzeitig auch ein Stück Hoffnung zu geben.

Wir haben nicht nur über das Anpassungsprogramm von Portugal gesprochen, sondern wir haben auch darüber gesprochen, wie wir es schaffen können, die Finanzierungsbedingungen für die Wirtschaft zu verbessern. Da sind sicherlich eine gemeinsame Bankenaufsicht und auch eine spätere Rekapitalisierung der Banken aus dem ESM ganz wichtige Schritte, um internationale Investoren davon zu überzeugen, dass hier in Europa verlässliche Rahmenbedingungen vorherrschen. Da, glaube ich, gibt es im Augenblick die größte Notwendigkeit.

Wir haben auch über Möglichkeiten der Europäischen Investitionsbank in Kombination mit den Strukturfonds gesprochen, um gerade die Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen in Portugal besser möglich zu machen.

In diesem Zusammenhang ist die Verlässlichkeit der zukünftigen Finanzierung für Portugal, aber auch für alle anderen Empfängerländer in der Europäischen Union so wichtig, und deshalb kommt dem Rat in der nächsten Woche für eine mittelfristige Finanzplanung eine ganz große Bedeutung zu. Wir wissen noch nicht, ob wir erfolgreich sein werden, aber unser Gespräch hat noch einmal deutlich gemacht: Je früher jedes Land weiß, auf welche Mittel es zurückgreifen kann, umso klarer sind die Investitionsbedingungen und umso besser ist auch das Signal an die Investoren aus Europa, aber auch aus anderen Teilen der Welt. Deshalb sind jedenfalls Portugal und Deutschland entschlossen, ihren Beitrag zu leisten, um diesen Gipfel zu einem Erfolg werden zu lassen.

Wir haben über den Rat im Dezember gesprochen. Hier geht es auch um eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit, insbesondere der Eurogruppe. Wir wollen, dass das jedem anderen Mitgliedstaat offensteht, aber gerade wir Euro-Mitgliedstaaten müssen uns enger wirtschaftlich koordinieren, müssen eine Kohärenz unserer Wettbewerbsfähigkeiten erreichen. Denn dass der Euro heute in einer solchen Schwierigkeit ist, liegt eben auch daran, dass die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Länder sehr unterschiedlich ist. Ich glaube, Portugal ist ein Beispiel dafür, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit verbessert hat.

Ich spüre hier in Portugal eine große Entschlossenheit, diese schwierige Phase zu meistern. Ich weiß, dass es für die Menschen zum Teil eine sehr harte Zeit ist. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, gerade unter jungen Menschen. Deshalb möchte Deutschland Portugal insbesondere auch bei der Berufsausbildung von jungen Menschen unterstützen. Unsere Bildungsminister arbeiten hier sehr eng zusammen. Auch unsere Arbeitsministerin versucht auf der europäischen Ebene, mehr für die Berufsausbildung in allen Staaten Europas zu machen. Denn die jungen Fachkräfte - nicht nur Universitätsausgebildete, sondern vor allen Dingen auch Fachkräfte mit Berufsausbildung - sind der Schlüssel, nicht nur für Arbeitsplätze, sondern auch hochqualifizierte Arbeitsplätze, die ja auch für gute Produkte die Voraussetzung sind.

Danke, dass ich hier sein darf. Auf weitere gute Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern!

Frage: Ich würde gerne eine Frage zur Sparpolitik stellen. Viele Institutionen haben Zweifel an den Wirkungen des Sparkurses. Der IWF hat letzte Woche einen Bericht herausgegeben, in dem es hieß, dass der Sparkurs politisch und sozial gesehen unhaltbar werden könnte. Ich wüsste gerne, wo die Grenze der Sparpolitik ist und ob diese Grenze in Portugal, in Griechenland oder in Spanien schon erreicht ist. Es wäre wichtig zu wissen, ob die Sparpolitik nicht die Wirtschaft der Eurozone in Gefahr bringt, die Rezession verstärkt und dann auch Deutschland in Mitleidenschaft zieht.

Ich wüsste auch gern, ob auf den nächsten Gipfeln ein neuer politischer Diskurs gepflegt werden wird, in dem es dann mehr um Wirtschaftswachstum gehen wird.

MP Coelho: Ich kann vielleicht schon ganz kurz meinerseits auf diese Frage antworten. Zunächst einmal Folgendes: Niemand hat Zweifel daran, denke ich - weder bei den Wirtschaftswissenschaftlern noch unter den Politikern -, dass alle Anpassungsprozesse, bei denen es auch um Sparkurse geht, rezessive Auswirkungen haben. Auch in Portugal habe ich immer wieder erwähnt, dass wir nicht das Medikament für den Zustand des Kranken verantwortlich zeichnen können.

Portugal ist nicht der einzige Fall, wo wir es mit Politiken zu tun hatten, die Verschuldung und eine geringe Wettbewerbsfähigkeit hervorgerufen haben, und zwar sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor. Das hat zu solchen Ungleichgewichten geführt, dass es uns außerhalb des Marktes platziert hat. Jetzt zu den Märkten zurückzukehren, bedeutet eben, dass wir die Ungleichgewichte wieder korrigieren müssen - und das können wir nicht mit Maßnahmen machen, die uns zu dem Ungleichgewicht geführt haben. Wir können uns also nicht noch mehr verschulden und noch mehr vom Ausland, von unseren Kreditgebern abhängig machen und gleichzeitig die jetzige Lage überwinden wollen. Maßnahmen, in denen es darum geht, unsere Ausgaben - sowohl laufende als auch strukturelle Ausgaben - zu konsolidieren, sind also unvermeidbar. Auch bezüglich der Wirtschaftsaktivität hat das natürlich rezessive Auswirkungen.

Wichtig ist es, zu sehen, wie schnell eine Anpassung vorangehen muss. Im portugiesischen Fall war das eines der Themen, die am Verhandlungstisch während der fünften Prüfung besprochen wurden. Die Leistung Portugals zwischen 2011 und 2012 hat dazu geführt, dass wir die Ziele für das Haushaltsdefizit neu definieren konnten, also die 3 Prozent erst ein Jahr später erreichen müssen. Das bedeutet, dass Portugal im nächsten Jahr ein Defizit von 4,5 Prozent erreichen kann, statt eines Defizits von 3 Prozent, wie es anfänglich vorgesehen war. Das Gleiche ist dieses Jahr geschehen, wenn auch weniger intensiv: Wir werden 5 Prozent Defizit haben, statt 4,5 Prozent, die ursprünglich vorgesehen waren. Das bedeutet, dass es im konkreten portugiesischen Fall möglich war, mit der Troika ein Abkommen auszuhandeln, das dann in der Eurogruppe und natürlich von allen europäischen Partnern angenommen wurde. Wir haben bei dieser Verhandlung also eine Flexibilisierung der Ziele erreichen können, damit der Wert, der zunächst einmal vorgesehen war, nicht kontraproduktiv werden würde. Im portugiesischen Fall gab es also schon Konsequenzen. Das wu rde von der portugiesischen Regierung vorgeschlagen und hat dann Unterstützung seitens der europäischen Partner und seitens des IWF gefunden.

Ich möchte noch etwas zu dem Thema des Wachstums sagen. Wir alle sind uns darüber im Klaren, dass die Haushaltskonsolidierung, das heißt, das Ausbalanciereren unserer öffentlichen Ausgaben, nicht ohne Wachstumsstrategie funktioniert, dass es aber auch kein Wachstum ohne die Verringerung der Verschuldung und des Haushaltsdefizits geben wird. Das heißt, diese beiden Fragen sind ganz eng miteinander verbunden. Wir haben Mechanismen und Antworten für beide Situationen geschaffen: auf der einen Seite mehr Verantwortlichkeit im Bereich Haushalt, im Bereich Verschuldung, und auf der anderen Seite Bedingungen, die die Strukturreformen ermöglichen, die dann wiederum zu wirtschaftlicher Dynamik führen, damit Wirtschaftswachstum wieder möglich ist.

Schließlich noch zu den Fragen, in denen Sie Spanien und Griechenland mit erwähnt haben: Ich möchte mich nicht im Detail darüber auslassen, was in Griechenland passiert. Ich hoffe natürlich, dass es möglich sein wird, ein glaubwürdiges Programm für Griechenland zu finden. Das ist wichtig für die gesamte Europäische Union und es ist wichtig für Portugal. Wir tun alles, was in unserer Macht steht, und auch der Europäische Rat tut alles, was in seiner Macht steht, um einen Kontext zu finden, in dem es möglich ist, Griechenland im Euro zu behalten - und zwar mit einem glaubwürdigen Programm. Das hängt natürlich nicht nur vom Europäischen Rat ab, sondern das hängt auch von Griechenland ab. Ich denke, dass die letzten Schritte, die dort getan wurden, positiv sind. Heute gibt es eine Versammlung der Eurogruppe in Brüssel; dort wird diese Situation analysiert werden. Deshalb möchte ich jetzt nichts vorwegnehmen.

Bezüglich Spaniens möchte ich sagen, dass alle wissen, wie wichtig Spanien für uns ist. Spanien ist unser erster Exportmarkt, und es ist natürlich auch unser erster Lieferant. Das bedeutet, dass das, was in Spanien passiert, für uns in Portugal wirtschaftlich höchst relevant ist. Ich hoffe, dass die Reformen, die sehr mutig von der spanischen Regierung angegangen wurden, ein Erfolg werden und dass das im europäischen Kontext auch anerkannt wird.

Wir sollten uns hier aber nicht zu der Idee verleiten lassen, dass der IWF sich querstellt. Die öffentlichen Ausgaben müssen konsolidiert werden, und das ist nichts, was gegen das Wirtschaftswachstum geht. Der IWF gehört zur Troika, die die regelmäßigen Prüfungen vornimmt. Bei dem, was der IWF oft veröffentlicht, geht es um Länder, die mehr Handlungsspanne und weniger Druck seitens der Märkte haben. Die europäischen Länder haben sich dieser Sichtweise durchaus geöffnet. Ich denke, dass das auch in die Arbeit der Eurogruppe einfließen wird.

BK'in Merkel: Ich möchte noch einmal von meiner Seite an den Ausgangspunkt erinnern: Es gab die große internationale Finanzkrise der Banken. Wir hatten damals riesige Wirtschaftseinbrüche zu verzeichnen, zum Beispiel auch in Deutschland. Wir haben das durch sehr große öffentliche Konjunkturprogramme kompensiert, die in fast allen Ländern zu einer deutlichen Erhöhung der Staatsverschuldung geführt haben. In der Folge ist dann das passiert, was man auch fast erwarten konnte: Dann haben plötzlich die Investoren in unsere Staatsanleihen gefragt "Können die Staaten das, was sie an Geld ausgegeben haben, denn überhaupt wieder zurückzahlen?". Also haben einige Länder den Zugang zu den Märkten, zu den Investoren, fast verloren, weil wir nicht mehr einhalten konnten, was wir eigentlich für normale Zeiten versprochen hatten, nämlich die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.

Portugal ist ja nicht unter einem Anpassungsprogramm, weil es sich leicht finanzieren konnte, sondern weil es Schwierigkeiten hatte. Deshalb ist es notwendig geworden, dass dieses Programm gemacht wurde. Wer - das gerät manchmal auch in Vergessenheit - hat dieses Programm verhandelt? Der IWF macht das, gemeinsam mit der Kommission und mit der Europäischen Zentralbank. Das heißt: Dies ist nicht ein Programm, das sich Deutschland oder irgendein anderes Land in Europa ausgedacht hat, sondern das ist ein Programm der Institutionen. Warum ist der IWF dabei? Der IWF ist dabei, weil wir alle gemeinsam davon überzeugt waren, dass, wenn das Vertrauen internationaler, außereuropäischer Investoren zurückgewonnen werden soll, der IWF dafür eine gute Reputation hat.

Es ist genau so, wie der Ministerpräsident gesagt hat: Die Länder wie zum Beispiel Deutschland, die im Augenblick noch ein bisschen Spielraum haben, müssen versuchen, ihren Binnenkonsum soweit wie möglich anzukurbeln, damit Importe aus Portugal, Spanien und anderen Ländern nach Deutschland kommen können. Aber was wir nicht machen können, ist, uns in der Mitte der Wettbewerbsfähigkeit aller Euroländer zu treffen. Dann würde Folgendes passieren: Dann würde zum Beispiel auch Deutschland seine Produkte nicht mehr exportieren können. Portugal und Spanien würden nicht exportieren können, und wir auch nicht. Das heißt, dann wären wir alle abgehängt.

Das heißt, jetzt haben wir noch die Kraft, miteinander solidarisch zu sein - durch die EFSF, durch den ESM - und Ländern wie Portugal, Griechenland usw. zu helfen. Aber wir alle müssen mit Blick auf China, Indien und die außereuropäischen Märkte aufpassen, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern.

Der Chef der Welthandelsorganisation, Pascal Lamy, hat uns neulich noch einmal darauf hingewiesen: 90 Prozent des Wachstums finden außerhalb Europas statt. Das heißt: Nur, wenn wir in Europa - in Portugal und in anderen Ländern - Produkte haben, die wir in der Welt verkaufen können, und nur, wenn wir auch ausgeglichene oder stabile Haushalte haben, sodass man uns glaubt, dass wir unsere Schulden auch wieder zurückzahlen können, werden wir unseren Wohlstand halten können. Deshalb ist dieser Weg extrem beschwerlich.

Aber wir wissen auch aus eigener deutscher Erfahrung mit Reformen: Erst macht man die Reformen, und dann dauert es leider eine Weile lang. In Deutschland ist die Arbeitslosigkeit nach den Arbeitsmarktreformen sogar noch einmal gestiegen. Wir hatten mehr als 5 Millionen Arbeitslose. Dann - drei, vier Jahre später - ist es besser geworden. Vielleicht geht das auch schneller. Ich wurde neulich damit zitiert, dass das fünf Jahre dauere. Ich habe damit nur asiatische Erfahrungen zitiert, und das ist dann nur sehr ausgewählt hier in Portugal angekommen.

Also nur dann, wenn wir diese Reformen durchführen, werden wir auch Menschen wieder Arbeit geben können und für die Jugend in all unseren Ländern auch eine gute Zukunft schaffen können.

Frage: Herr Ministerpräsident, Portugal ist in Deutschland ja ein sehr beliebtes und hoch geschätztes Land. Dieser Besuch der Kanzlerin kann nun nur unter einem massiven Polizeiaufgebot stattfinden. Demonstranten werden ferngehalten und rufen "Merkel raus!". Was ist Ihre völkerverbindende Botschaft an Ihre eigenen Bürger, aber auch an die deutsche Bevölkerung, die mit mehr als 140 Milliarden Euro allein für Kredite aus der EFSF haftet?

Frau Bundeskanzlerin, wie kann Deutschland dieses eigentlich beispiellos im Ausland - wie in Griechenland und Portugal - verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen?

MP Coelho: In Portugal gibt es wie in allen demokratischen und pluralistischen Gesellschaften Menschen, die sehr unterschiedliche Ansichten haben. Portugal hat eben auch eine Meinungsrichtung, die meint, dass die deutsche Bundeskanzlerin eine besondere Verantwortung dafür hat, wie die Schuldenkrise verläuft, und die die Bundeskanzlerin verantwortlich zeichnet. Ich glaube nicht, dass das die Mehrheit der Menschen in Portugal denkt. Die Situation, die sich in unserem Land so schwierig gestaltet hat, wurzelt in dem Mangel der Wettbewerbsfähigkeit der portugiesischen Wirtschaft. Das können wir ganz leicht nachvollziehen, wenn wir uns anschauen, dass Portugal in den letzten 15 Jahren, aber vor allen Dingen seit 1995, dem Jahr, in dem wir dem Projekt des Euro beigetreten sind, viele Finanzierungsmöglichkeiten hatte und trotzdem nicht wirklich gut gewachsen ist. Es gab systemische Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, die natürlich auch Europa getroffen haben; das waren externe Faktoren. Dieses Verständnis des Problems gibt es, glaube ich, als Querschnitt in der portugiesischen Gesellschaft.

In Portugal wie auch in vielen anderen Ländern Europas gibt es Menschen, die auf die Straße gehen, die demonstrieren. Ich glaube, dass die Bundeskanzlerin es durchaus gewöhnt ist, mit solchen Situationen umzugehen. In Portugal haben diese Demonstranten keine Mehrheit hinter sich. Diese Demonstrationen hatten zum Ziel, die Unzufriedenheit aufgrund der schwierigen Lage, in die viele Menschen geraten sind, zu zeigen. Das können wir verstehen. Niemand hat versprochen, dass es einfach werden würde, und wir wissen, dass unser Weg ein Weg ist, der viele Opfer erfordert. Dass dieser Weg sehr entschieden gegangen wird, wird von den anderen Ländern und von Deutschland auch anerkannt. Die Portugiesen sind in dieser Hinsicht sehr mutig gewesen, weil sie sich diesem Weg gestellt haben. Wir haben es geschafft, unser Programm bisher positiv abzuwickeln. Unsere strukturelle Umwandlung der Wirtschaft passiert gerade.

Die Frau Bundeskanzlerin hat ja gesagt, dass wir darüber nachdenken, wie es Unterstützung seitens der europäischen Partner und seitens Deutschlands für ganz spezifische Projekte geben kann. Es gibt zum Beispiel ein Projekt, bei dem es um die Berufsbildung, die duale Ausbildung geht; dabei sollen also die Unternehmen in die berufliche Ausbildung mit einbezogen werden. Deutschland verfügt in diesem Bereich über große Erfahrung. Letzte Woche war der Bildungsminister in Deutschland und es ist eine Einverständniserklärung zur Zusammenarbeit zwischen der portugiesischen und der deutschen Regierung in diesem Bereich unterzeichnet worden. Wir suchen aber natürlich auch die Zusammenarbeit im Bereich der Finanzinstitutionen, weil wir Fonds, die der Entwicklung der Wirtschaft dienen, nutzen wollen - vor allen Dingen im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen, die in Portugal wie auch im restlichen Europa diejenigen sind, die die meiste Beschäftigung schaffen.

Das sind also Beispiele der Zusammenarbeit und sehr wichtige Erfahrungen, die wir hier zwischen unseren beiden Regierungen austauschen und die sehr wichtig sind, um zu unterstreichen, wie freundschaftlich die Beziehungen zwischen Deutschland und Portugal sind.

BK'in Merkel: Noch eine Ergänzung zu der ersten Frage, weil gefragt wurde, ob nicht auch Deutschland eines Tages davon betroffen sein wird, wenn es in anderen Ländern eine Rezession gibt: Natürlich wird Deutschland davon betroffen sein. Deshalb dürfen Sie auch davon ausgehen, dass Deutschland natürlich gar kein Interesse daran hat, dass die Rezession besonders tief ist. 60 Prozent unseres Handels gehen in die Europäische Union, und wir haben ein elementares Interesse daran, dass es allen Ländern in Europa gut geht, weil ansonsten auch wir betroffen sind. Deshalb werden wir das auch verhindern. Aber wir müssen das Notwendige tun.

Jetzt zu der Frage der Zurückgewinnung des Vertrauens: Ich glaube, dass das ein schwieriger Weg ist. Ich glaube, dass wir in Deutschland wissen, dass heute noch viele Menschen in Deutschland zum Beispiel dagegen sind, dass das Renteneintrittsalter in unserem Land erhöht wurde. Wenn die Politik immer nur nach der Frage entschieden hätte, wie gerade die Mehrheiten sind, dann wäre das, glaube ich, keine vorsorgende Politik für die Zukunft. Ich glaube genauso wie mein Kollege aus Portugal, dass die Schritte, die wir jetzt tun, absolut notwendig sind, um in Zukunft für unsere Kinder, für unsere Enkel, aber auch für diejenigen, die heute leben, gute und bessere Lebensbedingungen hinzubekommen. Wir leben nicht allein auf der Welt. Wir müssen uns auch gegenüber dem öffnen, was woanders stattfindet, in China, Indien und in anderen Ländern. Auf diesem Weg werden wir auch Vertrauen gewinnen. Die Politik muss sozusagen das tun, was notwendig ist, und kann nicht jedes Mal fragen "Ist das jetzt eine Entscheidung, die mir eine Mehrheit in der täglichen Umfrage einbringt?".

Dass das im Augenblick eine extrem schwierige Zeit ist, weiß ich. Ich bin froh, dass alle Länder in der Europäischen Union Länder sind, in denen man demonstrieren darf. Ich bin froh, dass man seine Meinung sagen darf. Ich habe 34 Jahre lang in einem Land gelebt, in dem man das nicht tun durfte. Dieses Land war ökonomisch anschließend mit Sicherheit nicht erfolgreich. Das haben wir alles hinter uns. Insofern: Das gehört zur Demokratie dazu. Das hält mich trotzdem nicht von einem Besuch ab. Vielleicht müssten wir uns in diesen schwierigen Zeiten sogar öfter besuchen. Auf jeden Fall glaube ich, dass es wichtig ist, miteinander zu reden und vor allen Dingen auch die Situation in jedem Land möglichst gut zu kennen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel, Sie haben gesagt, dass Sie nicht die Bedingungen für das Memorandum diktiert haben. Wir wissen aber auch, dass Sie verantwortlich gemacht werden, wenn Portugal kein Erfolgsfall wird. Wie sieht es mit der Notwendigkeit aus, das Memorandum in Portugal neu auszuhandeln? Sie sagten, dass Sie prinzipiell nicht davon ausgehen, dass eine Neuverhandlung möglich ist. Als Journalist habe ich dies im Prinzip natürlich durchaus wahrgenommen. Deshalb frage ich: Es gibt doch Risiken bei der Ausführung unseres Memorandums. Im Jahr 2013 werden mehrere Maßnahmen getroffen, bei denen es um eine Erhöhung der Einnahmen durch eine Erhöhung der Steuern geht. Fakt ist also, dass es fast 80 Prozent Erhöhung der Steuern gibt und Ausgaben gekürzt werden, falls keine anderen Maßnahmen gefunden werden. Damit sind sehr viele Risiken verbunden. Darüber muss man doch schnell nachdenken. Daher frage ich Sie: Sind Sie bereit, das Memorandum neu zu verhandeln, damit es neue Bedingungen gibt - vielleicht niedrigere Zinsen und eine Verlängerung der Fristen -, oder Geld zur Verfügung zu stellen für die Notwendigkeiten in Portugal bis zum September 2013? Das sind ganz konkrete Fragen, die ich Ihnen, Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel, und Ihnen, Herr Premierminister stellen möchte.

Außerdem möchte ich Sie fragen, ob Sie noch breiter angelegte Lösungen aufzeigen können, zum Beispiel was Aufkäufe der EZB oder Zinsen betrifft. Gibt es da Möglichkeiten?

Letzte Frage: Frau Bundeskanzlerin, wie finden Sie die Portugiesen, was halten Sie von den Portugiesen? Herr Ministerpräsident, was halten Sie von den Deutschen?

MP Coelho: Ich möchte zunächst einmal sagen, dass mir sehr klar ist, welche Debatte sich um den Haushalt für 2013 rankt. Die Risiken im Haushaltsvollzug sind immer wieder hervorgehoben worden. In Portugal hat mich noch niemand sagen hören, dass der Anpassungsweg ein sicherer Weg und ein Weg ohne Risiken sei. Einige Risiken sind mit negativen Auswirkungen verbunden, zum Beispiel dass die Binnennachfrage weiterhin schrumpfen kann; das würde ein Risiko für den Haushaltsvollzug bedeuten. Es gibt aber auch Risiken, die positive Konsequenzen haben könnten, zum Beispiel, dass unsere Rückkehr an die Finanzmärkte erleichtert würde, was dazu führen könnte, dass die Kosten bezüglich der Zinsen sinken; das würde den Haushaltsvollzug dann wieder leichter machen.

Die Risiken kann man nun nicht gegeneinander aufwiegen, aber vom Standpunkt der Regierung aus gehen wir keine Risiken ein, die so groß sind, dass wir das Memorandum neu verhandeln müssten. Lassen Sie mich Ihnen Folgendes ganz klar sagen: Wenn die Regierung glauben würde, dass es notwendig wäre, das Memorandum neu zu verhandeln oder ein zweites Rettungsprogramm für Portugal zu beantragen, dann würde das bedeuten, dass wir unseren Anpassungsweg nicht geschafft haben. Es würde außerdem bedeuten, dass wir noch strengere Bedingungen als die, die wir heute schon haben, bräuchten, um an den Markt zurückkehren und die Krise überwinden zu können. Ich persönlich sehe überhaupt keinen Nutzen darin, zuallererst darüber zu sprechen, was schiefgehen kann, wenn wir die Pflicht haben, zu überlegen, was wir machen können, damit es funktioniert. Es ist wichtig für das Land, dass die Dinge funktionieren; denn wenn das nicht funktioniert, dann werden die Kosten für alle höher sein. Das heißt, ich finde es etwas krankhaft, dass sich in der Presse zum Teil - wenn nicht sogar in der Presse in ihrer Gesamtheit - eine Debatte entwickelt, die sich darauf konzentriert, welches die Negativrisiken sind, ohne über die Erfolgschancen zu sprechen.

Die Art und Weise, in der das Anpassungsprogramm bisher gelaufen ist - eine Verringerung der Steuereinnahmen vor allen Dingen in der Mehrwertsteuer und eine Erhöhung der Sozialleistungen aufgrund höherer Arbeitslosigkeit - hat uns zusätzliche Schwierigkeiten eingebracht. Das hat dazu geführt, dass wir im Jahr 2013 die Einkommenssteuer stärker erhöhen müssen, als wir es wollten. Gleichzeitig haben wir aber entschieden, dass wir bis 2014 - beginnend in 2013 - 4 Milliarden Euro zusätzlich einsparen wollen. Das bedeutet, dass wir unsere öffentlichen Ausgaben noch nachhaltiger gestalten wollen, noch wettbewerbsfähiger gestalten wollen - nämlich so, dass die Portugiesinnen und Portugiesen in der Zukunft diese Ausgaben mit ihren Abgaben und ihren Steuern auch tragen können. Die Ausgabenkürzungen im Jahr 2013 betragen 2,7 Milliarden Euro, und hinzu kommen also noch die 4 Milliarden Euro, um die bis 2014 gekürzt werden soll. Das wird bedeuten, dass wir im gesamten Anpassungsprogramm weiterhin zwei Drittel der Anpassung auf der Ausgabenseite und ein Drittel auf der Einnahmenseite haben werden. Das heißt nicht, dass es in 2013 so sein wird; aber wenn wir es auf den gesamten Zeitrahmen anrechnen, wird es so sein. Das bedeutet, dass der Ministerpräsident und die Regierung dafür geradestehen und sich dafür einsetzen und engagieren, dass das Programm funktioniert. Das ist wichtig für uns, aber es ist auch wichtig für Europa.

Die Krise der Staatsverschuldung wird dann überwunden werden, wenn sich diejenigen, die eine höhere Staatsverschuldung haben, bewusst werden, dass sie das nicht so beibehalten können, ohne ihre Wettbewerbsfähigkeit zu beschränken. Ein Land, das sich seiner Probleme nicht bewusst ist, wird sie auch nicht lösen können. Wir in Portugal sind uns unserer Probleme bewusst. Ich hoffe, dass der politische und soziale Konsens überwiegen wird, damit wir alle Erfolg haben können.

Zu Ihrer Frage, was ich von den Deutschen halte: Ich bin gegen Verallgemeinerungen, aber wenn es ein Bild gibt, das Deutschland als Ganzes vermittelt, dann ist es das, dass es ein Volk ist, das arbeitsam ist, mit gutem Selbstbewusstsein, und konsistent. Ich denke, dass das Merkmale sind, die wichtig sind und die uns inspirieren können. Portugal insgesamt muss produktiver arbeiten; wir müssen innovativer sein, wir müssen mehr auf die Industrie als auf den Finanzgewinn setzen, der ja in den vergangenen Jahren eine Wachstumsillusion geschaffen hat. In dieser Hinsicht müssen wir diesem Modell folgen.

Ich möchte aber auch noch einige Merkmale der Portugiesen hervorheben, nämlich die große Flexibilität, die große Fähigkeit, uns anzupassen, und die Fähigkeit zur Innovation - vor allen Dingen in großen Krisen, auch wenn man es nicht programmiert hat. Ich glaube, wir müssen das alles etwas besser programmieren, um unsere Fähigkeit, den Herausforderungen in Krisenzeiten gewachsen zu sein, zu stärken.

BK'in Merkel: Ich will von meiner Seite nur ergänzen: Ich glaube, dass es die Pflicht von Politik ist, auf den Erfolg der Maßnahmen, die man ergreift, auch hinzuarbeiten. Wenn man den ganzen Tag an dem zweifelt, was man gestern gemacht hat, dann kann man den Weg, den wir alle in Europa jetzt gehen müssen, überhaupt nicht gehen. Wir wissen, dass das ein Weg ist, an dem wir nicht schon jeden Tag den Erfolg unserer Taten vom Vortag sehen; vielmehr ist das ein gewisser zeitlicher Prozess.

Ludwig Erhard, der Vater der sozialen Marktwirtschaft, den wir in Deutschland sehr verehren, hat immer gesagt: Wirtschaftspolitik, das ist 50 Prozent Psychologie. Wir in Europa werden alle extrem beobachtet von den Investoren innerhalb Europas, aber auch außerhalb Europas. Das Problem, das wir haben, ist ein Vertrauensproblem. Man weiß nicht genau: Halten wir zusammen? Die Tatsache, dass ich heute hier bin, ist ein Zeichen dafür: Wir halten in Europa zusammen.

Das Zweite ist: Man weiß nicht genau, ob wir das, was wir versprechen, auch einhalten; denn in der Vergangenheit haben wir es oft nicht eingehalten. Jetzt ist es psychologisch unglaublich wichtig, dass wir sagen: Jawohl, wir glauben an das, was wir tun! Wenn wir den ganzen Tag nur zweifelnd durch die Welt laufen, wird alles nicht zu schaffen sein, weil eben in der Wirtschaftspolitik die Hälfte Psychologie ist. Insofern haben wir Freiheit, jeder kann sagen, was er möchte, und es ist sicherlich auch die Aufgabe der Presse, kritische Fragen zu stellen. Aber wir als Politiker müssen doch deutlich machen: Wir glauben an das, was wir tun. Denn das sind wirklich schwere Einschnitte.

Deshalb kann ich nur sagen: Es gab fünf Missionen der Troika in Portugal, und jede Mission hat so geendet, dass die Troika gesagt hat "Jawohl, ihr könnt in Deutschland und in allen anderen Ländern die nächste Tranche an Portugal auszahlen". Das war für uns immer eine gute Nachricht. Dabei war die Troika ja gar nicht nur hart; vielmehr hat man gesagt: Okay, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in ganz Europa haben sich geändert, das lässt auch das Programm hier nicht unbeeinflusst. Also hat man etwas mehr Zeit gegeben. Aber das Programm als solches wird von Portugal in herausragender Weise erfüllt. Jetzt ist es doch unsere gemeinsame Aufgabe, deutlich zu machen. Ja, es ist eine großartige Leistung, dass diese schweren Entscheidungen hier getroffen werden. Ich bin deshalb auch überzeugt, dass die sechste Tranche genauso ausgezahlt werden kann, weil die Troika die Dinge wieder positiv beurteilen wird.

Was denke ich über die Portugiesen? Wissen Sie, ich war während der portugiesischen Präsidentschaft in der Europäischen Union recht oft hier. Ich bin erst einmal unglaublich begeistert von dem Land und seinen Menschen. Ich glaube, Portugal ist eine sehr stolze Nation, und es ist eine Seefahrernation. Sie haben immer den Blick in die weite Welt gehabt; Sie haben sich nie nur auf Ihr Zuhause konzentriert, sondern sind immer mit der Welt in Verbindung gewesen. Deshalb glaube ich auch, dass Portugal diesen schweren Prozess jetzt schaffen wird. Ich würde gerne öfter und länger hier sein. Wenn ich einmal nicht mehr Bundeskanzlerin bin, mache ich mit Sicherheit hier an diesen wunderschönen Küsten auch einmal Urlaub - das weiß ich heute schon. Jetzt ist das für mich ein bisschen schwierig.

Ansonsten kann ich nur sagen, dass ich glaube, dass die Menschen in Portugal unbedingt das haben wollen, was jetzt auch in den Programmen angelegt ist: einen hohen Stand von Wissenschaft und eine gute Ausbildung. Ich glaube, dass Sie auch unglaublich neugierige Menschen sind. Auch Portugiesen sind natürlich unterschiedlich, so wie auch Deutsche und auch wir in Europa - das habe ich neulich zu meiner eigenen Partei einmal gesagt - sowieso sehr unterschiedlich sind. Wenn es heißt, "die" Franzosen, "die" Portugiesen oder "die" Deutschen, kann ich nur sagen: Was krachen und streiten wir uns allein in Deutschland - Sie finden selten drei Deutsche, die einer Meinung sind. Jetzt tun wir plötzlich so, als ob wir wüssten: Diese Nation ist so und jene Nation ist so. Ich weiß aber auf jeden Fall, dass ich alles daransetzen möchte, dass Portugal eine sehr gute Zukunft hat und dass wir in Europa gut zueinander passen.

Frage: Herr Ministerpräsident, im Vorfeld des Besuchs war die Rede davon, dass Portugal ein Signal der Hoffnung erwarte. Was ist für Sie jetzt dieses Signal der Hoffnung gewesen?

Frau Bundeskanzlerin, Sie sprachen davon, dass Sie froh sind, dass man demonstrieren kann und dass man frei seine Meinung sagen kann. Aber stört es Sie, ärgert es Sie vielleicht nicht doch am Ende, wenn Sie im Ausland an Plakaten vorbeifahren, auf denen steht: "Hitler go home!"?

MP Coelho: Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um zu sagen, dass ich diese Plakate auch gesehen habe und dass ich auf diesen Plakaten dann normalerweise auch abgebildet bin. Das finde ich nicht ungerecht und das macht mich auch nicht wütend oder ärgert mich. Ich als Ministerpräsident habe die Aufgabe, das zu tun, was für das Land richtig ist. Wir leben zum Glück in einer Demokratie, und wir alle haben das Recht auf unsere eigene Meinung. Diese Meinung tun nicht alle in der gleichen Art und Weise kund. Ich glaube nicht, dass wir uns fragen müssen, ob das gerecht oder ungerecht ist. Es gibt solche, die glauben, dass die Politiker geboren wurden, um geliebt zu werden. Wir wählen aber nicht die Zeit, die wir haben, um zu regieren. Unsere Pflicht ist es, am Ende des Tages und am Ende unseres Mandates verzeichnen zu können, dass wir für die Zukunft des Landes etwas Positives getan haben. Deshalb bin ich hier in Portugal Ministerpräsident, und es tut mir überhaupt nicht weh, wenn ich deshalb kritisiert werde.

Manchmal wird unsere Pflichterfüllung mit einer Unterwürfigkeit gegenüber dem Ausland verwechselt. Ich möchte wiederholen, dass wir das, wir tun, für unser eigenes Wohl tun, und nicht, um jemand anderen im Ausland zu beeindrucken. Wir ergreifen im Moment die Maßnahmen zur Anpassung, die im Rahmen unseres Anpassungsprogramms festgelegt wurden und die für unsere kollektive Zukunft in Portugal wichtig sind. Es ist wichtig, die Krise zu überwinden. Natürlich gibt es immer Menschen, die eine Karikatur von uns zeichnen und die nicht mit unseren Optionen einverstanden sind. In der Politik geht es aber nicht darum, immer Konsens mit allen erreichen zu können. Wir müssen uns natürlich um Konsens bemühen, und wir müssen uns darum bemühen, dass der Konsens so groß wie möglich ist, damit unsere Reformen so weit reichen wie möglich. Wir können die Zukunft aber nicht einem Konsens um jeden Preis opfern.

Die Regierungen zahlen natürlich auch einen Preis für unsere Optionen. Ich möchte, dass Portugal aus der Krise herauskommt, in der es heute steckt, und das ist meine Option.

BK'in Merkel: Mich stört das nicht besonders. Ich glaube - ich kann das gerne wiederholen -, Demonstrationen gehören dazu. Wir haben die Freiheit der Meinungsäußerung. Es ist selten, dass Plakate, die auch eine Kritik ausdrücken sollen, einem gefallen. Das ist ja auch nicht der Punkt. Demonstrationen sollen vielmehr zeigen, was in einem Lande los ist. Das nehmen wir zur Kenntnis - das habe ich vorher zur Kenntnis genommen und das nehme ich auch hier zur Kenntnis.

Ich glaube trotzdem, dass es richtig und wichtig ist, dass wir miteinander sprechen, dass wir uns gegenseitig besuchen und dass wir voneinander wissen. Das werde ich auch weiter tun, und ich werde gleich auch das umfassende Gespräch mit der Wirtschaft suchen. Ich habe auch bereits mit vielen europäischen Gewerkschaftern und anderen gesprochen. Aus meiner Sicht gibt es also keinen anderen Weg als den Weg, miteinander im Gespräch zu bleiben und die Kontakte zu suchen. Das tun wir heute; wir sind in sehr engem Kontakt. Ich weiß, dass es eine schwierige Phase ist, aber ich glaube, dass Portugal das, was es tut, für seine eigene Zukunft tut - aber natürlich auch für Europa. Wir alle können nur dann gut miteinander auskommen - und Europa ist für uns ein Glück -, wenn wir alle an dem gleichen Ziel arbeiten. Dieses Ziel heißt: Arbeitsplätze werden nur dann entstehen, wenn Wettbewerbsfähigkeit gegeben ist.

Ich will vielleicht noch einmal daran erinnern: Wir leben in einer Welt von über 7 Milliarden Menschen, und 90 Prozent des Wachstums entstehen außerhalb Europas. Wir sind 500 Millionen Europäer. Wenn wir unsere Gedanken über Demokratie, über Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Pressefreiheit und Reisefreiheit auf der Welt leben und auch durchsetzen wollen, dann ist es gut, wenn wir zusammenhalten. Dafür werden wir weiter arbeiten.

MP Coelho: Herzlichen Dank an alle und herzlichen Dank an Sie, Frau Bundeskanzlerin!

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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz vom 12. November 2012
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/11/2012-11-12-merkel-lissabon.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2012