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PRESSEKONFERENZ/1077: Regierungspressekonferenz vom 5. Oktober 2015 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 5. Oktober 2015
Regierungspressekonferenz vom 5. Oktober 2015

Themen: Nahost-Konflikt, Asyl- und Flüchtlingspolitik, Luftangriffe auf ein Krankenhaus der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" in Kundus, Ermittlungen gegen den Automobilkonzern Volkswagen wegen manipulierter Abgaswerte, Ukraine-Konflikt

Sprecher: SRS Streiter, Schäfer (AA), Neymanns (BMI), von Tiesenhausen-Cave (BMF), Susteck (BMVI)


Vorsitzender Szent-Ivanyi eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt SRS Streiter sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Schäfer: Ich würde Ihnen gerne Folgendes mitteilen: Die Bundesregierung ist in ernster und großer Sorge über die weitere, fortgesetzte Eskalation der Gewalt, die am Wochenende erneut mehrere Menschenleben in Jerusalem und im Westjordanland gefordert hat. Wir verurteilen in aller Schärfe die abscheulichen Messerattacken auf israelische Passanten in Jerusalem am Freitag. Dabei sind zwei Menschen ums Leben gekommen und drei verletzt worden. Wir sprechen den Angehörigen der Opfer unser tiefes Mitgefühl aus. Die israelischen und die palästinensischen Behörden sind jetzt aufgefordert, die Umstände der Ereignisse so schnell wie möglich aufzuklären und dazu beizutragen, weitere Gewalt einzudämmen. Das gilt natürlich ganz genauso für Racheakte gegen unschuldige palästinensische Zivilisten. Für Gewalt gegen Unschuldige - von welcher Seite auch immer - gibt es keine Rechtfertigung. Wir verurteilen ebenfalls den erneuten Raketenbeschuss auf Israel aus dem Gazastreifen.

Wir fordern alle Seite auf - das gilt in diesem Fall insbesondere für diejenigen im Gazastreifen, die Verantwortung für diese Raketenangriffe tragen -, die Waffenruhe einzuhalten und die Kräfte besser dafür einzusetzen, den Wiederaufbau und die wirtschaftliche sowie soziale Entwicklung Gazas voranzutreiben. Alle Seiten sind aufgefordert, jetzt mit Besonnenheit zu reagieren, Provokationen entgegenzuwirken, auch wenn sie aus den eigenen Reihen kommen sollten, von einseitigen Schritten abzusehen und zu einer Wiederberuhigung der Lage beizutragen. All das zeigt doch nur, dass eine Rückkehr zum Verhandlungstisch zwischen Israel und den Palästinensern wichtiger denn je ist.

Extremismus und Gewalt können sicher keine Lösung des Nahostkonflikts bewirken. Die Eskalation der Gewalt vom Wochenende zeigt im Grunde nur, dass ausschließlich eine einvernehmliche und verhandelte Zweistaatenlösung die Region dauerhaft befrieden kann. - Vielen Dank.

Frage: Herr Schäfer, am Donnerstag stehen die Regierungskonsultationen mit der israelischen Regierung an. Welche konkreten Vorschläge oder Forderungen hat man an die israelische Regierung, um an den Verhandlungstisch zurückzukehren?

Schäfer: Ich glaube, die Erwartungen und Hoffnungen, die die Bundesregierung mit dem Nahostfriedensprozess verbindet, stehen jetzt nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den in der Tat am Donnerstag stattfindenden deutsch-israelischen Regierungskonsultationen. Aber sie sind natürlich ein willkommener Anlass, nicht nur die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, die so weit gehen und so intensiv sind wie nur mit wenigen Staaten, zu überprüfen und für die Zukunft weiter zu gestalten, sondern natürlich wird es mit dem israelischen Ministerpräsidenten und Außenminister Netanjahu und seiner Regierung auch darum gehen, gemeinsam nach Wegen zu suchen, wie man tatsächlich einen Verhandlungsprozess wieder in Gang bekommen kann.

Der israelische Ministerpräsident hat sich letzte Woche erneut in der Generalversammlung der Vereinten Nationen in der Generaldebatte dazu geäußert, dass er zu Verhandlungen bereit ist. Auch da sollte man jetzt die israelische ebenso wie die palästinensische Seite beim Wort nehmen.

Das, was uns da womöglich blüht, ist so etwas Ähnliches wie eine neue Intifada. Das kann niemand wollen. Das kann niemand in Israel wollen. Das kann aber auch kein verantwortlicher palästinensischer Politiker wollen. Deshalb ist es so wichtig - da beziehe ich mich auf das, was ich gerade gesagt habe -, dass nach Wegen und Möglichkeiten gesucht wird, die Gespräche wiederaufzunehmen, um eine dauerhafte Lösung hinzubekommen.

Zusatzfrage: Sie hatten eine mögliche dritte Intifada angesprochen. Die Gründe für die letzten beiden Intifadas waren unter anderem die Besatzung der Israelis im Westjordanland und die Siedlungspolitik. Was wird die Bundesregierung da konkret von der israelischen Regierung fordern, aufhören mit der Siedlungspolitik, Pause, Besatzung ganz beenden?

Schäfer: Wir können nur davor warnen, die Vereinbarungen, die es gibt auf dem Wege zu einer dauerhaften und abschließenden Friedenslösung einschließlich der Vereinbarung von Oslo von vor über 20 Jahren, nicht aufzukündigen. Die Androhung eines solchen Schritts haben wir auch in der letzten Woche in der Generaldebatte der Vereinten Nationen durch den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Herrn Abbas, vernommen.

Die Haltung der Bundesregierung zur Siedlungspolitik Israels ist unverändert und im Einklang mit unseren Partnern so, dass wir völkerrechtswidrige Schritte, also Siedlungsprojekte jenseits der grünen Linie, nicht für die richtige Lösung halten. Das ist regelmäßiges Gesprächsthema zwischen der Bundesregierung und der israelischen Regierung. Das kommunizieren wir auch öffentlich. Das ist selbstverständlich auch Gegenstand der Gespräche in der letzten Woche in New York gewesen, unter anderem bei dem Treffen des Nahostquartetts, das sich, ich glaube, am Mittwoch in New York zusammengesetzt hat, um Wege in einer schwierigen Situation hin zu einem echten Verhandlungsprozess im Nahostfriedensprozess zu suchen.

Frage: Herr Schäfer, im Zusammenhang damit gab es Meldungen, dass Herr Netanjahu seine Reisepläne ein bisschen verändert, den Anreisetermin möglicherweise nach hinten geschoben habe. Trifft das zu? Gab es da Änderungen?

Schäfer: Ja. Nach meinen Informationen ist es in der Tat so, dass der israelische Ministerpräsident entschieden hat, nicht die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag in Berlin zu verbringen, sondern erst am Donnerstagmorgen zu den Regierungskonsultationen anzureisen. Die Begründung vonseiten der israelischen Botschaft kennen Sie. Die findet sich auch in der heutigen oder in der Wochenendpresse: Mit Blick auf die aktuelle Sicherheitslage hat der israelische Ministerpräsident entschieden, nicht etwas eher nach Berlin zu kommen. Das respektieren wir selbstverständlich. Die Regierungskonsultationen werden logistisch und protokollarisch entsprechend umgeplant. Das ist für uns kein Beinbruch, weil es auch am Donnerstag genügend Gelegenheit gibt, mit dem israelischen Ministerpräsidenten und seiner Regierung die Gespräche zu führen, die aus unserer Sicht wichtig sind, um die deutsch-israelischen Beziehungen weiter strategisch zu gestalten.

Frage: Herr Schäfer, Sie hatten gerade völkerrechtswidrige Schritte der israelischen Regierung in Bezug auf die Siedlungspolitik angesprochen. Kommen da irgendwann einmal Sanktionen infrage?

Schäfer: Ich kenne niemanden innerhalb der Bundesregierung und überhaupt nur ganz wenige, die vonseiten der Bundesregierung Sanktionen gegenüber Israel befürworten würden. Solche Pläne gibt es nicht. Wir sind mit unseren israelischen Partnern und Freunden in engem Dialog und gutem Austausch. Auch wenn es Dissens über die eine oder andere Frage gibt - dazu gehört auch die Siedlungspolitik -, so wird das mit unseren israelischen Partnern sehr offen und partnerschaftlich ausgetragen.

Frage: Ich habe eine Frage an das BMI. Es gibt heute Meldungen, dass es mittlerweile Schätzungen von 1,5 Millionen Flüchtlingen in diesem Jahr gibt, auch davon, dass es einen erheblichen Nachzug geben wird - ich glaube Faktor vier -, also bis zu 6 Millionen Menschen, die kommen werden. Können Sie diese Zahlen bestätigen, oder welche anderen Zahlen haben Sie? Es ist ja offenkundig, dass die bisherigen Zahlen nicht zu halten sind. Vielleicht können Sie überhaupt sagen, wie die aktuelle Entwicklung ist, wie viele täglich kommen und wie viele noch auf dem Weg sind.

Neymanns: Vielen Dank für die verschiedenen Fragen. Ich versuche einmal Stellung zu nehmen. - Zunächst einmal: Die Zahlen, die gestern genannt wurden, kann ich nicht bestätigen. Richtig ist - das wissen wir; so haben ich und meine Kollegen in der Vergangenheit hier immer gesprochen; auch der Minister hat sich diesbezüglich geäußert -, dass die Zugangszahlen natürlich sehr hoch sind und dass man davon ausgehen muss und kann, dass der September der Monat mit den höchsten Zugangszahlen seit sehr vielen Jahren war. Ich glaube, das ist klar. Wir rechnen aber auf Basis von Tages- oder auch Wochenzugängen nicht jedes Mal eine neue Jahresprognose aus. Das hat nämlich einige Schwierigkeiten. So wird beispielsweise der Winter kommen. In den letzten Jahren war es so, dass im Winter der Migrationsdruck insgesamt etwas zurückgegangen ist. Das ist keine Vorhersage und auch keine Aussage, die ich damit machen kann. Aber es ist zumindest die Vermutung, dass sich unter anderem die veränderte Wetterlage auf die Flüchtlingszahlen auswirken wird.

Zweiter Punkt. Wir haben erst in der letzten Woche ein großes Gesetzespaket durch das Kabinett gebracht, das derzeit in der Beratung im Bundestag und im Bundesrat ist. Teile dieses Gesetzes sollen schon Anfang November in Kraft treten. Auch das wird sicherlich Auswirkungen darauf haben, wie viele Leute sich auf den Weg nach Deutschland beziehungsweise Europa machen und Schutz suchen. Insofern sind Hochrechnungen auf Basis der vergangenen Tage oder auch Wochen weiterhin schwierig.

Darüber hinaus ist klar, dass sowohl national wie auch international weitere Gespräche geführt werden. Sie haben sicherlich die Berichterstattung verfolgt, wie das Gespräch mit der Türkei läuft. Sie wissen, dass wir mit den europäischen Partnern im Gespräch sind, um dem Migrationsdruck insgesamt zu begegnen.

Zu Ihrer Frage nach den Zahlen: Wir werden in dieser Woche, wie üblich Anfang des Folgemonats, die Asylzahlen veröffentlichen; Sie kennen das Verfahren. Neben dem Zahlen-Gap, sage ich einmal salopp - den kennen Sie mittlerweile -, zwischen den konkreten Asylzahlen und den tatsächlichen Zugängen oder denen, die gesagt haben, sie würden hier gerne Asyl beantragen, werden wir auch die EASY-Zahlen rückwirkend für den Monat September veröffentlichen, sodass Sie einen klareren Eindruck gewinnen können, wie sich das Ganze verhält. Das dauert noch ein paar Tage. Wir müssen die Zahlen konsolidieren und prüfen. Wenn sie dann aber veröffentlicht sind, sind das Zahlen, die verlässlich sind und mit denen Sie wohl auch gut arbeiten können.

Zusatzfrage: Sie sagten, Sie könnten auf der Basis der Tages- und Wochenzugänge nicht so einfach hochrechnen; das verstehe ich. Aber wie hoch sind denn die Wochenzugänge, oder wie hoch war der Zugang zum Beispiel in der letzten Woche?

Neymanns: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wir sind gerade dabei - das habe ich gerade versucht zu sagen -, die Zahlen für den vergangenen Monat zu konsolidieren. Wir würden diese konsolidierten Zahlen im Laufe der Woche für den Monat September herausgeben. Wochen- oder tageweise rückwirkend kann ich Ihnen keine Auskunft geben.

Zusatz: Dann war noch die Frage offen, mit welchem Faktor beim Nachzug Sie rechnen.

Neymanns: Richtig. Vielen Dank für die Frage. - Einen konkreten Faktor beim Nachzug kann ich Ihnen nicht sagen. Die Anträge über Familiennachzug werden über die deutschen Botschaften und Konsulate in den jeweiligen Ländern gestellt. Konkrete Zahlen weiß ich nicht. Es ist zu vermuten, dass die nicht unerheblich sind. Aber ich kann es nicht - das muss ich zugeben - auf irgendeinen Wert beziffern. Es geht immer um die Kernfamilie, also Ehefrau oder Ehemann und die minderjährigen Kinder, beziehungsweise bei unbegleiteten Minderjährigen geht es um die Eltern, solange die Kinder noch minderjährig sind. Aber Zahlen dazu - tut mir leid - liegen mir nicht vor. Ich glaube auch, es wäre sehr schwierig, das seriös und verlässlich zu beziffern.

Frage: Herr Neymanns, könnten Sie wohl zu der Natur dieses Papiers noch etwas sagen? Kennen Sie das? Könnten Sie zu den Grundannahmen darin noch etwas sagen? Das ist zum einen der Familiennachzug, dass die Zahl höher wäre als die bisher im Schnitt angenommenen knapp drei, weil die Familienstrukturen in den Herkunftsregionen anders sind, und zum anderen, dass die Prognose für die Wintermonate deshalb nicht so sehr heruntergehen soll, wenn ich das richtig verstanden habe, weil die Route eine andere ist.

Neymanns: Zu den Familiennachzugszahlen und den Familienstrukturen, da fällt es mir schwer, irgendetwas - - - Ich gehe einen Schritt zurück; Sie hatten noch eine allgemeinere Frage gestellt. Zu dem Bericht selbst kann ich nichts sagen.

Zu den Familiennachzugsfragen kann ich mich nicht detaillierter äußern, weil die Anträge, wie gesagt, jeweils vor Ort dezentral gestellt werden und weil im Ausländerzentralregister keine Statistik geführt wird, wie viele Mitglieder über den Familiennachzug nachgekommen sind. Insofern kann ich nicht näher dazu Stellung nehmen und auch keine Einschätzung abgeben, wie weit sich die Familiengröße über den Lauf der Zeit oder mit den Herkunftsregionen ändert. Es tut mir leid; dazu kann ich Ihnen nichts Konkretes sagen.

Ähnliches gilt leider auch für die Route. Wir gehen noch davon aus, dass die Wintermonate dazu führen, dass sich der Migrationsdruck verringern wird. Ich müsste mich noch einmal schlaumachen - das mache ich auch gerne; wenn ich etwas habe, dann stelle ich das gerne zur Verfügung -, ob es Einschätzungen darüber gibt, wie sich geänderte Routen und die Wintermonate auswirken können. Das weiß ich jetzt schlicht nicht.

Frage: Ich möchte dazu noch nachfragen, was die Unterbringung der Flüchtlinge - das hat die Kollegin auch gesagt - in den jetzt kälter werdenden Nächten anbetrifft. Würden Sie sagen, grundsätzlich bis Ende des Jahres ist sichergestellt, dass kein Flüchtling frieren muss?

Neymanns: Es ist das Ziel, die Unterkünfte bis Ende des Jahres alle winterfest zu machen.

Zusatzfrage: Die Kapazitäten dazu, was Container oder Wohnungen angeht, sind aus Ihrer Sicht ausreichend und zufriedenstellend gegeben?

Neymanns: Sie wissen ja, dass jetzt mit Hochdruck daran gearbeitet wird, weitere Liegenschaften zu identifizieren, und dass die Wartezonen noch mit Betten aufgestockt werden. Es ist weiter das Ziel, Unterkünfte bereitzustellen, die winterfest sind.

Zusatzfrage: Die zweite Frage mit Blick auf Bayern. Sie kennen die Diskussion: Bayern redet darüber, möglicherweise die grüne Grenze stärker zu sichern als bisher. Ist das überhaupt möglich, oder würde der Bund einschreiten, wenn in Bayern jetzt zu den Nachbarländern Zäune aufgestellt werden?

Neymanns: Die Grenzsicherung ist nach meiner rechtlichen Kenntnis nicht allein die Aufgabe der Bayern. Über einzelne Vorschläge, die im Raum stehen, möchte ich mich nicht weiter äußern.

Zusatzfrage: Aber die Frage ist ja eine grundsätzliche: Wäre das möglich, oder schreitet dann die Bundespolizei ein, wenn dort ein Zaun hingestellt wird?

Neymanns: Wenn ich das richtig im Kopf habe - aber da würde ich Sie vielleicht bitten, in den Rechtstext hineinzuschauen -, ist es so, dass das im Einvernehmen mit der Bundesregierung geschehen müsste.

Frage: Ich habe eine Frage an Herrn Neymanns und Herrn Streiter. Wir haben gehört, es soll einen Erlass geben, der festlegt, dass es innerhalb des Regierungsviertels keinerlei Unterbringung von Flüchtlingen geben soll. Stimmt das, und, falls ja, warum?

SRS Streiter: Ich weiß davon nichts. So einen Erlass könnte eigentlich auch nur die Stadt Berlin erlassen. Ich höre jetzt zum ersten Mal in meinem Leben davon.

Zusatz: Uns wurde gesagt, dass die BImA dafür zuständig ist, nicht die Stadt Berlin.

von Tiesenhausen-Cave: Die BImA gehört zum Bereich des BMF; das ist richtig. Aber auch mir ist ein solcher Erlass nicht bekannt.

SRS Streiter: Wer sagt das denn?

Zusatz: Das kann ich jetzt leider nur mit "internen Quellen" beantworten.

SRS Streiter: Das ist aber eine super Quellenlage.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Hat einer der Sprecher noch eine Antwortmöglichkeit? - Niemand. Dann müssen wir die Frage offenlassen.

Frage: Auch ich habe eine Frage an Herrn Neymanns. Es gibt heute Berichte von Frauenverbänden, die über Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauch in Asylunterkünften berichten. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über diese Ereignisse?

Neymanns: Mir liegen jetzt keine Kenntnisse darüber vor. Das wäre dann auch Sache der jeweiligen ermittelnden Polizeien beziehungsweise Staatsanwaltschaften. Ganz grundsätzlich gilt, dass natürlich auch in Asylbewerberheimen die Rechtsordnung gilt und insofern Straftaten jedweder Art, wie üblich, konsequent verfolgt werden.

Frage: Herr Streiter, ich habe eine Verständnisfrage. Frau Merkel hat gestern im Deutschlandfunk wiederholt, dass der Bau von Zäunen nicht hilft. Aber gleichzeitig hat sie betont, dass die EU-Außengrenzsicherung total wichtig ist. Ist das nicht ein Widerspruch, also: Zäune sind doof, aber Außengrenzsicherung ist superwichtig? Wie sollen die Außengrenzen denn gesichert werden, wenn nicht mit Zäunen?

SRS Streiter: Da gibt es ja andere Wege. Zunächst einmal ist über Zäune in den vergangenen Wochen auch innerhalb der EU viel gesprochen worden. Ich glaube, die Antwort der Kanzlerin war hauptsächlich darauf gerichtet. Es gab ja auch schon den Vorschlag, rund um Deutschland, rund um Ungarn oder rund um andere Länder einen Zaun zu errichten.

Jetzt geht es hauptsächlich darum - darüber finden gerade heute in Brüssel Gespräche statt -, dass die Außengrenze zwischen der Türkei und Griechenland in der Weise gesichert wird, dass man dort Flüchtlinge in irgendeiner Form aufhält, indem man sie dort registriert, indem man versucht, den Zustrom dort abzubremsen oder vielleicht sogar anzuhalten. Das wird sehr davon abhängen, wie das ausgestaltet wird. Darüber wird noch debattiert. Ich glaube, grundsätzlich hat der bisherige Verlauf der ganzen Entwicklung gezeigt, dass bisher noch kein Zaun einen einzigen Flüchtling irgendwo aufgehalten hat.

Zusatzfrage: Aber um das richtig zu verstehen: Auf dem Meer will man Menschen, die in Deutschland berechtigt Asyl bekommen könnten, zum Beispiel Syrer, aufhalten, damit sie nicht nach Europa kommen können?

SRS Streiter: Ich sprach von der Türkei. Jetzt sprechen Sie plötzlich vom Meer. Es ist schwer, auf dem Meer Zäune zu errichten. Sie sind dort genauso unsinnig wie auf dem Land. Was wir im Mittelmeer tun, das bekommen Sie ja mit. Ich glaube, da haben wir uns jetzt auch nicht sehr viel vorzuwerfen.

Frage: Noch einmal jenseits von Herrn Neymanns: Kennt denn irgendjemand von Ihnen, die da oben sitzen, dieses angebliche Papier mit den 1,5 Millionen Flüchtlingen, also vielleicht andere Ministerien, die sich auch sehr intensiv mit dieser Flüchtlingssache beschäftigen? Auch an Sie, Herr Streiter, geht natürlich diese Frage.

An Herrn Neymanns noch die Frage: Wann würde denn der Innenminister oder die Bundesregierung die Prognose nach oben korrigieren? 800.000 ist ja noch immer Ihre offizielle Zahl, wenn ich sie richtig im Kopf habe. Um wie viel muss diese Zahl überschritten sein, bis Sie sagen, das werden wohl mehr? Sie wollen ja die Menschen, die Bürger immer mitnehmen. Dann würden Sie ja wahrscheinlich auch relativ schnell sagen, wenn diese Zahl deutlich überschritten wäre, oder?

SRS Streiter: Ich kann einmal ganz allgemein und nur ganz vorsichtig sagen, weil ich da ja auch über gewisse Insiderkenntnisse von der anderen Seite verfüge - ich würde einmal sagen: Eine Geheimakte oder ein Geheimpapier ist, glaube ich, im dortigen Selbstverständnis mehr ein Papier, was mir dort nicht bekannt ist.

Zusatz: Das habe ich jetzt nicht verstanden.

SRS Streiter: Das ist der Redaktion nicht bekannt, und dann ist es ein Geheimpapier.

Zusatzfrage: Sie sagen also, die bei der "Bild"-Zeitung waren so blöd, dass sie es noch nicht kannten? Aber dann würde das ja heißen, alle anderen kennen es.

SRS Streiter: Nein. Das haben Sie jetzt völlig missverstanden.

Zusatz: Ja, offensichtlich. Erklären Sie es mir noch einmal!

SRS Streiter: Ein Geheimpapier nennt man sehr schnell Geheimpapier. Ihnen fehlt offenbar ein gewisses Vorstellungsvermögen darüber, wie so eine Geschichte zustande kommen könnte.

Zusatz: Das fehlt mir aber auch jetzt noch, nachdem Sie mit mir gesprochen haben.

SRS Streiter: Wie gesagt: Dieses Papier kennt kein Mensch. Jedenfalls ich kenne es nicht. Ich kenne im Moment auch niemanden in der Bundesregierung, der das kennt. Deshalb würde ich es auch nicht so hoch ansiedeln.

Zusatzfrage: Zur Klärung: Sie sagen jetzt, Sie gehen davon aus, dieses Papier existiert nicht, das ist eine ausgedachte Geschichte?

SRS Streiter: Nein, überhaupt nicht, sondern das wird irgendein Papier sein, worauf irgendeiner einen Stempel gemacht hat. Aber das sagt ja noch nichts über den Absender.

Zusatzfrage: Würden Sie denn, falls Sie wissen, wer da seinen Stempel darauf gemacht hat, uns darüber aufklären? Denn wenn das ein Behördenstempel ist, wäre es ja doch ganz spannend zu erfahren, wer sich die 1,5 Millionen ausgedacht hat.

SRS Streiter: Wenn ich das wüsste, würde ich das sogar tun. Aber ich weiß es wirklich nicht. Ich kenne auch niemanden, der es weiß.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Entspricht es den Tatsachen, dass hier auf dem Podium niemand davon weiß?

Zusatz: Ich hatte noch eine Frage an Herrn Neymanns gestellt.

Neymanns: Der Minister weist ja ständig darauf hin. Insofern, glaube ich, erfüllt er das, was Sie von ihm verlangen - so habe ich es verstanden -, dass er die Leute mitnimmt, dass der Migrationsdruck hoch ist, dass sich Bund und Länder darauf einstellen müssen und dass das die Gesellschaft auch verändern wird. Insofern, glaube ich, kommt er seiner Aufgabe da sehr gut nach. Er stellt sich ja an vielfältigster Stelle den Diskussionen und den Fragen von Journalisten, aber auch von Bürgerinnen und Bürgern zum Migrationsthema.

Zu sagen, dass der einzige Weg, die Leute mitzunehmen, ein Prognoseschreiben ist, das ist, glaube ich, wenn das vielleicht in dieser Frage mitschwingt, nicht der Fall. Er setzt sich, wie gesagt, sehr den Diskussionen aus und stellt sich den Fragen und auch den Sorgen der Menschen.

Jetzt konkret: Mir ist nicht bekannt, dass es in Kürze ein Prognoseschreiben geben wird vor dem Hintergrund, dass, wie gesagt, die Bürger, aber auch die entsprechenden Kommunen und Länder durch den Minister intensiv darüber informiert werden, dass sie sich auf starke Flüchtlingszahlen einstellen müssen.

Frage: Schon seit einigen Wochen holt die Bundesregierung Flüchtlinge aus Salzburg ab und bringt sie nach Deutschland. Wie lange soll das weitergehen? Wie viel ist das eigentlich? Vier bis fünf Züge pro Tag ist das Letzte, was ich gehört habe. Wie soll das die nächsten Tage weitergehen? Was ist eigentlich genau der Grund dafür?

Neymanns: Es sind nach meiner Kenntnis ein bis zwei Sonderzüge am Tag, die von Österreich nach Bayern fahren.

Zusatzfrage: Nach Bayern? Das ist gar nicht meine Kenntnis. Die waren doch bisher von Salzburg nach Düsseldorf, von Salzburg nach Lehrte, von Salzburg nach Berlin gefahren.

Neymanns: Mein Kenntnisstand ist, dass die Flüchtlinge von Salzburg nach Bayern fahren und dort in Wartezonen auf Züge verteilt werden, die sie dann innerdeutsch verteilen.

Zusatzfrage: Und die Gründe?

Neymanns: Der Grund ist, das Verfahren etwas zu ordnen, den Weg zu strukturieren und es für die deutschen Behörden insgesamt mit den Flüchtlingszahlen leichter handhabbar zu machen und mit den Menschen, die ankommen, besser umzugehen. Es ist leichter, die Menschen in einem geordneten Verfahren weiterzuverteilen, wenn man einen Zug hat, als wenn die entsprechende Anzahl von Menschen, 300, über verschiedene grüne Grenzen nach Deutschland kommt.

Zusatzfrage: Wäre es dann nicht sinnvoll, das auszudehnen und die Flüchtlinge gleich aus Mazedonien abzuholen, um das geordnet zu machen?

Neymanns: Nein. Es gilt jetzt erst einmal diese Vereinbarung. Die gilt auch noch ein bisschen weiter. Ein konkretes Datum dazu kann ich Ihnen nicht nennen. Aber ich glaube, damit ist der Sache genügend Rechnung getragen, dass man das Verfahren zwischen Deutschland und Österreich strukturiert. Ansonsten gibt es keine Pläne darüber, weitere Züge einzusetzen, von wo aus auch immer.

Zusatzfrage: Können Sie sagen, wie eigentlich die Deutsche Bahn dafür honoriert wird, wie das bezahlt wird, was das den Bürger kostet?

Neymanns: Ich bin mir sicher, dass da geeignete Absprachen getroffen werden. Aber das kann ich hier nicht - - -

Zusatz: Vielleicht kann das Verkehrsministerium etwas sagen.

Susteck: Das müsste ich Ihnen nachreichen.

Zusatz: Das wäre nett.

Frage: Ich habe zwei Fragen an Herrn Schäfer. Die erste Frage: Es gibt ja das Vorhaben eines migrationspolitischen Dialogs mit der Türkei. Was wird da konkret besprochen, in welchem Format, in welchen Runden? Was sind die Vorstellungen der Bundesregierung, mit denen sie da hineingeht? Wann beginnt das?

Die andere Frage ist: Könnten Sie einmal darlegen, inwieweit die Bundesregierung oder speziell auch Ihr Haus die Mittel für die humanitäre Nothilfe in den Ländern um Syrien herum aufgestockt hat, um dort Flüchtlinge zu versorgen?

Schäfer: Der migrationspolitische Dialog ist ein Ergebnis des Besuchs von Außenminister Steinmeier in Ankara am Freitag vorletzter Woche. Er hat da Gespräche mit dem Staatspräsidenten, dem Ministerpräsidenten und dem Außenminister geführt. Alle drei waren der Meinung, dass es eine gute Idee ist, dass die beiden Länder einen solchen migrationspolitischen Dialog starten.

Die Idee dahinter ist, dass all das Regierungshandeln, das im Zusammenhang mit Migration und insbesondere mit der Steuerung von Migration steht, auf den Tisch gebracht werden soll und bilateral zu besprechen wäre. Die Idee, die zunächst einmal dahintersteht, ist, dass die beiden Außenministerien das koordinieren, dass aber die jeweiligen Innen- und Entwicklungshilfeministerien daran mitwirken, um auf diese Art und Weise gemeinsam zu besprechen, wie man noch besser zusammenarbeiten kann, wie sich Synergien in der gemeinsamen Arbeit heben lassen, und all das mit Blick auf das Ziel, die Flüchtlingsströme in die Türkei, über die Türkei und aus der Türkei auch gen Europa und gen Deutschland vielleicht etwas besser zu kontrollieren, als es zurzeit der Fall ist.

Ich kann Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt keinen konkreten Termin für ein erstes Treffen nennen. Ich kann Ihnen aber sagen, dass die Vorbereitungen eines solchen migrationspolitischen Dialogs im Auswärtigen Amt und in der Bundesregierung auf Hochtouren laufen und dass es ganz sicher bald zu dem ersten Treffen auf Beamtenebene kommen soll und auch kommen wird.

Unser Eindruck ist, dass die Türkei ein wirklich übergeordnetes Interesse - so wie wir - daran hat, einen solchen Dialog mit Deutschland zu führen. Die Türkei ist einer der größten Empfängerländer für syrische Flüchtlinge und andere Flüchtlinge aus der Region vor Ort. Jedem in der Türkei ist klar, dass insbesondere Deutschland ein herausragend wichtiges Land ist - darüber diskutieren wir seit Wochen oder seit Monaten auch in dieser Runde -, in das Flüchtlinge kommen wollen und in das Flüchtlinge gelangen.

Wir versprechen uns davon eine Verbesserung, eine Optimierung der Zusammenarbeit, eine bessere Kontrolle der Flüchtlingsströme und auch einen besseren Dialog darüber, wie Deutschland der Türkei dabei behilflich sein kann, mit den großen Belastungen, die sich aus der Flüchtlingskrise auch für die Türkei ergeben, besser umgehen zu können. Wir verstehen das durchaus als eine parallele Anstrengung gegenüber dem, was auch die Europäische Union machen möchte. Auch da war Deutschland Impulsgeber. Es ist gut, dass sich der türkische Präsident gerade heute in Brüssel aufhält, um dort mit der Spitze der Europäischen Union das Gespräch darüber zu führen, wie wirklich geklotzt werden kann, um den Türken, der Türkei dabei zu helfen, mit diesen gewaltigen Flüchtlingsströmen in der Region umzugehen.

Zu den allgemeinen Zahlen: Ich habe leider die konkreten Zahlen nicht zur Hand, weil ich sie nicht mitgebracht habe und sie auch nicht auswendig kenne. Ich kann Ihnen aber sagen, dass sich die Hilfsleistungen der Bundesregierung für die Bewältigung der Syrien-Krise insgesamt seit 2012 inzwischen auf einen Betrag weit jenseits von 1 Milliarde Euro belaufen. Ich denke, es handelt sich um einen Betrag, der über 1,1 Milliarden Euro hinausgeht, davon über die Hälfte, etwa 600 Millionen Euro, allein Mittel des Auswärtigen Amtes und des Entwicklungshilfeministeriums, des BMZ, für die Bewältigung der humanitären Katastrophe in Syrien.

Sie wissen vielleicht, dass der Außenminister am Dienstag letzter Woche in New York seinen Vorsitz im G7-Rahmen dazu genutzt hat, um nicht nur seine Partner in den G7-Staaten, sondern auch wichtige Geber einzuladen mit dem Ziel, darauf hinzuweisen, wie unterfinanziert die internationalen Hilfsorganisationen für den Umgang mit syrischen Flüchtlingen sind. Das Ergebnis war sehr beeindruckend. Herr Steinmeier jedenfalls war außerordentlich zufrieden damit, dass insgesamt etwa 1,8 Milliarden US-Dollar zusammengekommen sind, die in den nächsten Wochen für die internationalen Hilfsorganisationen, insbesondere für den UN-Flüchtlingskommissar, für das Welternährungsprogramm und für OCHA, zusammenkommen werden, um damit einen wichtigen Beitrag dafür zu leisten, dass die Flüchtlinge, die in der Region sind, humanitär angemessen betreut werden können. Wenn Sie Interesse an genaueren Zahlen haben, so bin ich selbstverständlich gerne bereit, sie über den Verteiler der Regierungspressekonferenz allen Ihren Kollegen zugänglich zu machen.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Gerne.

Frage: Herr Neymanns, eine Frage an Sie, die an eine andere Frage anschließt, die eben schon gestellt worden ist. Es geht um den sexuellen Missbrauch oder um sexuelle Misshandlungen in Flüchtlingsunterkünften. Herr Rörig, der Beauftragte für Fragen des sexuellen Missbrauchs, der von der Bundesregierung mitfinanziert wird und der organisatorisch, glaube ich, dem Familienministerium untersteht, hat am Samstag in einem Interview gesagt, dass er davon ausgeht, dass es schon in jeder Flüchtlingsunterkunft Fälle sexuellen Missbrauchs gegeben hat. Dies scheint also ein weitverbreitetes Problem zu sein. Ist Ihr Haus darauf nicht vorbereitet? Haben Sie mit Herrn Rörig noch nicht gesprochen? Nehmen Sie das, was er sagt, nicht zur Kenntnis?

Neymanns: Selbstverständlich nehmen wir Berichte zur Kenntnis, die darauf hindeuten, dass es in Flüchtlingsunterkünften Probleme oder auch Straftaten gibt. Grundsätzlich bleibt dies aber eine Länderzuständigkeit. Somit sind die Länder und auch die Polizeien der Länder sowie die Strafverfolgungsbehörden der Länder primäre Ansprechpartner. Ungeachtet dessen haben wir das Geschehen insgesamt so weit im Blick.

Zusatzfrage: Ich habe noch eine Nachfrage, die grundsätzlich die Kriminalität in solchen Einrichtungen betrifft. Herr Rörig geht davon aus, dass sich auch kriminelle Strukturen entwickeln, was Zwangsprostitution und solche Dinge betrifft. Gibt es im Innenministerium Hinweise darauf, dass es in diesen Unterkünften eine Art Clan- und Mafiastrukturen gibt?

Neymanns: Mir liegen gerade keine Hinweise dazu vor. Aber ich frage gerne nach.

Frage: Herr Streiter, Deutschland hat sich sehr solidarisch gezeigt. Aber jetzt ist es so weit, dass die Grenze zwischen der Türkei und Griechenland besser geschützt werden soll. Heißt das, dass die deutsche Solidarität jetzt erschöpft ist?

SRS Streiter: Nein, überhaupt nicht. Aber auch die Bundeskanzlerin hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Deutschland natürlich jetzt nicht alle Probleme der ganzen Welt in Deutschland lösen kann. Es war von Anfang an immer klar, dass wir einen Dreiklang von Hilfsmöglichkeiten nutzen müssen. Dazu gehört selbstverständlich auch der Schutz der Außengrenzen und die Verbesserung der Situation in den Herkunftsländern, was ja noch besser wäre. Wenn die Situation dort perfekt wäre, müsste man gar nicht die Außengrenzen sichern. Da hat sich eigentlich nichts geändert.

Frage: Herr Schäfer, zu der Situation für syrische Flüchtlinge zum Beispiel in der Türkei oder im Libanon oder in Syrien selbst: Was tut denn Ihr Außenministerium, damit diese Menschen Hilfe von Deutschland erwarten können? Geht man in diese Flüchtlingslager? Bietet man irgendwo Botschaften oder Ähnliches an, wo man den Syrern sagt "Hierhin könnt ihr kommen, hier könnt ihr euer Asyl beantragen und hier bekommt ihr euer Asyl, um damit nach Deutschland zu kommen, damit ihr einfliegen könnt und nicht diese schrecklichen lebensbedrohlichen Wege auf euch nehmen müsst"?

Schäfer: Was die Formen und Möglichkeiten der Nachfrage nach Asyl angeht, sollten Sie sich vielleicht an den Kollegen des Innenministeriums wenden. Dieser wird das ganz bestimmt vielleicht besser erklären können als ich. Soweit ich weiß, ist die geltende, auch die verfassungsrechtliche Lage so, dass ein Asylgesuch nur auf deutschem Hoheitsgebiet gestellt werden kann. Deshalb ist es gar nicht möglich, das vor Ort zu tun. Ich kann auch nicht davon berichten, dass es entsprechende Absichten gäbe, so etwas wieder einzuführen.

Ansonsten kann ich auf Ihre Frage nur darauf verweisen, dass wir bereits eine halbe Milliarde Euro an humanitärer Hilfe für syrische Flüchtlinge aufgewandt haben. Herr Steinmeier hat in der letzten Woche aus dem Haushalt seines Hauses erneut weitere 100 Millionen Euro angekündigt, die noch im Laufe dieses Jahres ausgegeben werden. Wie das immer bei der humanitären Hilfe der Fall ist, gibt es bewährte Partner, mit denen die Bundesregierung seit vielen Jahren vertrauensvoll zusammenarbeitet. Es gibt erstens multilaterale Institutionen; einige hatte ich in meiner letzten Antwort bereits erwähnt. Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen, OCHA, das Welternährungsprogramm machen großartige, sehr effiziente, sehr sorgfältige humanitäre Arbeit und sie haben jede Hilfe verdient. Da gibt es dann finanzielle Unterstützung für Strukturen, die existieren, um Lebensmittel einzukaufen, um Zelte zu besorgen, um Unterkünfte winterfest zu machen, um in jeder denkbaren Hinsicht den Menschen humanitär zu helfen.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche Institutionen - NGOs, private Institutionen, das Deutsche Rote Kreuz, Ärzte ohne Grenzen und viele anderen Institutionen, die ich jetzt nicht alle erwähnen kann -, die alle vor Ort ganz großartige Arbeit machen, ihre Projekte haben, die die Bundesregierung mit Mitteln des Auswärtigen Amtes - und vielleicht auch des BMZ - finanziell unterstützt. Das Technische Hilfswerk verdient auch Erwähnung, weil es insbesondere in Bezug auf Flüchtlingslager in Jordanien bei der Herstellung der Wasserversorgung sehr segensreiche Arbeit getan hat.

Ich kann Ihnen nur weiterhin versichern, dass die Bundesregierung weiter jede Menge Geld aufwenden wird - so viel wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland -, um den vielen Flüchtlingen, allen voran denjenigen in Syrien, ihr Schicksal so erträglich wie irgend möglich zu machen. Wir können aber leider - jedenfalls nicht ohne die Hilfe anderer - auf die wirkliche Ursache des Übels ohne weiteres nicht selbst entscheidend einwirken. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir alles tun werden - das hat der Außenminister in der letzten Woche auch schon in New York getan -, um mit anderen Partnern darauf hinzuwirken, dass die eigentliche Ursache - der Bürgerkrieg in Syrien, das brutale Vorgehen des Assad-Regimes, das Vorgehen von ISIS und anderen islamistisch-extremistischen Organisationen - irgendwann ein Ende findet, damit die Menschen eine Perspektive entwickeln können, wieder in ihr Heimatland, nämlich nach Syrien, zurückkehren zu können.

Zusatzfrage: Das heißt, wenn syrische Flüchtlinge nur weiterhin auf deutschem Boden Asyl beantragen können, müssen sie zwangsläufig weiter ihr Leben riskieren, um nach Deutschland zu kommen. Das ist für die Bundesregierung weiterhin Normalität?

Schäfer: Wie gesagt, wenn Sie Fragen zum Thema Asylkomplex haben, bin ich, glaube ich, nicht ganz der richtige Ansprechpartner. Es hat letzte Woche eine intensive Befassung des Bundeskabinetts und der Gremien des Bundestages gegeben. Es gibt ganz bestimmt auch weitere Diskussionen; das Auswärtige Amt beteiligt sich daran sehr engagiert. Aber ich sehe mich da jetzt nicht in der Federführung.

Zusatzfrage: Wie bewertet denn Ihr Amt diese Lage?

Schäfer: So wie die Bundesregierung insgesamt.

Neymanns: Wie Herr Schäfer es dargestellt hat, ist es völlig richtig. Man kann den Asylantrag nur auf deutschem Staatsgebiet stellen.

Vielleicht noch ein Hinweis: Sie erinnern sich an die verschiedenen humanitären Aufnahmeprogramme - die sogenannten Resettlement-Programme - die in der Vergangenheit gelaufen sind. Es gab drei Aufnahmeprogramme des Bundes mit einem Umfang von 20.000 Menschen und dann noch 15 Landesprogramme der Bundesländer. Mein letzter Stand - das ist allerdings nur Pi mal Daumen - ist, dass 14.000 bis 15.000 Visa ausgestellt wurden, mit denen dann die Menschen - im Wesentlichen Syrer - einreisen können.

Schäfer: Ich glaube, die Programme sind weitgehend ausgeschöpft; das ist richtig.

Vielleicht noch zur Familienzusammenführung oder zum Familiennachzug: Der Kollege des Innenministeriums hat schon darauf hingewiesen, dass das über Visa-Verfahren an deutschen Auslandsvertretungen läuft. Ich glaube, es lohnt die Erwähnung festzustellen, dass sich diese Regelungen nicht etwa aufgrund von völkerrechtlichen Verpflichtungen ergeben. Die Genfer Flüchtlingskonvention sieht einen solchen Rechtsanspruch für Flüchtlinge in der Welt nicht vor, sondern das ist eine Regelung, die Deutschland über irgendwelche völkerrechtlichen Verpflichtungen hinaus eingegangen ist. Das betreiben wir, seitdem Syrer bei uns Zuflucht suchen, also seit 2011, 2012, mit großem Engagement. Das Auswärtige Amt hat massiv die Kapazitäten an den einschlägigen Auslandsvertretungen hochgefahren.

Dennoch kommt es angesichts des gewaltigen Ansturms von syrischen Flüchtlingen, von denen viele diese Regelung des Familiennachzugs in Anspruch nehmen wollen, bedauerlicherweise zu ziemlich langen Wartezeiten. Ich kann Ihnen versichern, dass das Auswärtige Amt und die betroffenen Auslandsvertretungen alles in Ihrer Macht Stehende tun, um die Regelungen, die es in Deutschland für den Familiennachzug gibt, so umfassend, so sorgfältig und so schnell wie nur irgend möglich umzusetzen. Allerdings muss ich darauf hinweisen, dass es echte Engpässe gibt. Diese haben mit Sicherheitsfragen zu tun; diese haben mit Personalengpässen und auch räumlichen Engpässen zu tun. Da gibt es eine ganze Menge Dinge, die schon geschehen sind. Der Bundestag hat dem Auswärtigen Amt dafür jede Menge zusätzliche Planstellen bereitgestellt; am Geld wird es auch nicht scheitern. Aber es geht darum, ein Verfahren zu finden, in dem allen möglichen Kriterien Rechnung getragen wird.

Frage: Ich habe zwei Nachfragen zu dem, was die Kollegin gesagt hat. Herr Neymanns, Sie haben als Grund dafür, dass man die Zahlen nicht immer wieder korrigiert, vor allem gesagt, dass der Minister die Menschen ausreichend mitnehmen würde, indem er auf höhere Zahlen einstimmt. Nun gibt es ja auch andere Gründe, insbesondere logistische Gründe, genauere Zahlen zu wissen. Habe ich das richtig verstanden, dass, auch wenn Sie Hinweise oder Erkenntnisse zu höheren Zahlen hätten, Sie keine neue Prognose herausgeben würden?

Neymanns: Nein, so habe ich das nicht ausdrücken wollen. Ich habe nur darauf hingewiesen, weil die Kollegin in der Frage so ein Versäumnis antizipiert hatte, der Minister würde das Thema nicht besetzen und die Menschen nicht genügend mitnehmen, und wollte, weil die Kollegin den Zusammenhang zwischen dem Prognoseschreiben und dem Mitnehmen von Menschen hergestellt hat, sagen: Unabhängig vom Prognoseschreiben nimmt der Minister durch das, was ich geschildert habe und was er auch heute Nachmittag wieder tun wird, Menschen meines Erachtens in der Debatte doch mit. Er stellt sich der Diskussion direkt mit Bürgern, er gibt Interviews usw.

Was das Prognoseschreiben angeht, habe ich, glaube ich, alles dazu gesagt, was ich sagen konnte, dass es natürlich schwierig ist, eine konkrete Prognose abzugeben, dass wir eine Prognose geliefert haben. Diese ist jetzt sechs Wochen alt. Die Flüchtlingszahlen im Monat September haben sich stark entwickelt. Es ist schwierig, von September jetzt weiter auf die drei weiteren Folgemonate hochzurechnen. Deswegen gibt es den Sachstand, den es gerade gibt.

Zusatzfrage: Noch einmal zu dem Geheimpapier: Herr Streiter, Sie hatten gesagt, dieses Papier kenne keine Mensch. Wenn sich das ändert, was ja durchaus im Zuge dieser Diskussion sein könnte, dass herauskommt, wo dieses Papier herkommt, würden Sie uns das mitteilen?

SRS Streiter: Ich denke schon.

Schäfer: Ich will noch etwas nachtragen, damit die Zahlen korrekt sind, die der Kollege gerade gesimst hat: Die Gesamtzahl der Kontingente für syrische Flüchtlinge, die in Sonderkontingenten aufgenommen werden, beläuft sich auf 37.000, davon 20.000 des Bundes.

Frage: Zwei kurze Lernfragen. Herr Schäfer, wann ist mit der Stellungnahme des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung zum Asylgesetzespaket zu rechnen?

Schäfer: Warten Sie es ab, wann und ob es solche Erklärung gibt. Ich glaube, das sollten wir dem Menschenrechtsbeauftragten überlassen. Was meinen Sie?

Zusatzfrage: Dann habe ich eine Frage an Herr Streiter. Es wird in den letzten Tagen immer von Überforderung gesprochen, dass die Länder, die Kommunen überfordert sind, dass der Bund teilweise überfordert ist, dass irgendwo Handlungsunfähigkeit herrscht. Mich würde einmal interessieren, wer in Ihrer Bundesregierung dafür verantwortlich ist. Es gab ja in den letzten Jahren Versäumnisse. Es wurden keine Vorbereitungen getroffen usw. Wer ist für diese Versäumnisse, für diese jetzt offensichtliche Handlungsunfähigkeit verantwortlich?

SRS Streiter: Erstens einmal bestreite ich die Handlungsunfähigkeit. Die Bundesregierung ist überhaupt nicht handlungsunfähig, sondern sie handelt sehr konsequent.

Das Zweite, was ich Ihnen dazu sagen kann: Ich nehme ja auch an Diskussionen teil. Mir wurde auch erzählt, dass schon vor einem Jahr ein Ministerpräsident gewarnt hätte und was weiß ich. Dann habe ich nur gefragt: Dann wird er ja sicher auch Vorkehrungen getroffen haben. - Wer jetzt hinterher sagt, er habe alles schon vorhergesehen, der ist halt viel schlauer als alle anderen.

Zusatz: Die EU-Kommission hat es vorhergesehen; die Österreicher haben letztes Jahr ein Papier vorgeschlagen; die Italiener haben das getan; die Griechen haben das getan; die deutschen Wissenschaftler haben das getan. Es muss doch einen Verantwortlichen geben.

SRS Streiter: Ich halte mich dabei an die Worte der Bundeskanzlerin, die am Wochenende im Deutschlandfunk einfach einmal gesagt hat: Hadern nützt jetzt nichts. Es nützt nur anpacken.

Frage: Wenn es um die Gespräche zur Beilegung der Syrien-Krise geht, welches Format schwebt der Bundesregierung dabei mit welchen Teilnehmern vor, Herr Schäfer? Kann es sein, dass es verschiedene Auffassungen auf amerikanischer und auf deutscher Seite gibt, wer die Teilnehmer sein sollen?

Wenn die Kanzlerin sagt, man müsse mit Assad reden, was genau möchte man ihm jenseits des Satzes sagen, dass er zurücktreten soll? Wo sehen Sie da Verhandlungsmasse? Was sind die Gesprächspunkte, die die Bundesregierung mit Assad besprechen möchte?

Neymanns, der Minister hatte sich ja geäußert, dass es Flüchtlinge gibt, die Geld besitzen und damit Taxi fahren können. Was genau ist an dieser Tatsache so bemerkenswert? Muss ein Flüchtling per se mittellos sein oder ist er dann nicht gleich automatisch ein Wirtschaftsflüchtling?

Neymanns: Wenn ich die erste Frage vorgreifen darf: Das ist am letzten Freitag, glaube ich, in umfassender Länge hier besprochen worden. Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen; es tut mir leid.

Neymanns: Doch! Das ist rauf- und runtergegangen.

Schäfer: Zu Assad: Vielleicht fange ich mit Ihrer zweiten, an mich gerichteten Frage an: Ich jedenfalls habe die Bundeskanzlerin nicht so verstanden, dass das, was sie gesagt hat, bedeutet, dass die Bundesregierung mit Präsident Assad sprechen müsse, wolle, solle. Sondern sie hat eigentlich auf eine banale Selbstverständlichkeit hingewiesen - und befindet sich damit im Einklang mit allen Stimmen, die ich so höre -, dass es wohl unausweichlich für einen Waffenstillstand und für eine Friedensordnung für Syrien nach einem solchen Waffenstillstand ist, dass nach einem Ende des Krieges mit dem Assad-Regime gesprochen werden muss. Ob uns das gefällt oder nicht: das Assad-Regime ist sozusagen Träger der staatlichen Institutionen und des syrischen Gemeinwesens; zurzeit noch etwa auf 25 bis 30 Prozent des Territoriums wegen des fortschreitenden Bürgerkriegs, aber nichtsdestotrotz.

Ich habe die Bundeskanzlerin, wie auch viele andere Stimmen, so verstanden, dass sie darauf hingewiesen hat, dass es ja jetzt bereits Gespräche mit dem Assad-Regime gibt. Diejenige Institution, die die Verhandlungen zur Konfliktbewältigung in Syrien in der Hand hält, nämlich die Vereinten Nationen, die ständig mit dem Assad-Regime reden - - Der syrische Außenminister hat sich letzte Woche Freitag in der Generalversammlung der Vereinten Nationen äußern können und hat dort manche Dinge gesagt, über die wir jetzt hier auch reden können. Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für den Syrien-Konflikt, der dritte inzwischen im fünften Jahr des Bürgerkrieges, der Diplomat Staffan de Mistura, ist, ich weiß nicht wie häufig schon in Damaskus gewesen. Ich weiß nicht, wie häufig er mit Vertretern des syrischen Regimes, einschließlich des syrischen Präsidenten gesprochen hat. Das muss er auch, denn das, was auf dem Tisch liegt, das, was wir sozusagen als gemeinsamen Acquit an Prinzipien und Grundsätzen zum Umgang mit dem Konflikt haben, sind im Wesentlichen die Genfer Kommuniqués von 2012. Die sehen vor, dass eine Übergangsregierung ins Leben gerufen werden soll, in der die syrische Opposition mit Vertretern der syrischen Regierung volle exekutive Vollmachten erhalten soll, um für eine Übergangsregierung die staatliche Gewalt in Syrien auszuüben, bis es dann irgendwann zu freien Wahlen kommt und das Land irgendwann wieder ohne Hilfe von außen existieren kann.

Wir sind weit davon entfernt, und deshalb komme ich jetzt zu Ihrer ersten Frage: Herr Steinmeier hat im Laufe der letzten Woche für die Bundesregierung - ich weiß nicht genau, wie viele - zwei Dutzend Gespräche zum Thema Syrien in unterschiedlichen Formaten geführt. Es gab ein langes Mittagessen mit dem saudischen Außenminister; es gab ein langes Mittagessen mit dem iranischen Außenminister. Herr Steinmeier hat lange mehrfach mit dem russischen Außenminister bilateral zum Thema Syrien konferiert. Es hat insgesamt drei Treffen am Montag, Dienstag und Donnerstag der vergangenen Woche in einem Format gegeben, das man vielleicht als "London Eleven minus X" bezeichnen kann. Auf Einladung des amerikanischen Außenministers sind drei europäische Staaten - Frankreich, Großbritannien und Deutschland - unter amerikanischem Vorsitz mit Vertretern der Golfmonarchien und Jordaniens zusammengetroffen. Da hat es drei Treffen gegeben. Und am Montagabend hat es ein Treffen der E3+3, die sie alle aus dem iranischen Atomprogramm kennen, gemeinsam mit dem iranischen Außenminister gegeben. Auf diesem Treffen der Außenminister ist in der Tat die gemeinschaftliche Entscheidung getroffen worden, dass es vernünftig sein könnte, das Format P5+1, also die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats plus Deutschland, oder, wie wir eher sagen, die E3+3 zu nutzen, um nicht nur über das iranische Atomprogramm miteinander zu sprechen, sondern auch regionale Fragen anzusprechen, zu denen dann natürlich auch das Syrien-Dossier gehören könnte.

Dann verrate ich Ihnen, glaube ich, kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass aus Sicht der Bundesregierung eine Lösung dieses vertrackten, total verknoteten, blutig-brutalen Bürgerkriegs in Syrien sich nur unter Beteiligung der regionalen Mächte finden lässt. Allen voran stehen da dann die Türkei, Saudi-Arabien und der Iran. In der letzten Woche ist es nicht gelungen - das war auch nicht realistisch -, diese drei Mächte miteinander irgendwie in ein vernünftiges oder gar förmliches Gespräch zu bringen. Dafür ist die Kluft zwischen den beteiligten Staaten der Region, wie ich hoffe, noch zu groß, jedenfalls zu groß. Aber ein Format, an dem Europäer, auch Deutschland, teilhaben, an dem die Vereinigten Staaten von Amerika und Russland und die wichtigen Mächte der Region teilhaben, scheint aus Sicht der Bundesregierung durchaus das Richtige zu sein. Aber das zu wollen heißt nicht, es hinzubekommen. Da gibt es eigentlich in jeder Hinsicht extrem schwierige Fragen zu klären.

Lassen Sie mich ein letztes Wort zu den Ereignissen des Wochenendes, auch zu den fortgesetzten russischen Luftangriffen sagen: Wir fänden es wichtig, wenn Worte und Taten miteinander in Einklang stünden. Ich weiß nicht, ob ich mich damit klar genug ausgedrückt habe. Das ist ein Hinweis auf russische Angriffsziele. Es ist ganz wichtig, dass die notwendige Kommunikation zwischen den Militärstäben der an Luftangriffen beteiligten Staaten erfolgt, damit nicht verunfallt durch schreckliche Missverständnisse Dinge passieren, die in eine Welle der Eskalation führen können.

Wir hoffen eigentlich, dass jetzt auch die nächsten Tage und Wochen genutzt werden, um nicht nur militärisch weiter voranzukommen. Wir glauben nicht, dass das wirklich eine dauerhafte Lösung bringen kann, sondern dass der politische Teil unserer Aktivitäten in den Vordergrund gerät.

Frage: Eine Nachfrage zu Ihren Ausführungen zum Thema Familiennachzug: Sie haben deutlich darauf hingewiesen, dass es keine völkerrechtliche Verpflichtung ist. Als reine Lernfrage: Wo ist bei uns dieses freiwillige Engagement festgeschrieben? Wenn man daran wollte, was ja zumindest in der CSU einige wollen, wo müsste man da ansetzen?

Schäfer: Sie meinen mit "ansetzen", das auszuhebeln?

Zusatz: Genau.

Schäfer: Ich glaube, dafür brauche ich Ihnen jetzt keinen Tipp zu geben.

Zusatzfrage: Aber sagen Sie mir doch - -

Neymanns: Sie müssten einmal in § 29 Aufenthaltsgesetz hineinschauen.

Frage: Herr Schäfer, zwei Fragen zum Thema Syrien. Erstens bitte eine Reaktion auf die Äußerungen von Präsident Assad, der gesagt hat, dass es eine militärische Lösung geben wird. Das heißt, es wird bis zum Schluss gekämpft.

Zweitens. Wie schwer ist es jetzt, Iran und Saudi-Arabien an einen Tisch zu bekommen, auch vor dem Hintergrund der Ereignisse in Mekka, wo Hunderte von iranischen Pilgern gestorben sind?

Schäfer: Die letzte Frage ist eine sehr gute. Es war in New York auch in den Gesprächen, die Außenminister Steinmeier mit Beteiligten aus den beiden Ländern geführt hat, mit Händen zu greifen, welche Bedeutung die schrecklichen Ereignisse von Mekka für den Iran, aber auch für Saudi-Arabien haben. Diese Tragödie, bei der auf der Hadsch eine vierstellige Zahl von Menschen offensichtlich totgetrampelt worden ist und bei einer für sie und für ihren Glauben sehr wichtigen Sache auf so tragische Art und Weise ums Leben zu kommen, ist wirklich ganz furchtbar. Der Außenminister hat sich dazu ja auch öffentlich geäußert.

Wir hoffen sehr, dass der Umgang mit den sterblichen Überresten, der Umgang mit dem ganzen Vorfall eben nicht dazu beiträgt, die Kluft zwischen beiden Staaten größer werden zu lassen, sondern dass im Gegenteil in der gemeinsamen Trauer vielleicht auch eine Chance für etwas Annäherung liegen könnte.

Zu Ihrer ersten Frage: Ich bin jetzt gar nicht so sehr in der Lage, nachzuvollziehen, was Präsident Assad wo zu einem militärischen Sieg gesagt haben mag. Ich meine gelesen zu haben, dass er sich irgendwo im iranischen Rundfunk geäußert hat. Das habe ich aber im Detail nicht nachvollzogen. Wenn das seine Haltung sein sollte, dann kann ich ihm für die Bundesregierung nur entgegenhalten: Wir glauben das nicht.

Die Zeitläufe des Verlaufs der Bürgerkriegs der letzten fünf Jahre, das Schrumpfen des Gebietes, über das das syrische Regime überhaupt noch faktische Hoheitsgewalt ausüben kann, die Bedrohungen der Hauptstadt Damaskus durch Aufständische, durch Rebellen sprechen eine andere Sprache. Es ist im Grunde traurig, mit zu verfolgen, dass es vonseiten des syrischen Regimes noch immer nicht genug Bereitschaft gibt, zu erkennen, dass es keine militärische Lösung gibt und dass man das Bombardieren mit Fassbomben, die Verstöße gegen das Völkerrecht beim Umgang mit dem Krieg gegen das eigene Volk nicht endlich einstellt. Das führt alles nur zu viel größeren Schwierigkeiten, vertieft die ohnehin schon unglaublich breite Kluft zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und macht eine friedliche Zukunft innerhalb des syrischen Staatswesens umso schwieriger.

Frage: (akustisch unverständlich) die gesagt haben, dass die Quartiere bis zum Anfang des Winters winterfest sein sollen. Jetzt würde ich gerne einmal fragen: Welcher Winteranfang ist gemeint? Der kalendarische, der meteorologische? Welches Datum ist gemeint, denn es ist ja auch schon teilweise im November bitterkalt?

Neymanns: Das sollte sich natürlich daran orientieren, wenn es erforderlich ist, wenn es also kalt wird.

Zusatzfrage: Das heißt, wir können spätestens von drei oder vier Wochen ausgehen? Minusgrade haben wir in manchen Regionen Deutschlands jetzt schon teilweise in der Nacht.

Neymanns: Wir arbeiten mit Hochdruck daran, versuchen, das hinzubekommen und sind auch sicher, dass wir es schaffen. Ich kann Ihnen noch kein festes Datum nennen. Das ist über Deutschland verteilt. Die Unterkünfte sollen winterfest sein. Wir sind sicher, dass wir das schaffen.

Frage: An das Verteidigungsministerium im Zusammenhang mit Kundus eine Frage, vielleicht aber auch an Herrn Schäfer. Die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" spricht von dem mutmaßlichen Angriff der Amerikaner auf das Krankenhaus der "Ärzte ohne Grenzen" in Kundus von einem Kriegsverbrechen. Schließen Sie sich dieser Einschätzung an oder wie bewerten Sie die Vorgänge dort?

Schäfer: Ich glaube, zunächst muss man einmal sagen: Das, was wir an Informationen aus Kundus haben, ist wirklich erschütternd. Dass es im Zuge der kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen den aufständischen Taliban, den afghanischen Sicherheitskräften und wohl Unterstützung durch alliierte oder amerikanische Unterstützung aus der Luft zu diesem tragischen Vorfall gekommen ist, ist ganz furchtbar. Unser Mitgefühl ist mit den Opfern, den vielen Verletzten und den Angehörigen der Verstorbenen. Das alles ist schrecklich, und das alles darf natürlich nicht passieren.

Auf Ihre konkrete Frage möchte ich antworten, dass die Informationen, die uns zur Verfügung stehen, nicht ausreichen, darüber ein so festes Urteil zu fällen, wie das vonseiten von "Ärzte ohne Grenzen" und, wie ich glaube, auch vom Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen bereits erfolgt ist. Diese reden noch ein bisschen im Konjunktiv, haben aber in der Tat schon davon gesprochen, dass ein Kriegsverbrechen begangen worden sein könnte.

Unsere Informationen über die generelle Lage in Kundus sind lückenhaft und sind erst recht lückenhaft, was diesen konkreten Vorfall vom Wochenende angeht. Deshalb hüte ich mich davor, jetzt hier offiziell dazu Stellung nehmen. Klar ist, dass die Dinge aufgeklärt gehören. Klar ist, dass wir die afghanische Regierung ebenso wie diejenigen, die sonst wie Verantwortung für diese Vorfälle tragen, bitte mit Hochdruck daran arbeiten sollte, aufzuklären, was passiert ist und dann, sobald die Aufklärung erfolgt ist und die Ergebnisse vorliegen, daraus auch die richtigen Schlüsse ziehen. So etwas darf sich nicht wiederholen. Was man daraus lernen kann, muss gelernt werden. Wenn es Verantwortlichkeiten gibt, dann bedeutet das, dass diejenigen, die Verantwortung tragen, dafür auch gerade stehen müssen. Aber es liegt mir fern, hier mit dem Zeigefinger auf irgendjemanden, irgendetwas, irgendeinen Staat oder irgendeine Institution zu zeigen, weil die Informationslage viel zu begrenzt ist.

Lassen Sie mich noch einen letzten Satz angesichts der Kommentare sagen, die ich in mancher deutschen Zeitung heute gelesen habe: Wer jetzt schon wieder in Bausch und Bogen sozusagen das Scheitern der westlichen Intervention in Afghanistan beschreibt oder beschreit, der sollte wenigstens einen Blick darauf werfen, was die Taliban in wenigen Tagen in Kundus in ihrer 48-Stunden-Herrschaft angerichtet haben: das Massakrieren von Leuten, das Aufhängen, das Umbringen. Dieses Terrorregime kann ja wohl nicht in unserem Sinne die Zukunft Afghanistans bedeuten. Deshalb glaube ich, dass es sich gehört zu sagen, dass wir weiter an der Seite der afghanischen Regierung stehen, dass wir begrüßen, dass sie die militärische Herausforderung gegen die Taliban in Kundus angenommen hat. Ich bin hier noch nicht in der Lage, zu sagen oder zu bestätigen, wie das ausgeht. Wir gehen aber davon aus, dass es gelingen kann, in absehbarer Zeit wieder volle Kontrolle über Kundus zu erlangen. Wir werden weiter gemeinsam mit unseren Partnern darüber beraten, wie wir Afgh anistan weiter dabei unterstützen können, genau ein solches Szenario, nämlich ein Taliban-Terrorregime etwa im ganzen Land, dauerhaft zu verhindern.

Zusatzfrage: Eine Nachfrage an das Verteidigungsministerium: Hat das Verteidigungsministerium eigene Erkenntnisse über die derzeitige Lage in Kundus? War es ein Fehler, sich aus Kundus zurückzuziehen?

Nannt: Wie Sie ja wissen, haben wir jetzt ein Ausbildungs- und Beratungsmandat; insofern sind wir jetzt in Operationen natürlich nicht voll involviert. Unser Lagebild ist so, wie Herr Schäfer das gerade geschildert hat: Wir wissen, dass weite Teile von Kundus in der Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte sind. Wie gesagt, ich möchte mich jetzt davor hüten, Wasserstandsmeldungen abzugeben, weil wir eben auch weit entfernt sind und nicht in Operationen involviert sind.

Wir hatten letzte Woche ja schon Soldaten vor Ort in Kundus, die dort Abstimmungsgespräche geführt haben, weil dort das 209. ANA-Korps involviert ist; dieses Korps bilden wir aus und beraten wir im Bereich der Operationsführung. Gerade was Führung betrifft, ist natürlich unheimlich wichtig zu wissen, wie jetzt das Lagebild ist. Mehr kann ich Ihnen zum Lagebild eigentlich nicht sagen.

Ansonsten kann ich nur noch einmal die Worte von Herrn Schäfer unterstreichen: Man sollte sich hüten, Kundus jetzt als Beispiel für ganz Afghanistan zu nehmen - es gibt insgesamt 34 Provinzen. Natürlich ist das ein Rückschlag, keine Frage, und es ist auch ein besorgniserregender Zustand. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben in der Vergangenheit aber bereits mehrfach bewiesen, dass sie auch zur eigenständigen Operationsführung in der Lage sind und auch komplexe Herausforderungen leisten können.

Insofern ist es jetzt wichtig, dass die Ereignisse dieser Tage jetzt auch mit einfließen. Das wird ja diese Woche auch beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister ein Punkt sein. Man muss das dann sorgfältig analysieren und mit in die weiteren Planungen, in die Besprechungen darüber, wie das zukünftig aussehen soll, aufnehmen.

Frage: Herr Nannt, wie lange braucht die Bundeswehr, wie lange brauchen die westlichen Kräfte, um die afghanischen Kräfte auszubilden, das heißt, wann kann die Bundeswehr abziehen?

Herr Schäfer, ich zitiere einmal das Römische Statut zum Thema Kriegsverbrechen: Kriegsverbrechen ist ein "Angriff auf unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, die nicht militärische Ziele sind" - also zum Beispiel ein Krankenhaus. Dann zitiere ich noch einen Bericht der "ZEIT" am Wochenende: "Selbst nachdem amerikanische und afghanische Militärs in Kabul und in Washington über einen ersten Treffer informiert wurden, sei der Bombenangriff auf die Gebäude noch mehr als 30 Minuten lang weitergegangen". Ein weiteres Kriegsverbrechen ist laut Römischem Statut ein Angriff "in der Kenntnis, dass dieser auch Verluste an Menschenleben, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte ... verursachen wird". Warum soll das dann kein Kriegsverbrechen sein?

Nannt: Ich werde Ihnen jetzt keinen weiteren Fahrplan geben. Wie ich es gerade schon sagte: Es ist jetzt wichtig, das zu besprechen. Auch in den nächsten Wochen werden auf verschiedenen Ebenen - innerhalb der Nato, mit den Alliierten, aber genauso auch mit der afghanischen Regierung - weitere Gespräche laufen. Wichtig ist, dass die Afghanen weiterhin die Unterstützung brauchen. Das leisten wir auch. Wie am Ende der genaue Fahrplan aussehen wird, dazu kann ich jetzt noch nichts sagen.

Schäfer: Es macht keinen Sinn - das ergänzt sich vielleicht -, dass Deutschland oder andere Staaten die Unterstützung Afghanistans alleine weiterführen. Es galt von Anfang an das Prinzip "gemeinsam rein, gemeinsam raus". Wir teilen die Einschätzung, dass Afghanistan weiter die Hilfe der internationalen Gemeinschaft braucht, und zwar weit über den Bereich des Militärischen hinaus. Dazu hat sich die Bundesregierung bekannt, und sie bekennt sich weiter dazu. Der Plan ist eigentlich, dass bis Anfang Dezember beim dann anstehenden regulären Außenministertreffen der Nato entsprechende Entscheidungen über die Zeit jenseits von 2016 zu "Resolute Support" oder einer anderen Militärmission getroffen werden sollen. Ich gehe davon aus, dass das auch so läuft. Dazu laufen jede Menge Gespräche, die aus unserer Sicht auf sehr gutem Weg sind.

Zum Thema Kriegsverbrechen: Das ist alles leider viel komplizierter, als Sie das jetzt darstellen. Sie haben das ganz bestimmt korrekt vorgelesen, aber ich muss auch aufgrund meiner juristischen Ausbildung noch einmal darauf pochen, dass man Urteile auf der Grundlage von belegbaren Sachverhaltsinformationen fällt. Das, was Sie da geschildert haben über das, was da geschehen ist, will ich überhaupt nicht in Abrede stellen - kann sein, dass es so war. Ich habe es aber nicht bestätigt, sondern das sind Äußerungen von dem einen oder dem anderen. Ich glaube, das ersetzt nicht eine vernünftige, objektive Untersuchung dessen, was da tatsächlich vorgefallen ist.

Das humanitäre Völkerrecht, also das Recht des zivilisierten Umgangs miteinander im Krieg, ist wirklich kompliziert. Wenn Sie so wollen, ist das eine zivilisatorische Errungenschaft des späten 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts angesichts der Schrecken der Kriege, die sich europäische Nationen untereinander angetan haben. Das gilt, dazu bekennt sich die Bundesregierung; das ist uns wichtig. Aber hier so aus der Lamäng ohne vernünftige Sachverhaltsinformationen Urteile zu fällen, dazu sehe ich mich beim besten Willen nicht in der Lage.

Richtig ist: Krankenhäuser, Schulen und andere besonders empfindliche mögliche Ziele genießen den ganz besonderen Schutz des humanitären Völkerrechts. Auch dazu bekennt sich die Bundesregierung, auch das ist uns ganz wichtig. Aber bitte geben Sie denjenigen, die daran beteiligt waren, die Zeit, das vernünftig aufzuarbeiten. Wenn das geschehen ist, stehen wir natürlich jederzeit mit unserer Bewertung dieser Untersuchungen Rede und Antwort.

Zusatzfrage: Vor einer Woche haben Ihre Kollegen hier gesessen und sich hier blamiert und nicht sagen wollen, dass das in Afghanistan ein Krieg oder ein Bürgerkrieg ist. Vermeidet die Bundesregierung nach dieser Woche immer noch, das zu sagen?

Schäfer: Der Kollege Fischer, der hier für das Auswärtige Amt saß, hat sich überhaupt nicht blamiert, das ist totaler Quatsch; er hat vielmehr versucht, Ihnen vernünftige Antworten auf etwas flapsige Fragen zu geben. Krieg und Bürgerkrieg sind keine Termini technici, sondern das sind sozusagen landläufige Bezeichnungen von Zuständen. Das heißt in den einschlägigen Formulierungen des Völkerrechts ganz anders - internationale bewaffnete Konflikte, nicht internationale bewaffnete Konflikte. Die jeweiligen Definitionen sind selber schon kompliziert und müssen dann immer auf den Sachverhalt angewandt werden. Ich kann also von keiner Blamage reden. Ich stelle mich da ganz ausdrücklich und sehr vehement hinter das, was hier gesagt worden ist. Das war auch nicht "blamiert" oder sonst irgendwas, sondern das war eine vernünftige Antwort auf eine Frage, die viel zu einfach ist. Leider ist die Welt nicht schwarz und weiß, und ich fürchte, wir müssen auch in der Zukunft weiter damit leben, dass das so ist.

Frage: Die Debatte hatten wir ja schon einmal; insofern ist es schön, dass ich jetzt das Fragerecht habe und Herrn Nannt einmal fragen kann - denn das BMVg war damals dafür zuständig -: Würden Sie denn sagen, dass man umgangssprachlich durchaus von einem Krieg sprechen kann?

Zweitens. Sie haben eben, wenn ich es richtig verstanden habe, gesagt, im Rahmen der Ausbildungsmission seien Bundeswehrsoldaten in der unmittelbaren Nähe gewesen. Ich würde einfach gerne wissen: Wie nah ist die Bundeswehr mit ihren dort vor Ort befindlichen Ausbildern denn jetzt tatsächlich dran beziehungsweise wie weit weg ist sie?

Nannt: Zu der zweiten Frage: Zum Beispiel waren letzte Woche Dienstag und Donnerstag für einige Stunden Ausbilder und Berater vor Ort, die sich ebendieses Lagebild verschafft haben. Sie sind dort einfach in die Lage eingewiesen worden, waren also nicht in der Operation mit oder bei irgendwelchen Kämpfen dabei - falls Sie so etwas damit meinen -, und sind dann auch wieder zurückgeflogen. Wir nutzen das dann auch, um es in die Ausbildung in Masar-e Scharif einfließen zu lassen - einfach weil es wichtige Erkenntnisse sind.

Ansonsten, denke ich, haben wir diese Diskussion über "Krieg" und "nicht Krieg" gehört. Ich als Soldat sage: Das ist eine kriegerische Auseinandersetzung - das ist mein persönliches Empfinden. Alles Weitere braucht man, glaube ich, nicht zu diskutieren.

Schäfer: Ich versuche es vielleicht einmal um den Preis massiver Vereinfachungen, indem ich Ihnen sage: Die Bundesregierung geht seit vielen Jahren davon aus, dass es sich in Afghanistan um einen nicht internationalen bewaffneten Konflikt handelt - das wäre sozusagen landläufig Bürgerkrieg. Das setzt allerdings voraus, dass die Aufständischen einen gewissen Organisationsgrad haben. Davon muss man bei den Taliban ausgehen. Die Beteiligung der internationalen Gemeinschaft an solchen Kampfhandlungen macht aus dem nicht internationalen bewaffneten Konflikt keinen internationalen bewaffneten Konflikt, also keinen Krieg.

Das ist jetzt aber wirklich extrem vereinfacht - es gibt Völkerrechtswissenschaftler, die darüber, wie das jetzt genau zu qualifizieren ist, ganze Abhandlungen schreiben. Deshalb verstehen Sie das bitte cum grano salis - in aller Vorsicht.

Frage: Zum Thema Abgasaffäre an das Verkehrsministerium: Haben Sie Erkenntnisse, ob VW die vom KBA festgesetzte Frist, den Plan bis Mittwoch vorzulegen, einhalten will, oder hat VW signalisiert, dass man vielleicht noch mehr Zeit braucht?

Zweitens an das Finanzministerium: In den Nachbarstaaten läuft ja weiterhin die Debatte über die Steuerbefreiung von Diesel. Bleibt es bei der Aussage, dass sich an der Besteuerung von Diesel nichts ändert?

Susteck: Sie haben es angesprochen: Das Kraftfahrtbundesamt hat Volkswagen aufgefordert, bis zum 7. Oktober einen verbindlichen Maßnahmen- und Zeitplan vorzulegen, aus dem ersichtlich wird, wie und bis wann eine technische Lösung der betreffenden Fahrzeuge umgesetzt werden kann. Wir haben keine Hinweise darauf, dass Volkswagen diese Frist nicht halten wird; wir gehen davon aus, dass Volkswagen in dieser Frist Stellung beziehen wird. Über die nächsten Schritte werden wir dann entscheiden, wenn wir wissen, wie eine technische Lösung aussehen kann, also wenn wir Erkenntnisse darüber haben, welche technischen Eingriffe notwendig sind, um gegebenenfalls einen regel- und zulassungskonformen Zustand der Fahrzeuge herzustellen.

von Tiesenhausen-Cave: Um es kurz zu fassen: Es bleibt dabei, es gibt derzeit keine Pläne, die Energiesteuer auf Diesel zu ändern. Sie haben ja auf das Beispiel Frankreich hingewiesen - dazu noch der Hinweis, dass die Systematik der Besteuerung zwischen Deutschland und Frankreich unterschiedlich ist. In Frankreich gibt es zum Beispiel auf Privatautos keine regelmäßige Kraftfahrzeugsteuer. In Deutschland dagegen gibt es eine im Durchschnitt höhere Besteuerung von Dieselfahrzeugen bei der Kraftfahrzeugsteuer; das ist als Ausgleich für die niedrigeren Sätze bei der Energiesteuer zu sehen. Insofern können Sie die beiden Systeme nicht eins zu eins miteinander vergleichen.

Frage: Herr Schäfer, was ist denn von dem Normandie-Treffen am Freitag geblieben, wenn gestern der russische Präsident erklären lässt, dass er keine Möglichkeit hat, auf die Separatisten einzuwirken, und die Wahlen in der Ostukraine wohl am 18. Oktober und 1. November doch stattfinden werden?

Schäfer: Glauben Sie ihm das?

Zusatz: Dem Präsidenten? - Ich nehme es zur Kenntnis.

Schäfer: Auch wir haben das zur Kenntnis genommen. Ich finde, das machen Sie schon ganz gut.

Der französische Präsident und die Bundeskanzlerin haben am Freitagabend auf ihrer Pressekonferenz davon berichtet, dass der russische Präsident seine Zusage gegeben hat, sich intensiv darum zu bemühen, auf die Separatisten einzuwirken, die angekündigten Wahlen am 18. Oktober in Donezk und am 1. November in Lugansk abzusagen. Das ist verknüpft gewesen mit ganz intensiven Debatten unter den drei Präsidenten mit der Bundeskanzlerin über Sequenzierungen, also über ein ukrainisches Wahlgesetz, über die Beteiligung der OSZE, von ODIHR, über konkrete Zeitverläufe, innerhalb derer solche Wahlen stattfinden können.

Wir gehen davon aus, dass der russische Präsident seine Zusage umsetzt und dass die russische Seite mit den Separatisten sprechen wird. Wir sind durchaus zuversichtlich, dass der Einfluss auf die Separatisten größer ist, als er aus manchen Äußerungen aus Moskau daherkommt. Ich denke, wir werden im Laufe der Woche konkreter wissen, wie es weitergeht. Immerhin sollen die Wahlen, um deren Absage wir uns sehr bemühen, weil sie ein eklatanter Verstoß gegen die Vereinbarungen von Minsk vom 12. Februar sind - - Wir gehen davon aus, dass sich da die russische Seite an ihre Zusagen hält. Wir werden sicherlich in den nächsten Tagen hören, was als Ergebnis herauskommt. Sollten sich die Separatisten nicht daran halten, dann wäre es schön, in Moskau zu erfahren, welche Konsequenzen das dann für den Umgang mit diesen Separatisten in der Ukraine haben könnte.

Ansonsten hat es immerhin Fortschritte im Bereich Sicherheit gegeben. Der Abzug von schweren leichten Waffen hat begonnen. Wir gehen davon aus, dass auch der Abzug schwerer Waffen jetzt richtig in Gang kommt - entlang der Regeln, die bereits für den Abzug der leichteren Waffen gefunden worden sind.

Wir finden es ganz wichtig, dass die beiden Seiten vereinbart haben, sich jetzt dem Thema Minenräumung zuzuwenden. Das ist eine ganz furchtbare Waffe, die meistens Unschuldige trifft.

Immerhin gab es erneut ein Bekenntnis beider Seiten zum humanitären Zugang. Auch da gibt es noch immer Schwierigkeiten. Dieser ist vor dem einbrechenden Winter ganz besonders wichtig. Der ist in Deutschland schon schwierig, aber im Osten der Ukraine noch ungleich kälter. Deshalb muss Vorsorge getroffen werden, dass die vielen Menschen dort anständig versorgt werden können.

Ansonsten wurde unter den Teilnehmern vereinbart, dass der Minsk-Prozess fortgesetzt wird, dass die Außenminister am Ball bleiben und dass wir nicht nachlassen in unseren Bemühungen, Kiew, Moskau und die Separatisten zusammenzubringen, um die politische Lösung endlich hinzubekommen, die nach den Vereinbarungen von Minsk nach Umsetzung aller anderen Punkte damit enden soll, dass die ukrainische Regierung wieder die volle Kontrolle und Herrschaft über ihre Grenzen mit Russland zurückerhalten soll. Auch dazu hat es von beiden Seiten, vom ukrainischen und vom russischen Präsidenten, vollumfängliche Bekenntnisse gegeben.

Zusatzfrage: Was halten Sie denn von den ukrainischen Vorstellungen, dass auch diejenigen 1,5 Millionen Ukrainer wählen sollen, die nicht mehr in Donezk und Lugansk wohnen, die also geflohen sind?

Schäfer: Ich glaube, das überlassen wir jetzt einmal den Beratungen in der Duma und den Beratungen in Kiew. Dass ein solcher Wunsch nachvollziehbar ist, weil das Menschen sind, die vor den Verhältnissen dort fliehen mussten, aber ihr Zuhause in diesen beiden Regionen haben, die von den Separatisten beherrscht werden, können Sie hoffentlich nachvollziehen.

Montag, 5. Oktober 2015

*

Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 5. Oktober 2015
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/10/2015-10-05-regpk.html;jsessionid=3193B616E7B238DA789F3302DDFF002A.s4t2
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-25 55
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Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2015

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