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PRESSEKONFERENZ/735: Regierungspressekonferenz vom 10. Februar 2014 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 10. Februar 2014
Regierungspressekonferenz vom 10. Februar 2014

Themen: Volksabstimmung zur Begrenzung der Einwanderung in der Schweiz, EEG-Reform, geplante Überprüfung der StGB-Paragrafen zu Mord und Totschlag, mögliche Teilnahme der Bundeswehr an einer Ausbildungsmission in Somalia, Finanzhilfen für Griechenland, doppelte Staatsbürgerschaft, Lage in der Ukraine

Sprecher: StS Seibert, Paris (BMI), Alemany (BMWi), Schäfer (AA), Zimmermann (BMJV), Dienst (BMVg), Narzynski (BMF)



VORS. Welty eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Frage: Herr Seibert, ich würde gerne wissen, wie das Ergebnis der Volksabstimmung in der Schweiz bei der Kanzlerin angekommen ist. Hegt sie irgendwelche Befürchtungen, dass das unguten Einfluss auf die Debatte über das Thema der Zuwanderung in Deutschland nehmen könnte? Zum Dritten würde mich interessieren, ob dieses Ergebnis irgendwelche kurzfristigen oder in absehbarer Zeit anstehenden Konsequenzen nach sich ziehen könnte.

StS Seibert: Es gibt keinen Grund, diese beiden Themen miteinander zu vermengen. Ich spreche, wenn Sie wollen, jetzt gerne über die Schweizer Volksabstimmung zur Begrenzung der Einwanderung. Die Bundesregierung nimmt das Ergebnis dieser Volksabstimmung zur Kenntnis und respektiert es. Es ist aber durchaus auch so, dass dieses Ergebnis aus unserer Sicht erhebliche Probleme aufwirft.

Die enge Anbindung der Schweiz an die EU bringt ja den Menschen auf beiden Seiten große Vorteile, und die Freizügigkeit ist ein Teil dieser engen Anbindung. Der EU-Binnenmarkt, an dem die Schweiz als EFTA-Mitglied durch ein ganzes Bündel von vertraglichen Maßnahmen teilnimmt, bildet ja eine Einheit aller vier Freiheiten, der Personenfreizügigkeit wie des freien Verkehrs von Dienstleistungen, von Waren und von Kapital. Das bildet eine Einheit; das hängt zusammen.

Die Freizügigkeit ist für uns ein hohes Gut; das hat die Bundeskanzlerin immer wieder betont. Es ist jetzt, nach dem Ergebnis dieser Volksabstimmung, an der Schweiz und an der Schweizer Regierung, auf die EU zuzugehen und ihr darzulegen, wie sie mit diesem Ergebnis umzugehen gedenkt. Die EU-Institutionen werden dann die politischen und die rechtlichen Konsequenzen des Votums sorgfältig zu prüfen haben.

Zusatzfrage : Zu den Auswirkungen auf Deutschland: Nachdem sich durchaus auch schon Parteien geäußert haben, die diese Verbindung herstellen - zum Beispiel die AfD -, würde mich schon interessieren, ob die Bundesregierung dieser Frage jetzt überhaupt keine Bedeutung zumisst.

StS Seibert: Die Bundesregierung misst dem Ausgang des Schweizer Referendums eine Bedeutung zu, weil wir in Europa und in der EU ein großes Interesse an dieser engen Anbindung der Schweiz an die EU haben. Die Schweiz - das wissen wir - hat dieses Interesse auch. Es ist von großem Vorteil für die Schweiz. Das ist das Thema, das heute zu diskutieren ist und worüber dann in der Zukunft - je nachdem, wie die Schweizer Regierung das Ergebnis des Referendums umsetzen wird - schwierige Gespräche zu führen sein werden. Unser Interesse muss es doch sein, das Verhältnis zwischen der EU und der Schweiz so eng wie möglich zu bewahren, damit beide Seiten, beide Partner, in der Lage sind, sich auch weiterhin gut im globalen Wettbewerb zu behaupten.

Frage: Herr Seibert, ich habe zwei Fragen zu diesem Thema: Verstehe ich es erstens richtig, dass die deutsche Haltung sein wird, passiv abzuwarten, was die Schweiz jetzt mit ihrem Schlamassel anfängt?

Zweite Frage, verbunden mit der Bitte um eine politische Einschätzung: Sind Ausgang und Inhalt der Abstimmung in der Schweiz für die Bundesregierung ein Anlass, froh darüber zu sein, dass es eine vergleichbare Form der direkten Demokratie in Deutschland nicht gibt?

StS Seibert: Zu Ihrer ersten Frage: Es ist so, wie ich es dargelegt habe. Wir haben gültige Abkommen mit der Schweiz, zu denen wir als Europäer stehen. Nun ist es an der Schweiz, zu zeigen, wie sie mit dem Votum ihrer Bürger, das zu respektieren ist, umgeht. Davon wird wiederum abhängen, wie die Gespräche aufzunehmen und welche Detailfragen zu klären sind.

Zu dem anderen kann ich nur sagen: Deutschland ist eine bewährte repräsentative, parlamentarische Demokratie. Wir sind hier strukturell so demokratisch eingerichtet, dass wir es seit Jahrzehnten schaffen, die Themen mit einer großen Beteiligung der Bevölkerung in der Öffentlichkeit und auch in den politischen Gremien zu besprechen. Es gibt deshalb keinen Grund, daraus jetzt irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Das ist eine Schweizer Volksabstimmung, die auf ganz spezifische Schweizer Gegebenheiten eingeht, und deswegen ist damit jetzt umzugehen.

Zusatzfrage: Eine kleine Ergänzungsfrage zu dem letzten Punkt, den Sie jetzt angesprochen haben: Sprechen Sie damit für die Bundesregierung, die ja bekanntlich auch von der SPD mitgetragen wird, die zum Thema der direkten Demokratie eine etwas andere Einschätzung als der Hauptkoalitionspartner Union hat, oder ist das, was Sie jetzt dazu gesagt haben, eine Erklärung im Sinne der Bundeskanzlerin gewesen?

StS Seibert: Ich spreche für die Bundesregierung und selbstverständlich auch für die Bundeskanzlerin. Sie werden im Koalitionsvertrag keine Ausführungen zum Thema Volksabstimmungen finden. Das ist kein Thema für diese Bundesregierung. Es gibt viele Möglichkeiten und auch die Notwendigkeit, die Beteiligung der Bürger an der Politik zu stärken und Bürger in politische Entscheidungen einzubinden. Das erleben wir beispielsweise bei der Gestaltung der Energiewende intensiv. Das ist für die Bundesregierung - damit spreche ich sicherlich auch für alle Ressorts - ein sehr wichtiges Anliegen. Nichtsdestotrotz stehen wir dazu, dass wir eine repräsentative, parlamentarische Demokratie sind.

Frage: Herr Seibert, sehen Sie die Tatsache, dass die Bundesrepublik eine repräsentative Demokratie ist, als Grund dafür an, dass es in Deutschland wahrscheinlich nicht zu einer derart radikalen Entscheidung über Einwanderungsthemen kommen könnte?

Was für Auswirkungen sehen Sie für die Europawahlen? Es haben ja jetzt einige rechtsgerichtete Parteien - darunter in Deutschland auch die NPD - dieses Resultat hoch gepriesen und gesagt, das sei ein Fanal für Europa. Muss die Bundesregierung jetzt verstärkt die Stimme zum Thema Einwanderung erheben?

StS Seibert: Ich möchte diese knappe Mehrheitsentscheidung der Schweizer Bürger hier nicht so qualifizieren, wie Sie das getan haben. Wir haben sie zur Kenntnis zu nehmen und haben damit als Europäer in unserem Verhältnis zur Schweiz politisch umzugehen. Ich glaube, dazu habe ich jetzt alles gesagt.

Ich möchte auch zu der Frage der Volksabstimmungen nur sagen, dass wir hier - ich wiederhole es noch einmal - eine parlamentarische, repräsentative Demokratie sind und dass dies das in Deutschland seit Jahrzehnten bewährte System ist. Es ist nicht ein Anliegen dieser Bundesregierung, in dieser Legislaturperiode daran Veränderungen vorzunehmen.

Was die Europawahl betrifft: Das ist, ehrlich gesagt, jetzt keine Angelegenheit für den Regierungssprecher. Aber die Bundesregierung hat ja nun eine dezidiert pro-europäische Haltung. Wir haben immer wieder dargelegt, dass auch die Freizügigkeit der Menschen innerhalb der EU im deutschen Interesse ist und dass gleichzeitig darauf zu achten ist, dass Bürger mit ihren Fragen und Sorgen in den Kommunen auch nicht alleingelassen werden, sondern dass die Politik solche Fragen und Sorgen aufgreift. Ich darf Sie daran erinnern, dass wir vor einigen Wochen einen Staatssekretärsausschuss eingerichtet haben, der sich mit genau diesem Thema der punktuellen Auswirkungen von Zuwanderung auf die Kommunen und der daraus möglichen Konsequenzen befasst.

Frage: Herr Seibert, würden Sie zu dem, was Sie zuletzt ausgeführt haben, auch das zählen, was der Finanzminister gestern Abend im "Bericht aus Berlin" gesagt hat, nämlich dass dieses Ergebnis auch durchaus etwas damit zu tun haben könne, dass die Menschen in der globalisierten Welt zunehmend Unbehagen gegenüber einer gestiegenen Freizügigkeit empfinden könnten, und dass man dieses Thema aufnehmen müsse? Das spricht ja genau für das, was der Kollege Heller und andere hier angesprochen haben, nämlich dass das durchaus ein Thema für die Bundesregierung sein dürfte. Das sagt zumindest einer der wichtigsten Minister. Sehen Sie das auch so?

StS Seibert: Wenn das einer der wichtigsten Minister dazu gesagt hat, dann habe ich das hier nicht zu interpretieren. Aber ich habe ja gerade gesagt: Natürlich geht es für eine Bundesregierung immer auch darum, Fragen oder auch Sorgen, die in der Bevölkerung vorhanden sind, aufzunehmen und genau darauf zu schauen. Das ist genau das, was, denke ich, auch Minister Schäuble hat ausdrücken wollen. Es geht aber umgekehrt auch immer darum, in der Öffentlichkeit darzulegen, welchen Vorteil wir von bestimmten europäischen Entwicklungen haben. Auch das ist ein Anliegen dieser Bundesregierung.

Frage: Würden Sie denn die Schweiz in diesen Verhandlungen mit Brüssel vonseiten Deutschlands unterstützen?

StS Seibert: Ich habe gesagt: Jetzt ist es erst einmal an der Schweiz, sich genau zu überlegen, welche Konsequenzen sie aus diesem Volksentscheid zieht, und dann auf die europäischen Partner zuzugehen. Deutschland wird sich in Abstimmung mit den europäischen Partnern mit Sicherheit auch in dem Gesprächsprozess verhalten, der darauf möglicherweise folgen wird.

Zusatzfrage: Aber welche quasi bilateralen Verträge oder welche Bereiche sehen Sie seitens Deutschlands gefährdet, wenn die Schweiz jetzt in dieser Freizügigkeitsangelegenheit einen anderen Kurs fährt?

StS Seibert: Ich habe dargelegt, wie diese Grundfreiheiten, denen wir uns verbunden fühlen und denen sich die Schweiz als EFTA-Mitglied durch diese vertraglichen Vereinbarungen ja auch verbunden gefühlt hat, zusammenhängen. Nun möchte ich das nicht weiter interpretieren. Wir werden uns das sicherlich genauso wie auch die europäischen Institutionen genau ansehen müssen. Trotzdem sage ich noch einmal: Es ist jetzt an der Schweiz, darzulegen, wie sie mit der Entscheidung umgeht, was sie verändern will und wie weit sie gehen will. Darauf wird zu reagieren sein.

Frage: Herr Seibert, ist es korrekt, die Haltung der Bundesregierung so zu beschreiben "Wir nehmen die Mehrheitsentscheidung der Schweizer Bürger widerspruchslos hin"? Die Alternative wäre nämlich, "Wir erheben Widerspruch" zu sagen. Das wollen Sie ja ausdrücklich nicht; so habe ich Sie verstanden.

StS Seibert: Mit dieser Interpretation muss ich Sie wirklich alleinlassen. Von einem widerspruchslosen Hinnehmen ist hier nicht die Rede. Wir haben eine solche Entscheidung, die in der Schweiz demokratisch zustande gekommen ist, zu respektieren, und genau das tun wir. Wir können ausdrücken, dass wir uns eine andere Entscheidung gewünscht hätten. Wir können ausdrücken, dass durch diese Entscheidung jetzt möglicherweise Probleme im Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union entstehen, die wir ohne diese Entscheidung nicht gehabt hätten. Aber ich glaube, ich habe dazu jetzt genug gesagt.

Zusatzfrage: Ich frage Sie das vor dem Hintergrund der Äußerung des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments, des Parteifreunds von Angela Merkel, Herrn Elmar Brok, der gesagt hat: "Wir können diese Entscheidung der Schweiz nicht widerspruchslos hinnehmen." Wie fällt die Antwort der Bundesregierung auf diese Aussage aus?

StS Seibert: Die Antwort der Bundesregierung fällt so aus, wie ich es hier in den letzten 14 Minuten dargelegt habe. Ich glaube, es ist ziemlich deutlich gewesen, was jetzt unser Vorgehen ist.

Frage: Es gibt ein Schreiben des Innenministeriums aus dem Jahr 2008, gerichtet an Hamburg und sämtliche andere Bundesländer, in dem den Ländern empfohlen wird, sich bei der Vergabe von Aufenthaltstiteln danach zu richten, wie die Schweiz EU-Bürger behandelt. Jetzt wäre quasi der Ernstfall eingetreten. Können Sie oder jemand aus dem Innenministerium dazu ein paar Bemerkungen machen?

StS Seibert: Ich nicht.

Paris: Ich auch nicht, weil mir das Schreiben nicht bekannt ist.

Frage: Der Schweizerische Außenminister wird demnächst zur Kanzlerin kommen. Es ist ja bekannt, dass die Kanzlerin große Erfahrung darin hat, in Brüssel Verhandlungen zu führen. Wird sie ihm irgendwelche Ratschläge oder Tipps mit auf den Weg geben, wie er die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz neu gestalten kann und wie er das anpacken soll?

StS Seibert: Alles was ich dazu sagen kann, ist, dass davon auszugehen ist, dass dieses Thema, nämlich wie mit dem Ausgang dieses Schweizer Referendums umzugehen ist, auch ein Thema bei der Begegnung der beiden sein wird.

Frage: Herr Seibert, gehen Sie davon aus, dass bestehende Arbeitsverhältnisse - das heißt, der Leute, die jetzt von Baden-Württemberg in die Schweiz pendeln - unter Bestandsschutz fallen und von einer Neuregelung nicht betroffen sind?

StS Seibert: Ich kann Ihnen darüber nun wirklich keine fachmännische Auskunft geben. Ich habe nur überall gelesen, dass die Schweizer Regierung drei Jahre Zeit hat, um auf den Spruch der Bürger zu reagieren. Also, denke ich einmal, wäre ja wohl abzuwarten, wie Neuregelungen überhaupt gestaltet werden. Aber ich kann Ihnen das jetzt nicht fachmännisch beantworten.

Frage : Ich hätte gerne gewusst, wie weit die Analyse des Wirtschaftsministeriums und gegebenenfalls auch des Auswärtigen Amtes zu diesem Thema gediehen ist. Herr Brok hat ja auch vor Auswirkungen auf den Binnenmarkt gewarnt. Sehen Sie das ähnlich?

Alemany: Für das Wirtschaftsministerium: Wir befürchten dadurch keine Auswirkungen.

Schäfer: Man muss vielleicht einfach sehen, dass das Vertragsgeflecht mit der Schweiz ja ein Geben und Nehmen ist. Die Schweiz hat etwas zu bieten, wie genauso auch die Europäische Union etwas zu bieten hat. In diesem Rahmen ist es doch ganz vernünftig, dass die richtige Balance zwischen dem einen und dem anderen gefunden wird. Wenn die Schweiz nach diesem Referendum der Meinung ist, dass die Freizügigkeit nicht in der gleichen Weise Anwendung findet, in der das bisher in den vertraglichen Dokumenten vorgesehen war, dann ist es doch nicht ausgeschlossen, dass das auch Konsequenzen vonseiten der Europäischen Union haben könnte. Aber das sage ich ausdrücklich im Konjunktiv. Das ist, finde ich, nichts anderes als gesunder Menschenverstand.

Frage: Herr Paris, ich wüsste gerne, ob es als Ergebnis der Schweizer Volksbefragung eine kommunizierbare Meinung des Bundesinnenministers zum Thema Zuwanderungsdebatte gibt.

Frau Alemany, wollten Sie jetzt sagen, nach Ansicht Ihres Ministers gebe es keine wirtschaftlichen Auswirkungen des Verfahrens in der Schweiz, oder wollten Sie nur sagen, dass Ihnen keine Meinung bekannt ist?

Paris: Ich denke, dass Herr Seibert in den vergangenen 17 Minuten sehr deutlich die Haltung der Bundesregierung dargestellt hat. Er hat zu Eingang seines Statements auch gesagt, dass sich die beiden Themen nicht miteinander vermengen lassen. Insofern kann ich eigentlich auch nur auf das verweisen, was Herr Seibert Ihnen gesagt hat. Das gilt auch für das Bundesinnenministerium.

Alemany: Für das Wirtschaftsministerium kann ich - natürlich ergänzend zu dem, was in den letzten zehn Minuten gesagt wurde, unter anderem vom Regierungssprecher - Ihnen sagen: Man kann grundsätzlich sagen, dass die Schweiz einer der wichtigsten Handelspartner für Deutschland ist. Die Schweiz ist seit langem unter den "Top 10" unserer Handelspartner. Beide Länder sind durch Direktinvestitionen wirtschaftlich sehr eng miteinander verflochten. Diesbezüglich sehen wir keine Änderung, und darauf hat sich meine Antwort bezogen.

Frage: Zum Thema Energiewende/Stromtrassen habe ich eine Frage an das Bundeswirtschaftsministerium. Die Kanzlerin hat am Wochenende bei der Vorstandsklausur in Erfurt gesagt, dass die veränderten Ausbauziele beziehungsweise die veränderten Korridore auch durchaus Auswirkungen auf die Netzstruktur haben könnten. Teilen Sie diese Einschätzung? Können Sie schon absehen, wie diese Auswirkungen ausfallen werden? Könnte es also sein, das wirklich eine ganze Trasse - eine der großen Trassen - obsolet wird?

Alemany: Dazu kann ich Ihnen ganz grundsätzlich sagen, dass es eigentlich keinen neuen Sachstand gibt. Es gibt einen breiten Konsens innerhalb der Bundesregierung darüber, dass ein Netzausbau, und zwar ein zügiger Netzausbau, notwendig ist. Der Netzausbau ist ein wesentlicher Teil der Energiewende, und darüber besteht innerhalb der Bundesregierung auch Einigkeit.

Mit der Vorlage des jetzt zu besprechenden EEG-Eckpunktepapiers hat sich diese Geschäftsgrundlage in keiner Weise geändert. Nach wie vor ist Grundlage für den Netzausbau der sogenannte Bundesbedarfsplan, also auch das Bundesbedarfsplangesetz. Das ist seit Juli in Kraft, also gerade einmal seit sechs Monaten. Das ist vom Gesetzgeber verabschiedet worden und gilt so.

Die geplanten Änderungen des Ausbaupfads - zum Beispiel für erneuerbare Energien - stellen weder die Dringlichkeit des Netzausbaus noch die gesetzliche Bedarfsfeststellung für die vordringlichen Vorhaben des Bundesbedarfsplans infrage. Es bleibt also erst einmal alles so, wie es ist.

Davon zu unterscheiden ist allerdings der auch im Gesetz schon vorgesehene Szenario-Rahmen des Netzentwicklungsplans. Der wird jährlich erneuert und aufgrund der aktuellen Gegebenheiten durch die Übertragungsnetzbetreiber aktualisiert. Die machen das jedes Jahr, und alle drei Jahre fließt das wiederum in ein neues Bundesbedarfsplangesetz ein. So gesehen gibt es sowohl Reaktionen auf Veränderungen als auch die Grundlage des Gesetzes, das gilt. Die besagte Trasse ist in diesem Bundesbedarfsplangesetz eine vordringliche Maßnahme, und die gilt so.

Zusatzfrage: Heißt das, es ist nicht abzusehen, dass es an diesen großen Trassen, die geplant sind, irgendwelche Änderungen geben könnte?

Alemany: Das Bundesbedarfsplangesetz gilt, richtig.

Frage: Ich habe eine Frage an Herrn Seibert. Die Kanzlerin hatte sich am Samstag in Erfurt auch dahingehend zu diesem Thema geäußert, dass sie auf der einen Seite Verständnis für die Position oder Forderung von Herrn Seehofer gezeigt hat, aber gleichzeitig auch die Dringlichkeit oder Notwendigkeit des Netzausbaus betont hat. Wie kann man das jetzt eigentlich verstehen? War das praktisch das Machtwort an Herrn Seehofer, oder war das im Grunde genommen eher geäußertes Verständnis? Ich fand, das war noch nicht ganz klar.

StS Seibert: Wie immer muss ich Ihnen die Interpretation überlassen. Ich finde das aber in diesem Fall nicht so schwierig zu verstehen, wenn ich das sagen darf, weil sich die Kanzlerin doch eigentlich nur auf einen der absoluten Grundsätze bezogen hat, der hinsichtlich der Energiewende herrscht und den wir im Übrigen sowohl im Koalitionsvertrag als auch in den Eckpunkten, die das Kabinett beschlossen hat, niedergelegt haben. Der Grundsatz ist: Wir wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Planung für die Netze beziehungsweise die künftigen Trassen miteinander verknüpfen.

Alle Beteiligten wissen - das ist ja gerade auch wirklich sehr klar gesagt worden -, dass die Trassen ausgebaut werden müssen. Darüber herrscht Einigkeit. Es wird den Ausbau geben, der notwendig ist. Aber diese Notwendigkeit kann eben nicht zum Punkt X ein für alle Mal definiert werden, sondern die wird auch immer wieder neu zu definieren sein. In nächster Zeit werden Gespräche mit den Netzbetreibern und der Netzagentur stattfinden, um genau diese Forderung, den Ausbau der erneuerbaren Energien mit der Planung für die Netze zu verknüpfen, Wirklichkeit werden zu lassen.

Im Übrigen will ich auch noch sagen, dass allen Beteiligten in der Politik wie bei den Betreibern auch klar ist, dass sie dabei hinsichtlich der Fragen und auch Sorgen der Bürger durchaus sensibel vorgehen müssen. Die Energiewende - weg von der Kernkraft, hin zu den erneuerbaren Energien - ist ein Projekt für alle in unserem Land. Das braucht das Verständnis der Bürger. Die Frage, wie wir sie einbeziehen können und wie wir sie anhören können, ist dieser Bundesregierung ein großes Anliegen, ein großes Thema.

Zusatzfrage: Heißt das, die Kanzlerin sieht in dieser Frage keinen Dissens mit Herrn Seehofer?

StS Seibert: Ich glaube, sie hat sich dazu am Samstag sehr klar geäußert, und jetzt habe ich es noch einmal getan. Ich weise auf das hin, was uns alle in dieser Regierung und alle Koalitionspartner miteinander verbindet, nämlich auf diesen Grundsatz, den Ausbau der erneuerbaren Energien und die weitere Entwicklung des Netzes beziehungsweise den Bau künftiger Trassen miteinander zu verknüpfen. Dies ist ein dynamischer Prozess. Deswegen werden demnächst Gespräche geführt werden, um die Notwendigkeit für den Ausbau tatsächlich immer wieder neu festzulegen.

Frage: Herr Seibert, Sie sagten eben, dass dazugehöre, dass dieser Ausbau gegebenenfalls immer wieder neu definiert werden müsse. In welchem Umfang denn? Müssen die Trassen, die da geplant werden, auch definiert werden? Stehen die zur Disposition, oder sind die großen Vorhaben eigentlich fix?

StS Seibert: Es ist jetzt nicht an mir, einzelne Vorhaben zu diskutieren. Ich kann das, ehrlich gesagt, auch nicht tun. Klar ist, dass die Bundesnetzagentur auf der Basis neuer Berechnungen der Übertragungsnetzbetreiber prüfen muss, welche Auswirkungen es auf notwendige Leitungsbaumaßnahmen hat, wenn man beispielsweise die Geschwindigkeit des Ausbaus der erneuerbaren Energien anpasst oder wenn man Erzeugungsspitzen kappt. Darüber ist zu reden, und das ist ein dynamischer Prozess.

Frage: Herr Seibert, gibt es schon einen Termin für dieses Gespräch mit den Netzbetreibern?

Würden Sie sich für die Bundesregierung dem Satz anschließen, dass es dabei wie bei vielen anderen Dingen auch um Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht, also dass es auf den einen oder anderen Monat nicht ankommt?

StS Seibert: Einen Termin kann ich Ihnen noch nicht nennen.

Wenn wir jetzt in Ruhe diese Gespräche führen, dann geht es ja hinsichtlich des Planungsprozesses nicht um Verzögerungen von vielen Jahren, sondern es geht um einige Monate, die wir uns nehmen sollten, um die richtige Reihenfolge in die Sache hineinzubringen, den Bedarf festzustellen, dann den Leitungsbau in Angriff zu nehmen und dabei die Bürger mitzunehmen.

Frage: An das Wirtschaftsministerium: Aus der Partei Ihres Ministers gibt es ja die Forderung, die Kanzlerin müsse jetzt einmal ein Machtwort in Richtung Bayern sprechen. Finden Sie, das ist am Wochenende geschehen, oder schließt sich der Wirtschaftsminister dieser Forderung seiner Partei an?

Alemany: Die Kanzlerin hat sich am Wochenende geäußert. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Wenn ich darf, kann ich aber vielleicht noch einmal kurz den Sachstand zu dem von Ihnen angesprochenen Projekt Sued.Link erläutern. Erst einmal ist das eine Ankündigung der beiden Netzbetreiber TenneT und TransnetBW. Jetzt ist erst einmal die informelle Phase in diesem Planungsprozess angebrochen, und es gibt noch gar keine Festlegung dazu, wie so eine Trasse auszusehen hat. Die möglichen Korridore müssen erst einmal bei der BNetzA beantragt werden. Die prüft das dann noch einmal, und erst damit beginnt das formelle Verfahren der Bundesfachplanung. Dabei gibt es dann verschiedene Verfahrensstufen, die alle auch im NABEG festgelegt sind. Vorgesehen ist eine umfangreiche Beteiligung der Träger öffentlicher Belange der Bundesländer und auch der normalen Öffentlichkeit. Das ist also ein sehr transparentes Verfahren, wie Herr Seibert auch schon gesagt hatte. Dabei wird nicht über die Köpfe der Leute oder der Bundesländer hinweg entschieden. So viel vielleicht zur Klärung.

Frage: Darf ich noch einmal kurz nachfragen, weil Sie noch einmal auf das Verfahren hingewiesen haben? Wenn Herr Seibert jetzt sagt, man werde sich einige Monate Zeit nehmen, heißt das dann, dass die Konsultationen trotzdem noch in diesem Rahmen bleiben, oder ist es jetzt möglicherweise ein Aufschub, wenn die Gespräche mit den Netzbetreibern dem noch vorgeschaltet werden?

Alemany: Ich glaube, dabei geht es einfach insgesamt um Gespräche, die zum Beispiel auch unser Minister im Rahmen des ganzen Bündels der EEG-Eckpunkte und der EEG-Reform mit den Bundesländern und mit der EU-Kommission führt. Der Teil der Bundesfachplanung zu einer einzelnen Trasse ist davon unberührt. Der verläuft sowieso über mehrere Jahre und hat verschiedene Verfahrensstufen. Jeder der Beteiligten ist bemüht, diese möglichst zielführend zu einem Ende zu bringen. Das schließt weitere Gespräche ja nicht aus.

Zusatzfrage: Heißt das, man läge auch mit diesen Gesprächen noch in dem Zeitrahmen, wie er im Gesetz vorgesehen ist?

Alemany: Noch einmal: Das eine sind Gespräche über Anpassungsbedarfe in diesem NEP, also dem Netzentwicklungsplan, und das andere sind einzelne Trassen und Bundesfachplanungen, die nach bestimmten Verfahren ablaufen. Je zügiger oder je zielorientierter dabei miteinander gesprochen wird oder je schneller die Öffentlichkeit daran beispielsweise beteiligt werden kann, desto schneller können die zum Abschluss gebracht werden. Das hat jetzt nichts mit überrangingen Gesprächen zu tun. Das sind einfach zwei verschiedene Ebenen.

Frage: Ich habe eine Frage an das Justizministerium: Frau Zimmermann, was genau plant der Justizminister, um den Mord-Paragrafen zu reformieren oder abzuschaffen? Wie weit sind diese Planungen denn bisher gediehen?

Zimmermann: Ich kann dem, was der Minister am Samstag in dem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" gesagt hat, hier jetzt nichts anderes hinzufügen. Der Minister hat sich ja dahingehend geäußert, dass im Justizministerium eine Expertengruppe eingerichtet wird, dass diese aus Fachleuten aus dem Ministerium, aber auch aus der Praxis und aus der Wissenschaft bestehen wird und dass diese Gruppe dann eine fundierte Grundlage für die weiteren Diskussionen schaffen wird. Aber einen ganz konkreten Zeitplan kann ich Ihnen hier jetzt nicht nennen.

Zusatzfrage: Es gibt ja schon sehr klare Vorschläge von Anwälten. Die sagen, das sei im Grunde ganz einfach, man müsse das so und so formulieren. Warum muss trotzdem eine Expertenkommission einberufen werden? Das ist die erste Frage.

Zweitens: Gibt es auch Überlegungen, andere Teile des Strafgesetzbuchs, die aus der Nazizeit stammen - zum Beispiel in Bezug auf Nötigung -, zu reformieren, was von der Opposition gefordert wird? Hat der Justizminister darauf auch ein Auge?

Zimmermann: Die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins ist uns natürlich bekannt. So einfach, wie Sie es gerade sagten, ist das natürlich auch nicht; die Stellungnahme ist fast 100 Seiten lang. Insofern ist es jetzt natürlich nicht damit getan, dass man sagt "Jetzt übernehmen wir irgendwelche konkreten Vorschläge". Selbstverständlich ist die Anwaltschaft auch ein Bereich aus der Praxis, der in einer solchen Expertengruppe durchaus vertreten sein wird.

Hierbei geht es jetzt zunächst einmal primär um die Änderung des Mord-Paragrafen, des Todschlag-Paragrafen. Inwiefern darüber hinausgehend Änderungen am Strafgesetzbuch vorgenommen werden werden, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen.

Frage: Gerade für ausländische Beobachter dürfte es ja befremdlich sein, dass offenbar immer noch so viele Begrifflichkeiten und Regelungen aus der Nazizeit in unserem Gesetzbuch sind. Was ist eigentlich der Grund dafür? Warum hat man das Gesetzbuch sozusagen nicht entnazifiziert?

Zimmermann: Ich kann Ihnen aus dem Stegreif nicht sagen, warum es keine Grundüberholung gab. Das Strafgesetzbuch existiert meines Wissens schon seit Ende des 18. Jahrhunderts, also schon vor der Nazizeit, und es gibt Paragrafen, die aus der Zeit stammen.

Wie gesagt, warum es keine Generalüberholung nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat, kann ich Ihnen jetzt nicht konkret sagen.

Frage : Eine Frage an die Herren Dienst und Schäfer im Zusammenhang mit einem möglichen Ausbildungseinsatz der Bundeswehr in Mogadischu. Es heißt, die Einschätzung der Bundesregierung habe sich geändert, was die Sicherheitslage in Somalia angeht. Worauf beruht denn eine mögliche geänderte Einschätzung?

Schäfer: Ich habe das gelesen, was der "Spiegel" gestern geschrieben hat, Herr Blank, und kann Ihnen dazu sagen, dass es derzeit Beratungen im Ressortkreis - natürlich im Wesentlichen zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und dem Auswärtigen Amt - zu dem Umgang mit dem Fall Somalia gibt.

Ich würde noch ergänzen wollen, dass der Fall Somalia bereits seit einigen Jahren im Fokus steht. Das Land ist seit Jahrzehnten von einem Bürgerkrieg zerrissen. Seit dem vorvergangenen Jahr, also seit 2012, sehen wir auch durch europäische und internationale Bemühungen eine Stabilisierung der Lage. Es gibt in Mogadischu eine legitime Regierung. Die Piraterie vor dem Horn von Afrika, im Wesentlichen vor der somalischen Küste, ist mit Hilfe der EU-Mission ATALANTA, der Mission EUCAP Nestor und auch mit den Aktivitäten der Nato unter Kontrolle. Das ist eine wirkliche Erfolgsgeschichte. Die Piraterie unter Kontrolle zu bringen, ist nicht nur gut für die globale Schifffahrt vor dem Horn von Afrika, sondern auch für die politische Stabilisierung von Somalia gut und wichtig.

Das Thema "Somalia und eine mögliche Beteiligung an einer Ausbildungsmission" ist, wie gesagt, Gegenstand von Beratungen zwischen den Ressorts. Eine wie auch immer geartete politische Entscheidung über eine Beteiligung Deutschlands und der Bundeswehr an einem solchen Einsatz kann ich Ihnen noch nicht vermelden. Das würde sich auch nicht gehören, sondern das muss natürlich zunächst mit anderen Gremien, unter anderem mit Gremien des Bundestages, besprochen werden.

Zusatzfrage : Was Sie jetzt gesagt haben, bezieht sich auf die Entwicklung in den vergangenen Jahren, wie Sie selber gesagt haben. Nun ist im Dezember ausdrücklich mit Verweis auf die Sicherheitslage in Mogadischu entschieden worden, dass man dem nicht folgt und nicht nach Mogadischu geht. Was hat sich denn in den letzten sechs Wochen geändert?

Schäfer: Die Entscheidungen über den Abzug oder die Rückkehr der deutschen Soldaten aus der Ausbildungsmission in Somalia im vergangenen Jahr sind Entscheidungen, die eine andere Bundesregierung getroffen hat. Jetzt gibt es die neue Frage, die vor uns und vor der Europäischen Union steht, wie wir uns zu der Ausbildungsmission für Somalia auf somalischem Boden stellen. Diese Frage wird im Lichte der Sicherheitslage und auch im Lichte anderer Erwägungen neu entschieden.

Dienst: Man muss darauf hinweisen, dass wir schon seit geraumer Zeit in Uganda an der Ausbildungsmission neben vielen anderen EU-Nationen beziehungsweise zum Teil auch nicht EU-Nationen auf Basis eines Kabinettsbeschlusses mit bis zu 20 deutschen Soldaten teilgenommen haben. Die EU hat im letzten Jahr den Beschluss gefasst, die Mission aus Uganda nach Mogadischu zu verlegen. Wir haben es in der Folge dieses Entschlusses für uns erst einmal so beurteilt, dass die Sicherheitslage und die Rahmenbedingungen nicht ausreichend beurteilt werden konnten.

Sie fragen ja, was sich inzwischen geändert hat. Seit Mitte Dezember sitzt nun die EU in Mogadischu mit zehn Nationen - Italien, Spanien, Finnland, Großbritannien, Irland, Ungarn, Serbien, Schweden, Portugal -, die dort in mehr oder weniger großen Kontingenten vertreten sind, und diese geben natürlich auch wieder ein Feedback, wie die Sicherheitslage nun wirklich vor Ort ist. Das ist nun über die vergangenen acht Wochen passiert, und diese Sicherheitseinschätzung wird über die Gremien der EU transportiert. Natürlich sind unsere Institutionen namens des Einsatzführungskommandos auch - in Anführungszeichen - nah am Puls der Zeit beziehungsweise am Puls der aktuellen Bewertung.

Nun kommt man zu dem Schluss, dass es vertretbar sein könnte, dort wieder einzusteigen. Die Vorbereitungen, die Herr Schäfer beschrieben hat, laufen nun. Aber das alles präjudiziert noch keinen Beschluss, wie nun wirklich politisch vorzugehen ist, sondern es sind einfach reine vorbereitende Maßnahmen, ohne diese vorbereitenden Maßnahmen nun zu tief stapeln zu wollen.

Zusatzfrage : Haben Sie einen zeitlichen Ansatz, bis wann man Genaueres weiß, also bis wann entschieden sein könnte?

Dienst: Ich sage es jetzt ein bisschen salopp, damit das klar wird: Man kann ja nicht 50 Mann unter den Arm nehmen und nach Mogadischu fliegen oder fahren und sagen "Hier sind wir jetzt, und wir machen jetzt einfach Ausbildung", sondern das folgt, wie bei allen anderen Missionen auch, immer einem sehr strengen Reglement beziehungsweise einer Konfiguration, welche Nationen für welche Dienstposten eingebracht werden. Diese Gesamtkonfiguration wird sozusagen ausgeschrieben, um volksverständlich zu bleiben, und die Nationen können sich dann nachher auf diese ausgeschriebenen Dienstposten bewerben. Was uns anbelangt, kann man einer solchen Ausschreibung natürlich nur folgen, soweit unser Rechtsrahmen stimmig ist.

Die nächste Runde, also was die Fortschreibung, Ausschreibung dieser Ausbildungsmission in Somalia angeht, wird seitens der EU ungefähr um den Monat April - ohne dass Sie mich jetzt auf einen Termin festnageln, Sie müssten bei der EU nachfragen - durchgeführt.

Schäfer: Ich habe dem, was Herr Dienst zu sagen hat, nichts hinzuzufügen. Das ist alles völlig korrekt, auch aus Sicht des Auswärtigen Amtes.

Nur zwei Sätze aus Anlass des gestrigen "Spiegel"-Artikels allgemein zu Afrika: Das Thema "Afrika" ist im Fokus der Bundesregierung. Das ist unter anderem auf der Kabinettsklausur in Meseberg zur Sprache gekommen, und das ist auch auf der letzten Kabinettssitzung zur Sprache gekommen. In diesen Besprechungen bestand Einigkeit, dass es sinnvoll und zweckmäßig ist, sich mit dem Thema "Afrika" ressortübergreifend intensiver zu beschäftigen - und zwar nicht nur unter dem Gesichtspunkt "Militäreinsatz hier, Militäreinsatz dort", sondern Afrika ist eben viel mehr als nur Krisenbewältigung mit militärischen Mitteln oder mit Hilfe von Soldatinnen und Soldaten.

Der Bundesaußenminister hat für die nächste Woche einige besonders mit Afrika befasste Kollegen aus dem Kabinett in das Auswärtige Amt eingeladen. Das ist Anlass und Startschuss für eine konkrete Befassung mit dem Thema "Afrika" mit dem Ziel, ein breit angelegtes Konzept vielleicht auch mit Impulsen für Europa zu erarbeiten, auf dessen Grundlage wir uns mit dem großen Kontinent Afrika beschäftigen, der weit mehr ist als ein Kontinent der Krisen. Da gibt es eine Menge Chancen, da gibt es eine Menge Beispiele für gelungene Entwicklungen, insbesondere in Ost-Afrika, um die wir uns kümmern wollen und von denen wir hoffen, dass wir einen Beitrag dazu leisten können, Stabilisierung zu erreichen, aber vielleicht auch eigene wirtschaftliche Chancen zu nutzen.

Frage: Herr Schäfer oder Herr Dienst, würden Sie mir noch einmal erklären, warum die Bundesregierung anders als die europäischen Partner seinerzeit zu dem Schluss kam, aus diesem Projekt auszusteigen?

Ich habe immer noch nicht ganz begriffen, was sich seitdem geändert hat. Ist das bereits das Ergebnis einer Prüfung? Wenn ja, wer hat diese Prüfung vorgenommen?

Dienst: Wir selber haben seit September 2013 ein sogenanntes Fact Finding Team im Einsatz gehabt. Das sind Leute des Einsatzführungskommandos, die die Rahmenbedingungen vor Ort mit beurteilt haben. Aus der damaligen Perspektive war es so, dass man unter deutschen Maßstäben nicht endgültig abschätzen konnte: Ist es nun hinreichend sicher in Mogadischu, oder ist es das nicht? Diese Abschätzung macht jede Nation letztendlich für sich selbst, unabhängig davon, ob die Europäische Union den Gesamtrahmen dieser Ausbildungsmission und auch die Stationierung dieser Ausbildungsmission festlegt.

Wir haben damals gesagt: Die Parameter, die im dritten und vierten Quartal letzten Jahres bekannt waren, waren nicht hinreichend, um diese Mission einfach im sogenannten Umklappverfahren fortzuführen. Wir stehen hier durchaus an der Schwelle, ein Bundestagsmandat eingehen zu müssen, wo wir vorher auf Basis eines Kabinettsbeschlusses gearbeitet haben. Allein dieser qualitative Unterschied ist im Parlamentsbeteiligungsgesetz aus gutem Grund so festgelegt, ist also sozusagen eine Wasserscheide. Wir haben jetzt bessere Argumente, weil wir eben acht Wochen die EU vor Ort als Beurteiler haben, wo wir vorher eben letztendlich drei Monate eigene und EU-Beurteiler im Nachbarland gehabt haben. Das ist schon ein qualitativer Unterschied.

Zusatzfrage: Wie würden Sie denn im Moment die Sicherheitslage in Somalia/Mogadischu beschreiben?

Dienst: Ich selber kann Ihnen hier keine Einschätzung ausrollen, die nun täglich wiedergegeben wird. Fakt ist: Es handelt sich um eine Krisenregion. Somalia ist ja alles andere als ein stabiler Staat. Wir werden leider immer wieder in die Situation gestellt, dass wir zerfallene Staaten wieder einrichten müssen, sodass man wieder von einem Staatengebilde oder irgendwelchen Regierungsinstitutionen reden kann. Eigentlich - ich könnte jetzt an das anknüpfen, was Herr Schäfer hinsichtlich der übergeordneten Linien der Bundesregierung gesagt hat - muss man irgendwann auch einmal dahin kommen, prophylaktisch einzugreifen, bevor solche Staaten zerfallen. Dann ist es im Zweifelsfall sicherer, dort Soldaten zu stationieren, als eben Soldaten in einem zerfallenen Staat zu stationieren. Wenn wir das THW hinschicken könnten, bräuchten wir nicht über ein Bundestagsmandat zu verhandeln.

Schäfer: Aus meiner Sicht eine kurze Ergänzung, ich hatte das eben schon angedeutet: Die politische Lage in Somalia verbessert sich seit etwa Mitte 2012. Es sind jetzt 18 Monate, in denen es nicht nur in Mogadischu, sondern auch in einigen Landesteilen deutlich zu einer Stabilisierung der Lage gekommen ist. Es gibt immer noch terroristische Gruppen - allen voran Al-Shabaab, aber auch andere -, die ihr Unwesen treiben. Deshalb bleibt das Land etwa im Vergleich zur Lage in West-Europa oder in Deutschland extrem gefährlich, aber in einer schlechten Situation ist die Sicherheitslage eindeutig besser geworden.

Zusatzfrage: Herr Schäfer, gehen Sie denn davon aus, dass alleine die Verlegung der Mission von Uganda nach Mogadischu bei deutscher Beteiligung ein Bundestagsmandat erzwingen würde?

Schäfer: Herr Dienst wird mir widersprechen, wenn ich etwas Falsches sage. Ich glaube, der "Trigger" für die Notwendigkeit eines Bundestagsmandats ist die Sicherheitslage vor Ort. Während das in Uganda in den letzten zwei Jahren durchgeführt wurde, gab es keine Sicherheitsbedenken, die es erforderlich gemacht hätten, die Bundeswehrsoldaten in einer bestimmten Weise auszustatten. Das fand in einem friedlichen Gelände im Norden Ugandas in Bihanga statt. Allein der Umstand der Rückverlegung dieser Mission nach Somalia zeigt einerseits: Die Lage in Somalia ist so, dass man eine Ausbildungsmission in das Land zurückverlegen kann. Andererseits bedeutet sie für uns, dass womöglich die Gefährdungslage für die daran teilnehmenden Deutschen eine andere als in Uganda ist.

Dienst: Wenn Sie jetzt unter Rechtsgelehrte gehen, dann kommen Sie zu dem Punkt, dass Sie vorher Ausbildung im neutralen Nachbarland gemacht haben, und jetzt machen Sie Ausbildung für eine der am Konflikt beteiligten Parteien im betroffenen Land. Das ist ja ein qualitativer Unterschied. Sie kommen also zu diesem Punkt, wenn Sie, wie gesagt, unter Rechtsgelehrte gehen. So habe ich die Rechtsgelehrten verstanden, mit denen ich gesprochen habe. Das hat aber jetzt schon wieder Seminarcharakter. Wir wollen Ihnen hier nur mitgeben, dass an der ganzen Sache letztendlich nichts Sensationelles ist, weil wir das nun schon seit Jahren machen. Es macht auch Sinn, wie Herr Schäfer das hoffentlich eingestielt hat, wenn ich das so salopp formulieren darf.

Es ist auch so, dass es sich bei der Infrastruktur, in die die EU jetzt schon geht und in die wir dann vielleicht auch gehen könnten, letztendlich um drei Orte handelt: Das ist einmal der Flughafen Mogadischu selbst, dann ein Ausbildungscamp, das ungefähr anderthalb Kilometer vom Flughafen entfernt ist, sowie ein Hauptregierungsgebäude, in dem Ausbildung und Mentoring betrieben werden. Diese Installationen sind natürlich im Fortgang der Mission, beflügelt durch die Tatsache, dass die EU jetzt vor Ort ist, entsprechend so gehärtet, ausgebaut worden, wie Sie das alles von Afghanistan her kennen. Die Bilder, die Sie aus Afghanistan kennen, was solche Installationen und Infrastruktur angeht, in der ausgebildet wird und wo wir auch Afghanen ausbilden, können Sie einfach vom Bild her auf das umschlagen, was in Mogadischu und Umgebung zu finden sein wird. Wie gesagt, wenn es ungefährlich wäre, wenn die Sicherheitslage stabil und nicht labil wäre, könnte man auch das THW hinschicken.

Frage : Herr Schäfer, Sie sagten gerade, es gehe darum, ein breit angelegtes Konzept für Afrika zu entwickeln. Es gibt dieses Afrika-Konzept ja schon aus der Feder von Herrn Lindner. Ist dieses Papier, das ja ein relativ umfangreiches Werk ist, jetzt obsolet oder hat es sich nicht bewährt? Warum jetzt etwas Neues?

Schäfer: Die Zeit ist seit 2010 nicht stehen geblieben, die Welt hat sich weiter gedreht, wir haben uns weiterentwickelt, und Afrika hat sich auch verändert. Deshalb gibt es aus Sicht des Außenministers und der Bundesregierung Anlass, sich darüber zu beugen und es der Zeit anzupassen.

Frage: Herr Schäfer, wird das nächste Woche ein Gespräch des Ministers mit den betroffenen Ministern, also beispielsweise mit Herrn Müller und Herrn Gabriel, sein oder wird es ein Gespräch unter Experten sein, bei dem der Gastgeber Herr Steinmeier sein wird und es eine kurze Begrüßungsrunde geben wird?

Schäfer: Ich verstehe das als ein Gespräch der Minister.

Zusatzfrage: Können Sie bitte noch sagen, welche Minister eingeladen sind?

Ist das Ziel ein neues Afrika-Konzept, das der Bundesaußenminister im Auftrag der Bundeskanzlerin entwirft?

Schäfer: Nein. Es kann durchaus sein, dass das das Ergebnis ist. Es ist ein Austausch von mit Afrika ganz besonders befassten Mitgliedern der Bundesregierung zu dem Thema "Afrika".

Zusatzfrage: Welche Minister gehören dazu?

Unabhängig davon bilden sich die Verteidigungsministerin und die Bundeskanzlerin ihre Meinung zu Afrika. Habe ich das so richtig verstanden?

Schäfer: Es ist doch völlig selbstverständlich, dass jeder, der für sein Ressort spricht und für sein Ressort handelt, sich auch ein eigenes Bild bildet. Das ist doch völlig normal und entspricht dem Ressortprinzip. Worum es geht, ist, die unterschiedlichen Perspektiven und Blickweisen, die es wegen der Verantwortung für unterschiedliche Ressorts gibt, in ein kohärentes großes Ganzes einzubinden. Das finde ich ganz normal, und ich finde daran auch nichts ungewöhnlich.

Zusatzfrage: Jetzt haben Sie leider immer noch nicht die Minister genannt. Wollen Sie nicht?

Schäfer: Ich kann das im Moment nicht. Es liegt ja auf der Hand, dass der Kollege aus dem BMZ und Frau von der Leyen dabei sind. Wer sonst noch dabei ist, vermag ich zurzeit nicht zu sagen. Das kann ich natürlich nachreichen.

Frage: Herr Dienst, Sie sprachen vorhin von Stellenausschreiben. Wenn die Entscheidung für eine Beteiligung der Bundeswehr in Somalia fallen sollte: Welche Möglichkeiten gäbe es denn da, sich zu engagieren?

Dienst: Das hängt dann ja letztlich von dem Stellenplan ab - in der Fachsprache nennt sich das "Crisis Establishment". Die Frage ist dann: Welche Stellen aus diesem Plan besetzen die Nationen, die ich Ihnen eben aufgezählt habe, bereits, welche Stellen werden sie weiter besetzen, wo sind Vakanzen, die zu besetzen sind, und welche Stellen kommen neu hinzu? Dann beugen wir uns darüber und schauen, ob wir die Fähigkeiten haben, die dort gefordert sind, und wenn ja und wenn das politisch gewollt ist, dann werden wir uns genau da einbringen.

Zusatzfrage: Welche Stellen die anderen Nationen besetzen, dürfte ja klar sein, weil sie ja schon arbeiten. Lässt sich noch nicht ablesen, was da zu besetzen wäre?

Dienst: So klar ist es eben nicht. Wie ich Ihnen sagte: Wenn die Konfiguration geändert wird und man bestimmte Ausbildungsmodule mit hinzunimmt, dann ändert sich ja der Stellenplan. Es mag auch sein, dass andere Nationen ihr Engagement verändern, indem sie weniger oder mehr machen. Ihre Frage ist verständlich, aber ich kann Ihnen nur sagen, was wir in der Vergangenheit gemacht haben: In der Vergangenheit haben wir uns auf zivil-militärische Zusammenarbeit - der Fachbegriff dafür ist CIMIC - konzentriert und am Hauptquartier gestellt, und in ganz früher Zeit der Ausbildungsmission haben wir auch einmal Fernmeldepersonal ausgebildet. Wir werden sehen - wenn es dazu kommt -, wen wir diesmal ausbilden und was wir anbieten.

Frage: Herr Narzynski, vielleicht auch Herr Seibert: Zum wiederholten Mal hört man aus Griechenland, dass man überhaupt kein drittes Rettungspaket mehr brauche; der Ministerpräsident sagt das, der Finanzminister sagt das. Ist damit eigentlich das dritte Paket obsolet? Denn man kann ja schlecht jemandem, der kein Hilfspaket will, ein Hilfspaket verordnen.

Was ist denn mit den Erleichterungen, die die Regierungsvertreter in Athen fordern, also zum Beispiel niedrigere Zinsen und Laufzeitverlängerungen? Ist das naturgemäßer Inhalt eines dritten Paketes, oder wäre das auch außerhalb eines dritten Paketes auf unkomplizierter Ebene mit den Geldgebern zu vereinbaren?

Narzynski: Zu diesen Fragen hat sich der Minister gestern Abend ja auch geäußert. Er hat auf das, was berichtet wird, auch gesagt, dass Griechenland sehr große Fortschritte gemacht hat und dass die Bemühungen Griechenlands Erfolge zeigen, die wir an vielen Stellen sehen. Er hat darauf verwiesen, dass wir bereits als das zweite Programm aufgestellt worden ist, in diesem Programm vorgesehen haben, dass zum Ende der Laufzeit des zweiten Programms überlebt werden wird, wie man nach Ende des zweiten Programms weiter vorgeht.

Insofern gibt es überhaupt keinen Dissens zwischen dem, was Sie gerade zitiert haben, und dem, was von unserer Seite gesagt wird. Es ist eben von Anfang an verabredet worden, dass man sich das zum Ende der Laufzeit des zweiten Programms anschauen wird, sehen wird, wie weit Griechenland ist, welche Bedarfe eventuell bestehen, welche Möglichkeiten es gibt, und dann das weitere Vorgehen entscheiden wird. Dieser Zeitpunkt wird kommen, aber er ist jetzt im Moment nicht da. Insofern gibt es da eine große Übereinstimmung zwischen dem, was Sie jetzt aus Griechenland dargestellt haben, der Reaktion, die wir darauf haben, und dem, was Minister Schäuble dazu gestern Abend erklärt hat.

Die Frage, in welcher Weise man vorgehen will, ist dann Gegenstand dieser Beratungen. Wenn man also entscheiden wird, wie es nach dem Ende des zweiten Programms weitergeht, wird man sich das anschauen und darüber entscheiden müssen.

Zusatzfrage : Ehrlich gesagt verstehe ich das nicht. Sie sagen - völlig klar -, man werde sich das anschauen und Ähnliches. Wenn der Delinquent, der letztendlich Hilfen braucht oder auch nicht, sagt "Ich brauche keins mehr" - das haben der Ministerpräsident und der Finanzminister wiederholt in Interview gesagt -, ist dann am Ende womöglich gar eine Lösung, dass man von Helferseite entscheidet: Du musst aber noch eins nehmen? Oder ist die Idee eines dritten Hilfspakets gestorben, wenn der Hilfsempfänger nicht will? Was ist das jetzt noch zu beschließen, was will man Mitte des Jahres - zu diesem Zeitpunkt will man ja miteinander darüber reden, ob es noch einmal ein Paket gibt - noch bereden, wenn Griechenland sagt "Wir brauchen keins"?

Narzynski: Zunächst würde ich den Begriff "Delinquent" zurückweisen; das ist sicherlich kein Begriff, der in irgendeiner Weise auf Griechenland oder ein anderes Land zutreffen würde. Ich habe ja schon darauf hingewiesen, dass wir die großen Leistungen, die Griechenland erbracht hat, und die Erfolge, die das Land auch erzielt hat, sehr stark würdigen. Insofern möchte ich, wie gesagt, diesen Begriff für uns zurückweisen.

Noch einmal: Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem, was Sie aus Griechenland berichtet haben, und dem, was ich jetzt dazu gesagt habe und was Minister Schäuble gestern dazu gesagt hat. Man wird sich anschauen, ob es nach dem Ende des zweiten Programms einen Bedarf gibt. Das schließt ja nicht aus, dass es jetzt eine Einschätzung dazu gibt, ob es diesen Bedarf gibt. Aber im zweiten Programm ist bereits festgelegt worden, dass man sich die Situation zum Ende des dritten Programms anschauen wird. Dass die Einschätzung der griechischen Regierung dabei eine große Rolle spielt, ist sicherlich selbstverständlich.

Frage: Eine Frage an das Innenministerium zur doppelten Staatsbürgerschaft: Herr Paris, es scheint ja nun bei der Definition des Kriteriums des In-Deutschland-aufgewachsen-Seins darauf hinauszulaufen, dass man das am Schulabschluss festmacht. Wie ich höre, gibt es große Zweifel daran, dass sich das rechtlich festklopfen lässt, auch innerhalb der Koalition. Wie begegnet der Minister diesen Zweifeln, die ja schon sehr deutlich artikuliert werden? Berührt Sie das bisher gar nicht?

Paris: Es ist so, dass wir jetzt einen Gesetzentwurf zu diesem Thema vorlegen. Das passiert diese Woche. Das ist ein Gesetzentwurf, der dann in die sogenannte Ressortabstimmungen gehen wird. Letztendlich gibt es einen Koalitionsvertrag, der zwischen den Koalitionspartnern CDU, CSU und SPD vereinbart worden ist. Da ist diesem Thema auf Seite 11 folgende Aussage gewidmet worden: "Wer in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, soll seinen deutschen Pass nicht verlieren und keiner Optionspflicht unterliegen." Später, auf Seite 105, heißt es noch: "Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert. Im übrigen bleibt es beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht."

Das ist in der Aussage sehr klar. Deshalb haben wir jetzt einen Gesetzentwurf erarbeitet und legen ihn, wie gesagt, in dieser Woche vor. Bei einem Merkmal, nämlich dem Merkmal des In-Deutschland-geboren-Seins, gibt es eine ganz einfache Nachweismöglichkeit, nämlich die Geburtsurkunde. Beim zweiten Merkmal des Aufgewachsen-Seins - das hat der Minister, denke ich, gestern im "Tagesspiegel" noch einmal deutlich erwähnt - gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist, dass Sie das Tatbestandsmerkmal des Aufgewachsen-Seins durch einen Schulabschluss nachweisen - egal, welcher Natur er ist; es sollte aber ein deutscher Schulabschluss sein. Die zweite Möglichkeit ist, das Aufgewachsen-Sein damit nachzuweisen, dass man über entsprechende nachweisen kann, dass man einen längeren Zeitraum hier in Deutschland gelebt hat und damit auch in Deutschland aufgewachsen ist. Das ist das integrative Moment.

Das wird jetzt diskutiert. Dazu haben uns bisher noch keine Meinungen auf dem Abstimmungswege erreicht. Wir sind auch der Auffassung, dass es da so, wie das ausgestaltet ist, keine rechtlichen Probleme gibt. Letztendlich sind Gesetze so zu gestalten, dass sie auch möglichst leicht handhabbar sind, dass sie keinen überbordenden Verwaltungsaufwand erzeugen. Deshalb auch die Bindung an den Schulbesuch und an den Schulabschluss; denn für diejenigen, die es betrifft, ist das relativ leicht nachweisbar. Wenn ich einen Schulabschluss in Deutschland erworben habe, dann kann ich diesen Nachweis führen. Diesen Schulabschluss schmeißen Sie ja auch nicht weg, wenn Sie die Schulzeit erfolgreich beendet haben, denn Sie möchten mit diesem Schulabschluss dann ja auch andere Dinge erreichen - beispielsweise eine Ausbildung oder Ähnliches. Deshalb ist diese Variante eine unbürokratische und leichte Variante. Die andere Variante ist etwas schwieriger, ist aber auch zu erzeugen, wenn Sie sich den melderechtlichen Bestimmungen hier unterworfen haben und, wenn Sie gefragt werden, auch nachweisen können, dass Sie bestimmte Zeiten hier gewese n sind.

Wir halten diesen Gesetzentwurf deshalb für sehr praktikabel handhabbar. Jetzt wird er diskutiert. Wir hoffen darauf, dass das dann auch zügig geltendes Recht in der Praxis sein wird.

Frage: Ich habe noch eine Frage zur Ukraine an das Kanzleramt und das Auswärtige Amt. Am Wochenende hat der Bundesvorstand der CDU unter der Leitung von Frau Merkel eine Erklärung verabschiedet, in der von personenbezogenen Sanktionen gegen die Unterdrücker die Rede ist. Ist das jetzt auch Linie der Bundesregierung?

StS Seibert: Die Linie der Bundesregierung ist so, wie wir sie hier in der vergangenen Woche auch mehrfach dargestellt haben: Unser ganzes Engagement in dieser Frage dient dazu, eine friedliche Lösung in der Ukraine zu ermöglichen, Gesprächskanäle offenzuhalten, dafür zu sorgen, dass im Dialog und nicht in der Konfrontation - schon gar nicht in der gewaltbereiten Konfrontation - Fortschritte für die Menschen in der Ukraine gesucht werden. Das ist unser Anliegen. Die Bundeskanzlerin hat auch immer wieder in der Öffentlichkeit gesagt: Das Thema steht für sie im Augenblick - Betonung auf "im Augenblick" - nicht auf der Tagesordnung. Ich sehe darin im Übrigen keinen Widerspruch zu dem, was Sie hier als Parteibeschluss zitiert haben.

Schäfer: Ich würde nur ergänzen: Der Außenminister ist zurzeit in Brüssel, denn dort tagt der Rat der Außenminister. Der ganz wesentliche Tagesordnungspunkt in der dieser Sitzung, die zur Stunde stattfindet, ist das Thema Ukraine. Genau mit dieser Haltung geht der Minister auch in die Beratungen im Kreis der 28 Außenminister.

Zusatzfrage: Gibt es denn ein Ultimatum, mit dem man sagt: Bis dahin und nicht weiter? Denn in der Erklärung ist davon die Rede, dass, wenn den Bürgerrechten weiter nicht entsprochen werde, werde man irgendwann mit Sanktionen drohen. Gibt es da vonseiten der Bundesregierung irgendeine Zeitansage, wann in der Ukraine sozusagen das Maß voll ist und man andere Mittel ergreift?

Schäfer: Es gibt keine Ansage "bis übermorgen", "bis 15 Uhr nachmittags" oder "bis übernächste Woche". Es geht vielmehr um die Art und Weise, in der vor Ort versucht wird, mit dem Konflikt umzugehen. Das, was Herr Seibert hier gesagt hat, das, was ich hier gesagt habe, und auch das, was der Außenminister dazu gesagt hat, entspricht genau dem. Wir haben ein Interesse daran, dass es eine friedliche Konfliktlösung gibt. Die Lage auf dem Maidan in Kiew und anderswo im Land, wo weiter Regierungsgebäude besetzt sind, ist weiter schwierig - um nicht zu sagen explosiv -, und wir wollen alles tun, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass Regierung und Opposition miteinander reden und ringen, um etwa im Wege einer Machtteilung, etwa im Wege einer Beteiligung der Opposition an den Regierungsgeschäften, etwa im Wege einer Verfassungsreform, die das überhaupt erst möglich macht, und auch mit anderen Schritten - Gefangenenfreilassung und manches andere - einen vernünftigen Weg zu gehen, der verhindert, dass es zu einer Totaleskalation, einem Blutbad in Kiew auf dem Maidan oder sonstwo kommt. Da hilft es jetzt aber nicht, hier Daten, Ultimaten oder Ähnliches in den Raum zu stellen. Deshalb tun wir das auch nicht, sondern führen Gespräche - wie heute in Brüssel und wie das der Außenminister regelmäßig auch mit den Protagonisten in Kiew tut, und zwar mit beiden Seiten, sowohl der Seite der Regierung als auch der Seite der Opposition.

Frage: Herr Schäfer, hat sich der Regierungsgegner Bulatow schon offiziell um ein Bleiberecht in Deutschland bemüht? Würde sich der Außenminister für ein solches Bleiberecht einsetzen?

Schäfer: Ich will, bevor ich auf die Frage antworte, nur kurz in Erinnerung rufen, was Anfang Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz passiert ist. Diejenigen, die dort gewesen sein sollten oder das in den Medien verfolgt haben, langweilig ich damit zwar, aber ich glaube, es hat Sinn, dass ich das noch einmal kurz sage. In einem Gespräch, das der Außenminister mit seinem ukrainischen Amtskollegen am Freitagnachmittag auf der Münchner Sicherheitskonferenz geführt hat, hat er ihm gesagt: Wir würden uns sehr wünschen, wenn Herr Bulatow die Gelegenheit erhalten würde, das Land, die Ukraine, zu verlassen, wenn er es denn wünscht - zum Beispiel für medizinische Behandlung. Das geschah vor dem Hintergrund von Informationen darüber, dass Herr Bulatow massiv und schwer verletzt gewesen ist. Es stand der Vorwurf im Raum, dass er gefoltert worden ist, und es stand die Befürchtung im Raum, dass Herr Bulatow, nachdem er von den ukrainischen Sicherheitskräften schon nicht geschützt worden ist, gleich auch noch in Untersuchungshaft genommen wird, nach dem Motto: Der hat hier irgendwas getan, und dann muss er dafür jetzt strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Der ukrainische Außenminister hat Herrn Steinmeier am Tag darauf geantwortet, dass die ukrainische Regierung bereit ist, Herrn Bulatow die Ausreise zu ermöglichen. Das ist dann am Sonntag, dem 2. Februar, abends erfolgt. Das war ein ziemlich schwieriger Akt, weil es auch mit den ukrainischen Sicherheitskräften einigermaßen hin und her ging. Jedenfalls ist es auf die Intervention des deutschen Außenministers hin gelungen, dass Herr Bulatow die Ukraine verlassen konnte. Er hält sich nach unserer Kenntnis derzeit in Litauen für eine medizinische Behandlung auf. Ich ergänze als Antwort auf Ihre Frage noch: Herr Bulatow hat, damit er die Ukraine verlassen kann, von der deutschen Botschaft ein Schengen-Visum bekommen. Mit diesem Schengen-Visum - das nehme ich jedenfalls an - hat er die Ukraine verlassen können. Dieses Schengen-Visum gibt Herrn Bulatow jederzeit das Recht und die Möglichkeit, sich nicht nur in Litauen aufzuhalten, sondern sich auch für einen bestimmten Zeitraum in Deutschland aufzuhalten.

Das ist die Antwort auf die Frage. Ich erlaube mir aus gegebenem Anlass nur noch zu ergänzen, dass ich mich ein wenig darüber wundere, dass Personen, die sich schriftlich an den Außenminister wenden, nicht etwa abwarten, um dem Außenminister Gelegenheit zu geben, den Brief zur Kenntnis zu nehmen und auch zu lesen, sondern dass gleichzeitig - das finde ich heute in einer Regionalzeitung aus Nordrhein-Westfalen - auch Auszüge aus diesem Brief in den Medien zu lesen sind. Das ist sicherlich kein vernünftiger Umgang miteinander. Wenn man sich Briefe schreibt, dann gehört es sich, finde ich, dass man dem Adressaten des Briefes mindestens die Gelegenheit gibt, den Brief zur Kenntnis zu nehmen, bevor man ihn auch Ihren geschätzten Kollegen zur Lektüre gibt.

*

Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz vom 10. Februar 2014
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2014/02/2014-02-10-regpk.html;jsessionid=34E37427B02934C74FC335AB8DBA580C.s3t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2014