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PRESSEKONFERENZ/1451: Regierungspressekonferenz vom 10. Mai 2017 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Mittwoch, 10. Mai 2017
Regierungspressekonferenz vom 10. Mai 2017

Themen: Reise des Bundesaußenministers nach Venedig, Teilnahme des Bundesaußenministers an der Somalia-Konferenz in London, Kabinettssitzung (Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an KFOR, Beschluss der "Gemeinsamen Unterrichtung über das deutsche Engagement beim Einsatz von Polizistinnen und Polizisten in internationalen Polizeimissionen 2016", Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Wohnungseinbrüchen), Tagung des Kabinettsausschusses "Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union", mögliche IWF-Empfehlung zur Befassung mit dem Thema soziale Ungleichheit in Deutschland, Nato-Mitgliedschaft der Türkei, Hinweise auf Steuerhinterziehung über Malta, Einsatz von deutschen Truppen in Afghanistan, Diskussion um rechtsextreme Tendenzen in der Bundeswehr, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Manager der Betreiberfirma Toll Collect, Mittel des Bundes zur Förderung des Bundesfernstraßenbaus für NRW, Aktivitäten des Auswärtigen Amtes auf Twitter, Medienbericht über Wechsel von Staatsekretär Ederer in den Europäischen Auswärtigen Dienst, Nutzung des Geländes der Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Korea in Berlin zu kommerziellen Zwecken, Fall des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel und weiterer deutsch-türkischer Inhaftierter

Sprecher: SRS Streiter, Schäfer (AA), Dimroth (BMI), Nannt (BMVg), von Tiesenhausen-Cave (BMF), Scholz (BMJV), Strater (BMVI), Kempe (BMFSFJ)


Vorsitzender Mayntz eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt SRS Streiter sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Schäfer: Zunächst einmal, Herr Mayntz, herzlichen Dank dafür, dass Sie hier in der Regierungspressekonferenz auch immer Gäste des Auswärtigen Amtes begrüßen. Es ist ja wirklich eine einzigartige Institution, in der wir hier das Vergnügen haben, dreimal die Woche zusammenzusitzen. Ich glaube, so etwas gibt es sonst nirgendwo auf der Welt. Von dem, was diese Bundesregierung wie alle ihre Vorgänger und Nachfolger an Transparenz und Offenheit anbietet - hier kann sich niemand verstecken, hier wird dreimal die Woche hart gefragt -, können sich viele andere Länder, glaube ich, wirklich eine Scheibe abschneiden, und deshalb lohnt es sich, sich das einmal anzuschauen.

Ich erlaube mir auch ohne Frage, Ihnen eine Reise des Außenministers mitzuteilen. Der sitzt schon im Flugzeug und wird jetzt in den nächsten Minuten gen Italien, nach Venedig, fliegen, um dort den deutschen Pavillon der diesjährigen Kunstbiennale in Venedig zu eröffnen. Die deutsche Künstlerin Anne Imhof hat den deutschen Pavillon auf der Kunstbiennale 2017 künstlerisch gestaltet. Kuratiert wird oder wurde der deutsche Beitrag von Susanne Pfeffer, der Direktorin des Museums Fridericianum in Kassel. Nach der Documenta in Athen ist das jetzt schon das zweite große internationale Kunstereignis, an dem Außenminister Gabriel teilnimmt, das er in seiner Amtszeit besucht und das obendrein vom Auswärtigen Amt gefördert wird. Das ist das Programm für heute.

Heute Abend wird der Außenminister nach London weiterfliegen. Sie haben sicherlich mitbekommen, dass er am vorvorletzten Wochenende in Somalia und in Äthiopien gewesen ist, um sich dort selbst ein Bild von der Lage in diesem geschundenen Land zu machen, in dem sich eine Regierung angesichts einer schwierigen Lage, einer Hungerkatastrophe und vieler anderer Herausforderungen anschickt, endlich wieder so etwas wie vernünftige Regierungsführung zu gestalten. Herr Gabriel wird morgen an einer Somalia-Konferenz in London teilnehmen und dort unter anderem mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen sowie mit anderen Amtskollegen zusammentreffen, um gemeinsam zu beraten, wie man den Weg dieser neuen somalischen Regierung zu einer guten Regierungsführung, zu einem funktionierenden Staatswesen und zu einer guten sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Bürger Somalias unterstützen kann.

Sie haben vielleicht schon mitbekommen, dass der Außenminister bereits auf seiner Reise nach Somalia weitere 100 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für die Millionen Menschen in Somalia bereitgestellt hat, die dort Schwierigkeiten haben, sich selbst und ihre Familien mit Essen und Trinken zu versorgen. Auch das wird Herr Gabriel dann auf der Somalia-Konferenz in London noch einmal zum Ausdruck bringen und auf diese Art und Weise auch dafür werben, dass andere dabei mitziehen, weil der Bedarf eben größer als das ist, was die Staaten zurzeit zu geben bereit sind. Wir sind inzwischen zum weltweit zweitgrößten bilateralen Geber im Bereich der humanitären Hilfe geworden, und wir wollen diesen Weg zur Unterstützung der Menschen in Not fortsetzen.

SRS Streiter: Guten Tag! Die Bundesregierung hat heute in der Kabinettssitzung unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Deutschen Bundestags die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Nato-geführten Kosovo Force, KFOR, beschlossen. Das Mandat für den Einsatz deutscher Streitkräfte im Rahmen von KFOR wird inhaltlich im Wesentlichen unverändert fortgeschrieben. Es ist grundsätzlich unbefristet, und die Bundestagsbefassung erfolgt auf Wunsch der Fraktionen von CDU/CSU und SPD.

Die Sicherheitslage in der Republik Kosovo wird als überwiegend ruhig und stabil eingeschätzt. Es besteht aber weiterhin ein gewisses Konflikt- und Eskalationspotenzial im Norden des Kosovo. Der Nato-Rat hatte im Januar 2016 vor diesem Hintergrund beschlossen, die militärischen Kräfte flexibel an die Lageentwicklung anzupassen. Auf dem Warschauer Nato-Gipfel im Juli 2016 haben die Staats- und Regierungschefs dieses flexible Anpassungskonzept bekräftigt. Dem trägt die schrittweise Reduzierung auch des deutschen Beitrags Rechnung. Er wird um 550 auf künftig 800 Soldatinnen und Soldaten verringert. Trotzdem bleibt die Befähigung, auf eventuelle Lageänderungen angemessen reagieren zu können, erhalten.

Die internationale Truppenpräsenz durch KFOR ist gegenwärtig noch ein wichtiger Bestandteil der Sicherheitsstruktur zur Aufrechterhaltung eines sicheren und stabilen Umfelds im Kosovo. Die deutschen Soldatinnen und Soldaten leisten dazu einen wesentlichen Beitrag.

Dann geht es gleich ähnlich weiter: Die Bundesregierung hat heute die vom Bundesminister des Innern und Bundesminister des Auswärtigen erstellte "Gemeinsame Unterrichtung über das deutsche Engagement beim Einsatz von Polizistinnen und Polizisten in internationalen Polizeimissionen 2016" beschlossen. Dieser Bericht bietet einen umfassenden Überblick über den Einsatz deutscher Polizistinnen und Polizisten in internationalen Polizeimissionen. Mit ihrem Einsatz tragen sie dazu bei, gewaltsame Konflikte zu verhindern und Frieden zu konsolidieren. Nach der Verabschiedung im Kabinett wird dieser Bericht dem Präsidenten des Bundestags und der Präsidentin des Bundesrats zugeleitet.

Dann - was lange währt, wird endlich gut - hat die Bundesregierung heute einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Wohnungseinbrüchen beschlossen. Ein Einbruch in die Wohnung stellt einen sehr schwerwiegenden Eingriff in den persönlichen Lebensbereich der Bürger dar. Er hat neben den finanziellen Auswirkungen natürlich auch gravierende psychische Folgen und kann eine massive Schädigung des Sicherheitsgefühls zur Folge haben. Mit dem heutigen Vorhaben setzt die Bundesregierung eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag sowie einen Beschluss des Koalitionsausschusses vom 29. März um.

Der Gesetzentwurf sieht eine Strafverschärfung für den Einbruchdiebstahl in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung vor. Dieser soll im neuen Absatz 4 des 244 des Strafgesetzbuchs als Verbrechen ausgestaltet werden. Es ist dafür ein Strafrahmen von einem Jahr bis zehn Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen. Die Möglichkeit, nach unten von dieser Mindeststrafe abzuweichen, soll es bei der neuen Regelung nicht mehr geben. Daneben sollen die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden bei der Ermittlung der Täter ausgeweitet werden. So ermöglicht die Neuregelung auch die Abfrage von verpflichtend gespeicherten Verkehrsdaten, sogenannten Vorratsdaten, wenn ein Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung vorliegt.

Dann hat nach der ordentlichen Sitzung des Bundeskabinetts noch der Kabinettsausschuss "Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union" zum dritten Mal getagt. Er hat sich vor allem mit dem Entwurf des Verhandlungsmandats des Rates für die Europäische Kommission befasst und Eckpunkte der Bundesregierung für das Verhandlungsmandat festgelegt. Wie Sie wissen, hat der Europäische Rat am 29. April 2017 Leitlinien für die Verhandlungen der EU mit Großbritannien beschlossen. Nächster Schritt bei diesem Brexit-Verfahren ist die Erteilung eines Verhandlungsmandats für die Europäische Kommission. Dieses Mandat setzt die Vorgaben aus den Leitlinien des Europäischen Rats um, wird derzeit zwischen den 27 Mitgliedstaaten abgestimmt und soll dann am 22. Mai vom Rat für Allgemeine Angelegenheiten beschlossen werden. - So weit der Bericht aus dem Kabinett.

Frage : Ich würde gerne zum Kosovo-Einsatz kommen, Herr Schäfer oder Herr Nannt. Was ist die Exit-Strategie für die Bundeswehr? Die ist seit 18 Jahren da. Wann kommen die Bundeswehrsoldaten nach Hause?

Herr Streiter, gegebenenfalls Herr Dimroth, wie passt es zusammen, dass die Bundeswehr jetzt da bleiben soll, wenn Kosovo nach Ansicht der Bundesregierung doch ein sicheres Herkunftsland ist?

SRS Streiter: Das ist ganz einfach zu beantworten, weil, wenn Sie eben zugehört hätten, schon festgestellt hätten, dass es da regionale Unterschiede gibt. Es ist ja so, dass wir gerade dabei sind, aufgrund der etwas stabilisierten Sicherheitslage zum wiederholten Male die Mandatsobergrenze zu reduzieren. Das heißt, es waren vorher 1350 Soldaten da, demnächst werden es halt eben nur noch 800 sein, und davor waren es 1850. Das heißt, wir sind also schon bei weniger als der Hälfte angelangt. Es ist eben so, dass die kosovarischen Sicherheitsbehörden zunehmend in der Lage sind, die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch ohne Unterstützung der internationalen Sicherheitspräsenz zu gewährleisten, aber es gibt eben auch ein gewisses Risiko und Ausnahmen. Daher sind dieses fortgesetzte Absenken des Gesamtkräfteansatzes von KFOR und die damit einhergehende schrittweise Reduzierung auch des deutschen Beitrags folgerichtig und logisch, und das beantwortet eigentlich Ihre Frage.

Zusatz : Nein. Es heißt ja "sicheres Herkunftsland" und nicht "teilweise sicheres Herkunftsland". Da widerspricht es sich also doch, wenn die Bundeswehr da sein muss, damit es einigermaßen sicher ist, dann von einem sicheren Herkunftsland zu sprechen.

Vorsitzender Mayntz: Herr Dimroth könnte dazu auch etwas sagen.

Dimroth: Ja, gerne. Zum wiederholten Male können wir da vielleicht in die Wortexegese einsteigen. Nach Ihrem allgemeinen Sprachgebrauch mag es so sein, wie Sie es gerade formulierten. Die Einordnung als sicherer Herkunftsstaat im Sinne von Artikel 16a des Grundgesetzes hat aber ganz wenig bis gar nichts mit dem zu tun, was Sie beschreiben, sondern ausschließlich mit der Frage, ob Menschen aus einem bestimmten Land mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen dürfen, hier als Asylbewerber anerkannt zu werden. Wie Sie wissen, sind die Anerkennungsquoten aus sämtlichen Staaten des westlichen Balkans verschwindend gering. Insofern sind die Kriterien für eine solche Einordnung als sicherer Herkunftsstaat, die das Grundgesetz selbst kennt, hier mehr als eindeutig erfüllt, sodass sich der von Ihnen vielleicht gefühlte Widerspruch tatsächlich jedenfalls nicht belegen lässt.

Schäfer: Über das hinaus, was der Kollege Georg Streiter gerade gesagt hat, möchte ich eigentlich nur sagen: Solange alle Beteiligten - wir, die wir zu den Truppenstellen gehören, unsere Partner und insbesondere unser Ansprechpartner in Pristina, die Regierung des Kosovo - die Einschätzung haben, dass es noch nützlich und wichtig ist, dass wir einen Beitrag zu Stabilität und Sicherheit auf dem Balkan leisten, ist es richtig, dass wir das tun. Herr Streiter sprach davon, dass der Abschmelzungsprozess seit Jahren in vollem Gang ist.

Der Balkan insgesamt, insbesondere der westliche Balkan, ist eine Region im Südosten Europas, um deren Sicherheit und Stabilität wir uns kümmern müssen. Das tut die Bundesregierung in vielfacher Form, weit über das Engagement im Rahmen von KFOR hinaus. Da gibt es Gesprächsformate, die von der Bundeskanzlerin vor einigen Jahren auf den Weg gebracht worden sind und in denen wir uns mit den Staaten des westlichen Balkans insbesondere über Infrastruktur- und Konnektivitätsfragen unterhalten. Die Frage der politischen Stabilität, aber auch des interregionalen Austausches - politisch, wirtschaftlich, logistisch und in anderer Hinsicht - ist für uns ein ganz wichtiges Anliegen.

Wir werden nicht darin nachlassen, das zu tun, weil Instabilität auf dem Balkan ein großer Faktor der Instabilität für ganz Europa wäre. Man muss nur wenig in der Geschichte zurückblicken, um zu sehen, welche Gefahren der Instabilität auf dem Balkan auch für den Rest des europäischen Kontinents ausgehen können. Nicht dass solche Gefahren zurzeit drohten, aber gerade um das zu verhindern, sind wir da sicherheitspolitisch, politisch, wirtschaftlich, diplomatisch und in vielerlei anderer Weise im Einsatz und am Start.

Zusatzfrage : Wenn es immer weniger Soldaten werden, dann ist das ein schönes Zeichen. Aber können Sie abschätzen, wann die Zahl auf null gehen wird?

Schäfer: Ich glaube, ich spreche guten Gewissens für alle, wenn ich hier sage, dass wir leider keine Kristallkugel haben und die Zukunft deshalb nicht vorhersagen können. Weil wir die Zukunft nicht vorhersagen können und weil diese Bundesregierung sowie ganz bestimmt auch ihre Nachfolger in der Lage sein werden, angesichts einer aktuellen Lage richtige Entscheidungen zu treffen, muss ich Ihnen sagen, dass das eine ganz hypothetische Frage ist. Was im nächsten Jahr und im übernächsten Jahr sein wird, das wissen wir nicht.

Wenn die Möglichkeit dazu besteht, dann werden wir unser Engagement weiter zurückfahren. Das wäre in unserem Sinne, aber das wäre auch im Sinne der Stabilität der Region und unserer Partner im Kosovo.

Nannt: Ich denke, zu diesem Thema ist schon so viel gesagt worden. Um vielleicht noch einmal die Dimension deutlich werden zu lassen: Wir waren einmal mit bis zu 6500 Soldaten im Kosovo-Einsatz. Heute sind es noch 500 Soldaten, die am heutigen Tag da sind; um auch einmal die Dimension darzustellen. Auch im letzten Jahr - dies als Beispiel - war ein Eingreifen der KFOR-Kräfte nicht erforderlich. Das heißt also, die Sicherheitsverantwortung wurde weitgehend durch die kosovarischen Sicherheitskräfte wahrgenommen. Es gibt aber eben noch ein Restrisiko, und das hatten ja auch meine Vorredner schon angedeutet, sodass man diesen Prozess natürlich verantwortungsvoll begleitet. Der Kosovo-Einsatz ist nun wirklich eine Erfolgsgeschichte, zu der man sagen kann: Da hat sich eine ganze Menge getan. Das habe ich selbst erlebt, weil ich auch innerhalb eines Zeitfensters von mehr als zwei Jahren zweimal dort war und gesehen habe, welche Erfolge dort erzielt wurden.

Frage: Herr Dimroth, unterliegt die Einstufung als sicheres Herkunftsland in den von Ihnen skizzierten Deutungen eigentlich einem permanenten Review-Prozess? Die Aussage "Es gibt ein gewisses Konfliktpotenzial, vor allem im Norden" kann ja nämlich bedeuten, dass sich die Verhältnisse dort auch so ändern, dass es für Menschen, die zurückgeschickt werden, dann doch wieder riskant wird. Gibt es also einen solchen permanenten Review-Prozess? Ist daher auch denkbar, dass die Einstufung "sicher" zumindest für bestimmte Regionen auf einmal wieder zu "unsicher" wechseln kann?

Dimroth: Denkbar ist vieles. Das, was Sie gerade als Frage formuliert haben, ist, glaube ich, tatsächlich undenkbar; denn Artikel 16a kennt eine Unterscheidung nach Regionen gerade nicht, sondern dort ist eine Einstufung als sicherer Herkunftsstaat im Sinne der einschlägigen Grundgesetzvorschriften nur generell für einen Staat möglich, nicht für einzelne Regionen. Insofern lässt sich, glaube ich, diese Binnendifferenzierung, die Sie gerade ansprechen, grundsätzlich und insbesondere auch grundgesetzlich nicht nachzeichnen.

Anders ist es bei der Frage, ob man sich grundsätzlich Entwicklungen in Bezug auf einen gesamten Staat anschaut und daraus dann gegebenenfalls auch Schlüsse zieht, die möglicherweise auch darin liegen könnten, eine solche Einstufung wieder zurückzunehmen. Das ist selbstverständlich der Fall. Wie Sie wissen, ist es ja auch nicht so, dass die Einstufung dazu führt, dass per se und ausnahmslos jedem Mann, der aus einem solchen Land kommt und hier Schutz begehrt, dieser Schutz verwehrt wird. Die Folge einer solchen Einstufung ist ja vielmehr eine Verfahrensbeschleunigung, insbesondere durch eine Beweislastumkehr, also dass der Antragsteller eine größere Obliegenheit hinsichtlich des Sachvortrags hat, als es der Fall ist, wenn man aus einem Staat kommt, der nicht so qualifiziert ist.

Aber es ist ja mitnichten so, dass - - - Wenn man aufgrund seines persönlichen Schicksals einen plausiblen Vortrag bringt, aus dem sich eben ein Schutzbedarf im Sinne des Artikels 16a oder im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ergibt, dann wird einem dieser Schutz auch gewährt, selbst wenn man aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommt. Warum sage ich das? Ich sage es, weil natürlich anhand solcher Entwicklungen in Bezug auf möglicherweise zunehmende positive Verbescheidungen von Menschen aus diesen Ländern sehr wohl sichtbar werden würde, dass eine solche Entwicklung eingetreten ist. Dass das aber für den Kosovo aktuell der Fall ist, kann ich an den Zahlen nicht ablesen.

Zusatzfrage: Die Frage nach der Binnendifferenzierung habe ich gestellt, weil diese Binnendifferenzierung ja wohl zumindest in der Diskussion darüber, wen man in Afghanistan wohin zurückschicken kann, und in der praktischen Entscheidung eine Rolle spielt. Sie zielen aber darauf ab, dass es das in der nationalen Einstufung nicht gibt, richtig?

Dimroth: Ich ziele darauf ab, dass der rechtliche Rahmen, der vom Grundgesetz vorgezeichnet ist, eine solche Binnendifferenzierung bei der Frage der Einstufung als sicherer Herkunftsstaat im Sinne des Grundgesetzes nicht zulässt. Wie Sie wissen, ist Afghanistan in diesem Sinne ja gerade kein sicherer Herkunftsstaat. Die Frage, ob in tauglichen Einzelfällen jemand dorthin abgeschoben werden kann, hatten wir hier hoch und herunter diskutiert, aber niemand innerhalb der Bundesregierung würde ja behaupten, dass Afghanistan aufgrund der ja doch beachtlichen Schutzquote ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne des Art. 16a Grundgesetz ist - anders als aus unserer Sicht sehr eindeutig die Staaten des westlichen Balkans.

Frage : An das Finanzministerium: Der IWF rät, das Thema Ungleichheit in Deutschland zu behandeln und insbesondere zu höheren Abgaben auf höhere Einkommen zu kommen. Wie schätzen Sie das ein?

von Tiesenhausen-Cave: Wozu der IWF raten wird, wenn die aktuell laufenden Artikel-4-Konsultationen mit Deutschland abgeschlossen sind, werden wir noch sehen. Wie gesagt, diese Konsultationen laufen gerade, IWF-Vertreter befinden sich gerade in Berlin; insofern liegen noch gar keine offiziellen Empfehlungen des IWF vor. Es gibt einen Zeitungsartikel - da haben Sie Recht -, in dem von möglichen Empfehlungen geredet wird. Diese Empfehlungen sind allerdings nicht neu und gehen auch weitgehend an der Realität in Deutschland vorbei. Ich kann Ihnen dazu gerne ein paar Daten geben.

Deutschland ist, wie Sie wissen, insgesamt in einer sehr guten wirtschaftlichen Verfassung. Ich nenne nur einmal ein paar Stichworte: gute Beschäftigungszahlen, niedrige Arbeitslosigkeit, ordentliches Wirtschaftswachstum. All das zeigt ja, dass Deutschland in einem guten Zustand ist.

Wenn es jetzt um die einzelnen Punkte geht, die in diesem Artikel aufgegriffen werden - das sind ja Stichworte wie Investitionen, Reallöhne, Frauenerwerbstätigkeit -, dann kann ich Ihnen dazu auch gerne jeweils etwas sagen:

Sie wissen, dass die Bundesregierung in den letzten Jahren viele Maßnahmen ergriffen hat, um die Investitionen in Deutschland zu stärken. Das betrifft sowohl die öffentlichen Investitionen - hier haben wir die Mittel stark erhöht - als auch die privaten Investitionen.

Zum Stichwort Reallöhne: Die Reallöhne sind in den letzten drei Jahren in Deutschland überdurchschnittlich gestiegen, mit zuletzt 2,2 Prozent so stark wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr.

Deutschland hat einen leistungsfähigen Sozialstaat. Nach Österreich und Belgien verfügt Deutschland über das drittstärkste Umverteilungssystem in der OECD - kein anderer größerer Industriestaat hat größere Umverteilung als Deutschland.

Last, but not least: Die Frauenerwerbstätigkeitsquote - auch ein Thema, das wir häufiger hören - ist in den vergangenen Jahren in Deutschland stark gestiegen. Im Jahr 2015 lag sie in der Altersgruppe, die relevant ist, nämlich der Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen - also denjenigen, die im Erwerbsleben stehen -, bei 73,6 Prozent und damit über dem EU-2020-Ziel. Frauen stellen mit 47 Prozent fast die Hälfte aller Erwerbstätigen. Erfreulich ist insbesondere auch, dass in den letzten Jahren die Erwerbsbeteiligung von Müttern stark gestiegen ist. 2006 lag die Quote noch bei 64,1 Prozent, während sie 2015 - das sind die letzten Zahlen, die ich habe - bei 72,5 Prozent lag.

Daran sehen Sie: Wir werden sehen, was der IWF letztlich vorschlagen wird, aber die reine Datenbasis spricht dafür, dass hier in Deutschland sehr viel passiert ist und dass sich solche Empfehlungen durch die Faktenlage einigermaßen widerlegen lassen.

Frage: An Herrn Streiter und vielleicht auch Herrn Nannt und Schäfer noch einmal zum Thema Türkei und der Gewährung von Asyl: Wir haben ja die skurrile Situation, dass der Nato-Staat Deutschland türkischen Nato-Soldaten Asyl gewährt hat. Müsste in Konsequenz die Bundesregierung nicht auch für einen Austritt der Türkei in der Nato sein? Inwieweit ist die Türkei laut der Bundesregierung denn noch für die Nato tragbar?

SRS Streiter: Im Detail kann ich es vereinfachen: Wer hier einen Asylantrag stellt, dessen Antrag wird einzeln, sorgfältig und gemäß den gesetzlichen Vorgaben überprüft. Wie das genau läuft, kann Ihnen Herr Dimroth noch einmal sagen.

Zu dem anderen mag vielleicht Herr Schäfer etwas sagen - ich nicht.

Dimroth: Es ist tatsächlich so - wie wir hier auch schon in einer Vielzahl von gemeinsamen Sitzungen erläutert haben -, dass selbstverständlich für jeden Antragsteller, gleich welchen Herkunftslandes, gilt, dass die maßgeblichen Vorgaben in Bezug auf ein Asylverfahren ausschließlich den gesetzlichen Grundlagen dazu zu entnehmen sind. Das gilt, wie gesagt, natürlich völlig unabhängig davon, wer das ist und woher er kommt, und das gilt demnach völlig selbstverständlich auch für Antragsteller aus der Türkei.

Sie vergleichen hier, wenn ich das sagen darf, aber ein Stück weit Äpfel mit Birnen; denn das Asylverfahren ist ja eines, das gerade den individuellen Schutzbedarf einzelner Personen in den Blick nimmt. Generalisierende Aussagen in Bezug auf andere Fragen, die Sie hier stellen, lassen sich solchen Verfahren schon per se nicht entnehmen, weil es, wie gesagt, immer ein individueller Schutzbedarf ist, der hier geprüft und gegebenenfalls anerkannt wird. Das lässt Schlüsse, wie Sie Sie gerade formuliert haben, jedenfalls aus meiner Sicht mit Ursprung dieser Asylverfahrensentscheidungen überhaupt nicht zu. Noch einmal: Es handelt sich jeweils um eine Entscheidung, die angemessen in Bezug auf die jeweilige einzelne Person getroffen wird - nicht mehr und nicht weniger.

Zusatzfrage: Nichtsdestotrotz ist doch die Türkei laut der Bundesregierung auf dem Weg in eine undemokratische Diktatur, wenn man so möchte. Das kann doch mit dem Selbstverständnis der Nato als Militärbündnis, das sich für Menschenrechte und Frieden weltweit einsetzt, nicht zusammengehen. Darauf zielte meine Frage ab. Inwieweit ist das also kongruent für die Bundesregierung?

SRS Streiter: Da haben Sie nun aber ganz falsch gezielt, denn "laut der Bundesregierung" ist das nicht so. Das, was laut Ihnen die Bundesregierung gesagt hätte, hat die Bundesregierung nie gesagt. Die Bundesregierung hat immer gesagt, dass die Türkei ein wirklich sehr wichtiger Partner für uns ist, und zwar sowohl was die Mitgliedschaft in der Nato betrifft, als auch, was die wirtschaftliche Zusammenarbeit betrifft. Das, was ich eben gesagt habe, war: Ja, es gibt in einzelnen Punkten Probleme. Aber das, was Sie jetzt der Bundesregierung sozusagen in den Mund geschoben haben, hat die Bundesregierung nie gesagt.

Frage : Herr Schäfer, Sie hatten hier vor zwei Wochen mit Blick auf die alten türkischen Militärdiktaturen gesagt, dass die ja auch nicht aus der Nato ausgeschlossen worden wären, und dementsprechend sei es auch mit Blick auf die Zukunft der Türkei kein Faktor, ob die Türkei auch als Diktatur in der Nato bleiben kann. Ich habe einmal in den Nordatlantikvertrag geguckt. Darin steht:

"Die Parteien dieses Vertrags bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und Regierungen in Frieden zu leben. Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten. Sie sind bestrebt, die innere Festigkeit und das Wohlergehen im nord-atlantischen Gebiet zu fördern."

Das passt doch nicht zusammen. Wenn die Türkei ein autokratisches System wird - was sie jetzt schon wird -, dann kann sie doch nach den Worten des Nato-Vertrages gar nicht in der Nato bleiben. Oder irre ich mich da?

Schäfer: Erstens. Ich mache mir genauso wenig wie der Sprecher der Bundesregierung Ihre und die von Ihrem Kollegen gemachten Qualifikationen über die Lage in der Türkei zu eigen. Weder hat die Bundesregierung das gesagt, noch meint sie, dass das so ist, wie Sie das beschrieben haben. Die Begriffe können Sie dann ja nachher im Protokoll der Regierungspressekonferenz nachlesen.

Zweitens. Ich glaube, Sie müssen aufpassen, dass Sie - ich weiß nicht, wer es gesagt hat - nicht Äpfel mit Birnen vergleichen - und das haben Sie beim Kosovo schon gemacht. Äpfel sind in diesem Fall individuelle Entscheidungen im Rahmen eines grundgesetzlich gesicherten Anspruchs auf Asyl in Fällen politischer Verfolgung nach Art. 16a des Grundgesetzes. Die andere Frage - die Birne gewissermaßen - ist die sicherheitspolitische Lage - im einen Fall auf dem westlichen Balkan, im Kosovo, im anderen Fall mit Blick auf die Türkei und ihre Mitgliedschaft in der Nato.

Dazu kann ich Ihnen wirklich ganz fest versichern, dass es in der Bundesregierung nicht die geringsten Überlegungen oder Pläne dazu gäbe, einen so wichtigen Partner wie die Türkei, der seit Generationen mit uns gemeinsam für die Freiheit des Westens kämpft, in irgendeiner Weise aus der Nato drängen zu wollen. Ganz im Gegenteil, und auch im Lichte dessen, was in der Präambel des Nordatlantischen Vertrages steht, haben wir ein großes Interesse daran, die Meinungsverschiedenheiten, die wir mit der Türkei haben, auszutragen - ich gehe davon aus, dass der deutsche Außenminister das in einem geplanten Gespräch mit seinem türkischen Kollegen auch morgen am Rande der Somalia-Konferenz wieder tun wird -, aber gleichzeitig auch die Gemeinsamkeiten herauszustellen - und die Gemeinsamkeiten sind gemeinsame verteidigungs- und sicherheitspolitische Interessen, die wir schon ganz lange mit der Türkei teilen und die jetzt wegen der Schwierigkeiten und Meinungsfreiheiten im Falle Yücel und auch im Falle von anderen Fragen, die uns bilateral beschäftigen, nicht einfach alles aufgeben lassen, was über mehr als 60 Jahre gut und richtig gewesen ist.

Frage: Ich war gerade etwas erstaunt, Herr Streiter, als Sie meinten, ich hätte der Bundesregierung Worte in den Mund gelegt, als ich sagte, die Türkei wäre laut Ansicht der Bundesregierung auf dem Weg in eine Diktatur. Ich meinte tatsächlich, diese Worte schon des Öfteren vernommen zu haben.

SRS Streiter: Aber nicht von uns.

Frage: Wenn dem nicht so sein sollte: Auf welchem politischen Weg wähnen Sie denn die Türkei aktuell?

SRS Streiter: Muss ich hier Noten verteilen?

Frage: Nein, es geht nicht um Noten, sondern einfach um eine Einschätzung der Bundesregierung hinsichtlich der politischen Situation in der Türkei, wenn Sie denn laut Ihrer Aussage nicht auf dem Weg in eine Quasi-Diktatur ist.

SRS Streiter: Wir sind ja nicht die Türkei, sondern wir haben uns damit auseinanderzusetzen und darüber nachzudenken, wie unser Verhältnis zur Türkei ist. Dazu habe ich Ihnen gesagt - das hat Ihnen auch Martin Schäfer gesagt und das werden Sie auch weiterhin von uns hören -, dass die Türkei ein ganz wichtiger Partner für uns ist, und zwar sowohl, was sicherheitspolitische Fragen und die Nato betrifft, als auch, was wirtschaftliche Fragen betrifft - es gibt ja Millionen von Menschen aus der Türkei, die in Deutschland wunderbar wohnen. Das heißt nicht, dass wir keine Meinungsverschiedenheiten haben, aber die haben wir auch mit anderen. Es ist auch immer eine Frage des Blickwinkels. Ich glaube, subjektiv wird die Türkei das aus eigener Sicht alles nicht so sehen wie Sie. Es hat nie jemand aus der Bundesregierung gesagt - jedenfalls nicht von hier -, dass die Türkei auf dem Weg in eine Diktatur sei; das werden Sie hier nicht hören.

Frage: Herr Schäfer, würden wir nicht aber auch in den Protokollen vor allem der letzten Sitzungen hier immer wieder finden, dass auch die Bundesregierung der Meinung ist, dass in konkreten Fällen das Agieren türkischer Institutionen nicht unbedingt die Herrschaft des Rechts ausdrückt und auch nicht die Freiheit der Person zum Ausdruck bringt? Von daher sind doch nach Ihren eigenen Worten eigentlich die Grundlagen dessen, was hier essenziell angeführt wird, zumindest berührt, oder?

Schäfer: Wir haben an dieser Stelle aufgrund von ganz vielen Fragen von Ihnen eigentlich jedes Mal über die Lage in der Türkei gesprochen, und es gibt auch gar keinen Grund, einen Hehl daraus zu machen, dass wir mit der Türkei grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten über ganz viele Fragen haben. Wenn ich anfange, die Sachen aufzuzählen - ich erspare Ihnen das -, dann komme ich sicherlich auf zwei Hände voll von Themen, bei denen wir in unserem bilateralen Verhältnis und vielleicht auch im Verhältnis zwischen Europa und der Türkei Meinungsverschiedenheiten haben, die wir austragen wollen.

Das, was Sie ansprechen, hat die Venedig-Kommission des Europarates im Vorfeld des Verfassungsreferendums sozusagen aktenkundig gemacht, nämlich dass es bei diesem Verfassungsreferendum ernste Fragen im Hinblick auf demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze Europas gibt. Sie haben an dieser Stelle - auch von mir - gehört, dass wir großes Verständnis haben für diese Sorgen, die Experten der Venedig-Kommission des Europarates an die Adresse der Türkei gerichtet haben. Wir haben uns auch die Bitte und Aufforderung der Venedig-Kommission zu eigen gemacht - auch im Lichte des Ergebnisses des Verfassungsreferendums -, sich die Sorgen, die da zum Ausdruck gebracht worden sind, in Ankara zu Herzen zu nehmen und zu überlegen, ob das wirklich der richtige Weg ist. Wir streiten darüber und wir ringen mit der Türkei darüber, aber das ist für die Bundesregierung - und da können Sie noch so häufig nachfragen - kein Grund, die Mitgliedschaft der Türkei und das Sicherheits- und Verteidigungsbündnis im Nordatlantischen Bündnis in irgendeiner Weise infrage zu stellen.

Zusatzfrage: Vor diesem Hintergrund: Jetzt hat Herr Erdogan offenbar erklärt, dass er doch die EU-Mitgliedschaftsperspektive für die Türkei weiter verfolgen will. Ist diese 180-Grad-Wende ernst zu nehmen? Begrüßen Sie die?

Schäfer: Warten wir doch einfach einmal ab. Ich glaube, wir haben in den letzten Monaten gerade im Zuge des Wahlkampfes so viele an die Adresse Deutschlands, an die Adresse der Bundesregierung, an die Adresse von handelnden Protagonisten innerhalb der Bundesregierung gerichtete Dinge gehört, die uns manchmal die Stirn runzeln lassen haben und uns manchmal auch verärgert haben. Das haben wir gesagt, und daraus haben wir nie einen Hehl gemacht. Jetzt ist das Verfassungsreferendum vorbei - vielleicht mit einer Mehrheit, die manchem in Ankara nicht so richtig schmeckt, weil sie so knapp ausgefallen ist.

Wir stehen bereit - das haben Vertreter der Bundesregierung immer gesagt -, um mit der Türkei einen neuen Dialogfaden zu knüpfen und über alle anliegenden Punkte - zu denen auch die von Ihnen angesprochenen gehören - zu reden. Nur, um ein gedeihliches, wieder besseres Verhältnis mit der Türkei zu bekommen, braucht es zwei Seiten. Wir sind dazu bereit - und wenn ich wir sage, dann meine ich damit: wir, die Europäische Union, aber auch wir bilateral als Vertreter Deutschlands -, diesen Dialog mit der Türkei zu führen. Dazu braucht es zwei. Wenn es so ist, wie Sie sagen, dass das, was der türkische Präsident nun über Europa und vielleicht irgendwann auch über Deutschland sagt, eine Kehrtwende ist, dann würde uns das freuen und dann wäre das ein Anknüpfungspunkt, um das Gespräch zu suchen. Ich habe angedeutet, dass wir uns wünschen, dass es morgen auch zu einer Begegnung der Außenministers Deutschlands und der Türkei in London kommt. Das wäre eine gute Gelegenheit, einmal die Stimmungslage auf türkischer Seite zu testen.

Frage : Eine kurze Verständnisfrage, Herr Schäfer: Gibt es denn überhaupt eine rote Linie bei der Nato-Mitgliedschaft, oder ist man, wenn man einmal Mitglied ist, für immer drin und kann mit seinem Land machen, was man will? Todesstrafe ist also kein Ausschlussgrund, ein Wandel zur Diktatur ist kein Ausschlussgrund?

Schäfer: Warum erwarten Sie hier jetzt von unserer Seite apodiktische Äußerungen über irgendetwas, was sein könnte? Auf die Frage der Todesstrafe -

Zusatz : Sie werden ja wahrscheinlich Grenzen - -

Schäfer: - darf ich ausreden? - habe ich bereits vor einigen Wochen einmal gesagt, dass es auch andere Nato-Gründungsmitgliedstaaten, ja wichtige Mitglieder - -

Zusatz : Das war nicht die Frage, Herr Schäfer. Gibt es eine rote Linie?

Schäfer: Herr Vorsitzender, dürfte ich darum bitten, dass Sie den Kollegen bitten, mich ausreden zu lassen, wenn ich etwas sagen möchte?

Vorsitzender Mayntz: Das hat er schon gehört.

Schäfer: Ja, darf ich?

Vorsitzender Mayntz: Bitte.

Zusatz : Aber wenn Sie jetzt auf eine andere Frage antworten...

Schäfer: Wie machen wir es jetzt?

Vorsitzender Mayntz: Bitte sprechen Sie aus, was Sie sagen wollten.

Schäfer: Danke schön. - Es gibt einen anderen Mitgliedstaat in der Nato, in dem es die Todesstrafe gibt. Das beklagen wir und das verurteilen wir auch. Er ist, bleibt und wird aber auch weiter Mitglied der Nato sein.

Irgendwelche theoretischen Fragen über etwas, was irgendwann irgendwie sein könnte, brauchen wir hier jetzt, glaube ich, nicht zu beantworten.

Frage: Noch einmal ganz konkret zu den Asylanträgen: Fand denn vor der Bewilligung der Asylanträge der in Deutschland stationierten Nato-Soldaten der Türkei ein Informationsaustausch zwischen der Türkei und der Bundesregierung darüber statt, inwieweit diese Nato-Soldaten, die in Deutschland stationiert waren, an dem Putsch beteiligt gewesen sein sollen?

Dimroth: Wenn die Frage an mich geht, dann antworte ich darauf gerne wie folgt: Zunächst einmal enthält Ihre Frage eine Reihe von Tatsachen - jedenfalls Tatsachensplittern -, die ich ungern durch eine pauschale Antwort auf Ihre Frage bestätigen oder dementieren würde - beispielsweise ob es sich um Soldaten handelt und ob die an einem Putsch teilgenommen haben. All das ist jedenfalls weder von uns noch vom zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bestätigt worden. Das würde ich jetzt ungern mittelbar tun, weil wir, wie Sie wissen, zu einzelnen Sachverhalten schon aus datenschutzrechtlichen Gründen und aus Gründen der Fürsorge für die Betroffenen nicht sprechen. Das vielleicht zur Klarstellung vorab.

Zu Ihrer Frage im Kern: Selbstverständlich gilt ganz grundsätzlich auch hier, dass ein solches Verfahren zwischen den Betroffenen und dem zuständigen Bundesamt stattfindet. Eine Konsultation in welcher Form auch immer mit Dritten, insbesondere auch dem Herkunftsstaat, findet ganz grundsätzlich in diesem Verfahren nicht statt, und selbstverständlich demnach auch nicht in Verfahren in Bezug auf das Herkunftsland Türkei.

Frage: Ich habe eine Frage an das Finanzministerium zum Thema Steuerhinterziehung: Herr Walter-Borjans hat heute einen neuen Datenträger präsentiert, auf dem möglicherweise Daten enthalten sind, die Malta betreffen. Er hat in diesem Zusammenhang von einem "Panama von Europa" gesprochen. Konkret geht es darum, dass in diesen Daten wohl Angaben zu insgesamt 70 Offshore-Firmen auf Malta enthalten sind, davon bis zu 2000 mit Bezug zu deutschen Steuerpflichtigen. Interessanterweise sind von diesen 2000 nicht einmal 300 bei deutschen Behörden gemeldet. Allein das wäre schon rechtswidrig. Der Hintergrund ist nach Ansicht des Finanzministers Steuerhinterziehung. Was gedenkt denn der Finanzminister mit seinem maltesischen Kollegen diesbezüglich zu besprechen?

Ist Ihnen dieser Sachverhalt schon länger bekannt? Es gab dazu ja schon entsprechende Zeitungsberichte im Februar. Haben Sie darauf schon reagiert oder wie planen Sie, darauf zu reagieren?

von Tiesenhausen-Cave: Ich muss jetzt ganz ehrlich sagen, dass ich die Presseaktivitäten von Herrn Walter-Borjans nicht so live verfolge, wie Sie das tun, und mich gerne über diesen Fall erst einmal informieren würde, bevor ich Ihnen dazu hier von der Regierungsbank Auskunft gebe. Dafür bitte ich um Verständnis. Wir können gerne hinterher die Daten austauschen. Ich komme dann auf Sie zu, wenn ich mir den Fall etwas näher angeschaut habe. Ich glaube, es macht wenig Sinn, hier blind etwas zu kommentieren, ohne den Sachverhalt zu kennen.

Vorsitzender Mayntz: Könnten wir dieses Statement für den BPK-Verteiler bekommen?

von Tiesenhausen-Cave: Wenn es etwas dazu etwas gibt, gerne.

Zusatzfrage: Trotzdem noch einmal die Nachfrage: Es gab dazu schon Medienberichterstattung im Februar, zum Beispiel in der "Süddeutschen Zeitung". Das heißt, das haben Sie damals nicht gesehen?

von Tiesenhausen-Cave: Ich glaube, ich bleibe dabei, dass ich mich erst darüber informiere, um was es jetzt geht, und dass wir dann ausgeruht und mit voller Kenntnis der Fakten reagieren.

Frage : Es geht um die Nato in Afghanistan. Die BBC berichtet, dass die Nato die Briten gebeten hat, ihre Truppen in Afghanistan aufzustocken. Ich habe gelernt, wenn die Briten von den Amerikanern gebeten werden, dann gibt es auch eine Bitte an die Bundesregierung. Gibt es diese Bitte vonseiten der Nato?

Falls Sie diese Frage nicht beantworten wollen: Gibt es die Bereitschaft, deutsche Truppen in Afghanistan aufzustocken?

Schäfer: Klar gibt es die Bereitschaft, die Frage zu beantworten.

Die Antwort, wie Sie sie vom Auswärtigen Amt bekommen, lautet wie folgt: Es gibt ein Mandat der Nato für ihren militärischen Einsatz in Afghanistan. Dieses Mandat sieht vor, dass die Mission evaluiert wird, dass man sich anschaut, was man sich für Ziele gesteckt hat und schaut, in welcher Weise die Ziele durch die Mittel, die man dafür bereitgestellt hat, erfüllt worden sind. Diese regelmäßige, jedes Jahr aufs Neue durchgeführte Evaluierung der militärischen Mission in Afghanistan - wie auch anderer Missionen - läuft zurzeit. Es gibt in der Tat Vorschläge, um das Ziel weiter zu erreichen, und zwar ohne dabei den bisherigen Ansatz, nämlich zu beraten, auszubilden und zu unterstützen, zu verändern und hier und da bestehende Lücken beim Einsatz von Ressourcen und Mittel aufzufüllen.

Die Amerikaner denken zurzeit darüber nach, ob und in welcher Weise diese Ergebnisse einer Evaluierung umgesetzt werden können. Das gilt natürlich auch für die Bundesregierung. Das ist ein gemeinsamer Einsatz der Truppenstellerstaaten für Afghanistan. Wir werden uns jetzt gemeinsam überlegen, was das bedeutet.

Eine konkrete Anfrage vonseiten der Vereinigten Staaten von Amerika auf Aufstockung des deutschen Kontingents ist mir jedenfalls nicht bekannt. Ich nehme an, dem Kollegen im Verteidigungsministerium geht es genauso.

Vorsitzender Mayntz: Geht es dem genauso?

Nannt: Ja, mir geht es genauso. Ich kann das genauso bestätigen. Mir ist auch keine offizielle Anfrage vonseiten der Nato oder der USA bekannt. Es ist genau so, wie Herr Schäfer es gesagt hat. Wir sind mitten in dem jährlich ablaufenden Prozess, bei dem es darum geht, dass man die Positionen ganz normal besetzt. Die USA - das habe ich zumindest gehört und habe dies auch in der Presse vernommen - haben sich bereit erklärt, gewisse offene Positionen zu befüllen.

Ansonsten weise ich noch einmal darauf hin, dass wir gerade im letzten Jahr die Mandatsobergrenze erhöht haben. In der Vergangenheit waren im Rahmen der Mission "Resolute Support" 850 Soldaten im Einsatz. Die Zahl haben wir auf 980 erhöht und haben gerade mehr Soldaten nach Afghanistan geschickt. - Das vielleicht als Ergänzung.

Zusatzfrage : Ich nehme an, dass die Bundesregierung keine Exit-Strategie für die Bundeswehr, die seit 15 Jahren in Afghanistan ist, hat. Korrekt?

Schäfer: Wir sprechen mit unseren Partnern über unser Engagement in Afghanistan, das weit über das Militärische hinausgeht. Wenn der Moment gekommen ist, dass Afghanistan auf eigenen sicherheitspolitischen Beinen steht und eine internationale Präsenz auch mit Militär nicht mehr erforderlich ist, werden wir daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Ich kann Ihnen leider auch dafür, genauso wenig wie für KFOR, einen konkreten Termin nennen, weil die Zukunft sich nicht vorhersehen lässt.

Frage: Zum selben Thema. Herr Schäfer, Herr Nannt, soweit ich weiß, ist der Nato-Generalsekretär morgen hier in Berlin. Gehen Sie davon aus, dass das Thema einer möglichen Truppenaufstockung dort vertieft wird?

Eine zweite Frage, wenn ich darf: Wie schätzt die Bundesregierung die Sicherheitslage in Afghanistan ein?

SRS Streiter: Zu dem bevorstehenden Gespräch kann ich wenig sagen; es muss ja erst einmal stattfinden. Das haben wir ja nun ständig hier. Ich kann Ihnen vorher nichts dazu sagen.

Zusatzfrage: Könnte Herr Schäfer vielleicht etwas dazu sagen?

Schäfer: Ich weiß, dass der Außenminister vor Kurzem - das ist wenige Tage her - mit dem Generalsekretär der Nato telefoniert hat. Ich glaube nicht, dass der Generalsekretär der Nato morgen mit dem Außenminister zusammentreffen kann, und zwar schlicht und ergreifend, weil dieser auf Reisen ist. Deshalb kann ich über eine Begegnung im Auswärtigen Amt nichts berichten.

Nannt: Das geht mir genauso.

Schäfer: Was die Sicherheitslage in Afghanistan angeht - ich glaube, man kann das in Dutzenden von Protokollen nachlesen -, ist diese unverändert so wie sie ist, sodass sie ein weiteres Engagement der internationalen Gemeinschaft erforderlich macht, um den afghanischen Sicherheitskräften - Polizei und Militär - dabei zu helfen, die Lage zu verbessern. Uns geht es darum - das war das ursprüngliche Ziel des Afghanistan-Einsatzes; und dieses Ziel ist erreicht, aber vielleicht noch nicht auf Dauer und dauerhaft gesichert -, zu verhindern, dass Afghanistan wieder zu einem Tummelplatz, ja zu einer Brutstätte des internationalen islamistischen, extremistischen Terrorismus wird. Das ist ein Ziel, das heute unverändert aktuell ist, wie es auch im Jahr 2001 aktuell war.

Frage : Ergänzend zur Frage des Kollegen: Herr Streiter, hat das Thema "Afghanistan" heute im Kabinett eine Rolle gespielt, wenn auch nur im Zusammenhang mit den Polizeieinsätzen? Hat die Kanzlerin dazu Ausführungen gemacht?

SRS Streiter: Nein.

Frage: Herr Schäfer, Sie sprachen jetzt gerade von der regelmäßigen Evaluierung der Situation in Afghanistan. Welche der Ziele wurden aufgrund dieser Evaluierung durch die Nato unter Beteiligung der Bundesregierung in Afghanistan erreicht?

Schäfer: Ich glaube, ich muss mich da wiederholen. Das Ziel unseres Engagements, das Ziel der internationalen Gemeinschaft bei ihrem Engagement in Afghanistan ist, eine sich selbst tragende Entwicklung zu unterstützen, die das Land dauerhaft befriedet. Was in den letzten Generationen geschehen ist, ist für die Menschen in Afghanistan furchtbar und obendrein für die Sicherheit der ganzen Welt gefährlich gewesen. Dieses Ziel gilt weiterhin. Die Mittel, die wir uns dafür geben, sind innerhalb des Kreises derjenigen Staaten, die Afghanistan auch militärisch zu helfen bereit sind, lang und breit abgestimmt. Wir wollen die afghanischen Sicherheitskräfte beraten; wir wollen sie ausbilden und auch in ihrem Engagement und ihrem Kampf gegen die Insurgenten unterstützen. Das ist ein laufender Vorgang, bei dem wir noch nicht am Ziel sind. Sie können täglich in den Nachrichten verfolgen, wie sich die Lage weiter entwickelt. Wir werden das jetzt gemeinsam mit unseren Partnern evaluieren und daraus die richtigen Schlüsse ziehen, die dann ganz bestimmt auch öffentlich bekannt werden.

Zusatzfrage: Ich muss mich vielleicht auch wiederholen. Es war eigentlich mehr eine Verständnisfrage, die darauf abzielte, zu erfahren, welche Ziele man aufgrund der regelmäßigen Evaluierung laut Meinung der Bundesregierung in Afghanistan innerhalb der letzten 15 Jahre erreicht hat.

Schäfer: Die Sicherheitslage ist nicht so, wie sie erforderlich wäre, um einen sich selbst tragenden, von den afghanischen Sicherheitskräften alleine unterstützen Prozess zu gewährleisten. Deshalb ist es aus Sicht von uns und anderen weiterhin erforderlich, Afghanistan auch militärisch unter die Arme zu greifen. Das ist der jetzige Stand.

Frage: Im Fall des Terrorverdächtigen Franco A. wurde ein neuer Verdächtiger festgenommen. Ist es aus Sicht der Bundesregierung angebracht, aufgrund der erneuten Festnahme von einem rechten Netzwerk innerhalb der Bundeswehr zu sprechen?

Nannt: Fakt ist, dass die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts einer schweren staatgefährdenden Straftat ermittelt. Es gibt derzeit keinerlei Hinweise auf ein solches Netzwerk, von dem Sie sprechen.

Fakt ist, dass es einen weiteren Mittäter gibt, der festgenommen wurde, und dass die Generalbundesanwaltschaft ermittelt. Wie gesagt, die Ermittlungen laufen wegen des Verdachts einer schweren staatsgefährdenden Straftat.

Zusatzfrage: Den Medien konnte man entnehmen - das ist nicht auf meinem Mist gewachsen -, dass es sich tatsächlich um Komplizen des Hauptterrorverdächtigen gehandelt hat, der nach bisherigen Erkenntnissen aus dem rechten Spektrum stammte. Daher diese Schlussfolgerung, die man in den Medien nachlesen konnte und auf die die Frage abzielte.

Nannt: Der Begriff "Netzwerk" ist aus juristischer Sicht irreführend, da damit nicht eine terroristische Vereinigung bezeichnet wird. Ich habe Ihnen gerade gesagt, wo die Ermittlungen des Generalbundesanwalts hingehen. Ja, es gibt einen zweiten Mittäter, und auch ich lese viel in den Medien.

Frage : Herr Dimroth, eine Lernfrage: Eine terroristische Vereinigung ist eine Organisation von mehr als zwei Personen, richtig? Das würde dann auf diesen Fall zutreffen?

Dimroth: Wenn Sie nach einer juristischen Definition im Sinne des Strafrechts fragen, müssten Sie den dafür zuständigen Kollegen des BMJV fragen.

Zusatz : Bitte!

Scholz: Zunächst einmal kann ich an das anknüpfen, was der Kollege aus dem Verteidigungsministerium gesagt hat. Die Ermittlungen, die der Generalbundesanwalt in der Sache führt, beziehen sich auf den Verdacht einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach 89a Strafgesetzbuch. Dort ist von einer terroristischen Vereinigung nicht die Rede.

Die Definition einer terroristischen Vereinigung findet sich im Strafgesetzbuch, und zwar in 129a. Ob ein solcher Fall vorliegt, wird letztendlich von den Gerichten im jeweiligen Einzelfall entschieden. Ich kann abstrakt für Sie keine Definition vornehmen oder im Hinblick auf diesen konkreten Fall keine Einordnung vornehmen.

Frage: Eine Frage an das Bundesverkehrsministerium. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zwei Manager von Toll Collect. Die Verdächtigen sollen den Bund um mindestens drei Millionen Euro geprellt haben. Die Frage ist: Wie bewerten Sie das Vertrauensverhältnis des Bundes gegenüber den beiden Hauptgesellschaftern Telekom und Daimler? Ist dieses Vertrauensverhältnis gestört?

Haben die Ermittlungen Auswirkungen auf die Vertragsverhandlungen mit Daimler und der Telekom? Der Vertrag läuft ja 2018 aus.

Strater: Ich möchte mich zu dem Fall, den Sie hier schildern, gar nicht äußern, da es sich um staatsanwaltschaftliche Ermittlungen handelt und es üblich ist, dass wir das von hier aus nicht kommentieren.

Zusatz: Ich habe Sie ja nicht nach dem Fall gefragt, sondern nach dem Vertrauensverhältnis zu den beiden Hauptgesellschaftern.

Strater: Sie haben das anlässlich dieses Falls gefragt. Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe.

Frage: Die Frage richtet sich auch an Herrn Strater. Herr Strater, können Sie sagen, in welcher Höhe das Land NRW in den Jahren 2014 bis 2016 Mittel des Bundes zur Förderung des Bundesfernstraßenbaus jeweils zugewiesen bekommen hat und letztlich auch abgerufen hat?

Strater: Nein, das kann ich nicht sagen. Das habe ich nicht im Kopf.

Zusatzfrage: Können Sie diese Daten nachreichen?

Strater: Das muss ich gucken. Es kommt darauf an, was Sie meinen. Es gibt Mittel, die wir für Aus-, Neubau, Erhalt und Modernisierung der Betriebsdienste zuweisen. Es gibt Mittel, die wir für Aus- und Neubauprojekte zuweisen. Das müssten Sie dann etwas präzisieren.

Zusatz: Es gibt ja auch Gesamttitel.

Strater: Es gibt auch Gesamtmittel, richtig.

Zusatzfrage: Ich stelle die Frage auch nur, weil wir Ihnen die Frage schon schriftlich gestellt haben, aber keine Antwort bekommen haben.

Strater: Das weiß ich. Aber solche Zahlen sind nicht einfach aus dem Hut zu zaubern. Die muss man erst einmal zusammentragen, und dann melden wir uns bei Ihnen.

Zusatzfrage: Das heißt, wann bekommen wir diese Daten? Es gibt ja in Deutschland einen Auskunftsanspruch von Journalisten, und Sie sind der professionelle Pressesprecher.

Strater: Den Auskunftsanspruch stelle ich überhaupt nicht infrage.

Zusatz: Gut, dann wäre es ja schön, wenn wir diese Daten bekommen.

Strater: Ja, das wäre schön. - Ich stelle das überhaupt nicht infrage.

Zusatz: Ich verstehe das jetzt so, dass wir diese Daten zeitnah bekommen.

Strater: Wir werden Ihre Frage, die Sie uns gestellt haben, auch beantworten.

Zusatz: Ich danke Ihnen.

Frage : Herr Schäfer, das Auswärtige Amt hat am Montagnachmittag getwittert: "Jetzt live: Außenminister Sigmar Gabriel stellt sein Buch "Neuvermessungen" vor." Seit wann macht das Auswärtige Amt Werbung für das Privatvergnügen von Herrn Gabriel?

Schäfer: Am Montagnachmittag hat der deutsche Außenminister mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission eine öffentliche Veranstaltung absolviert, in der es um das Buch ging. Es waren Hunderte Journalisten vom Verlag eingeladen, und viele von ihnen haben diese Einladung wahrgenommen. Sie haben sie richtig als eine Veranstaltung verstanden, auf der die Gelegenheit bestand, dem Vorsitzenden der Europäischen Kommission und dem deutschen Außenminister und Vizekanzler Fragen zur aktuellen Lage zu stellen.

Wenn Sie die Medienlage im Anschluss an diese Veranstaltung durchgehen, wenn Sie die Agenturmeldungen durchsehen, werden Sie sehen, dass es im Wesentlichen um eine Bewertung der am Vortag geschehenen Wahl von Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten ging. Diese Wahl von Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten ist naturgemäß nicht Teil des Buchs von Herr Gabriel, weil das ja vorher geschrieben worden ist und bis dahin redigiert und gedruckt werden musste. Dass eine solche Veranstaltung, bei der es offenbar und auch im Vorfeld erkennbar um Dinge geht, in dessen Rahmen sich der deutsche Außenminister und Vizekanzler zu Themen aktuellen Interesses äußert, Teil des Aufgabengebietes ist - in diesem Fall auch der Stelle im Auswärtigen Amt, die sich um soziale Medien kümmert -, scheint mir völlig selbstverständlich zu sein.

Zusatzfrage : Dass Herr Gabriel auch als Außenminister auf Fragen antwortet, die in Bezug auf seine Buchvorstellung gestellt werden ist, ist ja klar. Die Frage ist: Ist es überhaupt rechtlich erlaubt, dass das Auswärtige Amt so etwas promotet? Kommt als nächstes ein Facebook Post, wo Sie sagen "Kaufen Sie dieses Buch"?

Schäfer: Ich glaube, was Sie da sagen, ist jetzt wirklich abwegig.

Zusatzfrage : Das ist ja eine berechtigte Frage. Dürfen Sie das? Ist das rechtlich erlaubt?

Schäfer: Ich habe mich bemüht, Ihnen, so gut ich das kann, zu erläutern, was geschehen ist.

Frage: Meine Frage richtet sich an denselben Adressaten. Herr Schäfer, begrüßt oder bedauert das Auswärtige Amt es, wenn ihm ein Staatssekretär abhandenkommen sollte, weil Herr Ederer, wie wohl von Frau Mogherini vorgeschlagen wurde, die Leitung der EU-Vertretung in Moskau übernimmt?

Schäfer: Das Auswärtige Amt bedauert es immer, wenn hervorragende Mitarbeiter seines Hauses das Haus verlassen. Aber das Auswärtige Amt freut sich auch darüber, wenn hervorragende Mitarbeiter des Hauses anderswo Tätigkeiten übernehmen, die im Interesse Deutschlands sind und für die sie hervorragend vorbereitet werden.

Aber das ist ja, wenn Sie wollen, um die Ecke gefragt. Ich kann das, was ich heute auch in einem Online-Magazin aus Brüssel gelesen habe, leider nicht bestätigen. Ob es so ist, wie Sie sagen, dass Staatssekretär Ederer irgendwann im Laufe des Jahres eine neue Aufgabe für den Europäischen Auswärtigen Dienst übernimmt, kann ich nicht bestätigen. Ich fürchte, da müssen Sie sich an den Europäischen Auswärtigen Dienst und an Frau Mogherini wenden, die das dann sicherlich zu gegebener Zeit, wenn sie das für richtig hält, offiziell machen wird.

Zusatz: Aber wenn es eine solche Liste mit, glaube ich, insgesamt 42 Namen gibt, müsste diese doch eigentlich auch dem Auswärtigen Amt zur Kenntnis gelangt sein.

Schäfer: Sie können sich denken, dass wir daran interessiert sind, dass der Europäische Auswärtige Dienst und die Botschafterinnen und Botschafter des Europäischen Auswärtigen Dienstes in Europa so gut qualifiziert und so gut vorbereitet sind, wie nur irgend möglich. Das alles sind aber Verfahren, die im Verantwortungsbereich der Hohen Beauftragten, im Verantwortungsbereich von Frau Mogherini liegen. Deshalb kann ich nur wiederholen: Wenden Sie sich bitte an Frau Mogherini, um zu erfahren, ob die Liste, die veröffentlicht wurde, den Tatsachen entspricht oder nicht. Ich kann das nicht sagen.

Frage: Eine Frage an das Familienministerium: Vom 5. bis zum 7. Mai gab es die Veranstaltung JugendPolitikTage in Berlin. Meine Frage ist, ob dem Familienministerium bekannt war, dass die Gäste der JugendPolitikTage in einem Hotel auf dem Gelände der nordkoreanischen Botschaft untergebracht waren und dass das im Widerspruch zur aktuellen UN-Resolution steht.

Kempe: Vielen Dank für die Frage. - Ich würde gern etwas vorwegschicken. Wie Sie gesagt haben, geht es um die Unterbringung von Teilnehmern der JugendPolitikTage. Das war ein Treffen von 450 Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die an diesem Wochenende hier in Berlin unter anderem über politische Beteiligung von Jugendlichen diskutiert haben. Unser Haus war der Veranstalter des Ganzen. Inhaltlicher und organisatorischer Partner war der Verein Jugendpresse Deutschland. Er hat auch die Unterkünfte gebucht, unter anderem in dem von Ihnen genannten Hostel. Dies geschah schon am 9. November 2016. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hatten weder wir noch die Jugendpresse Kenntnisse über den Hintergrund dieses Hostels. - Mehr kann ich Ihnen dazu im Moment nicht sagen.

Frage : Zu unserem Kollegen: Herr Schäfer, was gibt es Neues im Fall Deniz Yücels? Gibt es konsularische Betreuung? Wie geht es den anderen vier deutsch-türkischen Inhaftierten?

Hat der Einzige, der vor Wochen herausgekommen ist und jetzt in der Türkei eine Ausgangssperre hat, immer noch eine Ausgangssperre?

Schäfer: Zu Ihrer letzten Frage: Ich bin nicht in der Lage, Ihnen etwas als letzten Stand über diesen Einzelfall zu sagen, weil ich es schlicht nicht weiß. Dazu muss ich mich erst schlau machen und möchte Ihnen erst etwas sagen, wenn mir die Kollegen, die sich darum kümmern, das bestätigt haben.

Im Falle Deniz Yücels gibt es nichts Neues - und weil es nichts Neues gibt, ist das Anlass für uns, das Gespräch mit der türkischen Seite zu suchen. Aus anderem Anlass habe ich davon gesprochen, dass der deutsche Außenminister beabsichtigt, mit seinem türkischen Kollegen am Rande der Somalia-Konferenz in London zu sprechen. Ich gehe davon aus - ich kann es mir auch nicht anders vorstellen -, dass dieses für das bilaterale Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland wichtige Thema zur Sprache kommen wird.

Ich denke, ich brauche zu dem, was wir mit einem solchen Gespräch beabsichtigen, nichts zu sagen. Natürlich wünschen wir uns eine unverzügliche Freilassung Herrn Yücels und als Zwischenschritt zu einer Lösung, die die Freilassung von Deniz Yücel beinhaltet, natürlich auch konsularische Betreuung und vor allem eine Verbesserung der Haftbedingungen. Dass er seit Monaten in Einzelhaft gehalten wird, ist schlicht und ergreifend unzumutbar, unverhältnismäßig und auch nicht rechtsstaatlich.

Frage: Eine Frage zu Nordkorea: Es wurde berichtet, dass das Auswärtige Amt vorbereitet, Nordkorea zu untersagen, die Botschaft kommerziell zu nutzen. Wie stufen Sie diese Maßnahme ein? Ist das eine Durchführung bestehender Sanktionen oder eine Verschärfung? Kann man das als Drohung werten, dass es noch weitere Schritte geben wird?

Schäfer: Das ist keine Entscheidung des Auswärtigen Amtes, sondern ganz ausdrücklich eine Entscheidung der Bundesregierung. Es ist die Umsetzung eines Beschlusses des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 30. November des vergangenen Jahres. Dieser Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sieht vor, dass Auslandsvertretungen Nordkoreas ausschließlich diplomatischen und konsularischen Tätigkeiten nachgehen dürfen und deshalb jede kommerzielle Tätigkeit auf dem Gelände der Botschaft oder im Zusammenhang mit der Botschaft untersagt ist.

Die Aktivitäten der Botschaft Nordkoreas, darunter das bekannte Cityhostel Berlin - es ist ja nur einen Steinwurf von hier entfernt -, erfüllen eindeutig den Tatbestand, dass es sich nicht um diplomatische und konsularische Aktivitäten einer nordkoreanischen Auslandsvertretung handelt.

Es gibt eine dafür einschlägige Verordnung der Europäischen Union, die aus unserer rechtlichen Einschätzung unmittelbar anwendbares Recht ist und mit der der Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in europäisches und damit auch in deutsches Recht umgesetzt wird. Dies ist die Rechtsgrundlage dafür, jetzt die nächsten Schritte zu gehen, nämlich die wirtschaftlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit diesem Cityhostel zu unterbinden. Genau das ist gestern von einigen Medien zu Recht und in völlig richtiger Weise in die Öffentlichkeit transportiert worden.

Es ist ganz klar, worum es der Bundesregierung politisch geht, aber ich will es noch einmal deutlich herausstellen: Wir haben ein Interesse an einer politischen Lösung, die die Anwendung von Gewalt gegenüber Nordkorea oder durch Nordkorea verhindert. Dafür gibt es seit Jahren Formate, die aber nicht funktionieren, weil sich die Nordkoreaner diesen Formaten - dem Sechser-Format und anderen - immer wieder entziehen. Wir haben an dieser Stelle immer wieder die völkerrechtswidrigen, provozierenden und provokanten Aktivitäten Nordkoreas bei der Entwicklung von Nukleartechnologie und Raketentechnologie sowie ihrer Anwendung kritisiert und auf das Schärfste verurteilt. Dies tun wir gemeinsam mit unseren Partnern. Wir sind uns sehr einig darin, dass wir den Druck erhöhen müssen. Das hat der deutsche Außenminister zuletzt in der vergangenen Woche im strategischen Dialog mit seinem chinesischen Außenminister noch einmal sehr intensiv diskutiert. Wir sind nicht nur mit Amerika und der amerikanischen Administration einer Meinung, sondern auch mit der chinesischen, dass es gemeinsamen internationalen Druck auch durch Sanktionen braucht, um Nordkorea dazu zu bringen, sich auf Verhandlungen einzulassen und von der Nukleartechnologie abzulassen. Im Verhältnis zum Iran hat das lange gebraucht; aber immerhin ist es 2015 zu einem guten und friedlichen Ergebnis gekommen.

Dieses Ziel verfolgen wir weiterhin. Deshalb ist es für uns völlig selbstverständlich, dass wir uns im Geleitzug mit der internationalen Gemeinschaft auf der Grundlage der Beschlüsse des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen an dieser Erhöhung des Drucks mittels Sanktionen gegenüber Nordkorea beteiligen. Deshalb ist es wichtig, dass die Finanzquellen, die es für das nordkoreanische Regime gibt, auch in Deutschland möglichst schnell geschlossen werden. Das tun wir jetzt auf die dafür notwendige Art und Weise - natürlich unter Beachtung rechtsstaatlicher Anforderungen.

Mittwoch, 10. Mai 2017

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 10. Mai 2017
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/05/2017-05-10-regpk.html
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-25 55
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2017

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