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PRESSEKONFERENZ/1293: Kanzlerin Merkel und der italienische Ministerpräsident Renzi, 31.08.2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Maranello - Mittwoch, 31. August 2016
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Ministerpräsidenten Italiens, Matteo Renzi

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


MP Renzi: Ihnen allen einen guten Tag und herzlich willkommen. Zunächst einmal ein ganz herzliches Willkommen Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie ihrer gesamten Delegation, den Ressortchefs der Delegation und den Vertretern der gesamten Bundesregierung. Wir sind Gäste des Unternehmens Ferrari und bedanken uns dafür. Wir werden in Kürze mit den Delegationen und mit Vertretern des deutschen und italienischen Unternehmertums im Rahmen der deutsch-italienischen Konsultationen zum Abendessen schreiten.

Wir haben uns in der letzten Zeit öfter gesehen: Vor einigen Tagen in Ventotene, dann bei der Vorbereitung des G7-Gipfels in Italien und auch bei anderen Gelegenheiten, beispielsweise bei der EXPO in Mailand. Bei vielen Gelegenheiten haben die Bundeskanzlerin und ich uns getroffen. Angela, die Italien sehr gut kennt, hatte auch die Möglichkeit, die Vertreter unseres Landes kennenzulernen.

Es ist zum ersten Mal der Fall, dass ein deutsch-italienischer Gipfel in Italien stattfindet. Davor gab es im März 2014 einen Gipfel in Berlin, und zwar kurz nachdem unsere Regierung ans Ruder kam. Nach dem, was in Amatrice und Pescala del Tronto und den anderen Orten vor sich gegangen ist, findet der heutige Gipfel in einem besonders traurigen Augenblick unserer Geschichte statt. Ich meine das Erdbeben in der letzten Woche. Ich möchte mich ganz persönlich und alles andere als formal bei Angela bedanken, die sich gleich nach dem Erdbebenstoß gemeldet hat, mir zur Seite gestanden ist und auch Strukturen der deutschen Regierung zur Verfügung gestellt hat. Ich möchte mich auch für das Gefühl der Freundschaft bedanken, die das deutsche Volk dem italienischen Volk erwiesen hat, aber auch die deutsche Regierung der italienischen Regierung.

Unser Treffen hat heute so begonnen, dass wir diejenigen getroffen haben, die sich an der Rettung und der Bergung beteiligt haben. 238 Personen sind gerettet, geborgen worden, auch wenn es andererseits fast 400 Tote gegeben hat. Wir haben die Feuerwehrleute aus Ascoli Piceno getroffen, die Vertreter des Zivilschutzes und anderer staatlicher Einrichtungen. Dann haben wir natürlich auch dem Polizeihund Leo die Pfote gereicht. Es ist auch ein kleines Mädchen gerettet worden, das vier Jahre alt war. Was zwei Zwillingsschwestern angeht, ist die eine gerettet worden und die andere nicht. Dies war Dank des heldenhaften Einsatzes der Retter der Fall.

Wir haben immer gespürt, dass die deutsche Regierung und das deutsche Volk uns zur Seite standen. Danke, Angela, für die konkreten Engagements, die du hier selbst noch zum Ausdruck bringen wirst, welche konkrete Zeichen der Solidarität Deutschlands es geben wird.

Ferrari selbst hat uns heute mitgeteilt, dass eines der prestigereichsten Fahrzeuge versteigert wird, um zu zeigen, dass auch Ferrari dem italienischen Volk in der Erdbebenzone nahesteht. Danke vielmals auch an Macaron.

Wir haben hier zwei große Themen angeschnitten. Das waren einmal die bilateralen Themen. Die bilaterale Zusammenarbeit funktioniert ausgezeichnet. Wir haben die Region Emilia-Romania mit Maranello gewählt. Das ist ein Teil von Italien, der sehr intensiv mit Deutschland zusammenarbeitet. Der ganze Nordosten und auch das Veneto haben hervorragende Beziehungen zu Deutschland. Es wird dort sehr viel investiert, und es wird sehr viel Innovatives produziert. Es gibt viele gute Beziehungen zu den Deutschen, insbesondere auch bei der Umsetzung der Industrie 4.0 und den damit verbundenen Bestrebungen in unserem Bildungswesen. Wir haben also hier einen lebhaften Beleg dafür, dass Europa dort einen Mehrwert liefern muss. Wir zeigen hier die privilegierten Beziehungen zu Deutschland mit den Steigerungen der Exporte Italiens. Das sind tatsächlich bedeutsame Realitäten einer gemeinsamen Zusammenarbeit.

Scherzend habe ich Angela vorhin gesagt, dass die Arbeitsmarktreformen, die wir in den nächsten Jahren werden umsetzen müssen, also den sogenannten Jobs Act, Deutschland schon vor zehn Jahren vollzogen hat. Wenn wir das schon vor zehn Jahren gemacht hätten, dann hätte dies sicher zu besseren Ergebnissen für unser Land geführt. In den letzten zweieinhalb Jahren sind mehr als 550 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Das Ergebnis ist unwahrscheinlich. Wenn wir früher die Arbeitsmarktreform durchgeführt hätten, vor zehn Jahren, wie es Deutschland gemacht hat und wirklich der Zukunft vorgegriffen hat, dann hätte sich etwas anderes in Italien abgespielt. Es lohnt sich nicht, jetzt zu jammern, sondern man muss Chancen für die Zukunft schaffen.

Die bilaterale Zusammenarbeit ist im Wirtschaftsbereich und auch in anderen Bereichen sehr wichtig. Die verschiedenen Ressortchefs, auch die Finanzminister, haben über die gemeinsame strategische Arbeit in Europa gesprochen. Auch die Unternehmer werden heute Abend während des Abendessens darüber sprechen.

Gleichzeitig muss man aber auch unterstreichen, dass im bilateralen Bereich große Schritte nach vorne gemacht worden sind, auch was andere heikle Dossiers betrifft, die sehr qualifizierend sind. Ich denke an die Migration. Kanzlerin Merkel hat ein großes Zeichen gesetzt, vor allem im Laufe des Jahres 2015. Deutschland hat mehr als eine Million Personen in dem Jahr aufnehmen können. Die Zahlen in Italien sind natürlich viel niedriger. Bei uns sind die Zahlen so wie im letzten Jahr, vielleicht liegen sie noch etwas darunter. Letztes Jahr waren es am Jahresende 150 000. Aber es ist auch wahr, dass es in den letzten Tagen eine starke Zunahme gab. Da ist es sehr wichtig, dass wir alle in Europa gemeinsam an einem Strang ziehen, um das Prinzip in den Vordergrund zu stellen, dass Europa gemeinsam die Rückführung der Personen vornehmen muss, die keinen Anspruch auf Asyl haben. Da muss mehr geleistet werden, als bis jetzt getan worden ist. Wir werden natürlich weiterhin Menschenleben retten und Schiffbrüchige bergen. Aber wir wissen, dass es gewisse Limits gibt. In Italien sind wir, wie gesagt, noch unter den im letzten Jahr erreichten Zahlen geblieben. Aber andererseits ist es unvorstellbar zu glauben, dass wir all die Leute aufnehmen können, die keinen Anspruch auf Asyl haben. Daher müssen die einzelnen europäischen Staaten gemeinsam mit Europa die Rückführungsabkommen schaffen und die Personen, die keinen Anspruch auf Asyl haben, auch wirklich zurückführen.

Damit komme ich zum Ende des ersten Teils. Es gibt in den nächsten Wochen und Monaten noch vieles zu leisten, um wirklich immer mehr für die Zukunft Europas zu leisten. In Ventotene haben wir gesagt, dass am Tag nach dem "Brexit"-Referendum viele gesagt haben, dass das das Ende Europas ist. Das stimmt nicht. Europa hat eine Zukunft. Wir müssen fähig sein, Mut zu zeigen, zu investieren und innovativ zu sein. Das sind Themen, die wir heute angegangen sind, die wir auch in Zukunft angehen werden.

Es sind verschiedene Initiativen ergriffen worden, auch außenpolitisch. Europa muss einheitlich vorangehen. Italien und Deutschland können viel dazu beitragen, damit Europa in ein und dieselbe Richtung voranschreitet. Europa darf nicht als ein Land angesehen werden, in dem Zeugnisse und Noten verteilt werden. Oft glaubt man, Europa ist ein Ort, wo einem gesagt wird, was man tun darf und was man nicht tun darf. Nein! Wir haben als italienische Regierung vor allem gesagt, was unsere Pflichten gegenüber der italienischen Bevölkerung sind. Dieses Jahr haben wir die niedrigste Neuverschuldung der letzten zehn Jahre erreicht. Oft weiß das nicht einmal die italienische Öffentlichkeit. Aber damit haben wir auch ein Zeichen unserem Land, unseren Kindern, unseren Kindeskindern gegenüber gesetzt. Es ist nicht nur eine europäische Verpflichtung. Es ist auch eine Verpflichtung unseren Kindern und Kindeskindern gegenüber. Europa muss also wieder der Ort der Hoffnung sein, der Ort, wo die Chancen geschaffen werden. Da muss noch viel Arbeit geleistet werden. In der Öffentlichkeit hat dies noch nicht so richtig Fuß gefasst. Wir haben in Ventotene daran gearbeitet.

Zusammen mit unseren deutschen Freunden müssen wir die Zukunft Europas gemeinsam gestalten, insbesondere im Hinblick auf die zukünftigen Generationen. Es wird, wie gesagt, noch vieles zu tun sein. Ich möchte mich noch einmal bei der Kanzlerin ganz herzlich bedanken, denn für Italien ist dieses Treffen heute sozusagen ein Neustart. Wir haben gestern die Toten beerdigt, die Trauerfeier gehabt. Wir begehen den zweiten Tag der nationalen Trauer. Wir müssen den Menschen in Amatrice eine Perspektive eröffnen, aus ihrem Schmerz herauszufinden. Ich habe mit dem Bürgermeister gesprochen und habe gesagt: Dies ist unser erstes internationales Treffen nach dem Erdbeben. Ich finde es außerordentlich erfreulich, dass wir heute hier zusammen sind. Auch wenn wir in einzelnen Fragen nicht immer übereinstimmen, bin ich der festen Überzeugung, dass unsere gemeinsame Zusammenarbeit von historischer Bedeutung für Europa ist und dass wir Lösungen für die Zukunft Europas vorschlagen können.

Deshalb, liebe Angela, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, noch einmal herzlich willkommen in Maranello. Ich hoffe, dass wir an einem Strang ziehend ein Zeichen für unsere Zukunft und für unsere Freundschaft aussenden können. Danke vielmals.

BK'in Merkel: Lieber Matteo, herzlichen Dank für den freundschaftlichen Empfang, auch der ganzen Delegation unserer Regierung, hier in Maranello. Wir beide sehen uns binnen weniger Tage zum zweiten Mal; du hast auf Ventotene verwiesen.

In der Zwischenzeit ist in Italien etwas sehr Trauriges passiert: das Erdbeben. Wir haben mitgefühlt - das sage ich nicht nur für die Regierung, sondern auch für die Menschen in Deutschland. Wir haben Hilfe angeboten. In herausragender Weise haben die Sicherheitskräfte hier in Italien gearbeitet. Es hat mich sehr gefreut, dass auch ich heute Dank sagen konnte für die Arbeit, die sie sehr professionell und sehr schnell geleistet haben, inklusive natürlich auch des Rettungshundes Leo.

Wir haben uns überlegt: Was können wir vonseiten Deutschlands zum Wiederaufbau beitragen? Wir möchten gerne den Wiederaufbau einer Schule finanzieren. Wir werden dazu als Regierung einen Beitrag leisten. Was sehr gut ist, ist, dass sowohl die deutsche Wirtschaft, mit der wir heute Abend noch zusammentreffen, als auch die italienische Wirtschaft sich daran beteiligen werden und auch die Deutsche Fußballiga bereit ist, wenn es zu einem Freundschaftsspiel zwischen Italien und Deutschland im November kommt, einen Beitrag zu leisten. Uns war wichtig, dass es nicht nur Regierungen sind, sondern dass sich zeigt, dass breite Teile der Zivilgesellschaft einfach bereit sind, dazu einen Beitrag zu leisten.

Du hast den Ort Maranello sehr symbolisch ausgewählt, weil er etwas über die Stärke unserer Industrien und die Stärke der italienischen Industrie aussagt. Für uns ist natürlich der Ort Maranello auch mit Michael Schumacher, Ferrari und der erfolgreichen Zeit verbunden, genauso wie wir natürlich auch demnächst wieder auf Erfolge hoffen. Das Thema Wirtschaft ist deshalb heute ein Schwerpunktthema, was beim Abendessen noch einmal sehr klar hervortreten wird, wenn wir mit der Wirtschaft selbst sprechen.

Wir beide legen viel Wert darauf, dass wir sowohl in Europa als auch zwischen unseren Ländern das Thema Digitalisierung sowohl in Bezug auf die Regierungsarbeit als auch die industrielle Produktion - wir sagen in Deutschland Industrie 4.0 - voranbringen. Wir werden in der Reformagenda, die für Europa notwendig ist, einen Schwerpunkt auf die Schaffung des digitalen Binnenmarkts legen. Wir werden überlegen, was wir gemeinsam tun können. Es wird Anfang des nächsten Jahres eine Konferenz in Berlin geben, die sich mit der Digitalisierung beschäftigt und für die unsere Wirtschaftsminister die Vorbereitungen treffen. Ich würde mich freuen, dich dann auch in Berlin begrüßen zu können.

Ich glaube, dass dieser moderne Produktionsort hier auch ein Teil dieser Geschichte ist und wir sehen können, wie heute unter ganz anderen Bedingungen gearbeitet wird. Deshalb war es mir eine Freude, auch hier mit Arbeitnehmern aus den Werken zusammenzukommen, die gezeigt haben, was sie können und welche große Qualität sie liefern.

Wir haben im Rahmen der Regierungskonsultationen natürlich auch über das Thema Migration gesprochen. Ich glaube, sowohl aus der Perspektive der Außen- als auch der Innenminister kann man sagen, dass es hier eine sehr viel engere Zusammenarbeit gibt, als wir sie zu Beginn deiner Regierungszeit hatten. Am Anfang war immer ein bisschen der Punkt: Ihr interessiert euch für die Ukraine, wir müssen uns für Libyen interessieren. Ich glaube, inzwischen gibt es hier eine sehr gemeinsame Agenda. Wir alle sind betroffen davon, wenn an den europäischen Außengrenzen etwas Schwieriges passiert. Deshalb freue ich mich auch, dass die Registrierung der Flüchtlinge inzwischen in Italien herausragend ist und dass wir gemeinsam daran arbeiten, diejenigen zurückzuführen, die keinen Anspruch auf Aufenthalt in den Ländern der Europäischen Union haben. Deutschland steht vor diesem Problem mit den vielen Menschen, die im vergangenen Jahr gekommen sind, von denen nicht alle ein Bleiberecht haben. Aber Italien steht in noch größerem Maße vor diesem Problem, weil Italien vor allen Dingen Flüchtlinge aus den afrikanischen Ländern hat. Hier haben wir gemeinsam mit der Kommission ein Interesse, an der Rückführung zu arbeiten. Auch das werden wir in die europäische Agenda einbringen.

Es muss klar sein: Wir werden unseren humanitären Verpflichtungen gerecht, aber wir müssen auch sagen: Diejenigen, die kein Bleiberecht haben, müssen wieder nach Hause gehen, weil wir ansonsten das, was wir für Bürgerkriegsflüchtlinge und andere machen wollen, nicht machen können. Genauso dankbar bin ich, dass sie auch unterstützt, dass das EU-Türkei-Abkommen weiter funktioniert. Es ist natürlich auch wichtig, dass wir illegale Migration stoppen. Im Mittelmeer sind viele, viele Menschen umgekommen; in der Ägäis sind viele Menschen umgekommen. Wir haben als Staaten natürlich auch den Anspruch, Illegalität, Schmuggel und Menschenhandel zu bekämpfen.

Das sind die beiden Punkte, die ich hervorheben möchte.

Unsere Verteidigungsminister arbeiten hervorragend zusammen. Man kann sagen, dass die Regierungskonsultationen auch durch die Reformarbeit der italienischen Regierung unter deiner Führung - du hast den Jobs Act erwähnt - sehr intensiv geworden ist, dass aber auch durch die Stabilität der Regierungen sehr stabile Beziehungen zwischen unseren Ministern entstanden sind. Deshalb möchte ich ausdrücklich sagen: Ich wünsche Matteo Renzi sehr viel Erfolg bei der Umsetzung dieser Reformagenda, die - so sehe ich das jedenfalls von außen - Italien gut tut, aber auch Europa gut tut. Deshalb sollten wir hier eng zusammenarbeiten.

Danke für die Gastfreundschaft und danke, dass wir hier sein können.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, heute vor einem Jahr haben Sie die berühmte Aussage "Wir schaffen das" getroffen. Wie sehen Sie das heute? Stehen Sie noch zu der Aussage oder bedauern Sie diese sogar?

Wie wollen Sie konkret Ländern wie Italien und Griechenland helfen, um mit dem Zustrom der Flüchtlinge klarzukommen?

BK'in Merkel: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieser Satz richtig war. Es war ein Satz, der eine bestimmte Haltung ausgedrückt hat, der auch eine bestimmte Motivation ausgedrückt hat. Ich glaube, dass wir auch schon vieles geschafft haben, aber noch Etliches zu tun bleibt.

Sie haben eben davon gesprochen, was wir tun können, um gerade den Ländern, die eine maritime Grenze haben, zu helfen. Da ist eben ganz wichtig, dass wir mit den Ländern Abkommen schließen, aus denen Flüchtlinge kommen, die einerseits sagen: Wer kein Aufenthaltsrecht in der Europäischen Union hat, muss auch das Gebiet wieder verlassen. Aber das wird auf Dauer nur klappen, wenn wir gleichzeitig die Ursachen von Flucht und Vertreibung bekämpfen. Das heißt, Entwicklung in den afrikanischen Ländern anstoßen, für politische Stabilität arbeiten, wie wir es jetzt in Libyen tun.

Ein Beitrag, den Italien, Frankreich und Deutschland leisten wollen, ist, dass wir Migrationspartnerschaften übernehmen - wir zum Beispiel mit Niger; Niger ist eines der ärmsten Länder auf der Welt -, um gemeinsam mit der Kommission daran zu arbeiten, dass die Menschen in diesen Ländern eine Perspektive haben. Das ist, wie man so sagt, ein sehr dickes Brett, das wir bohren müssen. Aber es gibt aus meiner Sicht keine vernünftigen Alternativen, als mit diesen Ländern zu kooperieren und ihnen bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen.

Insofern sind wir hier auf einem gemeinsamen Weg. Natürlich müssen wir aus Sicherheitsgründen auch die Registrierung übernehmen. Sowohl in Deutschland wird jeder Flüchtling, der bei uns ankommt, registriert, als auch in Italien, wo im Augenblick sehr viel mehr Flüchtlinge ankommen, wird jeder Flüchtling registriert. Das ist auch ein wichtiger Schritt zum Schutz unserer Außengrenzen. Denn wir müssen lernen - und das müssen wir schaffen - , in Europa unsere Außengrenzen besser zu kontrollieren. Hier haben die Innenminister im letzten Jahr sehr vieles vorangebracht.

Alles in allem: Es bleibt noch sehr viel zu tun. Aber aus meiner Sicht war dieser Satz berechtigt und richtig. Ich möchte mich an der Stelle, auch wenn ich jetzt auf italienischem Boden bin, noch einmal bei den vielen ehrenamtlichen Helfern in Deutschland bedanken, die ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass uns die Bewältigung dieser Aufgabe bislang gelungen ist.

Frage: Ich wollte Sie hinsichtlich der Flexibilität fragen, der Möglichkeit, jetzt auch noch von den Defizitvorschriften der Europäischen Union abzuweichen, und zwar nicht nur aufgrund des aktuell erfolgten Erdbebens, sondern auch aufgrund der Reformanstrengungen, die Italien bereits übernommen hat.

MP Renzi: Ich werde versuchen, mich wirklich klar auszudrücken, weil mir das sehr am Herzen liegt. Italien muss unbedingt die Mittel, über die es verfügt, sinnvoll ausgeben. Es gibt keinen Italiener, der heute wegen der Erdbebenopfer trauert und dann eine SMS schickt oder sonst irgendwie in die Hosentasche greift, um zu fördern, und dann aber sagt: Aber Achtung, bitte gebt die Gelder gut aus. - Das ist der erste Punkt, also nationale Transparenz. Es gibt eine nationale Behörde, die die Korruption bekämpft und die sehr gut bei der Weltausstellung in Mailand funktioniert hat. Der Punkt Legalität ist sehr wichtig.

Zweitens. Man muss das Geld für Dinge ausgeben, die wirklich wichtig sind. Da kommen wir zu dem Wiederaufbauplan "Casa Italia". Es gibt schon Gelder, die bereitstehen, um ausgegeben zu werden, die nun wirklich auf vernünftige Art und Weise entsprechend präziser Leitlinien ausgegeben werden müssen. Was die Notstandsmaßanhmen betrifft, sind diese ohnehin schon aus der Neuverschuldung laut den europäischen Regeln ausgegliedert.

Ich habe gleich nach dem Tag nach dem Erdbeben gesagt: Nachdem wir so ausgezeichnet sind, wenn es darum geht, großzügig zu sein oder als Notstandsmaßnahme den Wiederaufbau vorzunehmen, versuchen wir doch, etwas Langfristiges zu machen. Wir brauchen nicht unendlich viele Mittel, sondern wir brauchen einfach eine andere Mentalität. So ist es zu dem Wiederaufbauprojekt "Casa Italia" gekommen. Hier richten wir uns darauf aus, was der große Architekt Renzo Piano gedacht hat: Kleinstprojekte und ein gutes Patchwork. Hier muss man wirklich das Ganze gut managen. Hier geht es nicht nur um den unmittelbaren Wiederaufbau nach dem Erdbeben. Damit wird ein Kommissar beauftragt. Das wird Vasco Errani sein, der morgen damit beauftragt wird. Warum Vasco Errani? Das weiß auch Angela. Weil er Landesvater hier in Emilia-Romania war, der Region, in der wir uns jetzt befinden. Vor vier Jahren hat es hier ein Erdbeben gegeben, und damals hat er sehr gute Arbeit geleistet.

Europa stellt Fördermittel zur Verfügung, die gemeinsam mit den Institutionen evaluiert werden müssen. Das ist schon von den Normen her vorgesehen, wie zum Beispiel die Klausel für Naturkatastrophen und Investitionen im Bereich der Flexibilität. Wenn nötig, werden wir die europäischen Regeln anwenden. Aber das wird erst der Fall sein, nachdem ein sehr seriöses Projekt ausgearbeitet und an dem gesunden Menschenverstand und der Zukunft ausgerichtet sein wird.

Ich möchte jetzt nicht irgendeinen Showauftritt machen und sagen: Setzen wir "Casa Italia" um, dieses tolle Aufbauprojekt. Nein, wir wollen wirklich nur das machen, was notwendig ist. Aber wichtig ist, dass man zunächst einmal die Gelder sinnvoll ausgibt, sieht, welche Maßnahmen wirklich zu ergreifen sind und dann Leute beauftragt, die von Format sind, um dies zu managen. Dieses Projekt "Casa Italia" - das sage ich für die deutsche Presse - betrifft nicht nur erdbebensichere Maßnahmen oder andere Naturkatastrophen, sondern auch alle anderen Dinge wie zum Beispiel die Kläranlagen und vieles andere mehr. Wir hatten 128 Verstöße in den letzten Jahren zu verzeichnen gehabt und sind jetzt bei 78 Verstößen, die die Kommission gegen uns ausgesprochen hat. Wenn es notwendig ist, über weitere Mittel zu verfügen, werden wir mit den zuständigen Stellen darüber sprechen.

Die italienischen Bürger müssen wissen: Es geht nicht darum, dass es ein Erdbeben gibt und wir mehr Gelder wollen. Nein, Gelder haben wir schon und die wollen wir richtig ausgeben. Wenn es darum geht, Schulen erdbebensicher zu gestalten, dann werden wir das machen.

Ich glaube, wir müssen uns bei Angela für all das bedanken, was sie gesagt hat, nämlich dass sie eine Schule hier neu errichten will. Dass eine Schule gemeinsam neu errichtet wird, ist auch ein wichtiges Zeichen für die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Italien.

BK'in Merkel: Damit ich nicht einfach schweigend daneben stehe, will ich nur sagen: Ich bin ganz sicher, dass angesichts der Katastrophe, die dort passiert ist, angesichts der Maßstäbe, die Matteo Renzi für die transparente Vorgehensweise genannt hat, auch die Möglichkeit und die Flexibilität des Stabilitätspakts absolut ausreichen, um mit der Kommission eine gute Lösung für die Menschen in der betroffenen Region zu finden.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Ihr Wort hat großes Gewicht in Europa. Ich glaube, alle, die jetzt hier zuhören, werden sicherlich sehr froh sein, wenn Deutschland tatsächlich das Projekt des Wiederaufbaus einer Schule ausführt. Ich stand noch bis vor wenigen Stunden vor dieser großen Schule in Amatrice, die zusammengebrochen ist. Ich hoffe natürlich, dass es diese Schule ist. Das wird sicherlich die Entscheidung der italienischen Regierung zusammen mit Ihnen sein. Dürfen wir das noch einmal fragen: Unterstützen Sie die Interpretation des italienischen Ministerpräsidenten bezüglich der Flexibilität, die Italien gerade braucht, um diese große finanzielle Anstrengung nicht nur eines Wiederaufbaus von zerstörten Häusern, sondern auch des Erdbebensichermachens so vieler Häuser in diesen wunderschönen alten Borgi Italiens, die dieses Land gerade so auszeichnen? Ich würde Sie fragen wollen, ob Sie dieses ganz besonders unterstützen und ob Sie uns vielleicht schon sagen können, ob die Schule von Amatrice ausgewählt wurde.

BK'in Merkel: Wir wollen mit der italienischen Regierung und auch mit den Leuten vor Ort zusammen besprechen, welche Schule das sein wird und wie das genau gemacht werden soll. Ich kenne mich in den einzelnen Fällen nicht ganz so gut aus. Das wird sicherlich mit Matteo Renzi zu besprechen sein.

Zum Zweiten möchte ich dem, was ich eben gesagt habe, gar nichts hinzufügen. Italien wird einen Plan vorlegen. Italien wird das transparent aufarbeiten. Dann werden wir, glaube ich, in Europa eine Lösung finden. Der Verhandlungspartner ist natürlich die Kommission und nicht die Bundesrepublik Deutschland. Aber auch ich bin Regierungschefin. Ich kenne auch Situationen wie zum Beispiel Überflutungen, was bei uns öfter vorkommt. Aus der Perspektive eines Landes weiß man doch, was das für die betroffenen Menschen bedeutet. Dafür wird Europa eine vernünftige Lösung finden.

Frage: Guten Abend, Herr Ministerpräsident, guten Abend, Frau Bundeskanzlerin. In diesen Stunden gibt es immer mehr Anlandungen. 13 Flüchtlinge sind in vier Tagen angelandet worden. Italien musste mit dieser Notsituation allein fertigwerden. Wir werden es bald nicht mehr schaffen, so viele aufnehmen zu können. Was erwartet man sich für den Herbst, was Migration Compact und Europa betrifft?

In der "Süddeutschen Zeitung" haben wir nachlesen können, was die Kanzlerin gesagt hat: Über Jahre hin hat Deutschland Länder wie Spanien und Italien alleingelassen und das Problem ignoriert. Vor dem Hintergrund dieser Sätze: Wie gedenkt Deutschland nun, diese Länder zu unterstützen? Denken wir auch an die Umverteilung und Relocation.

MP Renzi: Ich denke, dass Kanzlerin Merkel darauf schon geantwortet hat. Ich teile ihre Worte voll und ganz. Versuchen wir doch einmal, Klartext zu sprechen: Italien kann noch Personen aufnehmen. Es ist noch keine unwahrscheinlich schwierige Situation.

Sicherlich ist die Zahl der Migranten, die kommen, signifikant hoch. 2014 waren es 117. 155 waren es 2015, und 2016 werden es mehr oder weniger genauso viele wie im Vorjahr sein, vielleicht etwas weniger. Zumindest sind das unsere heutigen Prognosen. Aber es wird mehr oder weniger unverändert sein. Es ist aber immerhin signifikant und doch eine ziemlich große Zahl. Wir können dies noch meistern. Es ist nicht so, dass das nicht mehr zu meistern wäre.

Aber die, die kein Bleiberecht in Europa haben, müssen nicht nur einfach nach Hause begleitet, sondern in ein europäisches Projekt eingefügt werden. Denn für diese Menschen ist Europa ein Wunschtraum. Unsere Brüder, die aus Afrika kommen und die dort einfach nur sehr arm sind, kommen vielleicht aus einem Land, das über ein großes Potenzial verfügt, in dem es aber große politische und wirtschaftliche Schwierigkeiten gibt. Wenn es dort ein Projekt gibt, das Europa als eine Art Partnerschaftsprojekt garantiert, werden sie glücklich sein, wenn sie nach Hause zurückkehren können, weil es dieses Partnerschaftsprojekt gibt. Aber das Ganze muss sicher sein.

Die Kanzlerin hat schon gesagt, dass Frankreich, Deutschland und Italien auch in Ventotene über diese Partnerschaftsprojekte gesprochen haben. In Valetta haben wir schon seinerzeit einen Gipfel gehabt. Aber damals ist noch nicht viel auf die Beine gestellt worden. Das muss heute gefördert werden. Noch kann die Situation gemeistert werden. Es ist nicht wahr, dass sie nicht mehr zu meistern ist. Denken wir an Deutschland: Es hat letztes Jahr ein Problem gemeistert, das zehn Mal so groß war wie in Italien, 1 zu 10. Damit wende ich mich jetzt an die italienische Öffentlichkeit.

Aber wir glauben, dass es eine europäische Angelegenheit sein muss, vor allem die Rückführung. Ich möchte hinzufügen, dass die deutsche Regierung eine der wenigen Regierungen war, die auch das Prinzip der Umverteilung anwenden möchte und angewendet hat.

Wir haben uns bei dem größten europäischen Land, Deutschland, bedankt und möchten uns auch bei dem kleinsten europäischen Land, Malta, bedanken. Ich habe mit meinem Kollegen Joseph gesprochen, und er hat gesagt, dass ein kleiner Teil der Personen nicht in Sizilien oder Sardinien, sondern auf Malta anlanden wird. Das ist ein kleines Zeichen der Solidarität und Großzügigkeit, das ich aber zur Kenntnis nehme und hier unterstreichen möchte.

Abschließend will ich sagen, dass das also ein Problem ist, das man strategisch angehen muss. Europa ist wirklich ein großer Kontinent, der in Afrika eingreifen sollte. Es ist doch nicht möglich, dass in manchen afrikanischen Regionen mehr Chinesen als Europäer sind. Wir müssen also in internationale Entwicklungshilfe und Wirtschaftskooperation investieren - das tun wir ja -, damit die internationale Staatengemeinschaft sieht, dass das wichtig ist.

Dabei sind wiederum das G20-Treffen, das nächstes Jahr in Deutschland stattfindet, und das G7-Treffen nächstes Jahr in Italien von Bedeutung. Wir müssen uns dabei absprechen. Deutschland ist für Italien ein wichtiger Partner. Denn wir wissen, dass Deutschland imstande ist, auch die Migration als eine Priorität festzulegen. Denn vergangenes Jahr ist etwas geschehen. Es ist zu einer Kehrtwende gekommen, weil man verstanden hat, dass das Problem der Migration nicht das Problem eines einzelnen Landes sein kann. Wir machen es gemeinsam.

Natürlich verfügt kein Mensch über einen Zauberstab. Einen Zauberstab gibt es nur im Märchen. Aber der gesunde Menschenverstand, mittelfristige Investitionen in Afrika - das ist unsere Priorität. Wir wollen wirklich zu Hause bei den Menschen etwas machen. Das haben wir in der Vergangenheit nicht immer getan.

Wenn ein Land vom Meer umgeben ist, dann kann man den Menschen im Meer nur helfen, indem man sie birgt und ihnen im Meer hilft. Denn wenn jemand im Mittelmeer schiffbrüchig ist, dann muss man ihm helfen, und zwar gemeinsam. Nicht alle haben ein Bleiberecht; manche müssen nach Hause zurückgeführt werden. Aber die humane Dimension und die Dimension der Menschenwürde in Europa haben es ermöglicht, Zigtausende Menschen zu retten. Ich denke, darauf müssen unsere Völker wirklich stolz sein dürfen.

BK'in Merkel: Wir können definitiv helfen, wenn es Bedarf bei der Registrierung gibt. Dabei kann Frontex helfen; dabei können wir uns aber auch bilateral helfen, wenn es Engpässe gibt. Zweitens werden wir gemeinsam an Rückführungsmöglichkeiten arbeiten und gemeinsam bei der Kommission vorstellig werden, um die Rückführung hinzubekommen. Deutschland wird sich im Rahmen seiner Aufgaben auch an der Umsiedlung beteiligen, obwohl wir sehr viele Flüchtlinge hatten. Insofern werden wir Italien zur Seite stehen.

Wichtig ist uns, dass eine ordentliche Registrierung erfolgt - das haben wir jetzt geschafft -, damit wir die Sicherheitsaspekte überprüfen können, und dass wir aus der Illegalität innerhalb der Europäischen Union herauskommen und in eine Legalität kommen. Dabei arbeiten wir Hand in Hand. Aber bei Entwicklungshilfe, bei Projekten, bei Rückführung und, wenn geboten, auch bei der Registrierung können wir gern Unterstützung leisten.

Mittwoch, 31. August 2016

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem
Ministerpräsidenten Italiens, Matteo Renzi, am 31. August 2016 in Maranello
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/09/2016-09-01-pk-bkin-renzi.html;jsessionid=638ABF7A569B6819C47AF8D0F6FBDB98.s7t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2016

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